Wiedereinführung der Wehrpflicht?

Sercan Celik Foto: Privat

Eine der größten Schwächungen der Bundeswehr war die Abschaffung der Wehrpflicht. Zumindest über ein soziales Pflichtjahr muss spätestens jetzt nachgedacht werden, auch dies ist eine Erkenntnis des Ukraine-Krieges, sagt unser Gastautor Sercan Celik.


Art. 4 III 1 GG – eines der höchsten Güter und Fundamente unseres Rechtsstaats – sagt, dass niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden darf und das ist auch gut so. Es ist eines der höchsten Güter unseres Rechtsstaates sich aus freien Stücken gegen den Dienst mit der Waffe entscheiden zu dürfen. In der Hinsicht sind wir Vorreiter und vielen anderen Staaten voraus. Und dennoch war die Aussetzung der Wehrpflicht und des damit verbundenen Zivildienstes ein grober, nahezu undurchdachter und sich bis heute erstreckender gesellschaftlicher Fehler, insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir in Deutschland einen akuten, kaum zu kompensierenden Personalmangel in beiden Bereichen haben. Hinzu kommt, dass wir seit der Aussetzung im Jahre 2011 große Probleme haben für diesen Bereich qualifizierten und vor allem interessierten Nachwuchs zu finden. Die Probleme unserer Bundeswehr liegen somit nicht nur in der – zum Teil – mangelhaften Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten, sondern auch in einer faktischen Unterbesetzung.

Nach der von Russlands Präsident Wladimir Putin befohlenen Invasion in der Ukraine steht unsere Berufsarmee aktuell auf dem Prüfstand. Damit Deutschland im Ernstfall einer etwaigen Bündnispflicht nachkommen kann, muss die Bundeswehr qualitativ und quantitativ nachgebessert werden. Ein bis vor paar Monaten noch undenkbares Szenario ist inzwischen Realität, denn in Europa herrscht Krieg und nicht zuletzt deswegen muss man auf alle denkbaren Eventualitäten im hiesigen Konflikt, aber auch mit Blick auf den allgegenwärtigen internationalen Terrorismus vorbereitet, und im wahrsten Sinne des Wortes gewappnet sein. Nichtsdestotrotz ist es äußerst schwer für die Bundeswehr, freie Kräfte aufzutreiben und im Rahmen der Bündnisverpflichtungen abzustellen, warnte vor wenigen Tagen sogar der Heeresinspekteur Alfons Mais. Unabhängig von der Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland zog der Bundeswehrgeneral dabei eine niederschmetternde und schonungslose Bilanz. Wenn man ehrlich sei, so stehe die Bundeswehr derzeit „ziemlich blank“ da, hatte er kritisiert. Daran sei der eiserne Sparkurs der vergangenen Jahre Schuld. Die Regierungserklärung vom 27.02.2022 durch Bundeskanzler Olaf Scholz könnte jedoch eine Kehrtwende sein. In dieser Sondersitzung des Bundestages kündigte Scholz nun eine „Zeitwende“ für die Bundeswehr an. Die Truppe soll über ein Sondervermögen 100 Milliarden Euro für Investitionen und Rüstungsvorhaben aus dem Bundeshaushalt erhalten. Und auch künftig sollen die Ausgaben für die Bundeswehr steigen. Deutschland werde „von nun an – Jahr für Jahr – mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren“, sagte Scholz. Ob und inwieweit hiervon aber auch die zielorientierte Diskussion um eine stufenweise Wiedereinführung eines sozialen Pflichtjahres gemeint sein könnte, bleibt hoffnungsvoll abzuwarten.

Meine Generation war vom Wehr- bzw. Zivildienst noch betroffen, genau genommen Nutznießer dieses Konstruktes. Erst hieß es: „nie mehr Schule!“, doch was folgt dann? Nach der Euphorie kommt häufig die Ernüchterung. Wie geht es weiter? Was will ich später mal werden? Viele der Schülerinnen und Schüler sind unentschlossen und wissen nicht, welche berufliche Richtung sie einschlagen wollen, wohin die Reise letztlich gehen soll. Ein soziales Pflichtjahr wäre eine ideale Gelegenheit sich weiterzuentwickeln und während dieser Selbstfindungsphase den Orientierungsprozess zu bestärken. Während die einen sich nach 9 bzw. 12 Monaten in ein Studium oder eine hiervon unabhängige Ausbildung begaben, war es für viele andere Türöffner in eine Karriere bei der Bundeswehr oder einem blühenden beruflichen Werdegang im Pflegesektor.

