Bauernproteste, Demokratie und Lindner – Es geht um mehr als Agrardiesel

Bauernprotest am 8. Januar 2024 Foto: Stefan Krug Lizenz: CC BY 4.0

Es geht bei den Bauernprotesten nicht nicht um Agrardiesel, sondern stellvertretend um Vertrauen und Verantwortung.

Traditionell eröffnet die FDP mit der Drei-Königs-Kundgebung das politische Jahr. Christian Lindner legte dabei in einer etwa einstündigen Rede seine Ideen nicht nur für die Liberalen, sondern für Deutschlands Zukunft dar. Zentrale Bestandteile der Rede: Die Bauernproteste und Verantwortung. Am Ende ist zu konstatieren: Lindners Rede ist sinnbildlich für den deutschen Staat. Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Während Proteste in unseren Nachbarländern Teil der politischen Kultur sind, ist es für Deutschland ungewohnt, dass Berufsgruppen auf die Straße gehen und einen ganzen Staat lahm legen. So weit, so demokratisch. Die Proteste der Landwirte haben aber auch deshalb eine ungeahnte Reichweite, da sie das Gefühl großer Teile der Bevölkerung, weit über die Landwirtschaft hinaus, reflektieren: Verunsicherung und Vertrauensverlust. Und hier ist die Bundesregierung völlig realitätsblind. Und außerdem fehlt ihr eine Billionen Euro.

In zwei Dingen hat Lindner uneingeschränkt Recht: Die geopolitische Situation hat sich geändert und mit diesen Ereignissen hätte jede Regierung zu kämpfen. Das ist so, wer etwas anderes behauptet ist naiv. Die Bundesregierung hat sich weder den Krieg in der Ukraine, noch den Überfall der Hamas auf Israel ausgesucht, dass ausländische Kräfte versuchen die EU zu schwächen ist fraglos richtig und auch die Spätfolgen der Coronapandemie kann man der Regierung Scholz nicht anlasten. Ebenso muss man Lindner beipflichten, dass der ständige Beschuss aus der CDU/CSU Fraktion unlauter ist. Zahlreiche Probleme, denen sich Deutschland derzeit gegenübersieht, sind direkte Folge von 16 Jahren Angela Merkel, von 16 Jahren CDU-Regierung. Linder wolle sich „nicht vorwerfen lassen, die Scherben zu langsam aufzukehren, die die CDU verursacht habe“. Die Kritik ist gerechtfertigt, die CDU hatte fast zwei Jahrzehnte Zeit, den Kurs der Bundesrepublik zu lenken.

Ein erkanntes Problem muss nun aber in eine Lösung überführt werden. Und genau hier versagt die aktuelle Bundesregierung und legt die Grundlage für den Erfolg und die Reichweite der derzeit stattfindenden Proteste. Und auch dafür, dass ungeachtet des Einlenkens der Bundesregierung beim Agrardiesel kein zeitnahes Ende zu erwarten ist. Es geht nicht um Agrardiesel, es geht um Vertrauen und Verantwortung. Deutschland ist nicht alleine und die Probleme, vor denen Deutschland steht, treffen auf nahezu sämtliche Industrienationen der westlichen Welt zu. Fasst man die Gemengelage zusammen, geht es den meisten Bürgerinnen und Bürgern um einen Aspekt: Wohlstand.

Christian Lindner forderte die Landwirte in seiner Rede auf „umzudrehen“, sie hätten sich verrannt und es stünde einer derartig subventionierten Berufsgruppe nicht gut zu Gesicht, mit umfangreichen Protesten in die soziale Ordnung des Landes einzugreifen. Linder, früher als meinungsstarker Vorkämpfer für die arbeitende Mitte des Volkes bekannt, tappt hierbei in die gleiche Falle, die ursächlich für die zuvor beschriebene Verunsicherung ist: Der Weg von der Analyse des politischen Problems zur Lösungsfindung. Vertrauensverlust ist nicht der Anfang, sondern das Ende eines Prozesses. Auch hier ist die Landwirtschaft sinnbildlich. Es ist zutreffend, dass ein großer Teil der Branche lediglich mit Subventionen überleben kann. Die Ursache sind aber weder Faulheit, noch mangelnde Innovationsfähigkeit. Kaum eine Branche wird derartig reglementiert und von der Bürokratie zermürbt, wie die Landwirtschaft. Getrieben von immer neuen Wunschträumen und Ideen werden an gut beheizten Schreibtischen Vorgaben erlassen, die der Landwirt am Ende auf seinem Acker umzusetzen hat. Wird nun festgestellt, dass die Realität mit dem politischen Wunsch nicht zu vereinbaren ist, erfolgt eine Subventionierung, um den angerichteten Schaden zu kompensieren. Erst wird Feuer gelegt, als Kompensation gibt es ein staatlich finanziertes Jahresabo an Brandsalbe und ein paar Eimer Wasser. Das Problem ist nicht die Subvention, es ist der überhebliche Glaube staatlicher Akteure, in die freie Wirtschaft und das freie Handeln seiner Bürger eingreifen zu müssen und es besser zu wissen, als die Bürger selbst. Der Vertrauensverlust in Deutschland ist die Folge von Jahrzehnten an ideologisch getriebener, naiver Politik und politischer Übergriffigkeit.

