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“ Es muss eine Instanz geben, die für Freiheit wirbt“

Aladin El-Mafaalani Foto: Privat
Aladin El-Mafaalani Foto: Privat

Nach dem Rauswurf der FDP aus dem Bundestags hat das Rennen  um das Erbe des Liberalismus eingesetzt. Der Dortmunder Aladin El-Mafaalani ist  Professor für Politik an der FH Münster und sieht auch weiterhin Bedarf für eine liberale Partei. Aber die muss seiner Meinung nach nicht FDP heißen.  

Ruhrbarone: Die Grünen wollen die FDP beerben, die FDP will sich selbst beerben und alle reden von Liberalismus. Gibt es das überhaupt, DEN Liberalismus.

Aladin El-Mafaalani: DEN Liberalismus gibt es nicht und den kann es auch nicht geben. Es handelt sich – allgemein gesprochen – um eine politische Ideologie, die die Freiheit des Individuums in den Mittelpunkt rückt. Zum einen kann man sagen, das dieser Grundgedanke durchaus in der Rechtsordnung verankert ist, weshalb einige wie  kürzlich Hendrik Broder daraus schlussfolgern, dass in der Bundesrepublik keine liberale Partei erforderlich sei. Zum anderen gibt es unendlich viele, durchaus nachvollziehbare Gründe, Freiheiten zu beschränken, weshalb andere zu dem Ergebnis kommen, dass es durchaus eine sinnvolle Funktion für eine extrem liberale Position im politischen Spektrum auch heute noch gibt. Mit diesem zweiten Standpunkt könnte ich sympathisieren. Denn Wahlkämpfe wirken häufig als Wettbewerb um die mehrheitsfähigsten Beschränkungen zur Bekämpfung von Problemen. Nutzenstiftend wäre eine politische Kraft, die versucht, über die Reduzierung von Beschränkungen Probleme in den Griff zu bekommen. Allerdings meine ich damit etwas grundlegend anderes als das, was wofür die FDP steht.

Ruhrbarone: Wenn es nicht die FDP ist – welche Partei könnte es denn sein – oder muss es gar keine Partei sein?

El-Mafaalani: Im Prinzip müsste es keine Partei sein, allerdings sehen wir sehr genau, dass die Möglichkeit nachhaltiger politischer Einflussnahme in irgendeiner Form organisiert sein muss, auch um mit anderen lobbyistischen Aktivitäten mithalten zu können. Zudem muss man bedenken, dass in einer alternden Gesellschaft das Bedürfnis nach Sicherheit wächst. Wir erfahren immer häufiger, dass Freiheitsrechte zugunsten von Sicherheitsfragen eingeschränkt werden, wie zuletzt in der NSA-Affäre. Proteste gab es kaum. Daher denke ich, dass eine liberale Partei aus zwei Gründen notwendig bleibt: Erstens: Es muss eine Instanz geben, die für Freiheit wirbt, u.a. indem daran erinnert wird, dass es absurd ist, voreilig Freiheit einzuschränken z.B. im Kampf gegen den Terrorismus. Jede Freiheitseinschränkung kann für sich genommen durchaus begründet sein. Umso herausfordernder ist die Überzeugungsarbeit. Zweitens: Sicherheit und Freiheit stehen in einem komplexen Spannungsverhältnis, schließen sich aber nicht zwingend aus. Dabei leben wir in einem Land, in dem Sicherheit traditionell eine größere Rolle spielt. Alternative Lösungsansätze zu finden, in denen gesellschaftliche Probleme aktiv bearbeitet werden und gleichzeitig Freiheit erhalten oder gar gestärkt wird – das ist eine enorme intellektuelle Herausforderung, die bei den komplexen politischen und rechtlichen Strukturen unheimlich anspruchsvoll ist. Dies kann nur in einer kleinen Partei geleistet werden. Die Grünen und die FDP haben praktisch nur über Steuern gesprochen. Das ist ja nicht verboten, allerdings erwartet man von potenziellen Wählern intellektuelle Höchstleistungen, um zu verstehen wie Änderungen im Steuersatz – in welche Richtung auch immer – zu einer liberalen Gesellschaft führen sollen. Man müsste überzeugen
und entwickeln – das sehe ich bei keiner politischen Kraft. In Bezug auf die FDP muss man hinzufügen, dass sie einen Liberalismus vertritt, der im 20. Jahrhundert stehen geblieben ist.

