Ein Fußballstadion ist das Gegenteil eines rechtsfreien Raumes

Beim Auswärtsspiel in Bremen haben BVB-Fans Rauchbomben gezündet | Foto: Peter Hesse

Ein Kessel Buntes bietet die Fußball-Bundesliga: Dortmund mit Formschwankungen, Frankfurt mit gewaltbereiten Fußballfans, Bayern in Lauer-Stellung, Leverkusen im Euphorie-Rausch und Schalke knietief im Schlamassel in Liga Zwei. Peter Hesse und Thommy Junga spannen den Bogen von intensivem Laufspiel zu mehr mentaler Frische.

Peter Hesse: Borussia Dortmund erreicht das Achtelfinale der Champions League. Beim 3:1-Erfolg über Milan ist der 19 Jahre alte Jamie Bynoe-Gittens einer der Helden in schwarzgelb. In letzter Zeit hat der BVB oft zwei Gesichter gezeigt: das des glänzenden Klassenprimus und einen Spieltag später steht wieder nur miserable Graupensuppe auf dem Programm. Wie lässt sich Zweiteres abstellen?

Thommy Junga: Die Erkenntnis, dass Dortmund ein Konstanz-Problem hat, ist ja nicht neu – auch wir haben ja schon öfter den Finger in diese chronische Wunde gelegt. Mit fortschreitender Saison wundert es aber schon, dass diese eklatanten Formschwankungen durch das handelnde Personal nicht in den Griff zu bekommen sind. Nach und nach drängt sich der Eindruck auf, dass die Breite im Kader insbesondere offensiv deutlich die individuelle Qualität übersteigt und defensiv viel zu sehr auf spielerisch elegante Lösungen vor solider Stabilität gesetzt wurde und wird. Wir hatten das Thema Balance und Leidenschaft beim BVB in der jüngeren Vergangenheit ja schon öfter mal – so richtig zuverlässig laufen derzeit aber wohl nur die Instagram-Accounts der Protagonisten in Schwarz-Gelb.

Peter Hesse: Der Dachverband der Fan-Hilfen im deutschen Fußball hat nach den Zusammenstößen von gewaltbereiten Fußballfans und der Polizei beim Bundesligaspiel zwischen Eintracht Frankfurt und dem VfB Stuttgart am Samstag ein Verbot von Pfefferspray in deutschen Stadien gefordert. Im Großen und Ganzen ist das Verhältnis zwischen Polizei und Ultra-Gruppierungen sehr verknotet. Wie lässt sich dieses Knäuel lösen?

BVB-Fans in Dortmund | Foto: Peter Hesse

Thommy Junga: Ein Fußballstadion ist das Gegenteil eines rechtsfreien Raumes. Jeder Quadratmeter wird gefilmt, es wird mittelprächtig bis überengagiert gefilzt und halbe Blöcke sind für schwer ausgerüstete Polizisten reserviert. Es kann also wirklich niemanden überraschen, wenn meine völlig verblödete Idee irgendwen in diesem Umfeld anzugreifen direkt entsprechend beantwortet wird. Das finde ich absolut richtig und mir tun da am ehesten immer die Polizisten leid, die sich mit diesen Rauf-Trollen anlegen müssen. Eine selten dämliche Idee ist es allerdings seitens der Pollizei in einem architektonisch geschlossenen Areal Reizgas einzusetzen. Das kann ja nur zu ungewollten Opfern führen und gehört selbstverständlich verboten. Die Trennschärfe zwischen Ultras und Hools ist selten klar genug, da muss zwischen Fanszene und Ordnungskräften einfach mehr und besser kommuniziert werden. Der Umfang der verpflichtenden Fan-Beauftragten und deren Qualifikation scheint da noch zu dünn zu sein. Es reicht hier wohl nicht den Hans-Uwe einzusetzen, nur weil der acht Fähnchenschwenker kennt. Das ist mir angesichts dieses heiklen Themas oft etwas zu kumpelhaft.

