Bevölkerungsschutz: Im Westen nichts Neues?

Magnus Memmeler (Foto: privat)

Am 14.07.2023 jährt sich zum zweiten Mal die Starkregenkatastrophe des Jahres 2021.

Ruhrbarone: Im Bundestag fand am vergangenen Montag eine Anhörung zum Bevölkerungsschutz statt; der erste bundesweite Bevölkerungsschutztag in Potsdam und zahlreiche Lippenbekenntnisse von Politikern lassen eine Genugtuung vermuten, dass es beim Bevölkerungsschutz richtig vorwärts geht. Was hat sich seit der Starkregenkatastrophe getan, um den Bevölkerungsschutz zu stärken?

Memmeler: Richtig, wenn man den Kurzmitteilungen der Parteien und deren Abgeordneten in Bund und Ländern glauben mag, kommt es jetzt auch im Bevölkerungsschutz zur Zeitenwende. Wenn man jedoch liest, wofür sich die Politik feiert, setzt die Ernüchterung ein. Der bundesweite Bevölkerungsschutztag, der nun Jahr für Jahr durch die Bundesländer tingelt, um in einer Stadt eine kleine Leistungsschau zu bieten, ist wohl kaum geeignet, um das formulierte Ziel zu erreichen, den Bevölkerungsschutz im Zentrum der Bevölkerung zu verankern und das Bewusstsein der Bevölkerung für den Bevölkerungsschutz und Selbstschutz zu sensibilisieren.

Vorwiegend handelt es sich bei dieser Veranstaltung, um ein Mindestmaß an Wertschätzung, welches Politik dem Bevölkerungsschutz entgegenbringen muss, einem geeigneten Ziel für einen Wochenendausflug von Familien in der entsprechenden Region, einer Leistungsschau von am Bevölkerungsschutz beteiligten Organisationen und der Gelegenheit für Politiker, sich als Unterstützer des Ehrenamtes zu präsentieren. Zusätzlich im mehrere Punkte umfassenden Paket zur Stärkung des Bevölkerungsschutzes wird die gelungene Einführung von Cellbroadcast gefeiert. Hier wurde jedoch, mit erheblicher Verspätung, lediglich eine lange bestehende Vorgabe der EU umgesetzt und jetzt, im Rückblick auf 2021, als blitzgescheite Eingebung gefeiert.

Das gleiche gilt für das viel zu schmal budgetierte Ausbauprogramm für Sirenen, die zur Warnung der Bevölkerung erforderlich sind. Rückbau und Vernachlässigung dieser Infrastruktur über 20 Jahre und die dadurch entstandenen Lücken werden nicht erwähnt, da sonst klar würde, dass die Ertüchtigung der entstandenen Lücken schlicht nicht erreicht wird. Von einem Ausbau kann also nicht die Rede sein. Die Pressemeldung lautet deshalb „die Summe von X Euro für den Ausbau der Sirenenwarnung wurde bereitgestellt.“ Klingt halt besser als, Bund und Länder konnten sich nicht auf eine ausreichende Finanzierung zum erforderlichen Ausbau des Sirenennetzes einigen.

Die Anhörung im Ausschuss des Bundestages  am 03.07.2023 und die damit verbundenen Stellungnahmen diverser Experten, legten den Finger wieder in altbekannte Wunden. Gewohnt positiv beginnt die Meldung des Bundes deshalb:

„Der Bevölkerungsschutz sei in Deutschland durchweg gut aufgestellt – bei freilich deutlichen Verbesserungserfordernissen in großen Krisenlagen. Dies haben die Sachverständigen bei einer Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat am Montag, 3. Juli 2023, unter der Leitung von Petra Pau (Die Linke) unterstrichen.“

Das Zitat aus der Stellungnahme von Ben Bockemühl, Leiter der Feuerwehrakademie der Freien und Hansestadt Hamburg:

„Im derzeitigen System des Bevölkerungsschutzes ist es etabliert, Abschlussberichte für nahezu alle Einsätze zu fertigen. Gleiches gilt mittlerweile regelmäßig auch für Großschadenslagen und komplexe Krisen. Dabei werden in der Regel die Ereignisse sehr gut aufgearbeitet, evaluiert und Erkenntnisse für zukünftige ähnliche Ereignisse herausgearbeitet.