Ruhrbarone: Wenn die FDP ist im Liberalismus des 20. Jahrhundert stehen geblieben ist, welchen Liberalismus vertreten dann die Grünen, die sich ja selbst zum Erben ausgerufen haben. Veggie-Day, Rauch- und Alkoholverbote – der Schriftsteller Wiglaf wusste schon 2004 „“Ein Grüner ist erst dann richtig glücklich, wenn er anderen etwas verbieten kann.” Geht autoritärer Liberalismus á la Grüne?

El-Mafaalani:  Die Grünen sind in mehrerer Hinsicht weiter als die FDP, aber ganz besonders in zwei Bereichen: Ökonomie und Ökologie. Im Ursprung sollte der Liberalismus den Einzelnen vor staatlicher Gewalt schützen. Das war in der Entstehungszeit auch durchaus notwendig. Anders als damals haben wir marktwirtschaftliche Strukturen und müssen erkennen, dass die Freiheit des Einzelnen auch von Unternehmen untergraben werden kann. Der Wirtschaftsliberalismus hat sich überlebt. In der veralteten Vorstellung ging man davon aus, dass Märkte nahezu perfekt funktionieren würden und umso weniger reguliert werden müssten, wenn sie groß sind, die Güter leicht vergleichbar sind und alle relevanten Informationen allen zur Verfügung stehen. Demnach wäre der Markt auf dem städtischen Marktplatz sehr anfällig für Funktionsstörungen, der Kapitalmarkt hingegen kommt dem Ideal sehr nahe. Seltsamerweise ist die Realität eine andere und das könnte daran liegen, dass die „unsichtbare Hand des Marktes“ gar nicht im Markt steckt, sondern mit Moral, Vertrauen und Erziehung zu tun hat. Wenn diese solidarischen Selbstbeschränkungen wegbrechen, was dann der Fall ist, wenn man sich nicht von Mensch zu Mensch begegnet, dann wollen alle Marktteilnehmer mit allen Mitteln Monopolisten werden, was bedeutet, dass alle daran arbeiten, dass der Markt zerstört wird. Gleichzeitig sieht es so aus, als würde unsere Lebensgrundlage zerstört, wenn jeder in seinem Produktions- und Konsumverhalten „frei“ ist. Es gibt also auch ökologische Grenzen der Freiheit. In den letzten 50 Jahren haben sich also 2 Problemfelder etabliert, die eine liberale Partei aufgreifen muss! Die Grünen tun dies auf ihre Weise, aber sie tun es. Die FDP verliert dadurch, dass sie die Themen mit Methoden und Strategien von vorgestern bearbeitet, das eigentliche Ziel aus den Augen: Die Freiheit des Einzelnen heute und für die Zukunft so weit es geht zu bewahren. Dafür müsste die Partei Kreativität, Intellektualität und Managementkompetenz verbinden. Letzteres kann sie.

Ruhrbarone: Das Problem, dass Unternehmen nach Monopolen und Kartellen streben und genau daran gehindert werden müssen, solche zu errichten hat schon Adam Smith erkannt und selbst Milton Friedman hat sich für starke Kartellbehörden ausgesprochen. Das heute, über 200 Jahre später, als blinden Fleck des Liberalismus festzustellen, wirkt doch etwas weit hergeholt. Wie geht denn der, ja mittlerweile auch von Grünen als Problem erkannte, Hang zur Volkserziehung mit Liberalismus zusammen?

