Warten auf’s Leben…

Ich nahm drei Groschen, hob den Hörer ab und fütterte den Fernsprecher. Die Telefonzelle konnte man von drei Seiten einsehen, ihre Rückwand wurde von einer Poststelle geschützt. Mein Blick wanderte über das Fahndungsplakat der RAF, das an der Eingangstür zur Filiale klebte.
Ich war dreizehn Jahre alt. Die Telefonzelle war gelb. Eckig und gelb. Drei dicke Telefonbücher mit dünnen, speckigen Seiten, pergamentartig und von der Konsistenz an ein Mad-Magazin erinnernd, hingen in den schwarzen Bakelit-Arretierungen. Kleine Brandflecken von abgelegten und vergessenen Kippen zierten den Kunststoff.
Es war Mittwoch, ich hatte in der ersten und zweiten Stunde Englisch, nach der Pause zwei Stunden Mathe. Meine dreißig Pfennig klickerten durch das Zählwerk des Telefons und fielen in den hörbar leeren Geldtank. Ich drückte die schwarzen, abgegriffenen Tasten – kurz und fest. Ich wählte eins, eins, null. Von unserem Gastautor Sascha Bisley.

Die Schule war eine Realschule und fünfzig bis sechzig Meter von mir entfernt. Durch die zerkratzten und bespuckten Scheiben konnte ich den Haupteingang und die Einfahrt zum Lehrerparkplatz ganz gut sehen. Schüler gingen an mir vorbei, kleine, bunte Trauben von Capri-Sonne-Trinkern und Adidas Allround-Trägern, die im Gleichmarsch zum verhassten Tempel pilgerten.
Aus der linken Tasche meiner Vanilia-Hose zog ich das Stofftaschentuch meines Vaters und legte es über die

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Darf eine SPD-Bürgermeisterin auf eine politische Bildungsfahrt der Linkspartei gehen?

Ich komme aus Waltrop. Hier ist selten mal etwas los. Das beschauliche 30.000-Einwohner-Städtchen am Rande des Ruhrgebiets leidet, wie fast alle Städte hier in der Gegend, unter extremer Geldknappheit.  Und ohne Moos nix los, das sagt schon der Volksmund. Von unserem Gastautor Robin Patzwaldt.

In dieser Woche tobte hier allerdings ausnahmsweise mal eine Diskussion, die noch immer nicht beendet ist, und von der ich hier mal kurz berichten möchte.

Anfang der Woche stand in der hiesigen Lokalzeitung ein zunächst unscheinbar anmutender Artikel.

Darin wurde vermeldet, dass unsere SPD-Bürgermeisterin Anne Heck-Guthe in dieser Woche, nachdem sie in der Vorwoche urlaubsbedingt nicht im Rathaus gewesen sei, wieder im Dienst sei. Allerdings sei sie bis zum Donnerstag noch nicht wieder im Rathaus anzutreffen, da sie auf einer politischen Bildungsfahrt, die von der Partei ‚die Linke‘ organisiert wurde, in Berlin weile und dort am Programm des hiesigen Seniorenbeirats teilnehmen würde, dessen Reisegruppe sie sich dabei angeschlossen habe. 

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Ruhr Uni/AStA: „Ich bin entsetzt über die Berichterstattung“

Ariya Fehrest-Avanloo von der Internationalen Liste hat auf unsere Artikel rund um das Thema „AStA-Koalition mit Israelhassern“ reagiert und um die Veröffentlichung einer Stellungnahme gebeten. Dem kommen wir natürlich nach:

Sehr geehrter Herr Kontekakis, sehr geehrter Herr Laurin,

auf Ihrem Blog schreiben Sie unter anderem in dem Artikel „AStA der Ruhr Uni: Geld für Religion und gegen Israel“ auch über mich. Hierzu möchte ich Stellung nehmen.

Ich bin entsetzt über die Berichterstattung und insbesondere darüber, dass mir bislang keine Gelegenheit gegeben wurde, zu den heftigen Vorwürfen Stellung zu beziehen. Zu keinem der Punkte wurde ich, wie es meiner Meinung nach den journalistischen Gepflogenheiten entspräche, angefragt. Stattdessen haben Sie ungeprüft Inhalte meines privaten Facebookprofils teils sinnentstellend und aus dem Kontext gerissen wiedergegeben.

Ich möchte feststellen, dass ich mich als deutscher säkularer Muslim verstehe und ausdrücklich zurückweisen, dass ich in Ihrem Artikel als Antisemit bezeichnet werde. Ich achte alle Menschen ungeachtet ihrer Religion, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Herkunft und ihrer Weltanschauung. Ich achte alle politischen und religiösen Meinungen, solange sie, so wie ich, auf dem Boden des deutschen Grundgesetztes stehen. Ausdrücklich möchte ich betonen, dass nationalsozialistische, sexistische, rassistische, antireligiöse und antisemitische Äußerungen von mir scharf verurteilt werden.

