Warum Freiheit keine Selbstverständlichkeit ist – Marko Martins Freiheitsaufgaben

Marko Martin in Israel Foto: Privat Lizenz: Copyright


Manchmal braucht es den Blick von außen, um die eigene Selbstzufriedenheit bloßzulegen. Marko Martin liefert diesen Blick – scharf, manchmal polemisch und deshalb auch notwendig. Sein neues Buch Freiheitsaufgaben (Tropen, 2025) ist kein akademischer Essay, sondern ein politisches Störmanöver gegen die deutsche Neigung, Freiheit zu verklären, aber nicht ernst zu nehmen.

„Wir alle sind partiell im Irrtum. Auch wer gegen den Strom schwimmt, schwimmt im Strom.“
– Manès Sperber

Ausgangspunkt ist Martins Rede im Schloss Bellevue zum 35. Jahrestag der Friedlichen Revolution. Während Bundespräsident Steinmeier auf routinierte Würde setzte, erinnerte Martin an das, was man lieber verdrängt: deutsche Komplizenschaft mit Putins Russland, Nord Stream als Wohlfühlprojekt für Politik und Wirtschaft – und den hohen Preis, den die Ukraine zahlt. Brisant: Unter den Gästen saßen Veteranen der polnischen Freiheitsbewegung, deren Einsatz im offiziellen Festprogramm kaum vorkam. Die Peinlichkeit hatte schon Egon Bahr vorgezeichnet, als er in den 80er-Jahren die Gewerkschaft Solidarność als „Gefahr für den Weltfrieden“ diffamierte.

Martin zieht die Linien weiter zurück. Er erinnert an Alexander Solschenizyns Archipel Gulag, das in Frankreich wie in Deutschland die linke Intellektuellen-Szene erschütterte – und an Dissidenten wie Jürgen Fuchs, die im Westen oft nur Spott ernteten. Wer in der DDR für Freiheit riskierte, was im Westen kaum jemand riskieren wollte, galt hierzulande schnell als Störenfried. Ralph Giordano, Wolf Biermann oder Herta Müller wussten, wovon sie sprachen – nur hörte man ihnen nicht immer zu.

Die Stärke von Freiheitsaufgaben liegt darin, dass Martin beide Seiten attackiert: die alten Ost-Dogmatiker ebenso wie die westdeutsche Besserwisserei, die linke Realitätsverweigerung ebenso wie rechte Zynismen. Er seziert die verlogenen Phrasen – „Frieden“ und „Gewalt ist keine Lösung“ – die schon in Bosnien als Feigenblatt für Nichtstun dienten und heute wieder in der Ukraine bemüht werden. Statt Schiedsrichter-Posen fordert er Parteilichkeit: „Dass humane Fairness auch ohne die kalte Schiedsrichter-Pose behauptete Äquidistanz möglich macht.“

Martin verknüpft eigene Erinnerungen mit Begegnungen: Jerzy Giedroyc und die Exilzeitschrift Kultura, Manès Sperber, André Glucksmann. Namen, die im deutschen Diskurs gern verdrängt werden, weil sie unbequem bleiben. Sie alle zeigen, dass Freiheit kein Naturzustand ist, sondern immer neu erkämpft werden muss – und dass sie nie „neutral“ ist.

Das Buch lebt von dieser Mischung: persönliche Geschichte, politische Analyse, kulturhistorische Exkurse. Manchmal sprunghaft, manchmal dicht – aber immer klar in der Position. Leserfreundlich im Sinne von „leicht“ ist es nicht, dafür aber dringend nötig. Gerade weil Martin die deutsche Selbstbespiegelung zerlegt und uns daran erinnert, dass es mehr gibt als nationale Ost-West-Lamentos: Taiwan etwa, das heute ähnlich wie die Ukraine an vorderster Front für Freiheit steht.

Ein kleiner blinder Fleck sei erwähnt: Die Rolle von Papst Johannes Paul II. und der katholischen Kirche für den Fall des Eisernen Vorhangs spielt bei Martin keine Rolle – wohl auch, weil er selbst dort keine Anknüpfungspunkte hatte. Gleichwohl war ihr Anteil an der Mobilisierung der polnischen Gesellschaft bedeutend und wird bis heute unterschätzt.

Fazit: Freiheitsaufgaben ist kein gemütlich zu lesendes Buch, es ist im besten Sinn eine Zumutung. Wer die alten Ausreden von „Dialog“, „Frieden schaffen ohne Waffen“ liebt, wird seine Probleme haben. Wer verstehen will, warum Freiheit 2025 weiter und wieder Kampf bedeutet, sollte es lesen.

Marko Martin:
Freiheitsaufgaben
Clett-Kotta, 20,00 Euro

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtigen bei
guest
0 Comments
Älteste
Neueste
Inline-Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
Werbung