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Die Estnische (2): Stahlhausen plus See

2010, Ruhrgebiet ist bald vorüber. Das nächste große Ding heißt Tallinn 2011, Geschichten von der See. Und ich bin dabei. Mit Geschichten von der See, der Stadt und diesem überhaupt ziemlich seltsamen Land am nordöstlichen Rande Europas.

Für Arvo Pärt eine Party zu veranstalten, ist so ähnlich wie mit Wolfgang Schäuble zu kiffen. Es passt nicht.

Doch der große Komponist des kleinen Volkes wird 75. Also gibt es in Tallinn, Paide und Rakvere einen Monat lang ein Fest zu Ehren des berühmten Tonmeisters, dessen Werk man vielleicht so beschreiben kann: Man muss schon Björk sein oder aus Estland, um Pärts Musik als heiter zu empfinden. Für alle andere ist es sehr schweres Zeug. Gut, aber schwer.

Gestern sahen wir „In Principio„. Ein neogregorianisches  anschwellendes Stück für Sänger und Chor, Orgel und Orchester – Soli und Mehrstimmiges auf Latein, feine harmonische Brüche, schwere Akkorde, plötzlich schmettert der Chor aus dem Oberrang. Die Bühne ist eine schiefe Ebene bestreut mit Birkenmulch und viel Platz für Prinzipielles: Frau und Mann, 0 und 1, Feuer und Wasser, Kartoffelknollen und Zerstörung. Die kargen Klänge Pärts haben es leider etwas schwer gegen  jede Menge Projektionen und Laserstrahlen auf der Bühne. Trotzdem standing ovations – wie zuhause.

Tatsächlich fand die Aufführung in vertrauter Umgebung statt: eine Fabrik, Schiffswerft, an vielen Stellen verwildert, zerfallen. Doch es wird weiter gearbeitet im postsowjetischen Ambie nte. Suchscheinwerfer, Mauern, Natodraht schirmen es von der Außenwelt ab. An provisorischen Stegen liegen Segelyachten im einstigen U-Boot-Hafen der Stadt.

Mit Geschichten von der See wird sich Tallinn im kommenden Jahr an den ganzen Kontinent wenden. Die europäische Kulturhauptstadt setzt auf ihren Hafen, das Meer. Und hier ist wirklich viel zu tun. Nebenan wird gerade der alte Flughafen für Wasserflugzeuge aufgemöbelt. Im kommenden Jahr bekommt das maritime Museum hier den großen Auftritt. Das ganze sieht ein bisschen aus wie Stahlhausen plus See.

Auch hier gab es zur Kulturhauptstadt noch größere Pläne. Die Stadt sollte sich zur Ostsee öffnen. Nicht nur mit Geschichten, Konzerthallen, Museumshangar und anderer Software, sondern mit einem Meeresboulevard zum Flanieren. Die Pläne verschwanden in der Schublade; Finanzkrise. Und so wird 2011 wohl ein bisschen wie Ruhr 2010, wenn es gut war: Industriekultur (maritim), Zwischennutzungen, Entdeckungen an Unorten. Und dazu: das Meer.

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Peter Erik Hillenbach
13 Jahre zuvor

Schuri, das ist eine Wohltat, diese Zeilen zu lesen. Auch wenn wir gerade 0:2 gegen Bayer verloren haben und das Westfalenstadion nur mit 73.000 gefüllt war: mehr von Pärt, mehr vom Birkenmulch! Wäre gern dort jetzt, ist bestimmt spannend. Grüße, Perik.

Rob
Rob
13 Jahre zuvor

Pärt passt, wenn man genau hinhört und nicht abgelenkt wird. Eine Laserbühnenshow zu dessen Musik stelle ich mir störend vor.

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[…] Folge Zwei: Stahlhausen plus See […]

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