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Wagenknecht geht es um Macht


Wer glaubt, dass sie Sahra Wagenknecht für hippe sexuelle Minderheiten interessiert, verkennt ihr wirkliches Interesse: Ihr geht es darum, wie die politische Linke möglichst viele Menschen erreichen kann und ihre Partei ein großes Stück vom Kuchen Wählerkuchen abbekommt.

Nein, ich habe das neue Buch von Sahra Wagenknecht noch nicht gelesen. Es kommt erst morgen raus und ein Rezensionsexemplar habe ich nicht bestellt. Ich bin auch keiner ihrer  Anhänger. Sie ist mir, wie ihre Partei, zu nah an Diktatoren wie Putin dran, ich habe auch nicht vergessen, dass sie zu den Abgeordneten ihrer Partei gehörte, die 2010 sitzen blieben, als der damalige israelische Präsident Simon Peres vor dem Bundestag über den Holocaust sprach und wirtschaftspolitisch ist sie mir natürlich zu links.

Aber ich halte Sahra Wagenknecht für eine der klügsten und taktisch versiertesten Politikerinnen Deutschlands und ihrer Partei. Ihre Gastbeiträge  in der FAZ und auf t-online zeigen, wie sie die Linke positionieren will: Als Partei aller, die wirtschaftliche Schwierigkeiten haben, kleine Renten bekommen, in heruntergekommenen Stadtteilen wohnen oder schlecht bezahlte Jobs haben. Und natürlich als Partei derjenigen, denen diese Menschen und ihr Schicksal politisch besonders wichtig sind. Wagenknecht sieht in diesen Menschen, es sind etliche  Millionen in Ost und West, eine Zielgruppe, die sie gewinnen und nicht an die AfD oder die Nichtwähler verlieren möchte. Um es mit David Goodhart zu sagen: Sie will den prekarisierten Teil der „Somewheres“ erreichen. Goodhart beschreibt die beiden Gruppen, die in Großbritannien mit seinem Überzentrum London ausgeprägter sind als in Deutschland, in seinem Buch „The Road To Somewhere“ anhand einiger einfacher Kriterien: „Anywheres machen etwa 30 Prozent der Bevölkerung aus. Sie sind hoch gebildet, oft mobil, legen Wert auf Offenheit und Autonomie. Ihre Identität speist sich aus den eigenen Leistungen in Ausbildung und Beruf. Somewheres machen etwa die Hälfte der Bevölkerung aus, besitzen aber ein viel geringeres politisches Gewicht. Sie sind weniger gebildet, stärker verwurzelt, legen Wert auf Stabilität und Vertrautheit. Ihre Identität beruht auf ihrer Gruppen- und Ortszugehörigkeit.“

Anywheres stellen einen großen Teil der Wähler der Grünen, Somewheres neigen eher zu SPD und CDU, wenn sie in prekären Verhältnissen leben, sind sie für die Linkspartei als Wähler interessant.

Ich denke mal, dass Wagenknecht folgende Aufteilung der linken Parteien nach Zielgruppen nicht dumm finden würde, ich leite es zumindest aus den Texten die ich von ihr kenne ab:

Grüne: Großstädte, postmaterialistisches, akademisches Bürgertum, gut verdienend, sich selbst als weltoffen sehend und in Stadtteilen mit wenigen Konflikten und Problemen lebend. Ist man mit dem Staat nicht zufrieden, weicht man, zum Beispiel wenn es um die Bildung der eigenen Kinder geht, auf Privatschulen aus.

SPD: Facharbeiter, Angestellte, Handwerker – das Einkommen ist gut und sicher, aber nicht spektakulär. Die Ausbildung ist solide und kann auch akademisch sein. Man ist in der Regel nicht auf Hilfe des Staates angewiesen, kann es sich aber nicht leisten, Kinder auf Privatschulen zu schicken.

Linke: Einfache Jobs, oft eine schlechte oder entwertete Ausbildung. Bezieher kleine Renten. Die Miete kann zum Problem werden, man ist auf preiswerten Wohnraum angewiesen und benötigt häufig staatliche Unterstützung. Man lebt in einfachen Stadtteilen mit vielen Konflikten und eher schlechter Infrastruktur.