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Polizei beendet Hausbesetzung in Köln-Mülheim

„Die besetzung ist beendet, personalien werden aufgenommen. Vielen lieben dank für euren Support. See you soon…“

„wir verabschieden uns jetzt auch. weitere aktionen werden in kürze folgen. wir halten euch auf dem laufenden.“

Mit diesen beiden Tweets der Hausbesetzer endete heute Abend nach gerade einmal etwas mehr als 24 Stunden die Aneignung einer ungenutzten Lagerhalle in Köln-Mülheim. Mit der Stadt Köln und Eigentümern von Besitzständen war mal wieder weder zu spaßen, noch zu debattieren. Eine Gruppe Aktivisten wollte sich einen unabhängigen Ort zum kollektiven Wohnen & Arbeiten schaffen. Kosten sollten der Stadt nicht entstehen. Die Besetzung mag nach gesetzlichem Ermessen nicht legal gewesen sein, war sie deshalb falsch?

Die Lokalpresse hatte ihre Schlagzeile schnell gefunden: „Vermummte besetzen Fabrikhalle.“ (Stadtanzeiger/express) Kurz einmal Copy/Paste der Polizeimeldung und gut ist die Sache. Die Ruhrbarone waren gestern und heute nicht in Köln. Wir haben uns kein Bild von der Lage machen können. Tweets der Besetzter und sonstige Informationen aus dritter Hand müssen nicht der Wahrheit entsprechen.

Was wir allerdings gemacht haben, war den Hausbesetzern fünf einfache Fragen zu stellen. Via Email, deren Adresse ganz einfach auf deren Webseite zu finden war. Das ganze hat zwar keine zehn Minuten in Anspruch genommen, wohl aber zu einem Einblick geführt, dass hier nicht der einfachen Verurteilung halber chaotische Krawallmacher am Werk waren, sondern Menschen mit einer Idee. Die muss man nicht teilen, aber man kann sie verstehen. Fünf Antworten, mehr bedarf es dazu nicht.

 Hier geht es zum Interview

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Der Ruhrpilot

Umland: Nazi-Aufmarsch im Gutbürgerland…Spiegel

NRW: Kraft wehrt sich im Streit um Betriebstouren…Welt

NRW II: In Nordrhein-Westfalen soll ein Pro-Israel-Netzwerk entstehen…Jüdische Allgemeine

Bochum: Gemeinsame Aktionen stärken Zusammenhalt im Westend…Der Westen

Dortmund: Voges schickt „Leonce und Lena“ nach Phoenix-West…Ruhr Nachrichten

Dortmund II: Neonazis wollen für ihr „Nationales Zentrum“ demonstrieren…NRWREX

Duisburg: Vom Suchen und Finden in Sachen OB…Der Westen

Duisburg II: Kennen Sie den Duisburger  Pletziger?…Xtranews

Umland II: “Hast Du gelesen, was der Bürgermeister heute geschrieben hat?”…Zoom

Debatte: Viele kleine Wulffs…Post von Horn

Debatte II: Ein angeblicher Polizei-Kalender – und viele offene Fragen…Publikative

Debatte III: Schweigen im Massengrab…Achse des Guten

Update: AStA der Ruhr Uni: Geld für Religion und gegen Israel

 

Bereits in diesem Artikel haben wir darüber berichtet, dass an der Ruhr-Uni Bochum sechs ehemals grüne Parlamentarier eine links-grüne AStA-Koalition verhindern wollen. Der Streit ergab sich, nachdem die Studierenden, die sich jetzt „Internationale Liste“ nennen, in der bisherigen AStA-Koalition mit der Forderung gescheitert sind, dass der AStA zukünftig islamische Vereinigungen und anti-israelische Veranstaltungen finanziell unterstützen soll. Jetzt ergeben weitere Recherchen: Mitglieder der „Internationalen Liste“ sind offensichtlich noch weit tiefer in islamistische und israel-feindliche Aktivitäten verstrickt als bisher bekannt. Trotzdem könnten sie eine noch größere Rolle in der Studierendenschaft spielen – wenn die Jusos an der Uni das zulassen.

Die „Internationale Liste“ will nämlich eine AStA-Koalition mit den Jusos und der „Liste der Naturwissenschaftler und Ingenieure“ (Nawi) bilden. Auf jeden der sechs Parlamentarier der „Internationalen Liste“ wäre eine solche AStA-Koalition wegen der knappen Mehrheit unbedingt angewiesen. Einer dieser Mitglieder des Studierendenparlaments, die dort neuerdings unter dem Namen „Internationale Liste“ auftreten, ist Ariya Fehrest-Avanloo. Bei Facebook nennt er sich Ariya Al-Farsi, wohnhaft in Bochum.

Zunächst fiel bei den Recherchen über die Hintergründe der „Internationalen Liste“ auf, dass Fehrest-Avanloo anscheinend der Organisator der einer anti-israelischen Mahnwache gegen den Besuch des ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert in Bochum war.

