Wir brauchen den ÖRR mehr denn je!

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Der Skandal um die RBB-Intendantin Schlesinger ist ein gefundenes Fressen für alle, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sowieso ablehnen. Und er offenbart sicherlich Fehlentwicklungen und Schwachstellen bei diesem unüberschaubar großen Apparat. Dass es solche Schwachstellen gibt, ist aber kein Argument gegen den ÖRR. Vielleicht sogar umgekehrt.
Denn das Phänomen, dass Personen mit einer gewissen Macht den Sinn für die Ehrlichkeit verlieren oder dass Personen ohne so einen Sinn sogar leichter an die Macht kommen, dieses Phänomen ist weder neu noch auf den ÖRR beschränkt. Das gibt es in der Verwaltung, im Sport, in der Politik. Das gibt es auch in der Wirtschaft. Nur ist es dort systeminhärent. Dass ein Manager sich bereichert, gehört zu seiner Berufsbeschreibung. Im Idealfall wächst sein Profit proportional zu dem der Firma, deswegen fällt es nicht auf. Wenn er es auf Kosten der Firma tut, fällt es schneller auf als in einem Betrieb wie der ARD. Aber das ist kein Grund, die ARD abzuschaffen. Es kann auch in Universitäten geschehen, in Ministerien oder Verkehrsclubs. Daraus folgt ja auch nicht, dass man Universitäten, Ministerien oder Verkehrsclubs abschaffen sollte.

Bei denen, die den ÖRR jetzt wieder besonders unter Beschuss nehmen, kann man zwischen zwei Sorten unterscheiden: Den leidenschaftlich liberalen, denen jedes Gramm Staat zu viel ist und die möglichst viel vom öffentlichen Leben der Privatwirtschaft überlassen wollen und den rechtsoffenen, die vermutlich mit einer staatlichen Propagandaagentur gar kein Problem hätten, sofern sie erstmal selbst an der Macht sind und deren Inhalte bestimmen.

Ihnen ist gerade ein Dorn im Auge, dass sie die Inhalte nicht bestimmen können. Sie picken einzelne Beispiele heraus und stellen sie als Beweis dafür dar, dass der ÖRR komplett „woke“ und links wäre. Das ist einerseits Unsinn, denn der ÖRR ist eben aufgrund seiner Struktur tatsächlich sehr plural und breit gefächert. Es ist andererseits ein Körnchen Wahrheit darin. Denn im gesamtgesellschaftlichen Schnitt sind die Menschen heute tatsächlich mehr „woke“, im positiven Sinne. Auch wenn man allerhand absurde Beispiele heranziehen kann, um es ins Lächerliche zu ziehen, so besteht ein breiter Konsens darüber, dass man heute sensibler auf Diskriminierungen reagiert als früher. Die Behauptung der AfD-Anhänger, sie würden eigentlich das Volk repräsentieren und emanzipatorische Haltungen würden uns nur von einer Minderheit in den Medien aufgezwungen, ist eben eine taktische Lüge. Die meisten Leute wählen nicht die AfD. Und auch konservative Parteien wie die CDU haben heute andere Ansprüche an sich als vor 40 Jahren. Das nennt man ganz einfach Fortschritt. Man sieht das auch daran, dass die Werbung sich Profit von eher „woken“ Kampagnen verspricht und das Firmen sehr viel häufiger wegen vermeintlich diskriminierender Verfehlungen irgendwo zurückrudern, als weil sie „zu links“ gewesen wären. Wenn wir davon ausgehen, dass der Markt doch das ein oder andere regelt, sehen wir, dass die Kundschaft offensichtlich im Schnitt eher positiv darauf reagiert. Und dass der ÖRR diesen Zeitgeist einigermaßen repräsentiert, das halten die Rechten nur schwer aus.