Die Corona-Krise und der aktuelle Konflikt in der Ukraine demonstrieren uns aktuell hautnah, dass wir dringend über die Einführung eines sozialen Pflichtjahres debattieren sollten. Wer von der Gesellschaft Pflichten einfordert, der sollte auch seine eigenen Verpflichtungen dieser Gesellschaft gegenüber akzeptieren und nachkommen. Unabhängig von der wachsenden sozialen Komponente, der Stärkung des Gemeinsinns, der Erweiterung des persönlichen Horizontes und des dadurch angekurbelten „Wir-Gefühls“, wird man hierdurch zusätzlich die Vielfältigkeit und die Mannigfaltigkeit unserer Gesellschaft noch näher kennenlernen. Geschadet hat es am Ende sicherlich noch keinem.


Sercan Celik ist Jurist, Vorsitzender des Vereins der Yeziden und Christen e.V. und im Vorstand der SPD Kierspe
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Emscher-Lippizianer
Emscher-Lippizianer
2 Jahre zuvor

Die Aussetzung der Wehrpflicht hat aber nicht nur personalwirtschaftliche Konsequenzen, sondern auch weitreichende politische Konsequenzen.
"Alle Bürger des Staates sind geborene Verteidiger desselben" wußte Scharnhorst bereits 1807. Durch die Abschaffung der Wehrpflicht wird die Berufsarmee dann zu einem Fremdkörper im Staate, der sich in umschlossenen militärischen Anlagen aufhält. Es findet darauf hin keine Identifikation der Bevölkerung mit dieser Armee mehr statt. Eine Entrückung aus der Mitte der Gesellschaft ist die Folge. Und letztendlich tauchen dann in dieser Armee Typen vom Kaliber Franco A. auf. Von daher bin ich für eine sofortige Rückkehr zur Wehrpflicht. Natürlich gleichberechtigt auch für Frauen.
Ich melde mich ab!

Berthold Grabe
Berthold Grabe
2 Jahre zuvor

Gegen eine Wehrpflicht oder ggf. Ersatzdienst spricht eher wenig.
Allerdings sollte man die Fehler früherer Ersatzdienstmöglichkeiten vermeiden, als man Ersatzdienst privilegierte und damit deutlicher attraktiver gestaltete als den Wehrdienst.
die Vorteile des Ersatzdienstes lagen in z. T. deutlich geringeren Arbeitszeiten, nicht selten bequemen Druckposten, die man durch gute Beziehungen erlangen konnte, und auch manchmal deutlich bessere Bezahlung. Vor allem die freie Arbeitszeitgestaltung führte dazu das Ersatzdienstleistende neben dem Ersatzdienst schon eine Studium aufnehmen konnten, was Wehrpflichtigen unmöglich war.
Ein weiteres Problem war zu meiner Zeit Anfang der 80ziger für Wehrpflichtige, die rückständige überteuerte Ausrüstung und sehr schlechte Ausbildung mit an manchen orten Unteroffizieren, denen man einen Wehrpflichtigen vor die Nase setzen musste, damit die keinen Schaden anrichteten. Probleme, die durchaus etwas mit der damalig beginnenden politischen Vernachlässigung der Bundeswehr zu tun hatten und vor allem Teile des Heeres betrafen und weniger Luftwaffe und Marine.

Robert N aus M
Robert N aus M
2 Jahre zuvor

Dem ist im Prinzip nichts hinzuzufügen, kluge und längst überfällige Analyse.

Rolf Halwe
Rolf Halwe
2 Jahre zuvor

Mit der Einfei es sozialen Pflichtjahred schlägt man 2 Fliegen mit einer Klappe, wenn man alternativ einen Pflegedienst oder eben einen Wehrdienst anbietet. Gegen einen Wehr- oder Pflegesoli ggf. f. d. Finanzierung für Besserverdienenende hätte ich nichts einzuwenden.

Peter L
Peter L
2 Jahre zuvor

Wehrpflicht oder ein Ersatzdienst ist faktische Zwangsarbeit.

Das Argument mit der Verantwortung zur Gesellschaft führt nicht zu Ziel.
Vor allen wenn es immer noch ein Problem ist, wichtige gesellschaftliche Arbeit, sei es in der Pflege und anderen wichtigen Strukturen ordentlich zu bezahlen. Soll die mangelnden Verfügbarkeit aufgrund der daraus resultierenden Attraktivität mit einem Zwangsdienst ausgeglichen werden ?

Gerade in der Landesverteidigung bedarf es Profis nicht irgendwelchen Kanonenfutter.
Dazu gehört auch Motivation, durch gesetzlichen Zwang erzeugt man diese nicht.

