Carbon Capture Storage soll Zukunft der Industrie in NRW sichern helfen

Kalkwerk in Wülfrath Foto: Laurin


Nicht alle Industrien können CO2-frei produzieren. Neue Technologien sollen ihnen den Weg in eine klimaneutrale Zukunft ermöglichen.

Ein Brummen liegt in der Luft. Langsam rotieren die Drehrohröfen im kalten Herbstregen. In ihnen wird Kalk bei 1000 Grad gebrannt. Später wird er in der Stahlverarbeitung ebenso verwendet werden wie in der Bauindustrie oder der Abwasserreinigung. Das Werk von Rheinkalk in Wülfrath ist nicht nur das größte Europas, in der Region kann man auf eine lange Geschichte zurückblicken: Seit dem 17. Jahrhundert wird in hier im Bergischen Land Kalk abgebaut und verarbeitet. Das kostet nicht nur viel Energie. Wird Kalk gebrannt, fällt auch CO2 an. Daran lässt sich nichts ändern. C02 ist im Kalk gebunden. Das Gestein hat ihn bei seiner Entstehung vor 600 Millionen Jahren aufgenommen. Damit das Werk in Wülfrath und die ganze Branche trotzdem in einem Land, das aus Klimaschutzgründen die CO2-Neutralität anstrebt, eine Zukunft hat, darf das Gas künftig nicht mehr wie bisher einfach in die Atmosphäre entweichen. Dafür soll das CO2 gebunden, abtransportiert und in im Meeresboden unter der Nordsee liegenden Gesteinsschichten gespeichert werden, aus denen bislang Gas und Erdöl gefördert wurden. Carbon Capture and Storage (CSS) ist der Name dieses Verfahrens.

Die EU will den Umbau des Wülfrather Werks mit einer dreistelligen Millionensumme fördern. Drei neuartigen Öfen, die erheblich weniger CO2 verursachen, und eine CO2-Abscheideanlage für die weitere Ofenflotte sollen gebaut werden. Technisch ist das alles Neuland. Im zum Lhoist-Konzern gehörenden Werk wird sich somit auch die Zukunft der Kalkindustrie in Deutschland entscheiden.

Ob sich all der Aufwand irgendwann auch wirtschaftlich lohnt, das hängt für Lhoist-Sprecher Mario Burda vor allem von den Rahmenbedingungen ab: „Es rechnet sich dann, wenn der Markt bereit ist, einen höheren Preis für den CO2-armen Kalk zu zahlen.“ Das Unternehmen präsentiere seinen Kunden zurzeit seine Ideen für einen CO2-freien Umbau und erkläre, es habe eine Idee für eine grüne Zukunft, aber die Mehrkosten lägen entsprechend höher als bei der konventionellen Produktion. „Diese Gespräche“, sagt Burda, „laufen sehr gut, aber man schließe noch keine verbindlichen Verträge für die Zukunft ab.“ Man sammele Letter of Intents, Absichtserklärungen, auch den teuren grünen Kalk abzunehmen. „Aber es gibt auch Kunden, die zügig grünen Kalk wollen, weil sie selbst bald Produkte anbieten wollen, die CO2-frei sind.“ Thyssenkrupp zum Beispiel braucht grünen Kalk, um grünen Stahl herstellen zu können und den will die Automobilindustrie haben, weil auch sie im Wort steht, saubere Autos zu bauen.

Im Gegensatz zu anderen Branchen fürchtet die Kalkindustrie keine Billigimporte: „Steine um die halbe Welt zu transportieren ist einfach viel zu teuer.“ Allerdings sieht auch Burda ein Risiko: „Wenn Metallprodukte oder Baustoffe zu teuer werden, könnte insgesamt die Nachfrage nach Autos oder Neubauten zurückgehen.“ Und das würden sie trotz 400jähriger Tradition dann auch in Wülfrath zu spüren bekommen.

Peter Liese Foto: European Parliament Lizenz: CC BY 2.0

Peter Liese (CDU) ist Europaabgeordneter und hat sich dafür eingesetzt, dass das Werk von Rheinkalk von der EU unterstützt wird. „Ich sehe es genauso wie Ministerpräsident Hendrik Wüst: NRW soll ein klimaneutrales Industrieland werden.“ Liese ist klar, dass die Technologie, die von der EU in Wülfrath gefördert wird, zurzeit in Deutschland noch illegal ist: Kein Gramm CO2 darf das Werksgelände verlassen, um später in der Erde gepresst zu werden: CSS ist in Deutschland im industriellen Maßstab verboten. Das entsprechende Gesetz wurde 2012 beschlossen. Damals regierte in Berlin noch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gemeinsam mit der FDP. „Ich habe das Verbot von CCS immer für einen Fehler gehalten. Es war ein deutscher Sonderweg. Auf europäischer Ebene gab es das nie.“ Liese ist froh, dass das Gesetz auf Bundesebene bald gekippt wird. Mittlerweile sehen selbst die Grünen, welche die Technologie gemeinsam mit Verbänden aus ihrem Umfeld verdammt haben, die Vorteile dieses Verfahren.  „Es gibt Industrien, die können ohne Abscheidung von CO2 und die entsprechende Lagerung oder Nutzung von CO2 nicht klimaneutral werden“.

Heidelberg Materials baut in Gesecke eine neuen Zementanlage, die es in dieser Form bisher noch nicht gegeben hat. Auch hier soll CO2 abgeschieden und gelagert werden. Geplant ist der Start des Projekts im September kommenden Jahres. „Es laufen aber bereits jetzt die ersten Vorarbeiten intern und extern. Ab Januar 2026 beabsichtigen wir dann mit dem eigentlichen Bau der Anlage zu beginnen; die Betriebsphase soll ab Januar 2029 starten,“ teilt das Unternehmen auf Anfrage mit.

In den hohen Kosten sieht Liese langfristig kein Problem. Zum einen würde CO2 über den Emissionshandel immer teurer so das klimaneutrale Produkte im Verhältnis günstiger werden, zum anderen würde die Europäische Union den Binnenmarkt vor billigeren und nicht klimaneutralen Waren schützen: „Das CO2-Grenzausgleichssystem wird dafür sorgen, dass auf klimaschädliche Produkte Zölle gezahlt werden müssen.“

Hans-Jürgen Mittelstaedt, Geschäftsführer des Verbandes der chemischen Industrie in NRW sieht in der Technologie auch eine Chance: „Carbon Capture Storage hat auch für die chemische Industrie in NRW eine große Bedeutung. In Zeiten, wo erneuerbare Energien nicht ausreichend zur Verfügung stehen und CO2-neutraler Wasserstoff nicht zu wettbewerbsfähigen Konditionen verfügbar ist, dürfen wir auf keinen Technologiepfad verzichten, der uns dem Ziel der Treibhausgasneutralität näherbringt.“ Auch die Chemieindustrie habe prozessbedingte Emissionen, bei denen CCS als Übergangstechnologie eine zentrale Bedeutung hat. Das Grenzausgleichssystem sieht die Branche allerdings mit Skepsis: Sie sieht Das Risiko, dass die deutsche Industrie auf dem Weltmarkt Nachteile haben könnte und erwartet eine Ausführliche Analyse – anderen Ende ihrer Ansicht nach auch die Abschaffung der Öko-Zölle stehen könnte.

Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits in der Welt am Sonntag

 

 

 

 

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