Weibliche Genitalverstümmelung: Niemand weiß, wie viele Frauen betroffen sind

Regionale Verbreitung von Genitalverstümmelung in Afrika und Arabien Bild: Johnuniq Lizenz: CC BY-SA 4.0


Anlässlich des Internationalen Tages gegen weibliche Genitalverstümmelung (FGM) weist der Verein Wadi auf die lückenhafte Datenlage zu FGM im Zentral- und Südirak hin und kritisiert das mangelnde Engagement für die Beendigung der Praxis im Nahen Osten und in Asien. Von unserer Gastautorin Isis Eligbali.

Als Wadi 2005 mit seiner Arbeit gegen FGM begann, bestand der erste wichtige Schritt darin, genaue Daten über die Verbreitung der Praxis in den verschiedenen Regionen Kurdistans zu sammeln. Ohne verlässliche Daten wären Umfang und Ausmaß des Problems kaum abzuschätzen, und wir hätten keine Grundlage für die Bewertung unserer seitdem andauernden Aufklärungsanstrengungen. 2007 richtete Wadi eine Petition an UNICEF/UNFPA, Irakisch-Kurdistan in die Liste der Gebiete aufzunehmen, in denen FGM praktiziert wird. Dies setzte einen langen Prozess in Gang, der schließlich 2012 zur Aufnahme in die Liste führte. Seitdem setzt sich Wadi mit der Kampagne »STOP FGM MIDDLE EAST & ASIA« dafür ein, dass FGM auf internationaler Ebene nicht länger als ausschließlich »afrikanisches Problem« betrachtet wird. Im Rahmen dieser Kampagne regte Wadi Untersuchungen im Zentral- und Südirak an.

Im Jahr 2011 führte die UNAMI Bagdad die »MICS4-Erhebung für den Irak und die Untersuchung von FGM im Nahen Osten« durch, die Sie hier in voller Länge nachlesen können. Kurz gefasst besagt der Bericht, dass die ermittelten FGM-Raten in Bagdad nahe Null lagen und hohe FGM-Raten nur in den kurdischen Gebieten festgestellt werden konnten. Die Ergebnisse haben Wadis Teams verblüfft; es gab einige Daten, die sie an der Richtigkeit der Ergebnisse zweifeln ließen. In einem offenen Brief an UNAMI Bagdad wurden diese Punkte detailliert aufgeführt. 2018 folgte eine weitere MICS-Studie, die zu weitgehend vergleichbaren Ergebnissen kam.

Heute müssen wir feststellen, dass diese Berichte den internationalen Standard dauerhaft gesetzt haben. Seitdem hat sich niemand mehr mit dem Thema Genitalverstümmelung im Zentral- und Südirak beschäftigt. Wadi fordert, dass dringend neue Untersuchungen durchgeführt werden. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass FGM in der gesamten Region nicht praktiziert wird, wenn man die Größe des Landes und die ethnische und religiöse Vielfalt seiner Bevölkerung bedenkt. Unsere Erfahrung aus den letzten (fast) 20 Jahren lehrt uns, dass es sich bei FGM um ein hochsensibles Tabuthema handelt, dem sich Menschen nicht sofort öffnen, wenn man nur die richtigen Fragen stellt. Datenerhebungen über FGM können nicht als bürokratischer Akt erfolgen. In Oman und Iran war die Aufdeckung von FGM ein schwieriges und manchmal gefährliches Unterfangen. Wenn man aber an die Millionen junger Mädchen denkt, die durch ein gesetzliches Verbot vor dieser Tortur bewahrt werden könnten, versteht man die Dringlichkeit.

Wir brauchen neue, bessere Daten, und wir brauchen sie jetzt. Wir müssen Programme im Nahen Osten und in Asien, wo Millionen von Mädchen gefährdet sind, finanzieren und fördern. Wir brauchen eine aktive internationale Gemeinschaft.

Es ist uns ein Anliegen, die hervorragende Arbeit unserer »STOP FGM«-Teams in Kurdistan hervorheben, und dabei möchten wir insbesondere auf unser neu konzipiertes Programm gegen FGM hinweisen.

Die Teams bestehen aus gut ausgebildeten Sozialarbeiterinnen, die Dörfer und Gegenden besuchen, in denen FGM nach wie vor weit verbreitet ist. Die Teams in Erbil und Ranya informieren vor Ort, zeigen Dokumentarfilme und führen mit Frauen (und Männern) eingehende Gespräche über die Auswirkungen von FGM auf ihr Leben und das ihrer Kinder. Sie kommen regelmäßig und bauen Vertrauen in der lokalen Gemeinschaft auf. Dabei arbeiten sie mit einem ganzheitlichen Ansatz, nicht mit Vorwürfen. Sie zeigen die kurz- und langfristigen Folgen von FGM auf und verweisen auf die Erfolge in den Communities, die sich kollektiv von dieser Praxis verabschiedet haben. Außerdem sprechen sie über die FGM-freien Dörfer, die stolzer Teil der Kampagne »STOP FGM KURDISTAN« von Wadi sind. Solche Beispiele aus dem wirklichen Leben zeigen, dass ein grundlegender gesellschaftlicher Wandel möglich ist.

Frauen, die verstümmelt wurden, erzählen in diesen Seminaren oft von dem Leid, das FGM bei ihnen noch heute verursacht. Diese Gespräche haben die nächste Phase von Wadis FGM-Aktivitäten inspiriert: Das 2021 gestartete Pilotprojekt »Living with FGM« arbeitet mit Frauen in Gegenden, die die Praxis bereits aufgegeben haben. Es geht darum, Frauen zu beraten, die mit FGM leben. Die teilnehmenden Communities werden bereits seit Jahren von Wadi im Rahmen von »STOP FGM KURDISTAN« begleitet und haben sich bereit erklärt, die Praxis aufzugeben. Sie arbeiten nun mit Ärzten und Soziologen zusammen, um Bewältigungsstrategien für ihr tägliches Leben als Überlebende zu finden.

Wir danken dem Konsulat der Niederlande im Irak für die Unterstützung dieser Projekte.

Weitere Informationen über die Kampagne gegen FGM in Kurdistan und dem Irak finden Sie hier.

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