El-Mafaalani:  Das sind keine neuen Einwände, wenn Sie das wissenschaftlich betrachten. Aber repräsentiert die FDP eine Haltung, in der die Freiheit des Einzelnen immer mehr von wirtschaftlichen Interessen bedroht ist? Wird in der FDP darüber diskutiert, dass die Probleme, die durch rein quantitatives Wachstum entstehen, nicht durch noch mehr quantitatives Wachstum gelöst werden können? Nein – und das liegt daran, dass die FDP keine liberale Partei (mehr) ist, sondern selbstverschuldet eine Wirtschafts- und Steuerpartei, die nebenbei Freiheit predigt. Es muss darum gehen eine Vision von einer Gesellschaft zu entwickeln, in der wenig, aber klug reguliert wird, vom Prinzip her jeder tun und lassen kann, was er will, und dennoch alles auch wirklich funktioniert, in der jede Gefahr – woher sie auch kommen mag – angesprochen wird. Nur mit einer positiven Idee, die ALternativen zur Problemlösung anbietet, kann man Überregulierung stoppen. Denn: Anlässe für Regulierung wird es immer geben. Ich sehe das, was sie Volkserziehung nennen, auch darin begründet, dass die FDP genau dort keine Alternativen bereitstellte.

Ruhrbarone: Wie hätten denn die liberalen Alternativen zu dem was ich grüne Volkserziehung nenne aussehen können?

El-Mafaalani:    Wenn es mir möglich wäre, konkrete, realistische, liberale Alternativen zu benennen, dann bräuchten wir diese Partei nicht. Genau das müsste sie leisten. Wenn einem die Lösungen fehlen, kann es auch ein günstiger Ansatzpunkt sein, sich an Prozessen zu orientieren. Mehr Bürgerbeteiligung, konkrete Erarbeitung von in Deutschland umsetzbaren Formen direkter Demokratie auf Ebene der Ideenentwicklung und auf der Entscheidungsebene etc. Das könnten Ansatzpunkte sein. Ich habe schon des öfteren über eine mögliche Fusion von FDP und Piraten nachgedacht. In der Theorie wäre das eine grundsätzlich befruchtende Allianz und könnte beide Parteien retten. Vielleicht ist die Zeit der außerparlamentarischen Opposition genau hierfür doch etwas Gutes…

Ruhrbarone: Für mich ist Liberalismus stark mit einem Optimismus und einem Vertrauen in die Fähigkeiten der Menschen verbunden. Die Grünen operieren hingegen mit Angst und die Lösung ist immer mehr Staat – ein klassisches Merkmal autoritärer Politik. Allerdings hat auch die FDP diesen Optimismus in die Zukunft nicht ausgestrahlt, sondern reduzierte Liberalismus nur noch auf das Thema Steuern.

