Siebter Oktober Dreiundzwanzig: Antizionismus und Identitätspolitik

Auf dem Gelände des Supernova Sukkot Gathering wurden zum Gedenken an die Ermordeten Bäume gepflanzt Foto: Baruch Niv Pikiwiki Israel Lizenz: CC BY 2.5


Es gibt Gründe, warum die Pogrome der Hamas am 7. Oktober 2023 in Deutschland, wie in fast allen westlichen Staaten, zu einer bislang beispiellosen Welle des Antisemitismus führten. Warum es wenig überraschend ist, dass Linke und Muslime zu den eifrigsten Unterstützern der Schlächter gehören, erklärt das von Vojin Saša Vukadinović herausgegebene Buch „Siebter Oktober Dreiundzwanzig: Antizionismus und Identitätspolitik“.

2018, zu einer Zeit, als die meisten noch der Ansicht waren, dass vor allem Neonazis Antisemiten seien, brachte der Historiker Vojin Saša Vukadinović mit „Freiheit ist keine Metapher“ ein Buch heraus, das bahnbrechend war: Es beschrieb den Antisemitismus in der damals erst aufkommenden Woke-Szene, die Kontakte dieses Milieus zu Islamisten und die in der postmodernen Ideologie fest verankerte Ablehnung von allem, was mit der Aufklärung, Menschenrechten und Universalismus zu tun hat. Damals schien dieses Milieu außerhalb Berlins klein und überschaubar, aber in den USA, Großbritannien und Frankreich konnte man sehen, dass sich da ein perfekter Sturm aus Islam, postmodernen Ideologien, Judenhass und Verachtung der Aufklärung zusammenbraute.

Am 7. Oktober überfielen die Hamas und ihre Verbündeten von Gaza aus Israel. Ihnen folgte ein Mob aus angeblichen Zivilisten, die sie unterstützten und anfeuerten. Sie ermordeten 1139 Menschen. 5400 wurden verletzt. Viele von ihnen waren Juden, aber es traf auch Araber, Touristen und Gastarbeiter. Die Mörder filmten sich dabei, wie sie hilflosen Menschen umbrachten und vergewaltigten oder auf Pickups und Motorräder packten und nach Gaza entführten. Von den 240 hat die Hamas heute noch 129 in ihrer Gewalt. Es war das größte antisemitische Verbrechen seit 1945.

In Berlin-Neukölln feierten vor allem Araber den Mord auf der Straße. Man verteilte Süßigkeiten. Die Gruppe „Palästina spricht“ bejubelte das Massaker als „Ausbruch aus dem Gefängnis“, und in Duisburg erschallte neben „Allahu Akbar“ der Ruf „Die ganze Welt feiert den Widerstand der Palästinenser!“ auf den Straßen Hochfelds. Als die israelische Armee wenige Tage später zum Gegenschlag ausholte, um die Hamas zu vernichten und die Geiseln zu befreien, empörten sich jene Intellektuellen und Künstler, die zu Morden und Vergewaltigungen entweder geschwiegen hatten oder versucht hatten, sie zu „kontextualisieren“. Die Hamas-Jubler verwandelten sich innerhalb von Stunden in Klagepallis die zusammen mit ihren vielen Freunden den Reportern erklärten, wie schlimm es ihren Landsleuten in Gaza doch geht und wie sehr sie in Deutschland vom Staat daran gehindert werden, gegen Juden und Israel zu hetzen. Auf Gehör und Verständnis stießen sie bei einem großen Teil der deutschen Medien, die nun erschüttert über die Gewalt der israelischen Armee waren.

So wie in Deutschland war es in nahezu allen westlichen Staaten: Linksradikale taten sich mit Islamisten zusammen. Der Hass auf Juden und alles, was mit dem Westen zu tun hatte, verband sie. Das nun von Vukadinović herausgegebene und kürzlich erschienene Buch „Siebter Oktober Dreiundzwanzig: Antizionismus und Identitätspolitik“ ist eine Reaktion auf die Verbrechen der Hamas in Israel, eine linke Szene, die sich auf die Seite der Mörder und Vergewaltiger stellt, aber auch eines Deutschlands, das sich nicht nur bereitwillig Milieus ergibt, die auf der Seite von Judenschlächtern stehen und alles hassen, was eine freie Gesellschaft ausmacht, sondern sie auch noch mit Steuergeldern durchfüttert.

In den Texten der dreißig Autoren des Buchs spürt man Ekel, Verzweiflung, Wut und Enttäuschung, aber auch die zurecht bestehende Gewissheit der eigenen intellektuellen und moralischen Überlegenheit.