Die Angst vor sozialem Abstieg ist derzeit eine der kraftstärksten Triebfedern im politischen Deutschland. Das Land verliert international an Wettbewerbsfähigkeit, die Stimmung in der Wirtschaft ist schlecht wie nie und die Inflation und Energiepreiskrise verschärfen den Konflikt zusätzlich. Kurzum, die Weltlage alleine schafft bereits Verunsicherung. Doch anstatt nun die politische Ausrichtung zu korrigieren nutzt insbesondere die politische Linke die bei der letzten Bundestagswahl überraschend gewonnene Kraft, um eigene ideologische Träume umzusetzen. Steuerfinanzierte Umverteilungsorgien, nach den Protesten infolge des Angriffs der Hamas auf Israel an Realitätsverweigerung grenzende Debatten um Migration, eine derartig von Naivität gelenkte Energiepolitik, die zuletzt dazu führte, dass die Bundesnetzagentur (BNetzA) den Kohleausstieg 2030 blockiert hat. Alles garniert mit der Erfolgsmeldung, dass Deutschland einen historisch niedrigen CO2-Ausstoß und eine Rekordnutzung Erneuerbarer Energien erreicht hat. Beides stimmt, jedoch bedingt dadurch, dass die Industrie die Produktion zurückgefahren hat. Wirtschaftlicher Abstieg ist die Ursache für diesen Erfolg, nicht etwa Effizienzsteigerungen in der Produktion oder Energieversorgung. Man gewinnt zunehmend den Eindruck, dass die weltpolitische Lage gar nicht so schlimm sein kann, dass sie nicht am Ende doch ideologischen Träumen Untertan gemacht wird. Der zentralste Aspekt der Debatte ist Energie.

Und genau deshalb entfalten die aktuellen Proteste eine derartige Wirkung: Es fehlt jede Richtung.

Die Bundesregierung hat nach der historischen Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht in eine Art Panikmodus geschaltet, um schnell die entstandenen Löcher zu stopfen. Und auch hier zeigt sich, wie völlig unvorbereitet und kurzsichtig gehandelt wird. Regelrecht über Nacht schafft Wirtschaftsminister Habeck die eAuto-Zuschüsse ab und verursacht ein Millionenloch für die Fahrzeugindustrie, Debatten um Elterngeld, Steuersätze und nicht zuletzt den Agrardiesel für Landwirte verunsichern über Wochen die Bevölkerung. Hier muss die Frage erlaubt sein: Wie kann es sein, dass die Regierung der drittgrößten Industrienation der Welt völlig unvorbereitet vor einem Urteil steht, dessen Inhalt die meisten Juristen bereits vor Monaten prognostiziert hatten?

So unvorbereitet, dass wie auf einem arabischen Basar in Talkshows und über Tickermeldungen innerhalb der Koalition um Pfründe gestritten wird.

Es ist nicht vermittelbar, dass der deutsche Staat auf der einen Seite Rekordsteuereinnahmen verbucht, zeitgleich aber scheinbar pleite ist und von der Bevölkerung Mehrbelastungen erwartet, während der Staat selbst nicht daran denkt, sich selbst zu mäßigen.

Und der zentralste Punkt ist noch nicht einmal angesprochen oder finanziert. Energie und Energiesicherheit sind zentral für jede Industrienation, hier ist Deutschland aktuell auf dem völligen Sonderweg, ohne Kernkraft oder andere CO2-neutrale, grundlastfähige Erzeugungstechnologien die Versorgung sicherstellen zu wollen. Die Bundesregierung hatte für Anfang 2023 eine Kraftwerksstrategie angekündigt. Inhalt des Strategiepapiers sollte die Antwort darauf sein, wie Deutschland ab dem geplanten Kohleausstieg 2030 und bis zum Ziel der gesetzlich verankerten CO2-Neutralität 2045 die sich aus den physikalischen Anforderungen der Netzführung sowie europäischen Verpflichtungen im Rahmen der ENTSOE, dem Verband der Hochspannungsübertragungsnetzbetreiber, ergebenden Verpflichtungen zur Bereitstellung von elektrischer Leistung umsetzen will. 2004 sagte der Grüne Umweltminister Trittin, die Energiewende werde jeden Haushalt in Deutschland nicht mehr Kosten, als eine Kugel Eis. Entweder hat Trittin bereits damals bewusst gelogen oder er wusste schlicht nicht, was er erzählt.