Der ÖRR ist nach dem 2. Weltkrieg entstanden, um eine staatliche Propaganda wie unter den Nazis zu unterbinden. Und was kann es demokratischeres geben, als einen Staat, der selbst dafür sorgt, dass er von unabhängigen Medien kritisiert wird? Es ist eine außergewöhnliche Errungenschaft, dass der Staat sich selbst das Korrektiv organisiert, ohne es als Propagandamaschine nutzen zu können. Jede andere Organisationsform müsste aus Eigeninteresse die Kontrolle über die öffentliche Meinung zu ergattern versuchen. Nur die Demokratie wird dadurch gestärkt, dass sie der öffentlichen Meinung Raum gibt, statt sie zu unterdrücken. Die menschliche Tendenz zu Korruption, Vetternwirtschaft und Bereicherung wird der ÖRR nicht beseitigen. Er ist sogar, wie wir sehen, selbst anfällig dafür. Aber diese Tendenz bedingt eben gerade, dass die Demokratie so ein Instrument benötigt.
Natürlich kann man einwenden, dass in heutigen Zeiten die Vermittlung von Inhalten viel weniger aufwändig, viel weniger monopolisiert ist. Dass das, was in den 50er Jahren einen hochmodernen Apparat aus diversen Gebäuden, Personen und unbezahlbarer Technik erforderte, heute von 10-Jährigen Tik-Tokerinnen nach den Hausaufgaben hergestellt wird. Pluralität ist heute nicht mehr das Problem. Im Gegenteil. Die Coronakrise hat gezeigt, wie gefährlich die ungebändigte Pluralität ist. Der Strom aus Informationen, falschen wie wahren, wichtigen wie unwichtigen, naiven wie feindseligen, geht ungefiltert und gleichgültig durch die Glasfaserkabel. Nicht wenige sind in diesem Strom abgesoffen, in den letzten Jahren. Ob man ihn filtern sollte und wie das überhaupt möglich wäre, ist eine andere Frage.

Die Querdenker und Verschwörungstheoretiker hat auch der ÖRR nicht vor dem Abdriften bewahrt. Aber für viele bedeutet er gerade in diesen Zeiten eine informationelle Sicherheit. Zeiten, in denen rechte Medienmogule immer mehr Zeitungen aufkaufen. Zeiten, in denen Internetgiganten mit ihren Algorithmen bestimmen, was wir sehen. Zeiten auch, in denen mit klassischem Journalismus immer weniger Geld verdient wird, in denen auch die alten Tageszeitungen mit ihren durchschaubaren Redaktionen und Themen aussterben. Die Frage, ob eine Meldung seriös ist, wird in Zukunft nur immer noch schwerer zu beantworten sein. Zwischen Werbung, Fake-News, Clickbait, Laiencontent, geheimdienstlicher Propaganda, bot-generierter Meldung, Infomercial und hingeschludertem Billigjournalismus wird immer schwerer zu unterscheiden sein.
Sicherlich gibt es sehr viele, sehr gewichtige Kritikpunkte am ÖRR. Man kann die Kosten hinterfragen, den gewaltigen Apparat, die Unschärfe zwischen privatwirtschaftlichen Produktionsfirmen und dem eigentlichen ÖRR, die Fußballübertragungsrechte, überhaupt die Frage, ob ein ÖRR Unterhaltung produzieren muss oder ob man das nicht getrost den Privaten überlassen kann. Man kann kritisch prüfen, wie plural und unabhängig die Redaktionen wirklich sind. Aber all das sind Verbesserungen.

Abschaffen sollte man den ÖRR gerade in diesen Zeiten auf keinen Fall. Die Demokratie ist ohnehin erheblich unter Beschuss. Sie braucht ihre Bollwerke mehr denn je.

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Jens
Jens
2 Jahre zuvor

Alles richtig. Wenn nur die Zwangsbeiträge nicht wären.

Michael
Michael
2 Jahre zuvor

„Sie picken einzelne Beispiele heraus und stellen sie als Beweis dafür dar, dass der ÖRR komplett „woke“ und links wäre. Das ist einerseits Unsinn, denn der ÖRR ist eben aufgrund seiner Struktur tatsächlich sehr plural und breit gefächert“

Nur auf die Frage, welches Politmagazin bzw. welche Journalisten denn Nicht-Links sind, bekommt man nie eine Antwort. Oder weiß hier jemand mehr?

Natürlich ist die Berichterstattung beim ÖR links grün. Da helfen auch mal ein paar wenige Ausnahmen in der Berichterstattung alle paar Monate nichts,