Arye Sharuz Shalicar beschreibt den Angriff der Hamas, wie er dann als Soldat in den Krieg zog und was er in der in den von der Hamas überfallenen Teilen Israels erlebte: „Es dauerte Wochen, bis man in der Kampfzone, in der viele Menschen lebendigen Leibes misshandelt, verbrannt oder zerstückelt worden waren, alle Leichname überhaupt aufspüren konnte.“ Über der Landschaft habe Verwesungsgeruch gelegen.

Tamar Aphek schildert den Überfall auf das Psytrance-Festival Supernova Sukkot Gathering in der Nähe des Kibbuz Reʿim, bei dem 364 Menschen von der Hamas ermordet wurden. Ihr Fazit: „Diesen Kräften haben wir uns alle entgegenzustellen.“ Das Verbrechen dürfe nie vergessen werden.

Doch wer sind die Menschen, die genau dies wollen: Dass wir vergessen und auch noch die Täter zu Opfern machen? Niels Betori Diehl nimmt die Leser in seinem furiosen Text mit an eines der Epizentren der Dummheit: Die Universität der Künste Berlin (UDK), wo Arroganz, hippe Menschenverachtung und Antisemitismus zum guten Ton gehören. Hier organisierten Studenten im November einen „Strike for Palestine“ und beschuldigten Israel, einen Genozid an den Palästinensern zu begehen. Diehl, der vor 20 Jahren an der UDK studierte, hat erlebt, wie dort die Kunst immer mehr durch Aktivismus ersetzt wurde: Ein globales Phänomen in der Kunstszene, das er kenntnisreich mit Humor und Bissigkeit beschreibt. Diehl weiß, was die angehenden Künstler und ihre Professoren nicht einmal interessiert: Dass der KGB mithalf, die PLO zu erfinden  und mit Jassir Arafat einen Judenhasser an ihre Spitze stellte, dessen Ziel immer die Vernichtung Israels war und die Sowjetunion dafür sorgte, dass seit 1975 der Zionismus als Form des Rassismus propagiert wird. Rechtsradikale, Islamisten und Linksradikale sind bis heute über diese ideologische Hilfe aus dem Kreml begeistert. Er erinnert sich an die Zeit, als postmoderne Ideologien an der Uni immer beliebter wurden. Ein Grund dafür war, dass sie kaum jemand hinterfragen konnte, denn dafür waren die meisten der angehenden Künstler schlicht nicht belesen genug. Der schon seit Jahrzehnten auch an den Hochschulen existierende Antisemitismus nahm so immer mehr zu, denn die Dummen sogen die Stussideologien mit Begeisterung auf. Sich auf Horkheimer beziehend, der während der Studentenrevolte angesichts der Gefahr einer immer autoritärer werdenden Linken gesagt hatte, „Radikal sein heißt heute Konservativ zu sein“, zieht er angesichts der vielen linken Elendsgestalten den Schluss: „Das Konservative selbst als Rückbesinnung auf all das, was heute verloren scheint, um die Voraussetzung zu schaffen, dass es in neuer, den heutigen Verhältnissen angemessener Form wieder entstehen kann, ist das Gegenprojekt zur gegenwärtigen kulturellen Hegemonie.“

Ein Gedanke, den weiter hinten im Buch auch Ioannis Dimopulos im Gespräch mit Vojin Saša Vukadinović aufgreift, wenn er sagt: „Als Max Horkheimer behauptete, dass radikal zu sein mittlerweile bedeutet, konservativ zu sein, hat er einen wunden Punkt getroffen. Es ist offensichtlich besser, wenn alles so bleibt, wie es ist, als dass irgendwelche geistig verwahrlosten Linksliberalen die Revolution annoncieren und dadurch alles noch schlimmer machen.“

Vojin Saša Vukadinović Foto: Querverlag Lizenz: Copyright

Vukadinović zeigt auf, dass die Massaker vom 7. Oktober nichts anderes als purer Antisemitismus waren und dass dies allen, die sich heute gegen Israel stellen, auch klar ist: „In den Kibbuzim nahe dem Gaza-Streifen traf es linke Juden, von denen viele nicht nur Palästinenser beschäftigt hatten, sondern auch an eine Überwindung von deren Situation durch einen dauerhaften Frieden glaubten. Sie wurden unterschiedslos ermordet, und an der Plünderung beteiligten sich anschließend palästinensische Zivilisten – wohl auch solche, denen zuvor in genau diesen Kibbuzim die Möglichkeit zur Arbeit gegeben worden war.“ Um dieses Detail des Pogroms wüssten alle sich links wähnenden Antizionisten, ob in Westeuropa oder in Nordamerika. „Es ist ihnen egal, und daran beweist sich, womit man es zu tun hat: mit Leuten, die die Ermordung von Juden gutheißen – nichts weiter.“

