Desktop-Publishing – nur mit Restriktionen?

Abandoned Art School 9 – Tiffany Bailey from New Orleans, USA – CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/)

Im Hinblick auf eine Textverarbeitung, so ließe sich eingedenk meines Lobes auf eine hervorragende Schreibmaschinen-Emulation aus den 80er Jahren (‚Signum! 2‘) resumieren, waren Schreibmaschinen die bislang letzten IT-Wunderwerke, die von Menschen geschaffen wurden. Die Emulation, die sich an der satztechnischen Variabilität der Maschinen messen lassen konnte, war lediglich leiser zu bedienen und erlaubte mehrere ungewöhnliche Zeichensätze zu integrieren, auch mathematische und altsprachliche. Als einzige technische Weiterentwicklung wurden rahmenorientierte Programme für ein Desktop-Publishing erwähnt.

Doch gibt es aber gerade im Publishing unzählige Konventionen. Neville Brodys Arbeiten hatten z.B. darauf aufmerksam gemacht, indem das typografische Design sogar bis zur Unlesbarkeit getrieben wurde. Doch wie sind die technischen Möglichkeiten im Vergleich zu ‚Signum! 2‘ einschätzen?
Innerhalb einer Publishing-Software lassen sich grundsätzlich zwei unterschiedliche Rahmenarten nutzen, für Bilder und für Texte. Unter Umständen erlauben Bilderrahmen, wenn sie aktiv sind, eine begrenzte Bearbeitung bzw. Anpassung eines Fotos oder einer Grafik. In den Voreinstellungen lässt sich in der Regel aber ein Programm angeben, mit dem die Bearbeitung erfolgen kann und das im relevanten Fall aufrufbar ist. Besondere Beachtung möchte ich jedoch den aufziehbaren Textrahmen schenken. Es wäre durchaus möglich, ihnen eine Schreibmaschinen-Funktionalität zukommen zu lassen, die der von ‚Signum! 2‘ ähnlich sein könnte. Abhängig ist dies von den einrichtbaren Format-Stilen: In der Regel findet man Absatz-, Zeichen- und Linienstile.

Die Anführung dieser Stile, denen spezifizierbare Formatierungen zuweisbar sind, kann bereits vermuten lassen, dass eine vergnügliche Anarchie, die ‚Signum! 2‘ bieten konnte, beim Desktop-Publishing nicht einräumbar ist. Ich führe ein konkretes Beispiel an, das freie, aktuelle (stabile) und von jedem testbare ‚Scribus 1.4.5‘ betreffend. Auf eine Installation und allgemeine Einrichtung kann hier allerdings nicht eingegangen werden; online steht ein Wiki zur Verfügung.
Zu erstellen sind die Stile bislang unter dem Menue ‚Bearbeiten‘, ziemlich weit unten, gleichsam versteckt: Absatzstile betreffen vor allem Zeilenabstände, Ausrichtungen, Einzüge und mögliche Glyphenstauchungen. Zu einem Absatzstil gehört ein integrierter Zeichenstil, zu finden im selben Fenster unter einem alternativen Reiter, mit dem der Font, der Schnitt (regular, kursiv usw.) und die Größe samt möglicher Zeichenabstände festgelegt werden. Auch spezielle Formatanweisungen in Bezug auf Zeichen sind möglich, die sich jedoch besser im Editor anbringen lassen, wenn sie nicht den gesamten Absatz betreffen sollen. Zeichenstile lassen sich übrigens auch separat spezifizieren, vermutlich als mögliche Alternativen im Zusammenhang mit bereits bestehenden Absatzstilen.
Nach Festlegung eines Absatz- und integrierten Zeichenstils lässt sich Text in einen aufgezogenen Rahmen eingeben. Mit der rechten Maustaste erreicht man ‚Beispieltext‘, und nachdem man einige Worttrennungen bestätigt hat, fließt jener auch ein. Nutzt man die rechte Maustaste erneut, ist über ‚Text bearbeiten‘ der Editor erreichbar. Hier lässt sich eine Stilzuweisung pro angezeigtem Absatz vornehmen, als auch mögliche Sonderformate von einzelnen Zeichen wie z.B. ein Hochstellen, ein Tieferstellen, ein Durchstreichen usw. durchführen. Diese Sonderformatierungen sind jedoch in ‚Scribus‘ standardisiert und nicht sehr umfangreich. InDesign, das inzwischen zu einem Industrie-Standard geworden ist, erlaubt einige weitere, feinere Einstellungen.
Eine beliebige Zeichenpositionierung vornehmen zu können, ist meines Wissens jedoch in keinem Desktop-Publishing-Programm zu finden. Damit hängt alles Weitere von den konkreten Fonts ab, die entwickelt wurden und werden. Konzentrationen auf Normen lassen dabei wenig Spielräume. Ein Kontrast zum traditionellen Publishing ließe sich allerdings mit den einfachen Mitteln der Programme entwickeln, wie z.B. Neville Brody zeigen konnte, doch mit einer freien Handhabung auf Schreibmaschinen-Niveau hat dies nichts zu tun. Die technische Weiterentwicklung betraf primär eine Entwicklung von Rahmen sowie eine Kombination von Text und Bild durch die einfache Positionierung dieser Rahmen. Ebenfalls sind Maßnahmen zur Beeinflussungen des Schriftbildes anzuführen, die in der Regel jedoch grundätzlich getroffen werden. Das Konzept der Absatzformate ist im Vergleich mit ‚Signum! 2‘ zu restriktiv!