Und wenn es um Umfragen zur Wiedereinsetzung der Wehrpflicht geht, sollte man in diesen mit einfließen lassen, ob jene Umfrageteilnehmer schon gedient haben, oder es aufgrund ihres Alters so ist, das sie selber nicht mehr davon betroffen wären. (Im Falle eines Dafürhalten für die Wiedereinsetzung).

Und zum "Wir Gefühl".
In einer kapitalistischen "Ego" Gesellschaft wird man dieses nicht erzwingen können.
Nur in einer Gesellschaft in einer ideale, in der jeder für jeden einsteht.
Daher ist dieses "Wir" nur vorgeschoben, um so für eine Pflicht zu argumentieren.

Ergo:
Lieber eine "Ego" Gesellschaft mit gewisser sozialer Grundsicherheit, als eine Gesellschaft wo das "Wir" erzwungen wird, sei es durch Corona oder viel schlimmeres wie Naturkatastrophen, Blackout oder Krieg.

Benjamin R
Benjamin R
2 Jahre zuvor

Ja, Wehrpflicht bzw. Ersatzdienst sind von dem Verbot der Zwangsarbeit in der europäischen Menschenrechtskonvention allerdings ausgenommen. Ich finde das Argument der Verantwortung für die Gesellschaft durchaus gut, denn Solidargemeinschaft ist kein rein finanzielles Ausgleichgeschäft.
Zivildienst bzw. Ersatzdienst haben niemandem geschadet, ein guter Anteil hat gute Erinnerungen daran und ich würde schlicht sagen, dass es für einige schlicht und einfach charakterbildend war. In den Krankenhäusern, Pflegeheimen und Rettungsdienste waren "Zivis" eine spürbare Entlastung und ihr Wegfall wurde nur in wenigen Fällen ausgeglichen. Ja, solche Berufsgruppen müssen besser bezahlt werden und die Bedingungen müssen sich verbessern, nur wird man das nicht mal eben so schaffen. Klar, wir könnten auch hierfür einen Sonderhaushalt gründen – aber auch das wäre nur temporär und würde die Probleme so nicht lösen.

Wir sind keine rein kapitalistische Ego Gesellschaft, wir haben einen ausgeprägten sozialen Sektor, einen ausgeprägten kulturellen Sektor. Ebenso gibt es tausende Ehrenamtler und wir haben bei der Flutkatastrophe wie auch bei dieser Ukraine Krise einen beeindruckenden Gesellschaftlichen Zusammenschluss gesehen. Ja, wir haben böse Großkonzerne – allerdings müssen die immer mehr soziale Verantwortung und Nachhaltigkeit zeigen um Wettbewerbsfähig zu sein. CSR-Reporting ist für viele international tätige Unternehmen notwendig.

Du hast ohne Frage recht, dass Wehrpflichtige in einem Krieg gegen Russland wohl kaum an vorderster Front sein sollten – hierfür sollten Berufssoldaten bzw. gediente Reservisten später herangezogen werden. Wir sehen allerdings aktuell in der Ukraine, dass ein Krieg schnell mit der Logistik fällt. Hier braucht man vor allen viele Hände und nicht viele Gehirne. Wir müssen uns aber auch überlegen, wie wir an diesen Nachwuchs kommen um die Profis auszubilden. Die Wehrpflicht hatte der Bundeswehr eigentlich immer eine gute Möglichkeit gegeben gute Kräfte anzuwerben. Seit der Aussetzung der Wehrpflicht kämpft sie trotz Verkleinerungsmaßnahmen immer wieder mit Personalproblemen.

Ich komme zu einem Gegenteiligen Urteil, diese Pflicht schafft einen bedeutenden Anteil um dieses Wir-Gefühl zu ermöglichen. Wie wir mit den neuesten Entwicklungen Russlands sehen, werden wir zumindest in den nächsten Jahren damit rechnen müssen, dass uns ein aggressives Russland als Nachbar zur Seite steht. Die Wirtschaftssanktionen werden teuer und ehrlich gesagt wird es niemandem schaden der Gesellschaft ein paar Monate etwas zu geben, danach werden ja auch die meisten die studieren in den Genuss diverser Leistungen kommen die von der Gesellschaft und nicht dem Ego getragen werden. Dein Gesellschaftsbild beschreibt die USA, denn dort ist es so wie du es sagst: Niemand muss einen Wehrdienst leisten, es werden nur Berufssoldaten entsendet und ggf. Nationalgardisten die aber auch freiwillig dort sind – zumindest in Friedenszeiten. Es gibt de facto keinen Zivildienst, leider halt auch wenig bezahlbare Kranken und Pflegeversicherungen – die Altersarmut ist erdrückend verglichen mit unserer, hunderte Diabetiker sterben täglich weil sie sich ihr Insulin nicht leisten können, die Zahl der Obdachlosen explodieren. Sozialer Unfrieden, hohe Kriminalität und eine hohe Mordrate sind auch hierin begründet.

