
Bei allem berechtigten Nein zum Putin-Trump-Plan zur Beendigung des Kriegs gegen die Ukraine: Für die Abwehr der russischen Aggression sind in erster Linie die Europäer verantwortlich. Sie tragen auch die Hauptschuld daran, dass die Ukraine sich nun zwischen Selbstaufgabe und alleine Weiterkämpfen entscheiden muss.
Stammt der 28-Punkte-Plan, der die Ukraine faktisch zur Kapitulation zwingen soll, direkt aus dem Kreml, oder haben Abgesandte von US-Präsident Donald Trump daran mitgewirkt? Diese Frage, die am Wochenende nach widersprüchlichen Signalen aus Washington die Gemüter erhitzte, ist im Grunde müßig. Denn dass Trump kein übermäßiges Interesse hat, sich für das Überleben der Ukraine zulasten seiner Beziehungen zu Putin einzusetzen, war immer schon klar. Dennoch klammerten sich die europäischen Regierungen bis zuletzt an diese Hoffnung – und stehen nun vor dem selbst angerichteten Scherbenhaufen ihrer Politik.
Für die Ukrainer und ihren Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bedeutet das, dass sie zwar noch versuchen können, an dem „Friedensplan“ Änderungen vorzunehmen – immerhin hat Trump zugestanden, dass es kein fertiger Entwurf sei. Doch an den Grundzügen werden sie und die europäischen Regierungen wahrscheinlich nichts mehr ändern können, weil sie selbst keinen Plan haben. Und selbst wenn, wären sie zu schwach, ihn allein durchzusetzen.
Putin kann sich deshalb Hoffnungen machen, praktisch alles zu bekommen, was er die ganze Zeit gefordert hat: die eroberten Gebiete und noch mehr, eine stark entmilitarisierte Ukraine und dazu eine im Kern geschwächte NATO, die nicht mehr souverän über ihre Strategie und die Aufnahme neuer Mitglieder entscheiden kann. Ein feuchter Traum des Kreml-Herrschers.
Aber ist dafür Trump verantwortlich? Es sind mindestens genauso, wenn nicht noch mehr, sein Vorgänger Joe Biden und die europäischen Staats- und Regierungschefs. Die haben es schon nach der Okkupation und Annexion der Krim und dem Kriegsbeginn in der Ostukraine 2014 unterlassen, Putin und seiner neoimperialistischen Aggression entschieden entgegenzutreten. Stattdessen haben die damalige Kanzlerin Merkel und der französische Präsident Hollande mit den Minsker Abkommen die russische Landnahme faktisch abgesegnet, ohne den Krieg zu stoppen, und eine Aufnahme der Ukraine in die NATO verhindert – was allein Putin Einhalt geboten hätte.
So fühlte der sich ermuntert, seine Aggression fortzusetzen und schließlich 2022 die Vollinvasion zu starten. Selbst da beließen es Biden, Merkels Nachfolger Scholz und die übrigen europäischen Regierungen bei einer zunächst nur sehr zögerlichen Unterstützung des angegriffenen Landes mittels Waffenlieferungen. Eine Flugsicherheitszone, die die immer stärkeren russischen Luftangriffe auf zivile Einrichtungen, die Infrastruktur und Zivilisten verhindert hätte, gar die Entsendung von Bodentruppen, schlossen sie von vornherein aus – und überließen es so den Ukrainern, stellvertretend für uns alle allein den verzweifelten Abwehrkampf zu führen.
Dabei hätte ein entschlossenes gemeinsames militärisches Vorgehen – mit zumindest der Drohung, eigene Truppen zu schicken – die Invasion wahrscheinlich schnell stoppen können. Denn die russische Armee erwies sich als keineswegs so stark, wie vorher im Westen befürchtet worden war. Stattdessen tobt nun seit fast vier Jahren ein Abnutzungskrieg, den Russland zwar auf absehbare Zeit wohl nicht gewinnen kann, der aber die Ukraine ausbluten lässt – kombiniert mit inneren Konflikten wie der Korruptionsaffäre um Präsident Selenskyj, die dessen Rückhalt schwächt.
In dieser Lage muss der nun entscheiden, ob er auf den Vorschlag aus Washington und Moskau eingeht, um einen Waffenstillstand zu erreichen, bevor noch mehr Ukrainer sterben und im Winter frieren – wegen der verheerenden russischen Angriffe auf die Energieversorgung. Oder ob die Ukraine den Kampf auch ohne amerikanische Militärhilfe fortsetzt.
Die Europäer stehen dabei wieder einmal hilflos am Spielfeldrand. Zwar ist ihre Ablehnung des 28-Punkte-Plans – abgesehen von Ungarn – einhellig. Aber wirkliche Druckmittel haben sie nicht, da sie keinen eigenen, alternativen Plan haben. Und selbst wenn, wären sie zu schwach, ihn ohne Hilfe aus Washington durchzusetzen.
So bleibt nur Weiterwursteln – in der vagen Hoffnung, dass Trump wieder umschwenkt. Es sei denn, sie entschließen sich, die Ukraine auf eigene Faust umso mehr militärisch, finanziell und mit weiteren harten Sanktionen gegen das russische Regime zu unterstützen – mit dem endlich klar kommunizierten Ziel, dass die Ukraine den Krieg gewinnen muss, whatever it takes.
Kanzler Merz, der sich an die Spitze der Ablehnungsfront stellt, könnte vorangehen, indem er der Ukraine endlich die versprochenen Taurus liefert. Das wäre ein weit stärkeres Signal als bloße verbale Erklärungen. Und es würde auch in Moskau verstanden – das dann in die Reichweite zielgenauer Marschflugkörper deutscher Bauart käme. Nur wenn die russische Führung und Bevölkerung die Folgen ihres Kriegs spüren, gibt es Hoffnung, dass Putin ihn beendet. Sonst wird er ihn gnadenlos fortsetzen – ob ohne oder nach einer von Trump vermittelten Waffenruhe.
Zu befürchten ist jedoch, dass es bei Protesten gegen Trump und seinen Plan bleibt – und der entweder sein Ding durchzieht oder sich gelangweilt abwendet („Dann soll Selenskyj weiterkämpfen, solange es sein kleines Herz kann“). Und Putin sich so oder so die Hände reibt, während die AfD, das BSW und Teile der Linkspartei als seine Statthalter frohlocken. Alles schreckliche Aussichten.
