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„Das ist keine Propaganda“

Der Autor von "Das ist keine Propaganda": Peter Pomerantsev; Foto: Jindřich Nosek (NoJin) / CC BY-SA
Der Autor von „Das ist keine Propaganda“: Peter Pomerantsev; Foto: Jindřich Nosek (NoJin) / CC BY-SA

Das Thema Propaganda, Manipulation über soziale Medien, Fake News: Seit Beginn der Coronakrise sind diese Themen (endlich) in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Im Februar habe ich in diesem Blog Die Psychologie des Postfaktischen: Hintergründe zu Fake News und Co. von Markus Appel vorgestellt.

Für mich immer noch eines der lesenswertesten Bücher zu diesem Themenbereich, wenn man etwas über die Hintergründe und Wirkungsweisen von Manipulation durch Medien und soziale Netzwerke erfahren möchte.

Beim Stöbern in der Buchhandlung fiel mir Anfang der Woche ein anderes Buch zu der Thematik in die Hände: Bereits im April 2020 erschien im SPIEGEL-Verlag Das ist keine Propaganda – Wie unsere Wirklichkeit zertrümmert wird von Peter Pomerantsev (Die Coronakrise ist auch eine Desinformationskrise).

Etwas ganz anderes als das oben erwähnte und im April 2020 vorgestellte Buch: Ein Rückblick auf Massenmanipulationskampagnen der jüngeren Vergangenheit – und auf die Macher dahinter.

Das ist keine Propaganda

Die Wahl von Rodrigo Duterte zum Staatspräsidenten der Philippinen: Sie ging 2016 irgendwie komplett an mir vorbei: Erst später tauchte der philippinische Politiker auf meinem Schirm auf. Seine – nun ja, nennen wir es mal freundlich – „ungewöhnlichen“ Töne zu diversen Themen, besonders zum Thema der Drogenkriminalität, brachten ihn kurz nach seinem Amtsantritt oft genug in die Medien. Ich habe keine Ahnung ob die Art und Weise, wie Rodrigo Duterte damals die Öffentlichkeit für sich gewonnen hat, seinerzeit durch die Medien ging: Peter Pomerantsev zeigt in seinem Buch die Mechanismen auf, mit denen der heutige philippinische Staatspräsident seinerzeit mit der Hilfe von hunderten von Facebook-Gruppen (um die verschiedenen Dialekte die wohl auf den Philippinen gesprochen werden zu bedienen).

Das ist keine Propaganda; Foto: Peter Ansmann
Das ist keine Propaganda; Foto: Peter Ansmann

Dem Stil in diesem Kapitel des Buches, bleibt Peter Pomerantsev in den anderen Kapiteln treu: Der Bürgerkrieg in Syrien, die russischen Trollfabriken und der Eingriff in den US-Wahlkampf 2016, die Maidan-Bewegung und der Beginn des Bürgerkriegs in der Ostukraine, Cambridge Analytica – all diese Themen werden in diesem Buch beleuchtet und der Autor lässt, durch Gespräche mit den Machern dahinter, einen Blick in die Funktionsweise dieser Kampagnen zu.

Extrem interessant war, für mich, das Kapitel Discord Channel:

Der Discord Channel ist eine geschlossene Internetseite, die zunächst von Gamer benutzt wurde, nach und nach aber immer mehr rechtsextreme Gruppen anzog, die sich auf der Plattform treffen, um digitale Einflusskampagnen zu planen. Die Gruppen sind privat. Um Zugang zur „Infokrieg“-Gruppe zu erhalten, schafft man sich am besten zuerst einen Avatar, der sich vorgeblich für die Philosophie Friedrich Nietzsches interessiert, und baut ein Online-Alter-Ego auf, das regelmäßig Artikel über Migration und kulturelle Kohäsion postet. Ist man in die Gruppe aufgenommen, kann man ein „Infokrieg-Handbuch“ herunterladen, und je nachdem, wie viele Follower man hat, wird einem ein Status zugeordnet: mit 25 bis 100 ist man „Baron“, mit mehr als 10000 „Übermensch-Beeinflusser.“ Dann kann man sich über Kampagnentaktiken kundig machen: wie man sie online koordiniert, um „Mainstream-Journalisten“ in sogenannten „Sniper-Missionen“ zu verunglimpfen, wie man bösartige Kommentare auf den  Facebook-Seiten von Politikern postet; und wie man „dislike“-Kampagnen auf YouTube anstößt, um Videos von Gegnern „niederzustimmen“. Wenn man in einen Dogfight mit einem Feind gerät – eine Diskussion, die man nicht gewinnen kann, zum Beispiel -, postet man den Hashtag #AirSupport, um andere Infogrieger zu Hilfe zu rufen, die dann die Auseinandersetzung mit Schmähungen „spammen“.

Dass es bei Infokrieg im Discord-Channel eine eigene Meme-Rubrik und auch ganz praktische Hinweise gibt, wie z.B. „keine nationalsozialistische Sprache“ zu nutzen: Klar. Interessant dabei: Dieser Kanal wird, laut Peter Pomerantsev, von Aktivisten der Identitären Aktion (Martin Selber) betrieben. Diese War Room wirft natürlich ein besonderes Licht auf die (bis zur Sperrung auf Twitter) Aktivitäten der Identitäten in. den sozialen Medien. (WELT: Twitter sperrt Konten der rechtsextremen Identitären). Die Tatsache, dass es koordinierte Attacken gibt – klar: Die hat mich nicht überrascht. Das Ranking-System und der Umfang dieser Aktivitäten im Hintergrund: In russischen Trollfabriken habe ich es vermutet, bei Gruppierungen wie der Identitären Aktion eher weniger beziehungsweise nicht in diesem Umfang.