Peter Hesse: In ganz Europa wird geschwärmt über den Fußball, den Bayer Leverkusen spielt. Xabi Alonso hat innerhalb eines Jahres eine Spitzenmannschaft geformt. Sie ist das Werk eines nahezu idealen Trainers. Haben die Pillendreher aus Leverkusen tatsächlich das Zeug dazu, um Deutscher Meister zu werden?

Thommy Junga: Klares Jein. Leverkusen hat einiges an Geld in die Hand genommen um Xabi Alonso seine Wünsche wahr werden zu lassen. Er hat fraglos eine Mannschaft geformt, die auch wirklich als eine solche wirkt. Eine gute Mischung in vielerlei Hinsicht: zwischen jung und erfahren, zwischen kreativ und grundsolide. Fußballerisch ist dieser Truppe kaum beizukommen, das hat die bisherige Saison eindrucksvoll gezeigt – aber du kannst dir sicher sein, dass die bereits langsam einsetzende psychologische Kriegsführung aus dem Süden in den kommenden Monaten noch intensiviert wird. Nicht ganz zufällig ist jetzt kurz vor der Dortmund-Partie das angebliche Interesse der Bayern an den Leistungsträgern Frimpong und Wirtz durchgesickert. Und: Ausgerechnet jetzt schwärmt Bayernboss Rummenigge in aller Öffentlichkeit von Alonso. Sollte letztgenannter den Schmeicheleien aus München – und wie man hört auch aus Madrid – widerstehen können und seine aufkommenden Stars den Fokus auf Leverkusen halten lassen, dann wäre er nicht nur wirklich so gut wie alle behaupten, dann wäre auch der Titel drin.

Xabi Alonso lässt Leverkusen hoch leben | Foto: DONOSTIA KULTURA / wikipedia / CC BY-SA 2.0

Peter Hesse: Vergangenen Montag trainierte Union Berlin erstmals mit seinem neuen Übungsleiter Nenad Bjelica. Wird der 52-jährige Kroate es schaffen, die Köpenicker vom Tabellenkeller in höhere Regionen zu katapultieren? Oder bleibt Union ein Sorgenkind der Liga?

Thommy Junga: So ein Saisonstart hinterlässt sicher Spuren und natürlich ist es bei aller Professionalität ein Problem, dass jetzt schon die kleinsten Mindestsaisonziele kaum noch zu erreichen sind. Das kostet Kraft. Und wenn die Ausrichtung dieses Kaders eines ganz deutlich zeigt, dann ist es die Handschrift eines Trainers, der unbedingtes Pressing, intensives Laufspiel und mentale Frische einfordert. Kannst du alles im Abstiegskampf gebrauchen, aber die Vorzeichen sind eben nicht die Gleichen. Bjelica übernimmt ein Kollektiv der Enttäuschten. Ich glaube Union wird bis zum Saisonende einer neuen Identität hinterherlaufen, das dürfte alles sehr zäh werden.

Beschilderung an der Alten Försterei | Foto: peter Hesse

Peter Hesse: Die katastrophale erste halbe Stunde gegen Düsseldorf hat beim FC Schalke 04 tiefe Wunden hinterlassen. In einem Brief an die Vereinsmitglieder bat die Mannschaft nun um Entschuldigung und kündigte Besserung an. Welche Art der Zustellung plant der Verein, wenn das Kellerduell von Königsblau am Freitagabend gegen den VfL Osnabrück in keinem lupenreinen Heimsieg mündet?

Thommy Junga: Vermutlich werden die talentierteren Teile der Mannschaft als singendes Telegram mit „Sorry Seems To Be The Hardest Word“ zu den Fanclubs geschickt. Wenn Terodde, Schallenberg und Matriciani es nicht reißen, dann muss Elton John eben die Kohlen aus dem Feuer holen. Die restlichen Spieler und der neue Trainer radeln mit dem alten Anhänger von der Draxler-Vertragsverlängerung durch Gelsenkirchen Bulmke-Hüllen – einfach um nochmal das Feeling von 2013 zu beschwören. Früher war alles besser ist dann eben doch nicht immer falsch.

Der Schalke-Gartenzwerg grinst noch… | Foto: Peter Hesse

 

 

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