Wenn sich die drei Parteien auf diese Zielgruppen konzentrieren, könnten sie das Maximum an Stimmen gewinnen, weil sie sich voneinander abgrenzen.  Dass dies nicht geschieht, ist nach Wagenknecht ein Problem: SPD und Linke orientieren sich zu sehr an den Grünen und den Problemen und Ansichten der Anywheres. Denen sind die Sorgen von Transgender-Leute wichtig, der grüne Strom kann nach der Ansicht der meisten zu jedem Preis aus der eigenen Steckdose kommen und offene Grenzen werden befürwortet, denn die meisten Menschen, die einreisen, ziehen ohnehin nicht in die Stadtteile, in denen man wohnt. Moralfragen und Identitätspolitik sind wichtiger als die Höher der Miete und die Frage, wie lange das alte Auto noch hält, mit dem man zur Arbeit fahren muss oder ob man sich weiterhin Fleisch leisten kann.

Dass die SPD mittlerweile bei 15-17 Prozent in den Umfragen angekommen ist, hat auch viel damit zu tun, dass sie die Grünen kopiert. Klar, so groß wie sie früher einmal war, wird die sozialdemokratische Partei nie wieder, aber über 20 Prozent wären realistisch. Es gibt Menschen die haben Autoscham und es gibt welche, die bauen und verkaufen Autos. Will die SPD die erste Gruppe haben, steht sie am Ende mit leeren Händen da: Die einen gehen zu den Grünen, die anderen wählen nicht mehr SPD. Bei den Sozialdemokraten warnt seit Jahren Nils Heisterhagen vergebens vor dieser Entwicklung, bei der Linkspartei hat Sahra Wagenknecht diesen Job übernommen.

Es geht ihr also um Macht, um möglichst viele Stimmen und sicher auch darum, ihr Buch gut zu verkaufen. Wir leben zum Glück im Kapitalismus, da kann man auch mit Kapitalismuskritik viel verdienen.

Und die „skurrilen Minderheiten“? Die werden Wagenknecht so wenig interessieren wie die meisten Menschen. Auch für die grünen Anywheres ist die Solidarisierung mit ihnen nicht viel mehr als ein Lifestyleaccessoir, denn in den oberen Gefilden der Gesellschaft lebt man, wie eine von der FAZ zitierte Studie letztens zeigte, sehr konventionell.

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Helmut Junge
Helmut Junge
3 Jahre zuvor

Wem es in der Politik nicht um Macht geht, hat alles falsch verstanden. Aber zu wissen, wie man überhaupt nur in die Nähe zur Macht kommt, ist bei der Linken bisher nicht vielen klar. Lieblingsspielfelder sind dazu meist ungeeignet. Man muß schon Marktanalyse betreiben und geeignete Zielgruppen ansprechen. Bisher hat die Linke noch keine nennenswert große Zielgruppe angesprochen. Das könnte sich mit Wagenknecht ändern. Aber sie kann auch auf halben Weg scheitern, weil niemand aus der Partei mitmacht. Bisher habe ich in meinem Wohnumfeld noch keinen von der Linkspartei gesehen. Zumindest in diesem Jahrtausend noch nicht. Wenn sie scheitern sollte, was dann?

Ali Mente
Ali Mente
3 Jahre zuvor

"Es geht ihr also um Macht, um möglichst viele Stimmen"

Zum Glück ist Frau Wagenknecht mit dieser Einstellung ja die Ausnahme unter den Politikern.

Irmela Mensah-Schramm
3 Jahre zuvor

Sie wird mit Sicherheit viele demokratisch gesinnte linke WählerInnen abschrecken.

Suwarin
Suwarin
3 Jahre zuvor

Sarah Wagenknecht war über lange Jahre das Gesicht der Linkspartei (von Gysi einmal ab) und ist es wohl immer noch. Ihr Heimat-LV ist der größte Landesverband der Linkspartei, da hätte sie sich eine solide Machtbasis aufbauen können.
Ihren Intellekt will ich nicht in Abrede stellen, aber allzu taktisch versiert scheint sie mir nicht zu sein, sonst hätte sie zuerst ihre Macht in ihrer Partei gesichert und dann versucht der ihren Willen aufzudrücken.
Gut, dass sie ihren Verstand lieber dafür genutzt hat den Faust auswendig zu lernen 🙂

Irmela Mensah-Schramm
3 Jahre zuvor

Ich denke mal, dass sie die Arbeit und das Engagement ihrer ParteigenossInnen mit ihrem u.a. nationalistischen Geschwafel in Abrede stellt.
Ich würde sie garantiert niemals wählen!