Soziale Grundsicherheit wird durch das "wir" erst ermöglicht. Es gibt im Leben nun mal Pflichten, damit sollte man Leben können. In Deutschland sind das tatsächlich nicht sonderlich viele, auch verglichen mit europäischen Staaten. Dafür gibt es Privilegien die sich viele in deinem libertären Gesellschaftsideal leben wirklich wünschen würden.

Michael Richter
Michael Richter
2 Jahre zuvor

freiwillig statt Pflicht

Es sprechen eine Reihe fachliche und sachlicher Gründe gegen die Einführung eines Pflichtjahres. Bereits mit der Aussetzung der Wehrpflicht und dem damit verbundenen Ende der Zivildienstära im Jahr 2011 wurde in der Bundesrepublik der Diskurs um die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht aktualisiert. Die Vorschläge kamen aus den verschiedensten politischen und gesellschaftlichen Richtungen und erfassten dabei nicht nur die Zielgruppe der Jugendlichen, auch Arbeitslose und Rentner gerieten zumindest zeitweise in den Fokus der Debatten.

Personalmangel als Treiber
Zwei Motive liegen der Diskussion zu Grunde. Zum einen geht es um den Fach- und Arbeitskräftemangel, maßgeblich in der Pflege aber auch in anderen Sozialen Berufssparten wie der Kinderbetreuung, Betreuung von Menschen mit und ohne Behinderung, in den Hilfsorganisationen von THW über das Rote Kreuz bis hin zur Feuerwehr. Sie alle beklagen nicht nur das akute Fehlen von Personal, sondern auch den Nachwuchsmangel. Zu Zeiten des Zivildienstes seien mehr junge Menschen (zwangsweise) in Kontakt mit den Hilfsorganisationen und Sozialeinrichtungen gekommen und viele seien damals „hängengeblieben“. Zum anderen „(…) könnte (ein solcher Dienst) mit dazu beitragen, den Zusammenhalt in der Gesellschaft zwischen den Generationen zu stärken“, so bspw. Jens Spahn am 16.9.2018 in rp-online.de. Diese strukturelle Personallücke wurde auch und gerade unter den Krisenbedingungen des Jahres 2020 nochmal deutlich sichtbar.

Pflichtdienste sind teuer und nicht rechtssicher umsetzbar
Erstaunlich an der ganzen Diskussion ist, dass die damit verbundenen Argumentationslinien bereits seit geraumer Zeit ausdifferenziert sind und sich an der Sachlage wenig ändert. Weder sind die Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages widerlegt, die recht eindeutig darstellen, dass eine Dienstpflicht nicht nur eine Änderung des Grundgesetzes voraussetzen würde, sondern schlicht gegen europäisches und internationales Recht (insbesondere den *IPBürg*) verstossen würde.
Auch die Kosten sind, wenn auch nicht abschließend, so doch in der grundsätzlichen Höhe bezifferbar, Studien kommen zu Ergebnissen im 2-stelligen Milliardenbereich pro Jahr. Bert Rürup erwartet eine Dämpfung des Wirtschaftswachstums und eine Umverteilung zu Lasten der jüngeren Generation (Wirtschaftswoche 31.8.2018). Und nicht zu vergessen die notwendigen bürokratischen Institutionen und Kosten, vergleichbar den ehemaligen Kreiswehrersatzämtern, mit denen zu rechnen ist.