Aufgrund der oben bereits aufgeführten Komplexität des Systems des Bevölkerungsschutzes, sowie den verschiedenen föderal begründeten Zuständigkeiten, fehlen meines Erachtens etabliere Strukturen, welche ein übergreifendes und systemisches Lernen daraus ermöglichen. Diese wertvollen Abschlussberichte werden auf Grund fehlender Strukturen leider nicht ausreichend mit Akteuren im Bevölkerungsschutz geteilt, oder verschwinden aufgrund einer immer noch nicht vorhandenen Fehlerkultur in Schubladen.“

Sie belegt genau das, was ich hier auch schon oft kritisiert haben – die Erkenntnisse sind vorhanden, werden jedoch nicht in zukunftsorientiertem Handeln umgesetzt. Wer an den Stellungnahmen interessiert ist, wird erkennen, dass die Expertinnen und Experten, die angehört wurden, in deutlich moderaterem Ton, als in unseren Interviews, genau die Mängel aufzählen, die wir hier wiederholt benennen und die gleichen Handlungsempfehlungen geben, die auch hier mehrfach thematisiert wurden..

 


Magnus Memmeler mit Maske Foto: Privat

Magnus Memmeler (55 Jahre) lebt in Kamen/Westf. Seit über 30 Jahren arbeitet er im Rettungsdienst und Katastrophenschutz. Über 25 Jahre davon hat er diverse Leitungsfunktionen eingenommen. Er war beauftragt zur Organisation des Sanitätsdienstes beim DEKT in Dortmund und Verantwortlicher einer großen Hilfsorganisation bei der Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten in den Jahren 2013 – 2018. Er war zudem Mitglied bei der Stabsarbeit von Bezirksregierungen und in Arbeitskreisen des Innenministeriums bei der Konzeption von Katastrophenschutzkonzepte. Aktuell ist er Geschäftsführer eines gemeinnützigen Rettungsdienstunternehmens und Präsident des Hilfswerks für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe privater Rettungsdienste Nordrhein-Westfalen e.V. https://hbk-nrw.de/


 

 

 

Wer den neuen Stellenwert des Bevölkerungsschutzes korrekt einschätzen will, kann sich im Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2024 und Finanzplan bis 2027 ein Bild davon machen, welche Mittel den Herausforderungen entgegenstehen.

Wichtiger als zusätzliches Geld für ergänzende Ausstattung wäre eine Harmonisierung von sich teilweise behindernder Gesetzgebung von Bund und Ländern, die Einigung auf verbindliche Rollen von Bund und Ländern bei länderübergreifenden Schadenslagen und eine bundeseinheitliche Aus- und Fortbildungsvereinbarung im Bevölkerungsschutz, denn die Auslegung der DV 100 (Dienstvorschrift für den Katastrophenschutz) ist in den Bundesländern höchst unterschiedlich bis überhaupt nicht geregelt.

Dies nur als ein prägnantes Beispiel dafür, dass wir noch zahlreiche föderale Herausforderungen zu bewältigen haben.
Fazit – Zwei Jahre nach den Starkregenereignissen des Jahres 2021 sind die Schubladen der Erkenntnis noch nachhaltiger gefüllt, bleiben in großen Teilen aber weiterhin verschlossen, da es nur lokale Verbesserungen auf Ebene der Städte und Landkreise gibt, denen die Relevanz des Bevölkerungsschutzes bewusst geworden ist, da diese vor Ort am spürbarsten auftreten.

Ruhrbarone:  Sind die realen Risiken nicht so drängend, dass wir rasch handeln müssen und welche Versäumnisse wären besonders fatal?

Memmeler: Beispiele wie die Stadt Bonn zeigen, man kann es besser machen.

Angesichts der Haushaltsplanungen bis 2027 und den beinahe als Liturgie manifestierten Störung bei erforderlichen Einigungen zwischen Bund und Ländern muss die Empfehlung lauten, dass Landkreise und Kommunen eigene Gefährdungsbeurteilungen besser fortschreiben müssen, um daraus Maßnahmen abzuleiten, statt auf die Einigung zwischen Bund und Ländern zu hoffen.

