„Die freie Entscheidung für die Vollverschleierung ist noch anklagenswerter als der Zwang“


In einer verschlafenen Ecke nahe dem Helmholtzplatz in Köln-Ehrenfeld wurde Ende Juni im nahen Atelierzentrum die Fotoausstellung „Munaqabba – über Frauen mit Vollverschleierung in Deutschland“ gezeigt. Die renommierte Kölner Fotografin Selina Pfrüner präsentierte die Arbeiten ihres in 5 Jahren entwickelten Multimediaprojekts über vollverschleierte Frauen. „Mit Video-Portraits, Audio-Beiträgen, Fotografien und einem umfangreichen Rahmenprogramm zum Mitdiskutieren und Selbsterfahren“, so der erklärte künstlerische Wille, soll ein neuer Blick auf die sogenannte Burka-Debatte geworfen werden. Von unserem Gastautor Kaya Gercek.

Über das Kopftuch und die Burka wird seit Jahrzehnten gestritten. Und der Lärm und die Aktionen bei der Ausstellungseröffnung bezeugen, dass der Kampf noch lange nicht zu Ende ist. Zuvor hatte es einen Offenen Brief gegeben, der im Vorfeld hohe Wellen schlug. Die Ruhrbarone berichteten: Die iranische Frauenrechtlerin Hellen Vaziry und ehemaligen Abgeordneten wie Hamide Akbayır und Dr. Lale Akgün und viele andere engagierte Kölner Frauen empörten sich. Die Ausstellung transportiere ein Frauenbild, dass im Gegensatz zu dem stehe, „was die Frauen weltweit in vielen Jahrzehnten erkämpft und erreicht haben!“. Die Ausstellungsmacher würden das „in patriarchalischen islamischen Ländern existierende und angestrebte Frauenbild (…) unkritisch und sogar positiv wertend wiedergegeben.“ Die Vollverschleierung, für die geworben werde, negiere „die Existenz der Frau als Individuum im öffentlichen Raum“. Und öffentliche Kulturförderung sei selbstredend mehr als unangebracht.

Mein erster Gedanke war: Kunst darf alles – schaust du dir das mal an. Mit meinem 14jährigen Sohn besuchte ich die Eröffnung am Brückentagsfreitag. Wir waren nicht pünktlich und verpassten die Demonstration. „Aufklären statt Verschleiern! – Keine Verharmlosung islamischer Frauenfeindlichkeit!“ Die iranische Aktivistin Solmaz Vakilpour und ihre Mitstreiter zogen sich aus und verspritzen Kunstblut. Die saudiarabische Aktivistin Rana Ahmad posierte in Ketten mit einer umgehängten Deutschlandfahne. Femen läßt grüßen.

Bemerkenswert ist, dass nach dem Aufflammen der Proteste gegen die Ausstellung an der Außenfassade des Atelierzentrums Plakate angebracht wurden, die wie ein Beipackzettel wirken: „Wir distanzieren uns in aller Deutlichkeit von jeglicher Vereinnahmung des weiblichen Körpers und der Unterdrückung der Frau durch Religion, Politik und patriarchale Gewalt. (…)“
Fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker, aber Kunst muss nicht präventiv erklärt werden.

Mit dieser Heftigkeit der Proteste hatten die Ausstellungsmacher nicht gerechnet. Sie hätten bei diesen Bildern aber damit rechnen müssen. Die Fotografin Pfrüner beruft sich auf ihre Kunstfreiheit. Sie verweist darauf, dass die Frauen, denen sie sich in fünf Jahren näherte, sich freiwillig verhüllen. Sie habe sie schließlich kennengelernt, habe ihnen zugehört, habe mitgefühlt. Sie habe sich damit auseinandergesetzt, was das mit ihr mache, was Identität ausmache. Sie habe zugehört, sie habe das ausgehalten. Sie habe sich mit ihren Ängsten, ihren Irritationen, und Vorurteilen konfrontiert. Sie wollte nicht vorschnell urteilen, wollte hinterfragen. Das klingt wie aus einem Stuhlkreis. Nur von alldem merke ich nichts, wenn ich die Ausstellung betrachte. Mit dem Schritt in die Öffentlichkeit, in die Kunst ist sie in ihrer künstlerischen Reflexion ins Politische gestoßen. Das muss sie jetzt aushalten. Eine Freundin meinte lapidar: „Das ist doch wieder nur so ein westlicher pädagogischer Scheiß, bei dem die islamistische Ideologie nicht gesehen werden will.“