Und diese Linke, dieses nicht nur in Deutschland immer weiter um sich greifende Denken, enttäuscht Menschen, die in den Westen gezogen sind und an sein Freiheitsversprechen geglaubt haben. Arash Guitoo ist Iraner, schwul und kam 2006 nach Deutschland. Er hat die Verfolgung von Homosexuellen und Frauen im Iran seit seiner Kindheit in einer aufgeklärten, liberalen Familie erlebt und kennt die Brutalität des Mullah-Regimes. Er beschreibt fast entgeistert die Versuche von Akademikern, zu belegen, dass der Iran und die anderen Staaten des islamischen Kulturkreises einmal sexuell offen und tolerant waren, bis der Westen ihnen dies austrieb. Er kann das Gegenteil beweisen. Nicht nur aus der eigenen Erfahrung heraus, sondern auch als Islamwissenschaftler. Postmoderne Denker wie Michel Foucault hätten aus einer tiefen Ablehnung des Westens heraus den Islam idealisiert. Islamisten wie die Hamas würden davon bis heute profitieren: „Die Verkennung reaktionärer Bewegungen als Freiheitsbewegungen, allein aufgrund ihrer antagonistischen Positionierung gegen den Westen, ist unter den sozialkonstruktivistisch, postkolonial denkenden westlichen Intellektuellen des links-progressiven Spektrums weit verbreitet.“ Arash Guitoo lehnt das ab und kommt für sich zu einer Entscheidung: „Für mich ist die Moderne trotz ihrer vielen Fehler und Irrtümer an sich eine historische Errungenschaft – und die traditionelle Welt, ob in Europa, im Iran oder anderswo, hatte in Bezug auf die Lebensqualität weniger zu bieten als heute.“

Emrah Erken Foto: Olivier Brandenberg Lizenz: Copyright

Emrah Erken wurde in der Türkei geboren und zog als Kind in die Schweiz. Nach dem Abitur studierte er „Internationale Studien“ an der Universität Genf. Einer seiner Professoren wurde noch vor wenigen Wochen anlässlich seines 90. Geburtstags von der Presse als großer Menschenfreund gefeiert: Jean Ziegler. Erken hatte ihn anders erlebt: Ziegler diskriminierte eine belgische Studentin, weil sie blond war. Bei ihm ging Herkunft vor Leistung, wer aus dem globalen Süden kam, hatte indes gute Chancen. Der junge Student war von dem berühmten Professor enttäuscht. Politisch trennten die beiden sowieso Welten. Erken war schon damals von der demokratischen Gesellschaft des Westens überzeugt. Ziegler, der langjährige Unterstützer sozialistischer Diktaturen und der Terroristen der PLO, nicht: „Ziegler hielt nicht wirklich Vorlesungen ab, sondern missbrauchte seine Lehrveranstaltungen für sozialistische Propaganda.“ Von Kommilitonen hatte er zudem gehört, Ziegler möge keine Juden und hasse Israel. Seine israelfreundliche Haltung solle er besser für sich behalten. Den Hass auf den Westen an der Uni in Genf konnte er nicht ertragen. Erken wechselte das Fach, studierte Jura und ist heute ein erfolgreicher Anwalt.

In der Türkei wurde auch Ali Ertan Toprak, der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinschaft in Deutschland, geboren. Toprak ist bekannt für seine Solidarität mit Israel und wird dafür verfolgt und bedroht. Auch er ist ein Anhänger von Demokratie und Aufklärung. Deutschland habe er umarmt, schreibt Toprak in seinem Beitrag. Aber das Land ist ihm fremd geworden: „Ich kenne kein anderes Land auf der Welt, das seine Gegner so massiv unterstützt und gleichzeitig die Verteidiger seiner Interessen und freiheitlichen Werte so allein lässt wie Deutschland.“ Viele Menschen mit Migrationsbiografie in Deutschland, die sich schon längst für dieses Land und seine freiheitlich-demokratische Ordnung entschieden hätten, seien über diese selbstzerstörerische Ignoranz der demokratischen und kulturellen Eliten des Landes fassungslos und entmutigt. Anstatt mit Menschen wie Toprak zu reden, sucht die Politik lieber den Kontakt zu Organisationen wie Erdogans DITIB und dem Zentralrat der Muslime.