Berthold Grabe
Berthold Grabe
3 Jahre zuvor

Nun ja, immerhin beweist sie bei der Analyse des aktuellen politischen Geschehens mehr Verstand als die gesamte Konkurrenz einschließlich ihrer eigenen Partei.
Ihre Schwäche liegt im Glauben an die falschen Mittel, das Richtige zu erreichen, die sich durch ihre Parteimitgliedschaft ausdrückt.
Aber sie ist immerhin bei der Diagnose "was zu tun ist" abstrakt, nicht konkret sämtlichen Parteien um Lichtjahre voraus.
Dazu verweise ich auf ihr Interview in der NZZ
Soviel gesunder Menschenverstand ist in etablierten Parteien schlicht nicht mehr auffindbar.

sneaking_beauty
sneaking_beauty
3 Jahre zuvor

Ich habe ja hier schon mal geschrieben, dass Goodhart mit dieser Unterscheidung zu sehr auf seine eigene Schicht und zudem auf Großbritannien fixiert ist (obere Mittelklasse mit akademischen Background). Wobei es selbst da knifflig wird – neigen nicht gerade viele Leute der Business-Elite zu den Tories und UKIP? Nigel Farage selbst war einst ein "City Boy". Und wo stehen in diesem Szenario etwa der polnische Klempner oder die litauische Späti-Betreiberin, die vom Brexit stark getroffen werden? Anywheres oder Somewheres? Sind es in Deutschland nicht gerade eher jüngere Menschen in Großstädten, die lokale Produkte von Ökobauern aus der Region kaufen und stolz auf ihr eigenes Viertel sind? Und neigen die Business-Jetsetter, die die Attitüde "Geld verdienen zuerst, Familie gründen eventuell später, egal wo" an den Tag legen, nicht eher zu FDP oder AfD? Ist Alice Weidel vom Lebensstil nicht eher eine Galionsfigur des Anywheres? Daran sieht man doch, dass dieser Unterscheid fragwürdig ist.

Im schlimmsten Fall kann das sogar zu einem starken Backlash gegen Internationalismus, Urbanität und Kosmopolitismus führen, der sehr hässlich ausfallen wird – eine Diktatur der nationalen Spießer würde am Ende vielleicht auch denen nicht gefallen, die gerade lautstark auf die Trangender-Leute eindreschen.

Die Linke wäre gut beraten, wenn sie sich weiterhin nicht nur auf die Nostalgiker beschränkt und ihren Modernisierungskurs fortsetzt. Die steigenden Wählerzahlen von 2002 bis 2017 zeigen, dass dies der richtige Weg ist. Ich stimme aber zu, dass Wagenknecht eher aus machtpolitischem Kalkül handelt und man immer mehr die Handschrift ihres Partners erkennt. Lafontaine ist eben kein Mann von Prinzipien, sondern ein eitler Gockel, der immer dann aus einem Projekt aussteigt, wenn er selbst nicht mehr die erste Geige spielt. Daher war auch "Aufstehen" ein Rohrkrepierer, der letztendlich an der Eitelkeit von "Lafoknecht" gescheitert ist.

Arnold Voss
3 Jahre zuvor

Wenn sie in der SPD wäre, ja sogar dort eine führende Rolle spielen würde, würde ich die SPD wieder wählen.

Uwe E. Fetzer
Uwe E. Fetzer
3 Jahre zuvor

Hiermit oute ich mich als skurrile Minderheit der ehemaligen Linkswähler die erkannt haben, dass Faschismus sowohl vom rechten als auch vom linken Rand des politischen Spektrums aus funktioniert. Danke, Frau Wagenknecht!

thomas weigle
thomas weigle
3 Jahre zuvor

#8 Steigende Wählerzahlen? Das beste Ergebnis bei BTWs war 2009 als man zweistellig war. Und man war sogar mal im D-dorfer Landtag-2010-12. Dito in NS, wo man anschließend 2x den Wiedereinzug verfehlte,dito SH. Hessen und die Stadtstaaten sind im Westen die einzigen Landesparlamente, in denen die Linke vertreten ist.