Das Atelierzentrum ist in einem alten Gewerbegebäude. Es hingen weiße Stofffahnen von der Decke, auf die die Videoinstallationen projiziert waren. Eine Wand war mit Koran- und Hadithzitaten tätowiert, die auf Arabisch und Deutsch von der Pflicht sich zu bedecken kündeten. Wir sahen Fotos und Videos 5 verschiedener vollverschleierter Frauen. In schwarz, aber auch anderen Farben: blau und rot Vollverschleierte sahen uns an. Portraitansichten mit und ohne Augen, Ganzkörperansichten – mal in einer Winterlandschaft, mal anderswo. An einer Wand Fotos von ausgebreiteten Kleidungstücken. Diese Kleidungsstücke wurden unter dem Schleierpanzer getragen. In einer Ecke abgetrennt durch Stoffbahnen eine stilisierte orientalische Ecke mit Sitzkissen. Auf den Tischchen lagen die Kopfhörer, mit denen die O-Töne abgehört werden konnten. Es fehlte jetzt nur eine Shisha.

Ich trank dort ein Kölsch, mein Sohn eine Hipster-Cola.
Mein Sohn sagte hinterher, das wäre ja nichts besonderes, Bilder wie aus dem Katalog. Immerhin gab es Kölsch und Cola!

Das Rahmenprogramm der folgenden Tage versprach ein
Frauen Special (Vollverschleierung anprobieren) und einen Vortrag zur theologischen Debatte rund um die verschiedenen Formen der Verschleierung von Daniel Janssen (Multikulturelles Forum / Islamismusprävention).

Anders als das Kopftuch ist die Vollverschleierung immer der fundamentalistische und auch extremistische Ausdruck des Islam, die auch, wenn sie sich freiwillig gibt, ihr öffentliches Bekenntnis ist, also nie rein privat sein kann.

Die Frau, die sich vollverschleiert, folgt dieser extremistischen Ideologie. Sie wirbt dafür. Ihre freie Entscheidung für die Vollverschleierung ist daher noch anklagenswerter als der Zwang dazu. Sicherlich ist Pfrüner beizupflichten, wenn sie sich den vollverschleierten Frauen künstlerisch zu nähern beabsichtigt. Sie bildet das ihr Fremde, das Orientalische ab, aber sie geht mit ihren Portraits diesem Islamismus auf den Leim. Ach, hätte sie lieder Esel und Promis für Brigitte und den Spiegel fotografiert. Die Fotos und Videos mögen gut gemacht sein, Kunst ist aber ein Mehr als Können. Sie verschreibt sich gerade nicht dem Dokumentarischem ihrer Fotokunst, sie winselt und buhlt um Verständnis für die Frauen. Sie lässt sie sprechen. Gutgemeint, aber schlecht gemacht. Ein Ärgernis ist, dass unkommentiert aus dem Koran zitiert wird. Da hilft dann auch kein Fachvortrag im Begleitprogramm, keine Texte im Ausstellungsflyer. So soll Verständnis und Legitimität vermittelt werden. Deutschland war, ist und bleibt das Land der Islamexperten und Islamversteher.

„Vollverschleierung anprobieren“ hätte mich interessiert, das war aber ein Frauen Special. Dort hätte man die Kunstobjekte in vivo erleben können, ging aber nicht, weil der Koran das verbietet.