Ein staunender Bauklotz
Ein staunender Bauklotz
2 Jahre zuvor

Ich bin für den ÖRR. Aber ich habe auch eine Menge Kritik am ÖRR. und die kann ich in drei Worte zusammenfassen:
„Der siebte Sinn“!
Dass es sehr viel Geld für Fussballübertragungen, und somit auch für die Millionengehälter von Fussballdiven, aber kein Geld für
eine absolut wichtige Sendung, wie z.B. den „den siebten Sinn“ gibt , halte ich für eine krasse Fehlentwicklung.
Ich bin der Meinung, dass sich aus den besonderen Rechten des ÖRR, wie Unabhängigkeit und gesicherter Finanzierung durch verpflichtetende Gebühren auch besondere Pflichten ergeben. So z.B. durch solche Sendungen wie den siebten Sinn Verantwortung für die Allgemeinheit zu tragen.
Für mich mich besteht der Sinn des ÖRR auch darin, solche Sendungen zu produzieren, die teuer sind, vielleicht auch schlechte Einschaltquoten haben, aber wichtig sind. So z.B. auch die alten ARD Ratgeber Sendungen.
Beim Thema Ditales sehe ich einem klaren Zusammenhang zwischen dem weitverbreiteten digtalen Analpahbetentum in der deutschen Bevölkerung und der absoluten Nichtbeachtung und Nichtbehandlung der digtalen Themem im ÖRR. Bei der Bedeutung dieses Themas für unsere Gesellschaft und unser Wirtschaftsleben müsste es im ÖRR mehrere regelmäßige Sendungen zu digitalen Themen geben . Es gibt keine einzige, aber dafür „woke“ Themen im Überfluss.
Der WDR hatte einmal mit dem legendären Computerclub das Thema Digitales ins deutsche Fernsehen gebracht. Heute gibt es den Computerclub beim WDR nicht mehr. Heute wird im WDR Fernsehen mehr über die Zusammensetzung von Blumenerde berichtet, als über alle digitalen Themen zusammen.

Tesladriver
2 Jahre zuvor

@Michael

WELT, FAZ, NZZ fallen mir auf Anhieb ein, wo man auch mal etwas anderes lesen darf. Auch bei meinen Energie-Thema.

SvG
SvG
2 Jahre zuvor

@ Autor: Das woke Befinden zieht sich durch sämtliche Formate: Ob Erziehungsmonologe in den Unterhaltungsformaten, in denen bestimmte gewünschte Verhaltensweisen gepredigt werden; Redewendungen, die präjudizierend andere Meinungen ausschließen in Info-, oder Nachrichtenformaten; halbwahre Meldungen. Eine Tendenz, politisch unerwünschte Menschen und Meinungen mit der sprachlichen Abwärtsspirale (umstritten-rechtsverdächtig-rechts-rechtsaußen-Nazi) zu diskreditieren. Das alles, während die Medienmacher das, was sie predigen, oft nicht vorleben: Dicke Dienstwagen, üppige Reisekonten für die vielfliegende Journaille, von Gehältern und Spesen wollen wir nicht weiter sprechen. Verdammung des Wachstums und des Kapitalismus bei gleichzeitiger Anhäufung privater Reichtümer zulasten des Zwangsgebührenzahlers.

Nansy
Nansy
2 Jahre zuvor

Ich habe jahrzehntelang den ÖRR verteidigt und ihn für unverzichtbar gehalten. Das war auch solange richtig, wie die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung einigermaßen gewährleistet waren. Da dies seit einigen Jahren nicht mehr der Fall ist und die ÖRR-Sender sich zunehmend als tendenziöse Meinungshygieniker und Volkserzieher verstehen, bleibt eigentlich nur die Forderung nach Abschaffung., Denn mal ehrlich, wer glaubt eigentlich noch an die Reformfähigkeit dieser Institutionen? Links-grüne Journalisten sollen Journalisten mit anderen Meinungen auch mal zu Wort kommen lassen? Da fällt eher Weihnachten und Ostern auf einen Tag.

Der Autor kennt nur zwei Sorten von Kritikern, „…den leidenschaftlich Liberalen … und den rechtsoffenen, die vermutlich mit einer staatlichen Propagandaagentur gar kein Problem hätten, sofern sie erstmal selbst an der Macht sind und deren Inhalte bestimmen.“. Heißt das jetzt, dass er den ÖRR jetzt schon für eine staatliche Propagandaagentur hält, nur mit anderem politischen Vorzeichen? Fragen über Fragen …

Rudi
Rudi
2 Jahre zuvor

Ein öffentlich-rechtlicher Zwangsgebührenrundfunk ist nur vertretbar, wenn er sich auf eine Grundversorgung beschränkt, also etwa auf ein Zehntel des jetzigen Umfangs. Das wären immer ca. acht bis neun Fernseh- und Radioprogramme. Das würde etwa ein Zehntel der jetzigen Gebühr kosten, also etwa 1,85 €. 39 Kochsendungen und 36 Krimiserien brauchen wir sicher nicht, ebensowenig wie wir die Taschen der Fußballmillionäre weiter anfüllen müssen. Mögen das die Fans bezahlen; ich gehöre nicht dazu.