Helmut Junge
Helmut Junge
3 Jahre zuvor

Jetzt habe ich in Kommentar 1 aber was gesagt. Ich zitiere mich mal slbst: "Bisher habe ich in meinem Wohnumfeld noch keinen von der Linkspartei gesehen. Zumindest in diesem Jahrtausend noch nicht."
Den Satz hat jemand von der Linkspartei in Duisburg so nicht stehen lassen wollen.
Gestern hatte ich eine kostenlose Zeitung der Linken im Briefkasten! Die lesen also mit!

sneaking_beauty
sneaking_beauty
3 Jahre zuvor

@#11 Thomas Weigle:

Im Jahr 2002 ist die PDS nur dank zweier Direktmandate (eine davon übrigens Gesine Lötzsch, so viel also zum herablassenden "Muss man die kennen?"-Unterton in dem anderen Artikel), in den Bundestag eingezogen. Damals galt die Partei als regionale Interessenvertretung ostdeutscher Rentner und man sagte ihr auch in der Parteienforschung den baldigen Untergang voraus. Ein damals oft geäußertes Argument war, dass sich auch die PDS langfristig der Globalisierung anpassen muss – und das kam oft aus der gleichen FAZ/Welt-Ecke, die jetzt plötzlich den Nationalbolschewismus für sich wiederentdeckt hat. Heute muss man sagen, dass diese Einschätzungen ungefähr auf dem Level waren wie "Who wants to hear actors talk?". In einigen Bundesländern im Osten hat Die Linke die SPD als Mitte-Links-Volkspartei abgelöst. Und zu dieser Etablierung gehörte nunmal auch, dass man sich mehr Wählerschichten erschließt (u.a. städtische jüngere Leute). Und die von Ihnen genannten "alten" Bundesländer umfassen immerhin den Ballungsraum Frankfurt-Offenbach und Hamburg, beides nicht gerade Leichtgewichte von der Bevölkerungszahl.

@ #12 Helmut Junge:

Das ist doch mal ein Zeichen von Bürgernähe. 😉

Steffi
Steffi
2 Jahre zuvor

Sahra Wagenknecht hat natürlich Recht. Wären mehr Leute in der Linken so schlau wie sie, stünde die Linke jetzt bei 20%. Was hier ansonsten als "links" bezeichnet wird, ist nicht links, sondern neoliberal. Die Neoliberalen wedeln mit Regenbogenflaggen und zelebrieren ihre verkürzte Identitätspolitik, verstecken sich dahinter, während sie gleichzeitig für imperialistische Kriege hetzen, mit denen der Westen seine hegemonialen und Rohstoffinteressen durchsetzt. Wer alles dabei über die Klinge springt, ist auch diesen "Boutique-Linken" egal. Und auch ihr Engagement gegen den Klimawandel ist letztlich nur ein Green Washing New Deal. Die alte Tante Kapitalismus, die letzlich hinter aller Umweltverschmutzung steckt, wird hübsch grün verpackt und den Ahnungslosen neu verkauft. Deswegen sind die Neoliberalen, die, sofern es opportun erschien, auch gerne mal am rechten Rand gefischt haben, jetzt mit einmal alle "woke". All die ganze heiße Luft, die sie verbreiten, dient letztlich nur dazu, sich selber besser zu fühlen, während man priviligiert anderen die Lebensgrundlage entzieht und zur Positionierung. Letzlich eint beispielsweise die AfD und die Grünen mehr als sie trennt. Beide sind neoliberale Parteien, die die Stiefel der Overlords aus Übersee lecken. Den Kulturkampf haben sie auch von da importiert. Er dient zur Demokratiesimulation. Mit einer Shock And Awe – Strategie wird der Souverän gerade immer weiter an den Rand gedrängt, während der politische Diskurs nach US-Vorbild runtergedumpft wird. Gerade bei den Grünen ist es evident, dass hinter all dem Mumpitz, das endlose Nichts lauert. Aktuell wird erkennbar, dass man im Zweifel auf die Demokratiesimulation auch verzichten, kann, da es ja super klappt, die Massen mit einer fabulierten Krise zu lenken. Nicht zuletzt Brechmittel-Olaf sieht das mit den Menschenrechten im Zweifel auch nicht so eng. Wir haben die Wahl zwischen denen, die das Grundgesetz bereits in die Tonne getreten haben und denen, die es dann noch tiefer reintreten und die Tonne verschwinden lassen. All dies begleitet von faschistischer Propaganda. Dass Kapitalismus im Niedergang zu Faschismus wird, ist wahrlich nichts Neues. Leider scheint die tatsächliche Linke immernoch hypnotisiert von der Schlange zu sein. Auf der Titanic indes wird die Musik immer schräger, während man ein letztes Mal um das goldene Kalb tanzt.

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