Land und Stadt förderten das Projekt mit 11.000 €. Der öffentliche Streit dreht sich auch darum. Die Förderentscheidung dürfte sich von der Expertise der Fotografin und dem Begleitprogramm geleitet haben lassen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die jahrhundertealte europäische Faszination für den Orient auch hier durchgeschlagen hat. Jedenfalls hat die Ausstellung ein Plätzchen am Subventionstopf gefunden.

Die Finissage fand am vergangenen Sonntag statt. Um die Fotos richtig einzuordnen, gab es eine Podiumsdiskussion. Trotz der Hitze fanden sich ca. 40 Interessierte ein. Los ging es mit einer Demonstration vor der Tür. Transparente und Plakate wurde aufgehängt und -gestellt. Vor Beginn wurde chillige Musik gespielt. Von draußen drangen die Parolen der Demonstrantinnen herein. Das ganze mischte sich zu einem neuen Musikstück.

Sabine Damir-Geilsdorf, Professorin für Islamwissenschaft (Köln), Prof. Dr. Stefan Muckel, Professor für Staats- und Kirchenrecht (Köln), Lamya Kaddor, Islamwissenschaftlerin und Publizistin und Ute Wegmann, freie Journalistin (Deutschlandfunk) diskutierten fast 2 Stunden mit 2 vollverschleierten Kunstobjekten. Es wurde das Übliche zu dem Thema erörtert: Theologische Verhüllungsgebote, Rechtssituation für Vollverschleierte in Deutschland. Die beiden jungen Frauen erzählten von ihrer Konversion, ihrem Leben in gesellschaftlicher Ausgrenzung, ihrem fundamentalistischen Islamverständnis. Sie haben sich freiwillig dazu entschieden, betonten sie immer wieder. Professor Muckel fragte, ob es ihnen nicht möglich sei, auf die Vollverschleierung zu verzichten und ein Kopftuch zu tragen. Er verwies darauf, dass bei aller Liberalität durch dieses randständige Verhalten Grenzen erreicht seien, die doch nicht unbedingt bis zum äußersten ausgereizt werden müssen. Verzichteten die Vollverschleierten auf den Stoff, wäre seiner Meinung nach die offene plurale Gesellschaft vor Radikalisierungen geschützt. Herausgestellt wurde, dass die Entscheidung zur Vollverschleierung der fundamentalistisch, extremistischen Koranauslegung folgt. Lamya Kaddor bestand aber darauf, dass die persönliche Entscheidung der beiden jungen Frauen in jedem Fall bei aller theologischen Kritik zu respektieren sei. Und das ist der Punkt, ein so nach außen gestelltes Bekenntnis zum Fundamentalismus ist immer auch ein politisches Bekenntnis. Es ist das Bekenntnis, wir sind Fundamentalistinnen, vielleicht auch Extremistinnen. Es hilft nichts, die Ausstellungsmacher sehen diese politische, öffentliche Dimension nicht. Sie wollen sie nicht sehen, trotz der Anerkennung der berechtigten Anliegen der Gegendemonstrantinnen. In der anschließenden Diskussionsrunde wurde deutlich, dass die beiden Frauen den fundamentalistischen Weg ihres Islamverständnisses gehen wollen. Sie haben Kinder, wollen Kinder und nicht arbeiten gehen. Es war sehr befremdlich, die beiden jungen Frauen vollverschleiert neben den anderen Podiumsteilnehmern zu sehen. Fotografieren war nicht erlaubt. Jedenfalls bei den beiden Frauen wurde deutlich, dass die Konversion maßgeblich dazu beigetragen hat, sich selbst aus der Gesellschaft zu nehmen. Nach der Veranstaltung äußerten die meisten Besucher ihr Unbehagen, weil die Fragen nach dem zur Schau gestellten Fundamentalismus nicht wirklich beantwortet wurden. Kunst darf alles, kann aber nicht alles. Geldverschwendung.