Meldungen wie zeigen, dass Schadenslagen mit erheblichem Störungs- oder Schadenspotential sehr schnell und häufig auch sehr lokal jederzeit auftreten können. Die Waldbrand- und Gewittersaison hat gerade erst begonnen und die Schadensmeldungen häufen sich bereits jetzt. Angesichts überall fehlender Haushaltsmittel muss die erste Empfehlung wohl lauten, die Selbsthilfebefähigung der Bevölkerung zu steigern und deren Risikobewusstsein zu stärken. Beides ist mit relativ geringem Mitteleinsatz möglich, wenn man denn will.

Weil die Bevölkerung bequem geworden ist und 1 und 1 nicht mehr zusammenzählen kann. Trockenes Gras und heiße Katalysatoren und Auspuffanlagen sind eine denkbar schlechte Kombination. Jörg Kachelmann belehrt uns jährlich zu den Ursachen von Wald- und Flächenbränden und zeigt uns jährlich, wie wir uns mit Ammenmärchen selbst belügen.

Besonders bei der Verursachung von Bränden spielt der Mensch eine große Rolle. Gelingt es uns, die Bevölkerung für Risiken zu sensibilisieren, können bereits viele Schadensereignisse vermieden werden, auch im eigenen Haushalt. Nicht benötigte Toaster, Wäschetrockner und Wasserkocher, die häufig Brandursache sind, können mit einfachen Trennschaltern bequem vom Netz genommen werden. Bei uns daheim ist das der Fall.

Regelmäßige Beiträge zu Risiken und eigener Vorsorge in der Tagespresse, den Sozialen Medien und in Informationssendungen könnten hier eher ein Bewusstsein in der Bevölkerung schaffen, als ein Bevölkerungsschutztag, der vorwiegend ein Feigenblatt darstellt, welches Versäumnisse verbergen soll. Kursangebote der lokalen Volkshochschule könnten die Selbstschutzbefähigung der Bevölkerung zusätzlich steigern. Viele im Bevölkerungsschutz engagierte Menschen wären sicherlich gerne bereit, als Dozenten zur Verfügung zu stehen.

Kommunen und Landkreise sind zunehmend gefordert, um Versäumnisse der Bundesländer aufzuarbeiten, wie zum Beispiel das Land Bayern zeigt

Hier muss lokal das Bewusstsein der Bevölkerung gestärkt werden, um für zum Beispiel Starkregenrisiken zu sensibilisieren. Beispiele hierzu habe ich in meinem letzten Interview gegeben.

Zusätzlich sollten in allen Bereichen der Kommunalverwaltung mit Publikumsverkehr diese Ratgeber des BBK zur kostenlosen Mitnahme bereitliegen.

So würde die Möglichkeit zur Information der Bevölkerung noch barrierefreier gestaltet, da wir wohl davon ausgehen müssen, dass die wenigsten Mitmenschen Kenntnis vom umfangreichen Informationsmaterial des BBK haben.

Angesichts der für den Bevölkerungsschutz knapp bemessenen Haushaltsmittel, müssen jetzt zeitnah die Regeln zur Zuständigkeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen verbindlich gestaltet werden, um die bestehenden Reibungsverluste auszugleichen, damit vorhandene Ressourcen effektiv eingesetzt werden können. Redet miteinander – kostet ja nichts!

Ruhrbarone: Zum Abschluss, wie immer, ein kurzer Blick auf den Zustand der Notfallversorgung und dem Ist-Stand der zahlreichen Novellierungen. Können Sie kurz Herausforderungen, Chancen und erste Fortschritte beschreiben?

Memmeler: Inzwischen gibt es zahlreiche Stellungnahmen zur Novellierung des Rettungsdienstgesetzes NRW, die hoffentlich in das Gesetzgebungsverfahren einfließen. Auch wenn der e.V., in dem ich mich als Präsident engagiere noch keine Rückmeldung zum eigenen Positionspapier erhalten hat, hoffe ich doch, dass zumindest alle Stellungnahmen gelesen und auf sinnvolle Umsetzbarkeit geprüft wurden.

Wie die Stellungnahme der DIVI zeigt, beteiligen sich die Experten der Notfallversorgung in allen relevanten Novellierungsprozessen. Ebenfalls wird von allen Beteiligten die erforderliche Verknüpfung von Krankenhausreform und Notfallversorgung betont, die eine Verzahnung von allen Leistungsbereichen erforderlich macht, um die bestehenden Defizite auszugleichen. Einige andere Stellungnahmen haben wir hier bereits vorgestellt.