Erich Ziehon
Erich Ziehon
2 Jahre zuvor

Die Meinung , dass „wir“ den ÖRR mehr brauchen denn je, wird von sehr vielen Rentnern, aber fast keinem unter 30 mehr geteilt. Sind alle, die unter 30 sind und den ÖRR für unattraktiv halten, zu dämlich zu wissen, was gut für sie ist? Viel Erfolg mit eurer Webseite, wenn Ihr auch so denkt!

Michael Jastram
2 Jahre zuvor

> kann man zwischen zwei Sorten unterscheiden:

So ein Statement ist unverantwortlich , da es absichtlich polarisiert, durch Vereinfachung verfälscht und nur Öl aufs Feuer gießt.

Um dies zu konkretisieren einfach mal in die Kommentare schauen: Zum Beispiel ist der Wunsch, dass der ÖRR zu seinem ursprünglichen Mandat zurückkehrt („Grundversorgung“ mit dazu passendem Beitrag) weit verbreitet und nicht so binär und provozierend wie das obige Statement.

trackback

[…] von Cube hat ein Plädoyer für mehr öffentlich-rechtlichen Rundfunk gehalten. Ich sehe das […]

Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
2 Jahre zuvor

Die Auffassung die Herkunft einer auf Abschaffung zielende Fundamentalkritik am ÖRR ließe sich auf lediglich zwei fundamentalistische Gruppen zurückführen halte ich für fragwürdig, aber eben auch nicht für indiskutabel.
Zu Befürworten ist die Hypothese, falls eine einigermaßen zeitnahe Reform des ÖRR für plausibel gehalten wird. Wenn nicht wird man um weitere Differenzierungen nicht umhin kommen. Da auch mir Zweites doch wahrscheinlicher erscheint, nehme ich als Grund für die Behauptung des Autors eine für ihn hilfreiche andere aber langweilende intellektuelle Ökonomie an.
Trotz dieses unnötigen zudem einen Gedankenaustausch beschädigenden Strohmanns bleiben viele Beobachtungen und Überlegungen richtig. Unsere Gesellschaft hat seit den 50’ern fortgesetzt dramatische positive Wandlungen erfahren. Dies betrifft im übrigen die gesamte Gesellschaft, selbst dönerkauende AfD-Starlets, die dies für sich selbst nicht wahrhaben wollen.

Rufus
Rufus
2 Jahre zuvor

Es ist nicht nur „ein Körnchen“ Wahrheit – der ÖR ist zum linken Erziehungsfunk verkommen, zum Hort antisemitischer Umtriebe, zur Geldverschleuderungsmaschine, zum Wildwuchs. Ich will nicht bezahlen müssen, damit Moderatorinnen mir Begriffe wie „TalibanInnen“ oder KrankenschwesterIn“ um die Ohren hauen.

paule t.
paule t.
2 Jahre zuvor

Vielen Dank für diese sehr gute Verteidigung des ÖRR als grundsätzliche Idee. Der Text gewinnt nur dadurch, dass er reale Probleme durchaus benennt, aber gleichzeitig klar sagt, aus welchen Ecken die prinzipielle Ablehnung des ÖRR kommt. Das zeigt sich ja auch sehr schön hier in den Kommentaren: Um die Pluralität im ÖRR nicht wahrzunehmen, sondern ihn per se für „links-grün“ o.Ä. zu halten, muss man schon ziemlich weit auf der anderen Seite stehen, damit die Unterschiede durch Entfernung so klein werden. Aber es gibt ja auch Leute, die Angela Merkel für „links“ hielten …

Nur an einem Punkt möchte ich widersprechen, nämlich bei der Beschreibung der prinzipiellen Kritiker als „zwei Sorten“, nämlich den „leidenschaftlich liberalen, denen jedes Gramm Staat zu viel ist und die möglichst viel vom öffentlichen Leben der Privatwirtschaft überlassen wollen und den rechtsoffenen“. Ich glaube nicht, dass das zwei klar abgrenzbare Gruppen sind, sondern dass das ein Spektrum mit fließenden Übergängen ist. Erstens sind die beschriebenen Privatwirtschaftsfundamentalisten ja schon eine sehr spezielle Sorte von Liberalen, während im gesellschaftlich-politischen Sinne Liberale (bei denen Freiheit für Menschen im Mittelpunkt steht, nicht fürs Geld) ja auch durchaus Positionen vertreten können, nach denen staatliche Institutionen manchmal auch besser den gewünschten Zweck für Menschen erfüllen können als privatwirtschaftliche. Und umgekehrt lässt sich ein rein wirtschaftspolitischer Liberalismus ja wunderbar mit gesellschaftlich rechten Positionen vereinbaren.

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