Mittlerweile liegen Kostenschätzungen vor. Alleine für die bis 2030 zu errichtenden 50 neuen Backup-Kraftwerke fehlen Wirtschaftsminister Habeck mindestens 60 Milliarden Euro. Ganz davon zu schweigen, dass bis heute nicht ein einziges Kraftwerk hiervon geplant oder gebaut wird. Die Bauzeit eines solchen Kraftwerks liegt im Bereich von 7 Jahren, wenn alles gut läuft. Wie ich bereits im Dezember 2022 ausgeführt habe steuert Deutschland auf eine dauerhafte Kohleabhängigkeit zu, deren Konsequenzen insbesondere von der politischen Linken völlig negiert werden. Betrachtet man nun die sich stets ergebenden Mehrkosten bei Planung und Bau, so sollte mit einem Finanzierungsloch im dreistelligen Milliardenbereich gerechnet werden.

Der zweite und viel entscheidendere Punkt ist aber der der Infrastruktur. Deutschland benötigt gigantische neue Übertragungskapazitäten und Infrastrukturanlagen, sofern man die aktuellen Versorgungsplanungen wirklich umsetzen möchte. Hochspannungsgleichstromtrassen, Speicher, Wasserstoffinfrastruktur. Die Kosten hierfür: über eine Billionen Euro. Mehr als zwei vollständige Jahreshaushalte der Bundesrepublik zusätzlich und immer unter der Voraussetzung, dass Material, Arbeitskräfte und die Wirtschaftslage derartige Maßnahmen überhaupt erlauben. Die realistischen Mehrkosten, die für jeden Haushalt in Deutschland hieraus resultieren, liegen in den kommenden Jahren aber im wenigstens hohen fünfstelligen Bereich und nicht bei einer Kugel Eis. Angst vor wirtschaftlichem Abstieg ist kein Pessimismus, sondern eine ganz realistische und quantitativ belegte Sorge für alle, die keine Rücklagen für derartige, ökologisch getriebene Fantasieprojekte haben.

Es sind, neben zahlreichen weiteren Faktoren, derartige Zahlen und Offensichtlichkeiten, die das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung und das Handeln der Politik schmälern.

Hierauf kann man nun die verantwortungsbewusste, pragmatische und logische oder die wunschgetriebene ideologische Antwort geben.

Und eines hat die Bundesregierung lange verspielt: Das Recht sich über die aktuellen Proteste zu wundern.

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vormals SvG
vormals SvG
5 Monate zuvor

@ Autor: Ich stimme Ihnen weitgehend in der Analyse zu. Allerdings ist der Satz:“Die Kritik ist gerechtfertigt, die CDU hatte fast zwei Jahrzehnte Zeit, den Kurs der Bundesrepublik zu lenken.“ nur die halbe Wahrheit. Den überwiegenden Teil der Merkelschen Regierungszeit war die SPD Koalitionspartner und hat statt Reformen Sozialromantik finanziert und Fortschrittsverhinderung betrieben. Merkel hat es geschehen lassen, das mindert mE aber nicht die Verantworung der SPD. Der Wohlstandsgewinn der 10er Jahre wurde verfrühstückt für Rente mit 63, Elterngeld, Kulturprämie usw. und nicht zuletzt der Finanzierung des Wohlstands der Eliten im Ausland. Was wir an Entwicklungshilfe zahlen, erleichtert diesen, sich auf Kosten der eigenen Bevölkerung zu bereichern.

Poet_100
Poet_100
5 Monate zuvor

Als Essener ist ruhrbarone für mich ein Draht ins Geschehen in meiner Heimat. ruhrbarone ist auf Draht, Dinge zu entdecken, zu beschreiben, deswegen lese ich ruhrbarone und mag seinen Stil. Ein Text wie dieser, in der einem Minister aus einer Partei, die eine von drei Parteien in der Koalition ist, die die Bundesregierung stellt, und die eine der zwei Parteien ist, die die NRW-Regierung stellen, sagenhafte Zerstörungskräfte und mythische Verblendung angedichtet wird, ist für mich ein Kurzschluss. Wie sollen denn Wirtschaftsminister Habeck all das, was ihm hier an Gestaltung angedichtet wird, überhaupt allein bewerkstelligen? Der Club of Rome, die Brundtland-Kommission, das IPCC, die 17 SDGs der UN, der Ausstieg Norwegens als reichstem Lands Europas aus fossilen Energien, Britain’s Climate Change Act, die Bundesgesetze Inflation Reduction Act und Bipartisan Infrastructure Law der USA – diese Politik des Westens als eine der Dekarbonisierung wird vom Grünen Wirtschaftsminister Deutschlands angetrieben, dessen Partei weniger als ein Fünftel der Wählerstimmen in Deutschland bekommen – hä? Ist es vielleicht umgekehrt, dass die Wähler der drei Parteien, die die CDU im Bund abgewählt haben, dies taten, weil sie genauso wie die Tories in UK und die Democrats in den USA mal action sehen wollen in Richtung clean energy? Und dass der Wirtschaftsminister Schritte in die Richtung erleichtert, was der Westen inzwischen will, Richtung Dekarbonisierung?

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