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Die EstNische (3): Bärentöter

2010, Ruhrgebiet ist so gut wie vorüber. Das nächste Ding heißt Tallinn 2011, Geschichten von der See. Und ich bin dabei. Mit Geschichten von der See, der Stadt und diesem überhaupt ziemlich seltsamen Land am nordöstlichen Rande Europas.

Achtung jetzt wird’s schmutzig: Auswandern ist kein Zuckerschlecken.

Estland, sagte mir Vannu, Estland sei nicht Tallinn, nicht nur irgendeine Hauptstadt am Meer, Estland sei das Land außerhalb der Metropole, die Wälder. Draußen im Westen hat Vannu selbst etwas Land und Wald. Gerade sei ein Bär dort erschossen worden. Vannu bringt das jede Menge Ärger: 20 Formulare, Papierkrieg, 30 Kronen Gebühren, schimpft er. Besser wenn der Bär beim Nachbarn gelegen hätte. Was es koste, in Estland einen Bären zu erlegen? Vannu versteht die Frage nicht. „Sagte ich doch“, murmelt der selbst ziemlich bärtige Este: „30 Kronen und zwanzig Formblätter.“

War aber sicherlich nur so dahin gesagt beim Bier in der Kellerbar. Einen Bären zu töten, ist auch in Estland teuer. Jedes Jahr werden nur drei zum Abschuss freigegeben. Ein Braunbär wird ein paar tausend Euro kosten, für einen Luchs muss ein Jäger 1.600 Euro hinlegen, für einen ausgewachsenen Elch 4.000 Euro. Preisbewusstere Jäger können aber auch auf Biber (80 Euro) und Füchse (10) anlegen in diesem Land, das eigentlich ein Wald ist.

In Tallinn merkt man den Wald nur an dem vielen Brennholz, das vor jeder Tankstelle aufgestapelt ist.

Als ich in meiner neuen Zweitheimat ankam, habe ich selbst wie eine Tanke gerochen. Oder wie der Golf von Mexiko. Hatte mir Zugsalbe auf die Backe geschmiert gegen einen eitrigen Pickel, fühlte mich wie ein Hering im Ölteppich. Tatsächlich ist schwarze Salbe wie der schwarze Schleim, mit dem sich nordamerikanische Ölbarone johlend von oben bis unten einsauen, wenn die Bohrung erfolgreich war. In Texas werden sie wenig Probleme mit Furunkeln haben.

Hergestellt wird Schwarze Salbe aus Ölschiefer, dem einzigen Bodenschatz Estlands – neben Wald und Jagdtrophäen. Und manchmal liegt hier ein Geruch nach Sprit in der Luft, dass ich denke, es könnte sich lohnen zu bohren. Um dann im Ölregen zu tanzen. Problem: Ölschiefer ist erstmal nicht flüssig, eine Art Sand, lockeres Gestein, mehr oder weniger bedeckt von anderen Gesteinsschichten.

In Estland kann man Ölschiefer im Tagebau abbauen oder unter Tage, auch mit Bohrlöchern. In das erste wird heißer Dampf gepustet, um Bitumen aus dem Sand zu lösen, in dem anderen steigt es dann als schwarzes dickflüssiges Erdöl zu Tage. Von Duschen ist mir nichts bekannt, wohl aber dass die Ölschieferindustrie eine ziemlich schmutzige Angelegenheit ist. Es wird Landschaft verbraucht im Nordosten Estlands. Sand und andere Überreste müssen nach der energieintensiven Dampfattacke deponiert werden. Und natürlich ist der CO2-Ausstoss der zwei estnischen Kraftwerke erheblich. Trotzdem setzt Estland – erst Recht angesichts „peak oil“ – voll auf sein Ölschiefer, und ich mit: Ohne Strom und andere Netze wäre es doch ziemlich anders hier. Wald eben.

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Rob
Rob
13 Jahre zuvor

Ein schöner Artikel. Aber irgendwie scheinst du den Blues zu haben… 😉

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