Angriffe auf Politiker: Denn niemand weiß, ob beim nächsten Gespräch in der Fußgängerzone nicht aus einem harmlosen Streitgespräch ein brutaler Messerangriff wird

Sebastian Pewny Foto: PR


Unzweifelhaft hat die Corona-Pandemie uns als Gesellschaft nachhaltig beeinflusst und verändert. Die multiplen Krisen tragen das Ihre dazu bei, dass Frustration und Hoffnungslosigkeit wachsen und gedeihen. Alte Gewissheiten sind längst nur noch Illusionen und die Menschen werden sich dessen immer mehr bewusst. Unser Gastautor Sebastian Pewny ist Fraktionsvorsitzender der Grünen im Rat der Stadt Bochum.

Wenn Verunsicherung, Zukunftsangst und Frustration der Menschen in unserem Land auf polarisierende, populistische und von mangelnder Wertschätzung geprägte politische Kultur trifft, dann sind alle Zutaten beisammen für einen zutiefst toxischen demokratischen Debattenraum.

Natürlich sind die jüngsten Angriffe auf ehrenamtliche Lokalpolitiker und Berufspolitiker unseres Landes durch nichts zu rechtfertigen. Sie sind brutal, feige und undemokratisch. Sie sind ein Angriff gegen die Werte unseres Landes und sie sind ein Angriff auf die freie Gesellschaft. Was aber verwundert ist, dass die Überraschung derart groß ist. Die Warnzeichen sind und waren da und das nicht erst seit einigen Monaten.

Es begann schon während der Corona-Pandemie. Politiker haben Postkarten und Briefe mit Drohungen bekommen. Es folgten Schmierereien an Parteibüros, Steine flogen in Fensterscheiben und manch ein ehrenamtlicher Lokalpolitiker fand Kot und Urin in seinem Briefkasten. Mit der Zuspitzung der internationalen Konflikt- und Krisenherde geht die Eskalation dieser Gewaltspirale in die nächste Runde. Überall im Land werden Politiker bedroht oder gar brutal zusammengeschlagen. Das hat Konsequenzen für diejenigen, die im Wahlkampf Demokratie mit Leben füllen wollen, die andere von ihren Programmen überzeugen wollen, die diskutieren und debattieren wollen, die um die besten Lösungen mit Menschen ins Gespräch kommen wollen. Denn niemand weiß, ob beim nächsten Gespräch in der Fußgängerzone nicht aus einem harmlosen Streitgespräch ein brutaler Messerangriff wird. Niemand weiß, ob Mama oder Papa nach dem abendlichen Wahlplakat aufhängen (nach einem langen Arbeitstag) nach Hause kommt.

Wer jetzt glaubt, dass diese Szenarien zu weit hergeholt ist, der sei nicht nur an die Prügelattacken der vergangenen Wochen erinnert, sondern eben auch an den Messerangriff auf Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker vor einigen Jahren.

Ohne ein Aufhalten der Spaltungstendenzen unserer Gesellschaft werden wir die Eskalation dieser und ähnlicher Gewalt erleben. Es ist ein Trugschluss anzunehmen, dass die deutsche Gesellschaft fortschrittlicher, einsichtiger oder besser sei, als Gesellschaften in anderen westlichen Länder. Deutschland erlebt die gleiche gesellschaftliche Spaltung, die auch in den vereinigten Staaten, in Frankreich und Großbritannien stattfindet.

Sucht man nach den Ursachen dieser Spaltung, dann kommt man um die vorgelebte politische Kultur nicht herum. Wie schnell werden heute Skandale herbeigeredet, Rücktritte gefordert, Debatten populistisch aufgeladen. Wie wenig hören Politiker einander noch zu und wie schnell wird der Kontext des Gesagten ignoriert, um schnell die eigene Blase bedienen zu können. Politik sollte ein Abbild der Gesellschaft sein, aber was ist eigentlich, wenn die Gesellschaft ein Abbild unserer Politik ist? Politik kann durch ihr eigenes Auftreten, das Vorleben der eigenen politischen Prozesse und eine ordentliche an der Sache und Lösung orientierte Debattenkultur zu Dialog, Verständigung und Respekt in der Gesellschaft beitragen. Dafür muss sie sich den Mechanismen einer immer schneller werdenden medialen Welt ein Stück entziehen. Das gelingt nur wenn alle demokratischen Kräfte an einem Strang ziehen, sich des Problems dessen Teilverursacher sie selbst sind, bewusst werden.

Die Art und Weise, wie wir Politik gestalten ist ein elementarer Baustein zum Schutz von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Anstand. Einander zuhören, miteinander in der Sache streiten – immer mit der Möglichkeit, dass der Gegenüber auch im Recht sein könnte, Lösungen für reale Probleme der Menschen suchen wollen. Das sind die Antworten auf Spaltungstendenzen unserer Gesellschaft.

Das bedeutet letztlich aber auch: Wir müssen Türen offenlassen, für diejenigen die aus ihrer Spaltungsblase an den politischen Rändern zurück in die Mitte der Gesellschaft wollen. Das ist die vielleicht größte Herausforderung für die politischen Kräfte der Mitte.

Wir stehen am Scheideweg: Welche Gesellschaft wollen wir sein? Welches Land wollen wir sein? Wie wollen wir miteinander umgehen? Was sind die wirklich wichtigen Fragen auf die wir Antworten brauchen? Wie lösen wir die Probleme in unserem Land gemeinsam? Die Menschen in unserem Land brauchen eine politische Kultur die Führung bietet, Zuversicht ausstrahlt, Antworten bereithält und Anstand und Respekt – also Werte – vorlebt.

Mehr zu dem Thema:

Kundgebung in Bochum am Freitag: „Wir verteidigen unsere Demokratie!“

 

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