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Islamistischer Terror: Niemand soll sich mehr sicher fühlen können

Maan Dahtal Foto: Polizei Duisburg


Ob auf dem Weihnachtsmarkt, im Fitnessstudio oder in der Fußgängerzone: Islamistischer Terror kann jeden immer und überall treffen. Doch die größte Gefahr, ins Visier der Mörder zu geraten, besteht für Juden.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und der Präsident des Bundesamtes für Verfassungs­schutz, Thomas Haldenwang warnten in den vergangenen Tagen vor der großen Terrorgefahr, die nach den Massakern der Hamas in Israel auch in Deutschland besteht. Es kann jeden treffen.

Irfan war am 9. April mit Freunden in der Duisburger Innenstadt unterwegs. Sie alle hatten ein paar Bier getrunken. Dort traf er auf Maan Dahtal, der ihn mit 28 Messerstichen abschlachtete. Neun Tage später betrat Dahtal dann ein Fitnessstudio in Duisburg, griff nun mehrere Menschen mit seinem Messer an. Drei verletzte er schwer, einen Ersthelfer stach er zwei Mal in den Oberschenkel. Der 21-jährige Yasin überlebte den Mordanschlag nur knapp und lag lange auf der Intensivstation. Dahtal ist Syrer und kam 2015 nach Deutschland. Hier beantragte er Asyl, weil er nicht zum syrischen Militärdienst eingezogen werden wollte. Dahtal war, sagt er vor Gericht aus, damals gläubig, aber kein Islamist. Angeblich radikalisierte er sich erst in Deutschland über das Internet. Hier jobbte er, fasste aber nicht richtig Fuß. Sein Leben in Deutschland war keine Erfolgsgeschichte, aber auch keine Katastrophe. Vor Gericht gab Dahtal an, auf Befehl des Islamischen Staates gehandelt zu haben. Sein Ziel, von dem er den Rest seines Lebens, von dem er weite Teile sicher in Haft verbringen wird, sei es, möglichst viele Menschen zu töten, „Bis die ganze Erde zu einem einzigen Dschihad wird“.

Niemand weiß, wie viele Dahtals in Europa darauf warten, reale oder imaginäre Mordbefehle zu bekommen. Erst gestern wurden zwei Jugendliche festgenommen, die offenbar einen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Leverkusen geplant hatten. Das Ziel ist unspektakulär, ein Weihnachtsmarkt wie Hunderte im Land. Die Botschaft ist klar: Es kann jeden überall und immer erreichen. Niemand soll sich mehr sicher fühlen.

Die Form des Terrors, für die der Syrer steht, kommt ohne Strukturen, komplexe Planung, Befehlsketten und Kommandeure aus. Der „Führerlose Widerstand“ benötigt keine Kommandos und keine Planung mehr. Das Konzept geht zurück auf den amerikanischen Rechtsradikalen Louis Beam, der es in den 60er-Jahren als Taktik im Fall einer sowjetischen Invasion vorschlug. Seitdem wird es von Terroristen unterschiedlichster ideologischer Ausrichtung umgesetzt. Denn es erschwert den Sicherheitsbehörden, Kleingruppen oder Einzeltäter aufzuspüren und zu bekämpfen. Was sie benötigen, ist nur noch ein Anlass, um loszuschlagen und ihre selbstgewählte Rolle als Kämpfer auszufüllen. Dazu reicht zum Beispiel, wie bei der Anschlagserie gegen Flüchtlingsunterkünfte in den 10er-Jahren, das Gefühl, über die Unterstützung vieler zu verfügen, die sich nur nicht trauen, ihren Worten Taten folgen zu lassen. Oder das, was der französische Politologe und Islamkenner Gilles Kepel einen „atmosphärischen Jihadismus“ nennt. Im November 2020 sagte Kepel im Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung: „Die Anschläge, die wir gerade erleben, sind ziemlich anderer Natur als das, was wir zwischen 2012 und 2019 erlebt haben. Wir haben heute einen Jihadismus, der aus einer Atmosphäre entsteht: die Mohammed-Karikaturen, die Demonstrationen in der arabischen Welt und das Internet. Individuen, die gedanklich in dieser Stimmung drin sind, handeln direkt, ohne dass es eine Organisation dahinter gibt.“

Der Terrorangriff der Hamas und ihre Unterstützung haben ebenso wie der jüngst entstandene Kult um Osama bin Laden, den Gründer von Al-Qaida und Verantwortlichen für die Anschläge in den USA am 11. September 2001, und sein antisemitisches Pamphlet „Brief an Amerika“ eine jihadistische Atmosphäre geschaffen, wie es sie noch nie gab und die auch von etablierten Politikern wie dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan befeuert wird. Er weigert sich wie viele andere, die Hamas eine Terrororganisation zu nennen, sondern bezeichnet sie als „Befreiungsgruppe“.

All das schafft eine Stimmung, die vor allem zu mehr Angriffen auf Juden und Israelis führen wird. Das islamistische Milieu, aber auch Teile der postkolonialistischen und antiimperialistischen Szene sowie Rechtsradikale dürfen zunehmend zu Recht annehmen, dass Anschläge zurzeit auf relativ breite Sympathien stoßen würden. Die Übergriffe auf jüdische Studenten an den einstigen Eliteuniversitäten der USA, das Markieren von Häusern, in denen Juden in Deutschland wohnen, und die weltweit stattfindenden antisemitischen Hassdemonstrationen könnten nur ein Vorgeschmack darauf sein, was auf die Juden im Westen und damit auch in der Bundesrepublik zukommt. Wir dürften Zeugen einer massiven Radikalisierung nicht nur von sogenannten „einsamen Wölfen“ wie Dahtal werden, sondern auch eines akademischen Milieus, das sich bislang damit weitgehend zufriedengegeben hat, zu hetzen und auf Twitter wirre Texte zu veröffentlichen. Der Jubel über die von der Hamas und anderen palästinensischen Terrorgruppen seit dem 7. Oktober brutal ermordeten Juden ist ein Zeichen der Entmenschlichung der Opfer, des vollkommenen Mangels an Empathie und eines Hasses, der sich nicht damit zufriedengeben wird, auf TikTok oder Twitter ausgelebt zu werden. Der Schutz der in Deutschland lebenden Juden und die Unterstützung Israels sind nun nicht nur mehr denn je eine Frage der Existenzberechtigung dieses Landes. In den kommenden Wochen und Monaten entscheidet sich, ob jüdisches Leben in Europa und Deutschland noch möglich ist oder der Westen vor der Barbarei kapituliert.

All das führt aber auch dazu, dass sich nun jeder, der sich bislang als israelsolidarisch gesehen hat, vor der Frage steht, ob er nun für seine Überzeugungen einsteht oder versagt.

Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits in der Jungle World

 

 

 

 

 

 

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