El-Mafaalani:    Die Grünen haben in der Tat zwei Gesichter. Auf der einen Seite handelt es sich um eine Tradition der Bürgerrechtsbewegung – man denke z.B. an all das, was mit Geschlechterunterschieden, Sexualität, Familie, Bildung und Einwanderung zu tun hat. Zwischenzeitlich gab es in diesen Bereichen sogar extreme Trends, wie wir wissen. Aber in jedem Falle lässt sich hier eine Tradition von prinzipieller Gleichheit und individueller Freiheit erkennen. Anders sieht es bei dem anderen Schwerpunkt aus, der ökologischen Bewegung. Heute kann man Ernährung und Gesundheit noch dazuzählen. In diesen Bereichen ist ein parternalistischer Politikstil erkennbar. Die Grünen sind wesentlich daran beteiligt gewesen, dass Deutschland europaweit die schärfsten Umweltstandards hat und gleichzeitig das offenste Prostitutionsgesetz. Der sogenannte Realo-Flügel der Grünen erfüllt viele Charakteristika einer liberal-konservativen Partei, die Fundis hingegen sind sehr links. Deshalb wirkt die Partei häufig etwas chaotisch, deshalb ist es aber auch die einzige kleinere Partei, die sowohl mit der SPD als auch mit der CDU zusammenarbeiten könnte. Wenn man sich einfach mal überlegt, wer wählt eigentlich grün? Das sind relativ wohlhabende und gebildete Großstädter, die durchaus eine FDP wählen könnten, wenn diese die neuen Themen besetzt und das Erscheinungsbild modernisiert – und beides gehört zusammen: Es ist eine Partei, die nicht nur überwiegend über Steuern und Wirtschaft spricht, sondern auch optisch auf Parteitagen den Eindruck vermittelt, sie wolle das Land wie eine Aktiengesellschaft managen. Das schreckt im Übrigen auch jene ab, die z.B. die Piraten wählen. Der Erfolg der FDP 2009 hatte nichts damit zu tun, dass sie freiheitsliebende Menschen zur Wahlurne bewegt hat. Es gab in der Wahrnehmung der Menschen ein Versprechen: eine grundlegende Steuerreform. Wenn eine Partei mit einem Versprechen auf den Wählermarkt geht, das jeder versteht, dann erhöht das den Glauben daran, dass dieses eine Versprechen dann auch umgesetzt wird – was dann aber nicht passiert ist. Die FDP wäre gut beraten einzusehen, dass sowohl das beste Wahlergebnis 2009 als auch das schlechteste 2013 mit Liberalismus wenig zu tun hatten.

 

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[…] Gastautor Marco Buschmann ist Generalsekretär der FDP-NRW. Der Text ist eine Replik auf ein Interview mit Aladin El-Mafaalani auf diesem […]

Stefan Wehmeier
10 Jahre zuvor

„Der historische Liberalismus hat versagt – nicht als Liberalismus, sondern in seiner verhängnisvollen Verquickung mit dem Kapitalismus. Er hat versagt – nicht weil er zuviel, sondern weil er zu wenig Freiheit verwirklichte. Hier liegt der folgenschwere Trugschluss der sozialistischen Gegenströmung. Die liberalistische Wirtschaft war in Wahrheit keine freie, sondern eine vermachtete Wirtschaft, vermachtet durch Monopolbildung, kapitalistische Machtballungen, durch Konzerne und Trusts, die das Wirtschaftsleben über Preise, Zinsen und Löhne nach ihren eigenen Interessen bestimmten. Wo durch Monopole und Oligopole, durch Konzerne und Trusts der freie Wettbewerb entstellt und gefälscht, die freie Konkurrenzwirtschaft unterbunden und zerstört wird, da fehlt die elementare Grundlage eines liberalistischen Systems im ursprünglichen, klaren und eindeutigen Sinn dieses Wortes.
Der Sozialismus ersetzt die private Vermachtung durch die staatliche Vermachtung der Wirtschaft mit dem Ergebnis, daß die soziale Gerechtigkeit keinesfalls erhöht, aber die automatische und rationelle Funktionstüchtigkeit der Wirtschaft entscheidend geschwächt wird. Der historische Weg, die unerwünschten sozialen Auswirkungen einer fehlerhaften Wirtschaftsordnung durch politische Maßnahmen und staatliche Eingriffe zu beseitigen, musste notwendig scheitern. Eine brauchbare Sozialordnung kann nicht mit bürokratischen Mitteln erzwungen werden, sondern nur aus einer richtig funktionierenden Wirtschaftsordnung erwachsen. Nur eine natürliche, dynamische Gesellschaftsordnung auf der gesicherten Basis einer natürlichen, dynamischen Wirtschaftsordnung ist stabil und kann ohne großen Aufwand an bürokratischen Mitteln und gesetzlichen Regelungen nachträglich noch politisch-rechtlich gesichert werden, soweit dies überhaupt noch erforderlich ist.“

Dr. Ernst Winkler (aus Magna Charta der Sozialen Marktwirtschaft, 1951)

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