

So, das war es jetzt für die Printausgabe von Galore. Im Netz geht es weiter. Schönen Dank an Valeska Bogatzke für das Rezensionsexemplar, der Autor strickt diesen Artikel mal "live", also während des Lesens quasi, zur Feier des Tages und im Gedenken an die ursprünglichen Werte des Rock’n’Roll, sozusagen. "Rettet den Blätterwald", liebe Neuleser/innen? Ist eine lose Artikelserie (siehe z.B. hier) über Printpublikationen und deren (fragwürdige) Sinnhaftigkeit, exklusiv bei ruhrbarone.de. (Kann aber ausgedruckt werden.)
Schlingensief sieht gut aus, fast nicht erkannt. Auch auf dem Cover: Ein Kölner Model in Japan, Eismacher (??), Talese, Dafnäs, Dath. Mühe, von Otter, Everett. Zwei erste Eindrücke: Genau, die Filmbeilage wirkte schon immer etwas wie wilder Aktionismus gegen Auflageeinbruch. Und: Auch und gerade in der letzten Ausgabe sieht es mal wieder aus, als wollten sich Journalisten ein paar persönliche Interviewwünsche wahr machen. Das ist natürlich erlaubt, erinnert den Autor dieser Zeilen aber direkt daran, wie er Galore immer gesehen hat: Von Verlagsseite eine nette Idee für Visions-Leute jenseits der 30, aber kaum ein auf Dauer tragbares Konzept. Die zweite vom Schreiber gelesene Nummer nach der Erstausgabe wird also die letzte Printausgabe sein. Ab in’s Heft.
Ja: Die Nouvelle Vague Alben werden auch nicht gerade immer besser. Schöne Anzeige auf der U2 also. Und Michael Lohrmann verabschiedet das Blatt und ruft zum Reinklicken auf. Nun gut. Erste echte Doppelseite: "Smalltalk". Bitte? Es geht irgendwie um Showbiz-Interna wie Filz bei MTV und Fotografen. Dann verabschiedet sich der Chefredakteur, ein Dieter Grabbe, "präsentiert von Wii Fit", beantwortet eine Frage (?) zum Thema Fitness und Wellness und es gibt Möbel- und andere Produktinformationen. Das ist etwas weniger spannend als die BUNTE bisher. "Neu im Kino" folgt als weitere Unterrubrik von "Smalltalk". Der Artikel über Cannes wirkt dafür leicht am Thema verhoben, macht nichts, danach wird im Rahmen eines Interviews ein Berater für Führungskräfte und Psychologe vorgestellt. Gewährt uns das jetzt Einblicke in den Verlag, die wir gar nicht wollten? Zitat: "In anderen Ländern ist es heute selbstverständlich, nach drei oder vier Jahren den Job zu wechseln und was Neues zu machen." Außerdem ist der Interviewpartner Autor des Buches "Neu auf dem Chefsessel – Erfolgreich durch die ersten 100 Tage". Das kann keine Selbstironie sein, dafür sind die doch viel zu ehrlich und volksnah in dem Verlag, oder? Befremden.
Erstes großes Interview: Klaus Lemke. Kennichnich. Aha, Mark Oliver Everett ist der Sänger der Band The Eels! Überschrift: "Ich glaube ich habe das Schlimmste hinter mir." Zurückblättern: Bei Lemke war es "Style kommt nicht mit der Post." Bei Everett lesen sich die ersten Fragen alle etwas nach oldschool-Ami-Journalismus: Familie, Kindheit. Irgendwie kommt man dann auf Sex, Hunde und Musikinstrumente. Hoffen auf den nächsten Interviewpartner, Dietmar Dath. Der wird darauf angesprochen, dass er die aktuelle Weltwirtschaftskrise (wenn man das so nennen will) in seinem Buch "Maschinenwinter" quasi vorhergesehen hat. Guter Einstieg, aber auch hier hat man den Eindruck eines etwas zu vertrauten Kaffeeklatsches. Bis auf saublödes Fragen wie "Spüren Sie als Marx-Anhänger (…) Genugtuung, wenn Sie aus dem Fenster schauen oder die Tagesschau sehen?" Vielleicht gehören viele Redakteure doch im Grunde ins Fernsehen – kommen sie ja jetzt via Internet dann auch irgendwie, und zum Glück gibt es da recht viele "Sender".
Anna Maria Mühe: Schauspielerin. Christoph Schlingensief: "Künstler" genannt. Erstmal nicht viel Neues von ihm, es geht tatsächlich immer noch bis zum Ende um die Krankheitsverarbeitung. Hoffentlich lässt man Schlingensief aus der Ecke bald mal wieder raus. Die beigelegte DVD: "La Antena". Sieht nach einem feinen Retro-Vergnügen aus, danke! Dann Jürgen Schadeberg, Fotograf und "Südafrika-Zeitzeuge". David Schumann: Das (andere, haha) Model vom Cover. Peter Lind, der Eis-Entwickler. Ein Blick des Schreibers auf den Preis: fast sieben Euro wollten die dafür haben? Weiter. Eine Reportage über Philadelphia, vielleicht so etwas das beim Zweitdurchblättern an einem langweiligen Sonntag gelesen würde. Hm, unwahrscheinlich. Anne Sofie von Otter: Opernsängerin. Michael Gantenberg: Autor. Welche Zielgruppe hatten die im Auge? Frühvergreiste bis 50? Sorry, mal was Positives: Die Anzeigen (Filme, Musik, Bücher) machen alle einen sehr soliden Eindruck. Helmut Pfleger: Schachkommentator! Adolfo Cambiaso: Polo-Spieler!! Lars Defnäs: Design-Chef von IKEA!!! Helmut Oehring: Komponist. Gay Talese: "Erfinder des New Journalism". Er erläutert am Ende auf Anfrage "drei Grundregeln, die ein Journalist nie vergessen darf": "Erstens: Seien Sie skeptisch. (…) Zweitens: Schreiben Sie über diese Informationen so, dass der Leser es verstehen kann. Und drittens: Verfälschen und übertreiben Sie nicht. (…)" Dem Schreiber wird gaaanz müd und langweilig.
Erstaunlich viele Kurzartikel über DVDs. CDs? Placebo, Phoenix, Manic Street Preachers, La Roux, Elvis Costello, Green Day,… Reinhard Mey!!!! Prefab Sprout, Björk, Rolling Stones, Götz Alsmann? Es muss fürchterlich sein, heutzutage für die Zielgruppe 30 – 55 im deutschen Markt für Musik zuständig zu sein! Da ergreift einen ja das kalte Grausen!! Oder die Melancholie, denn bei "Literatur" (ja, genau, gähn) ist Cees Nooteboom an der Reihe. Und Judith Hermann schreibt über den Tod. Irvine Welsh. Helge Schneider – um nur klare Namen zu nennen. Zum Schluss eine Seite mit Namen, als Dank an alle Interviewten, eine taz-Anzeige, eine Anzeige für einen Mini Cabrio. Das ist alles keine Weltwirtschaftskrise, es ist eine Depression. Sagt der Kritiker. Man muss ja immer alle Entschuldigungsmöglichkeiten geltend machen. Freuen wir uns auf galore.de mit neuer Chefredaktion ab dem 6. Juli!