Ein zentrales Problem bietet die Gebundenheit an eine vorgegebene Zeilenstruktur innerhalb eines Absatzformats, ein weiteres, dass nicht zwei Zeichen auf dieselbe Zeichenposition gesetzt werden können, um sich z.B. zu ergänzen. Es gab aus universitären Kreisen einige Bemühungen, die Starrheit üblicher Rechner mittels speziell entwickelter Software zu umgehen, WinGreek gehörte dazu, doch die entstandenen Lösungen sind kaum zu bedienen und laufen in der Regel unter traditioneller Textverarbeitungssoftware, sind also für ein Publishing kaum zu verwerten, allenfalls als PDF-Schnipsel. Lediglich die ebenfalls entstandenen Zeichensätze lassen sich auch anderweitig nutzen, wegen der Restriktionen jedoch nur begrenzt.
Noch weitaus schlimmer sieht es beim digitalen Publizieren aus. Das entwickelte ePub, das sich aus HTML und CSS zusammensetzt, böte die Möglichkeit, in Bezug auf Text zumindest an Drucklösungen heranreichen zu können, auch wenn ein Satzbild nicht für bestimmbare Bildschirmgrößen anlegbar ist; gelesen wird sogar an Smartphones. Die zentrale Schwierigkeit ist, dass viele Geräte, vor allem die von Händlern entwickelten Reader, so gut wie nichts verstehen. Sie wurden nicht zum Lesen, sondern zum Verkaufen entworfen. Hinreichende Software zu integrieren, wäre ein relativ einfacher Schritt gewesen, im Vergleich zu Akkulaufzeiten und Bildschirmqualitäten. So bleibt nichts anderes übrig, als satztechnisch rudimentäre eBooks anzubieten, die im Hinblick auf ein mögliches Design fast vollkommen von den per CSS integrierbaren Schriften leben. Um so relevanter ist es, bei der Auswahl von Schriften wenigstens auf die Abstände der Buchstaben untereinander zu achten.

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nussknacker56
nussknacker56
8 Jahre zuvor

Nachdem der DTP-Softwarehersteller Adobe zum Monopolisten verkommen ist, der seine Nutzer über Mietmodelle an sich kettet, wäre es mehr als wünschenswert, wenn sich eine alltagstaugliche Alternative anbieten würde. InDesign ist der Industriestandard, das hat der Autor richtig erkannt und diese Auszeichnung besteht zurecht. Leider ist nicht einmal der noch einzig nennenswerte Konkurrent (QuarkXPress) in der Lage, dem Favoriten das Wasser zu reichen, geschweige denn Scribus. Zumindest dürften das alle professionen Nutzer so sehen.

PS @ Reinhard: Das Problem mit sich ergänzenden Zeichen löst man bei ID mit "Bedingter Text" 😉

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
8 Jahre zuvor

Ähm,… Pagemaker (die ursprüngliche Aldus-Version) und QuarkXPress haben in jeweils unterschiedlichen Umfängen die angesprochenen Mikro-Customizings von Schriften und anderen Vektor-Objekten angeboten. Damals durfte man sich halt nicht zwischen nicht kompletter, nicht kompatibler Freeware und den Platzhirschen verkaspern, da war scharfes Nachdenken über die Folgen von "Geiz ist geil" angesagt.

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