Fazit: Das Buch zeigt die Funktionsweisen und die Hintergründe von Medienkampagnen exzellent auf. Der Autor ist tief eingetaucht und lässt die „Macher im Hintergrund“ zu Wort kommen. Für politisch Interessierte: Eine klare Leseempfehlung. Die Angaben zu den externen Quellen des Buches ist umfangreich: Auch sehr gut.

Wenn ich meine normale „Buchbewertungsskala“ – 5 Sterne, wie Bei Amazon – zugrunde lege, kommt Das ist keine Propaganda auf irgendwas zwischen 3,5 und vier (von fünf möglichen) Sternen:

Ich lese Bücher, mit Inhalten die mich wirklich interessieren, normalerweise in einem Zug durch. Wäre der Autor seiner spannenden Schreibweise, wie in den Kapiteln, wegen denen man das Buch vermutlich erworben hat, treugeblieben: Ich hätte das Werk an einem Abend verschlungen. Volle Punktzahl!

Bei Das ist keine Propaganda gibt es aber (leider) immer wieder Rückblenden auf die familiäre Vergangenheit des Autors – sein Vater wurde einst vom sowjetischen Geheimdienst KGB drangsaliert. Im ersten Kapitel fand ich diese Rückblende gut, weil sie die Vorliebe des Autors zur Thematik erklärt.

Die weiteren Rückblenden im Buch, habe ich als störend empfunden. „Langatmig“ ist vielleicht einen Tick zu hart formuliert, aber ich habe Teile des Buches – leider – so empfunden. Manche Bücher lese ich gerne mehrmals, im Laufe der Jahre: Dies wird, bei Das ist keine Propaganda definitiv nicht der Fall sein. Trotz dieser – zugegeben: subjektiven – Einschränkung: Eine klare Leseempfehlung. Die Debatte um Faktenchecker, wie z.B. CORRECTIV, und angebliche Zensur: Sie erscheint, nach Lektüre des Buches, in einem anderen Licht.

Das ist keine Propaganda – Wie unsere Wirklichkeit zertrümmert wird

kann im lokalen Buchhandel erworben werden. In Bochum, Dortmund, Köln, BonnDuisburg, Herne, Essen, Gelsenkirchen, MülheimKiel, HammAugsburgFriedrichshafenMainz, Moers, AltöttingDresden,  Berlin oder sonst wo in Deutschland.

  • Gebundene Ausgabe: 304 Seiten / Ebook
  • Verlag:  Deutsche Verlags-Anstalt
  • ISBN-10:342104824X
  • ISBN-13:978-3421048240

Das ist keine Propaganda online bestellen:

Amazon + Medimops + Bücher.de + Weltbild

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Guenter Rense
Guenter Rense
3 Jahre zuvor

Identitäre, nicht "Identitäten". Autocorrection from Mars?;-)

Berthold Grabe
Berthold Grabe
3 Jahre zuvor

Ich wäre dankbarer für eine kritische Betrachtung deutscher Medien und politischer Richtungen, die vielleicht intellektuell weniger absurd daherkommen, dafür im Realitätscheck ähnliche Irritationen ausgelöst haben und somit das Feld für Fake News und alternative Realitäten erst bestellt haben und viel zu häufig immer noch bestellen.
Wer den Trollen begegnen will, muss erst die eigene Wahrheitsfindung enger an Realitäten und weniger an intellektuellen Konzepten festmachen, die praktisch viel zu häufig scheitern oder mehr Schaden als nutzen bringen.

Psychologe
Psychologe
3 Jahre zuvor

@ Berthold Grabe: Amen! Es wird aber daran scheitern, dass man sich im Recht wähnt und meint, das "falsche" Weltbild der anderen bereits "dekonstruiert" zu haben.
Nichts hat man dekonstruiert und noch weniger verstanden. Man hat keine Mainstream-Analyse über Trump oder die AfD, die über "abgehängt" und "die sind dumm" hinaus geht.
Und bei der Frage, ob Cancel Culture A) existent ist B) nicht so schlimm oder C) sogar begrüßenswert, oszilliert man, scheinbar ob der Inkhoärenz der eigenen Weltinterpretation, in den Feuilletons aufgeregt hin und her (siehe: letzte Beiträge in der "Zeit"). Die einzige Konstante im eigenen Weltbild scheint die zu sein, dass man selbst dann, wenn man irrt, Recht hat.
Mir schwant schon böses und wir bekommen eine Ehrenrunde Trump und viele Feuilettonisten, die mit offenen Mündern ratlos da stehen, nachdem sie teils vier Monate (!) vor der Wahl schon "wussten", dass Trump definitiv verlieren würde. Da fragt man sich, wer hier der wirklich Abgehängte ist (und vor allem: von was?).
Dies ist auch ein Teil des Problems. Die in diesem Artikel dargestellten Mechanismen blühen um so besser, je mehr genau dieses Substrat vorliegt. So etwas wie der "Discord Channel" ist dann sicherlich in seinem Detailaufbau ganz interessant, aber ich hätte auch wenig anderes erwartet. Es stellt sich mir zudem die Frage, welchen Impact solche Phänomene wirklich haben. Der Hashtag "AirSupport" ist mir jedenfalls noch nie begegnet. Da finde ich das, was in den Welt-Online-Userkommentaren am helligten Tage und in aller Öffentlichkeit abgeht, viel wirkstärker (und gruseliger). Da reden wir häufig schon von einer echten Dynamik und Menschen, die sich auch ohne gezielte Beeinflussung durch Bots oder Fake-Profile zuverlässig in Rage reden. Die Gefahr, dass man sich hier also in einer Gegenverschwörungstheorie oder zumindest unterkomplexen Erklärungsmustern verrennt, halte ich für gegeben.

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