Fotos:

Ausstellung
https://www.artrmx.com/index.php/ausstellungen/munaqabba

https://kwerfeldein.de/2019/06/18/selina-pfruener/
https://www.instagram.com/selinapfruenerfotografie/

Rana Ahmad

Interview mit Susanne Schröter, Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam und Mitglied des Hessischen Präventionsnetzwerks gegen Salafismus:

https://www.report-k.de/Koeln-Nachrichten/Koeln-Nachrichten/Munaqabba-Ausstellung-in-Ehrenfeld-Nichts-anderes-als-eine-rechtsradikale-Subkultur-117290?fbclid=IwAR37omMUAckBpoK9rAIEld_3Godu9B7Nxoo_9L6wGsPLiWTxyZn923bewHM

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ke
ke
5 Jahre zuvor

Es stellt sich auch die Frage, welche Lebensmodelle auch von einer Gesellschaft unterstützt werden und wie bspw. die Sozialsysteme ausgerichtet werden. Aktuell gehen wir davon aus, dass jeder arbeitet und sich so auch seine Rente sichert, um dann im Rentenalter oder in Notfällen Unterstützung zu erhalten.

Ich gehe davon aus, dass Lebensmodell Hausfrau fürs Leben und evtl. Mutter (auch wenn die Kinder aus dem Haus sind), so nicht mehr akzeptiert wird und auch eine Selbstversorgung von der Frau erwartet wird. Die Herdprämien etc. sollten der Vergangenheit angehören.

Für mich stellt sich die Frage, warum sich Frauen in eine solche Abhängigkeit begeben. Für mich ist das unverständlich. Dann stellt sich für mich auch die Frage, warum man ausgerechnet in Deutschland mit diesem Lebensstil leben will.

paule t.
paule t.
5 Jahre zuvor

Zitat: "Und das ist der Punkt, ein so nach außen gestelltes Bekenntnis zum Fundamentalismus ist immer auch ein politisches Bekenntnis. Es ist das Bekenntnis, wir sind Fundamentalistinnen, vielleicht auch Extremistinnen."

Ja, das ist ein Bekenntnis zum Fundamentalismus, das sich gleichzeitig auch Extremismus dahinter verbirgt ist möglich. Das kann man also mit sehr guten Gründen ablehnen. Aber, Newsflash: FundamentalistIn zu sein ist erlaubt. Und das kann in einer freien Gesellschaft auch gar nicht anders sein. Die Grenze liegt eben genau da, wo Rechte anderer betroffen sind.

Im Namen der Freiheit die freie Entscheidung zu etwas – und möge man es mit noch so gtuten Gründen ablehnen – für schlimmer zu erachten als den Zwang dazu ist deshalb eine sehr merkwürdige Logik. Ersteres ist eine erlaubte Entscheidung zu einer Sache – auch wenn diese von den Grundwerten unserer Gesellschaft her abzulehnen wäre. Letzteres ist ein unmittelbarer Verstoß gegen die Menschenrechte der Betroffenen und damit auch eine Straftat.

Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
5 Jahre zuvor

@#3 paule t.
Ich kann Ihnen nicht folgen.
Der Artikel erhebt keine Verbotsforderung, er bestreitet die Förderungswürdigkeit der Ausstellung.
Und die überzeugte, freiwillige Mitwirkung bzw. Unterstützung einer totalitären Ideologie halten sie tatsächlich nicht für problematischer als ein erzwungene?

Enssi
Enssi
5 Jahre zuvor

Ich werde nicht Akzeptieren, hier in einem Europäischen Land, die Freuen mit Vollverschleierung,so ignoriert , gesichtslos werden . Nach Jahren, Feminismus und Kampf und ganzen leben in neues land von Null aufbauen und Opfer bringen, gehe ich nicht zrück in 40 Jahren . Das ist nicht Akzeptanz!

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