Wie diese Stellungnahme der Grünen beweist, nimmt die Politik die Mahnung zur Verzahnung von allen Bereichen der Notfallversorgung inzwischen ernster.

Wie erforderlich das ist, zeigt derzeit auch die Hansestadt Hamburg, wo eine eventuell gut gemeinte Gesetzesnovellierung zu erheblichen Versorgungsproblemen in der Notfallrettung führen könnte.

Wie der Bericht auf  tagesschau.de zeigt, muss auch der Notstand in Pflegeheimen mitgedacht werden, da der dortige Fachkräftemangel zunehmend zur Belegung von Kliniken mit Pflegefällen führt, die in Kliniken einfach nicht richtig aufgehoben sind und die dortigen Ressourcen blockieren.

Stellenausschreibungen, wie die meines Heimatkreises zeigen, dass das Signal inzwischen in den Amtsstuben ankommt, dass es zahlreiche sehr gute Qualifikationsformen abseits der Feuerwehrlaufbahn gibt, um strategisch wichtige Stellen bei der Gestaltung von Rettungsdienst und Bevölkerungsschutz zu besetzen.

Richtig rund wird das Ganze dann, wenn man auch noch die mögliche Vergütung benennt, um potentielle Bewerber zu erreichen. Auch hier sehen wir, dass sich auf der Ebene von Landkreisen und Kommunen etwas bewegt, was bei Bund und Ländern noch auf sich warten lässt.

Das es weiterhin sehr wichtig bleibt, im Bereich der Sicherstellung von Rettungsdienst und Sanitätsdiensten miteinander zu reden, gleiches gilt für alle Bereiche der Daseinsvorsorge, zeigt die Absage der Veranstaltung „Rave the Planet“ in Berlin.

Sicherheit fällt nämlich nicht einfach vom Himmel, sondern muss rechtzeitig geplant werden.

Ob hier, angesichts der bundesweit stattfindenden Großveranstaltungen auch der Mangel an Einsatzkräften eine Rolle spielt, kann ich aus der Distanz nicht einschätzen. Durch die von den Maltesern dargestellte Kurzfristigkeit, sollte die Rekrutierung von Einsatzkräften jedoch erheblich erschwert darstellbar sein. Da der Markt auch hier Einfluss nimmt, wird es wahrscheinlich zukünftig schwerer werden, Sanitätsdienste so einfach zu besetzen, wie es früher mal möglich war und von der Bezirksregierung Arnsberg suggeriert wird.

Inzwischen können sich die Einsatzkräfte nämlich aussuchen, ob sie sich ehrenamtlich gegen Aufwandsentschädigung engagieren oder sich bei professionellen Anbietern gegen Honorar melden. Deshalb begrüße ich, dass das Bundessozialgericht traumatisierende Erlebnisse bei Einsatzkräften, sogenannte posttraumatische Belastungsstörungen bei Einsatzkräften, endlich als berufliche Erkrankung anerkennen will.

Nur durch zunehmende Wertschätzung, auch durch Anerkennung von beruflichen Belastungen, können wir dem Fachkräftemangel in den Einsatzdiensten begegnen. Selbstverständlich bildet eine leistungsgerechte und mindestens auf TVÖD – Niveau befindliche Vergütung eine wichtige Grundlage. Rund wird das Gesamtpaket aber erst, wenn die Gesetzgebung nicht nur Mangel verwaltet, sondern auch durch Anerkennung für Begeisterung für den Beruf sorgt.

Offensichtlich sorgen der Fachkräftemangel und die zunehmenden Schwierigkeiten in der Sicherstellung der Versorgung von Notfallpatienten nun endlich für ein Umdenken und die Schaffung von kreativen Konzepten zur Patientenversorgung. Wir können gespannt sein, welches Fazit wir zum Jahresende ziehen können.

Ruhrbarone: Herzlichen Dank, Herr Memmeler.

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Weiterführende Links zum Beitrag:

„Es brennt nur, wenn wir dumm sind“

Link zur Anhörung von Experten im Innenausschuss

Wie begegnet Bonn Katastrophen

Klärung von Schuldfragen nach den Starkregenereignissen 2021?

Stellungnahme der DIVI

Wassermangel wird uns in einigen Regionen zukünftig zusätzlich fordern

Triage bei der Belegung von Pflegeheimen?

 

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