Die Panik – Eine Anekdote

eyes – gemeinfrei

Zuhörer lösen in mir Panik aus, sogar bloß mögliche. Dies wäre nicht weiter schlimm, wer benötigt schon Zuhörer, ob an Stränden oder in irgendwelchen Bergen, doch ich lebte und lebe in Städten, die von Menschen angefüllt waren und sind. Menschen. Zweibeinige lärmende Ungeheuer, denen es nichts ausmacht, andere zu Zuhörern zu degradieren, oder falls man ihnen eine Belästigung vorwirft, allenfalls ein Weghören anraten. Warum ich dies erwähne? Ich bin Musiker. Und die mich regelmäßig ereilende Panik nahm im Laufe meiner Karriere nicht ab, sondern verstärkte sich.

Absurd. Failure. Was für ein Blödsinn. Nicht wahr?

Die panischen Anfälle begannen bereits in meiner Kindheit, während des privaten Flötenunterrichts, obgleich ich geschützter kaum unterwiesen werden konnte. Die Finger vibrierten, der Oberkörper bog sich nach vorn, um Stabilität ringend, und ein Luftholen fiel mir in der Beuge schwer. Der Ton meiner Sopranflöte klang weich, drang aus Birne oder Pflaume, mit Tonhölzern kannte ich mich noch nicht aus, zu hören war jedoch, dass die Altflöte der Gemeindeschwester und Lehrerin aus viel dunklerem und härterem Holz geschnitten war. Nach einigen Anfängerstunden, in denen Notenlesen und Griffweisen im Vordergrund standen, übernahm sie die zweite Stimme.
Auf diese Weise lernte ich zwar einige Mozart-Tänze kennen, doch von Musik, besonders von neuerer, nicht viel. Das zwanzigste Jahrhundert, in dem wir lebten, schien musikalisch noch gar nicht zu existieren. Irgendwann brach die Gemeindeschwester den Unterricht ab und verwies mich auf eine weiterführende Veranstaltung im Gemeindehaus. Voller Aufregung traf ich auf lauter Mädchen – und machte mich eilends davon.

Noch weniger befriedigend war ein Erlernen des Gitarrespielens. Mein Vater suchte in meiner beginnenden Jugend einen Weg, mich aus der Einsamkeit meines Zimmers zu führen. Er hatte erfahren, dass zur Gemeinde ein CVJM gehörte, in dem Gitarrenunterricht gegeben wurde. Mir klärte sich rasch: mehr als ein Fliegenfangen war dies nicht. Notenkenntnisse spielten keine Rolle. Im Zentrum stand die Begleitung von Wanderliedern, also lediglich ein paar einfache Akkorde. Nicht die Musik, sondern beginnende Freundschaften und Freizeitaktivitäten ermunterten mich, dem Verein etwas Aufmerksamkeit zu schenken.

In der Musik blieb ich alleine. In keiner der von mir besuchten Schulen hatten Künste, geschweige denn Musik, eine Relevanz. Ich lieh und kaufte mir Bücher und Noten. Die Stadtbücherei war mir bereits als Kind zu einem Ausweichquartier geworden. Ich hatte Detektivgeschichten verschlungen, ebenfalls detaillierte Informationen über geheime Tinte. Die Künste wurden für mich faszinierende Geheimschriften, die schwierig zu entschlüsseln waren. Und weil die Versuchung groß war, es nicht bei Entschlüsselungsversuchen zu belassen, sondern selber künstlerisch tätig zu werden, begann ich während meiner Studien Musik zu schreiben, besonders für Flöten und Gitarren. Aber spielen? Die Idee, Musik zu studieren, keimte zwar, als mich die Zeit zu einer Entscheidung zwang. Ich präsentierte nachträglich sechs Übungsstücke für Gitarre bei einem Kompositionsprofessor und fragte ihn, was er von dieser mir als Verleger zugespielten Musik halte. Zu meiner Überraschung betonte er: Gut, gut. – Aber vor Publikum spielen? Dafür hatte ich zuviel Fantasie.

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