Pflichtdienste sind das Gegenteil von Anerkennung und Wertschätzung
Entscheidender sind jedoch die Auswirkungen einer Dienstverpflichtung auf die Motive und Motivationen der Betroffenen. Wer einen Pflichtdienst leistet wird Erfahrungen und Impulse vor einem anderen Hintergrund bewerten, als ein Freiwilliger, der darüber hinaus jeden Tag neu entscheiden kann und muss, sein Engagement weiter zu führen, oder aber durch Kündigung zu beenden, eine Wahl, die der Dienstverpflichtende nicht zu treffen hat.
Damit ist nicht gesagt, dass Dienstverpflichtete nicht ebenso positive (wie kritische) Erfahrungen machen können, oder dass sie nicht in der Lage wären, diese entsprechend einzuordnen und zu verarbeiten. Der biografische Hintergrund ist jedoch dauerhaft anders angelegt. Entscheidungsfreiheit ist maßgeblich für die Eigenwahrnehmung als selbstwirksames und selbstverantwortetes Subjekt. Es macht eben einen Unterschied, ob Belastungen und Herausforderungen als nicht abänderbare Zumutungen hingenommen werden, oder ob sie mit der Grundentscheidung für ein Engagement verknüpft sind und dementsprechend eine wertbasierte Abwägung eigener Bewältigungsmuster erforderlich machen. Im Zweifel ist der/die Freiwillige aufgefordert, die Entscheidung für das Engagement zu erneuern oder zu beenden. Die vorzeitige Beendigung eines Freiwilligenjahres ist allerdings mitnichten als Scheitern zu interpretieren, sondern als Ausdruck selbstbestimmter Lebensentscheidungen. Von dem her ist auch die seit Einführung des Bundesfreiwilligendienstes deutlich gestiegene Abbruchquote in allen Freiwilligendiensten nur vordergründig ein Warnsignal. Es deutet eben nicht nur auf veränderte Lebensvorstellungen einer multioptional aufgewachsenen Generation hin, sondern stellt auch die Bedingungen freiwilligen Engagements und der Freiwilligendienste insgesamt auf den Prüfstand.

Pflichtdienste stärken mitnichten den gesellschaftlichen Zusammenhalt
Leider wird auch der politische und gesellschaftliche Diskurs über die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen einer allgemeinen Dienstpflicht stets verkürzt, eine Einlassung bspw. des Ethikrates liegt nicht vor. Das erweckt den Eindruck einer rein interessengeleiteten Diskussion, bei einem so tiefgreifenden Thema ein wenig wünschenswerter Stand. Die These von der „Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes“ etwa hält einer genaueren Betrachtung nicht stand. Sie bezieht sich auf vormoderne Gesellschaftsmodelle, in denen Solidarität durch die wechselseitige Verflechtung des Lebensalltags und die Reziprozität der Hilfebedürftigkeit entsteht. Spätestens mit der funktionalen Ausdifferenzierung postmoderner Gesellschaften wird Helfen professionalisiert und gesellschaftliche Solidarität zunehmend über entsprechende Sozialsysteme abgebildet. Der Zusammenhalt, von dem Befürworter sprechen, ist also bestenfalls privater Natur, aber wie wirkungslos Klatschen am Balkon sein kann ist spätestens seit dem Pandemiejahr 2020 hinreichend deutlich geworden.

Etablierte Freiwilligendienste sind zukunftsfähig, Trägerprinzip und die Zivilgesellschaft müssen wir stärken
Seit den späten 1990er Jahren zeigt sich eine Tendenz zur staatlichen Regulierung und Steuerung zivilgesellschaftlichen Engagements. Diese Tendenz hatte und hat zur Folge, dass zum einen der Eindruck entsteht, bürgerschaftliches Engagement werde zum Lückenfüller im Sozialwesen instrumentalisiert, mit allen Folgen für die gesellschaftliche Wahrnehmung von Ehrenamt. Gleichzeitig werden die zivilgesellschaftlichen Institutionen als Ort des Engagements nicht gestärkt, sondern eher geschwächt, durch zunehmende Bürokratisierung von Engagementstrukturen und deren Finanzierung, die Einmischung staatlicher Akteure und nicht zuletzt die politisch gewollte Unterscheidung in erwünschtes und unerwünschtes Ehrenamt.
Freiwilligendienste attraktiver zu gestalten ist nicht nur eine Aufgabe der Träger und Einrichtungen, es ist auch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Seit geraumer Zeit ist die Rede davon, Freiwilligkeit und Engagement müssten selbstverständlich sein oder werden. Damit ist noch wenig ausgesagt über die Rahmenbedingungen oder die konkrete Umsetzung. Es geht zum einen darum kurzfristig die konkreten Rahmenbedingungen für Freiwillige modernisiert werden, von der wirtschaftlichen Absicherung über Vergünstigungen im Alltag wie kostenlosen Nahverkehrstickets bis hin zu Anerkennung der Engagementzeiten im Rahmen von Ausbildungs- und Studiengängen. Insbesondere aber sind es langfristige Einstellungen und Haltungen, die wir als zivilgesellschaftliche Akteure im Auge haben und entsprechende Impulse in Politik und Gesellschaft zu stärken müssen.
Darüber hinaus benötigen die Freiwilligendienste eine solide und verlässliche Refinanzierung von Kosten auf den Ebenen der Träger und Einsatzstellen verbunden mit einem Abbau der Bürokratie (vor allem im Bundesfreiwilligendienst), weiterhin müssen Öffentlichkeitsarbeit und Akquise durch die Träger der Freiwilligendienste endlich förderfähig werden.

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