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Kreative und Geld III: Die verlorene Lust am Schreiben

Wie sieht der Arbeitsalltag in der fabulösen Kreativwirtschaft jenseits des Geblubbers von Subventionsschnorrern wie ECCE und Konsorten aus? In Teil 3 unserer Reihe „Kreative und Geld“ veröffentlichen wir einen uns zugesandten Beitrag über den Berufsalltag von Einsteigern im Bereich Journalismus. Der Name des Autors ist den Betreibern des Blogs bekannt.

Mein größtes Problem war immer ich selbst: Denn ich hatte immer Bock drauf. Ich hatte Bock, zu schreiben, Menschen zu interviewen, für Reportagen verrückte Dinge zu tun. Das wussten auch ganz schnell meine Chefs. Jemand, der seinen Job engagiert und mit Leidenschaft macht und dabei den Blick für die Schwachstellen im System (unterbesetzte Redaktionen, 50-Stunden-Wochen) verliert – das hat ihnen gefallen. Und vielleicht haben sie sich gedacht: Wenn der Job so viel Spaß macht, wieso dafür angemessen zahlen? Ist dann ja fast wie Freizeit!

Wie für viele war es immer mein Traum, Journalistin zu werden. Doch es kam anders. Ein Jahr lang habe ich in einer Lokalredaktion Telefonate entgegen genommen, den Gottesdienst-Kalender erstellt, Artikel online gestellt – kurz: den ganzen Scheiß gemacht, auf die kein anderer Bock hatte. Der Sekretärin war vor einem

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Anti-Nazi Demo in Münster: Demonstranten kritisieren Verhalten der Polizei

In Münster finden heute mehrere Demonstrationen gegen eine Nazi-Aufmarsch statt. Es immer wieder zu Gewalt.

In Münster kommt es im Umfeld eines Nazi-Aufmarsches am heutigen Samstag immer wieder zu gewalttätigen Szenen. Die Münstersche Zeitung  hat einen Live-Ticker geschaltet.Das Antifa-Bündnis „Keinen Meter“ hat das Verhalten der Polizei in einer ersten Stellungnahme kritisiert:

„Um den Nazis ihre rassistische Hetze und die Verhöhnung der Menschenrechte zu ermöglichen, ist dem Polizeipräsidenten Wimber offensichtlich jedes Mittel recht: Wasserwerfer und Räumpanzer sind seit dem frühen Morgen im Rumphorstviertel, das durch Polizeiabsperrungen hermetisch abgeriegelt ist, aufgefahren worden und jeder Versuch sich von außen den Absperrungen zu nähern führt zu massivem Einsatz von Knüppeln und Pfefferspray. Ernsthafte Verletzungen von friedlichen Demonstrierenden werden dabei provoziert oder zumindest billigend in Kauf genommen.“

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Alltagssplitter (1)

Cover: Diogenes Verlag

Red Nose Day – jede Spende zählt
Meinen Freund fragte ich neulich, ob er gestern zu viel getrunken habe, die rote Nase verrate ihn. Daraufhin prustete seine Liebste los. Warum? Darum: Die Liebesnacht zuvor war durch Levitra abgesichert worden.  Deshalb noch Stunden später die arg gerötete  Clownsnase. Seitdem beginne ich, mehr auf Männer zu achten, die mitten am Tag mit roten Gesichtern herumlaufen, und frage mich, wo die herkommen oder hingehen. Werde versuchen, noch eine Zeit lang ohne chemische Kampfmittel auszukommen, koste es, wen es wolle.

18 Jahre Ehe
Meine Frau eben zu mir: „Ich würde gern auch öfter mit einem Mann schlafen. Und wenn mich einer fragt, dann mach ich das auch.“

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„Polizei lässt keine Lebensmittel durch“ – Interview mit den Hausbesetzern in Köln-Mülheim

(c) Google Maps

Wie wir bereits in der letzten Nacht vermeldeten, hat am Freitagabend eine Aktivistengruppe eine leerstehende Fabrikhalle der Deutz AG  in Köln-Mülheim besetzt. Ziel ist die Verwirklichung eines unabhängigen Wohn- und Arbeitskollektivs. Die Lage vor Ort ist angespannt. Nach Angaben der Besetzer hindert die Polizei Unterstützer daran, ins Gebäude, das laut Stadtanzeiger derzeit saniert wird, zu gelangen. Die Kölner Ordnungskräfte kommentieren die Einrichtung von Absperrpunkten als „Freihalten von Rettungswegen“. Das AZ in Köln-Kalk hat sich mit der Mülheimer Gruppe solidarisiert und dazu aufgerufen, sich um 16 Uhr am Wiener Platz zu treffen, um dann gemeinsam zum frisch besetzen Haus zu gehen.

 

Im Interview mit den Ruhrbaronen äußern sich die Mülheimer Hausbesetzer am Samstagmorgen zu ihren Beweggründen und Plänen.

 

Wie groß ist die Gruppe der an der Besetzung beteiligten Personen?

An der Besetzung selber ist neben einer Kerngruppe, die in dem Haus ein selbstverwaltetes Wohn- und Arbeitskollektiv aufbauen will, eine große Zahl von solidarischen Unterstützer_innen beteiligt. Zudem sind spontan einige Menschen hinzugekommen.

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