Ahmad A. Omeirate Foto: Superbass Lizenz: CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons)

Auch auf die ideengeschichtlichen Hintergründe der aktuellen Debatten wird in dem Buch ausführlich eingegangen. Ahmad Omeirate zeigt in seinem Beitrag, wie der Einfluss postmodernen Denkens sich in den vergangenen Jahren ausgeweitete und den Antisemitismus verstärkt hat: „So hat sich die Vorstellung von Israel als kolonialem Aggressor gegenüber den inzwischen als ‘indigen’ und ‘nicht-weiß’ verstandenen Palästinensern in verschiedenen Bewegungen – darunter der Klimabewegung, dem Queerfeminismus, der internationalen Linken und zahlreichen antirassistischen und antifaschistischen Gruppen – ohne kritische Reflexion und ohne nennenswerte Widerrede durchgesetzt.“ Postnationale, postmigrantische und postkapitalistische sowie andere „Post“-Strömungen in Wissenschaft und Aktivismus trugen diese antisemitischen Ideen aus den Universitäten in die Behörden, in Redaktionen, Stiftungen, Kulturinstitutionen und emanzipatorische Subkulturen und normalisieren sie so gesellschaftlich.

Sehr ausführlich beschäftigt sich Chantalle El Helou mit Judith Butler, der Frau, die wie keine andere Queertheorie und Antisemitismus miteinander verbindet und die Ikone der sich intellektuell gebenden Israelhasser ist. „Was sich bei Butler längst als ideologische Konstante herauskristallisiert hat, ist die Idee eines sich abgrenzenden, auf Souveränität beharrenden Subjekts, dessen Staat nun Israel sei. Der jüdische Staat ist für Butler die Verkörperung einer philosophischen Idee, die sie ablehnt: die Vorstellung eines wehrhaften Subjekts.“ El Helou fällt am Ende ein vernichtendes Urteil über Butler und die queere Szene: „Indes muss klar festgehalten werden, dass die queere Ikone und Konsorten am Ende des Tages auf der Seite der Barbarei stehen. Über die Vernichtung menschlichen Lebens vergießt die queere Avantgarde nur Krokodilstränen. Ihnen war niemals an der Verbesserung des Bestehenden gelegen, und dies liegt in ihrer zynischen Ideologie selbst begründet: Der Fluchtpunkt ihrer Überlegungen ist ein Todeskult.“

War „Freiheit ist keine Metapher“ ein Alarmruf, den viele nicht hören wollten, weil sie die woken Spinner nicht ernst nahmen, hat sich dies seit dem 7. Oktober geändert: Im Kampf der aufgeklärten Zivilisation gegen die Barbarei ist spätestens seit den Hamas-Pogromen die Frontlinie geklärt. Wer wissen will, was die Anhänger der Mörder denken, wie ihre Ideologien entstanden sind und wie menschenverachtend ihr Vorgehen ist, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Es ist die publizistische Antwort auf den Terror, der zunehmend auch die Juden in den westlichen Staaten bedroht, die im Gegensatz zu den Israelis keine Armee haben, die für sie kämpft.

Aber die Bilder von Juden, die in Amsterdam von Antisemiten mit Dachlatten verprügelt, in Auschwitz beim Gedenken an ihre Toten beleidigt und an deutschen Universitäten bedroht werden, bleiben ganz sicher nicht ohne Folgen. Ein Milieu, das offen seinen Antisemitismus zeigt und der demokratischen Gesellschaft den Kampf erklärt hat, wird hoffentlich schon bald erleben, dass genau diese Gesellschaft einen klaren Trennungsstrich zwischen sich und ihren Feinden ziehen wird. Wenn der Peak-Woke einmal überschritten ist und sich die Mehrheitsverhältnisse wie in Berlin geschehen, ändern, kann das ganz schnell gehen. Die öffentlichen Mittel, von denen sich die Szene in Deutschland nährt, sind schneller gestrichen als man eine Kufiya, den schwarz-weißen Palästinenserlappen, binden kann.

Vojin Saša Vukadinović (Herausgeber)
Siebter Oktober Dreiundzwanzig: Antizionismus und Identitätspolitik
20 Euro, Querverlag

 

 

 

 

 

Freiheit ist keine Metapher – Rezension

Freiheit ist keine Metapher

 

 

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
2 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
thomas weigle
thomas weigle
11 Tage zuvor

eigentlich wollte ich mich an diesem wochende leichterer lesekost widmen…, wird nix, vielen dank @ stefan laurin.ich hoffe doch noch zuversichtlich, dass es tatsächlich so interessant ist, wie du es beschrieben hast

thomas weigle
thomas weigle
6 Stunden zuvor

nachdem ich es jetzt gelesen habe, muss ich sagen:ich kann gar nicht so viel essen…dennoch muss man es gelesen haben. einmal mehr muss man feststellen, dass nicht wenige der sog. wokes tatsächlich es lieber mit den abartigsten und kopfabschneiderdiktaturen und terroristen halten, statt sich für die israelische demokratie einzusetzen. die sind tatsächlich so dämlich, sich für muslimische regierungsgangster und systeme stark zu machen, unter deren herrschaft sie keine fünf stunden oder sogar kürzer weniger unbehelligt blieben. wie gesagt:LESEN!!

Werbung