Flüchtlingsheime: Flüchtlinge sind in der Adlerstrasse „Herzlich willkommen!“

Flucht aus Afghanistan: Ehan A., Foto: Ulrike Märkel
Flucht aus Afghanistan: Ehan A., Foto: Ulrike Märkel

Ein lautes Rufen hallt durch die Eingangshalle: „Nahid, where are you?“ Es ist nicht die einzige Fremdsprache, die zu hören ist. Einer der Sicherheitsleute balanciert ein Tablett in die Küche, ein Betreuer schleppt ein Paket mit Babybekleidung in eine Kammer. Alltag in der Flüchtlingsnotunterkunft Adlerstraße in Dortmund. Menschen stehen in kleinen Gruppen auf den Fluren zusammen, andere sitzen verloren auf einem Stuhl und blicken ins Leere. Man spürt in der Betriebsamkeit, dass jeder von ihnen eine schwere Zeit erlebt hat. Hinter ihnen liegen Krieg, Verfolgung und Vertreibung aus der Heimat. Viele sind erschöpft und wirken dennoch erleichtert.  In der ehemaligen Grundschule in Dortmund haben sie vorübergehend ein Zuhause gefunden. Wo einst konzentrierte Stille in den Klassenzimmern herrschte, fährt ein kleiner Junge rasant mit einem roten Bobby-Car um die Ecke. In diesem Moment wirkt er glücklich.

Der Artikel erschien in der Bodo 02/2015.

Das liegt sicher auch daran, dass seit der Eröffnung des im Eiltempo eingerichteten Flüchtlingsheims, die Welle der Hilfsbereitschaft nicht abreißt. Neben zahlreichen Sachspenden gibt es viele Hilfsangebote von Menschen, die ihre Zeit schenken wollen. Insgesamt haben 50 aktive Helfer zuverlässig Aufgaben übernommen. Viele von ihnen sind durch eine Internet-Gruppe auf die Ankunft der Flüchtlinge aufmerksam geworden.

Team Kleiderkammer, Foto: Ulrike Märkel
Team Kleiderkammer, Foto: Ulrike Märkel

Astrid C., die nicht weit vom Flüchtlingsheim entfernt lebt, hat sie ins Leben gerufen, um alle Hilfsangebote zu sammeln und zu verteilen – wie an einer Pinnwand. In rasanter Geschwindigkeit wuchs die Gruppe auf fast 900 Mitglieder an. Hier wird regelmäßig gepostet, was gerade angeboten oder dringend gebraucht wird.Der jüngste Bewohner in der Adlerstraße 44 ist nur wenige Tage alt, er wurde gerade geboren: „Der andere Kinderwagen ist schon weg. Ein neu geborenes Baby braucht jede Menge Windeln und Stramplern!“ „Ja, wir haben noch einen Buggy im Keller. Wann können wir vorbeikommen?“

Im Haus in der Adlerstrasse leben Menschen aus elf verschiedenen Ländern, unter anderen aus den Krisenregionen Afghanistan, Syrien und Irak. Einer von ihnen ist Ehan A. Er wurde als Kind in seiner afghanischen Heimatstadt Herat schwer verletzt. Beim Fußballspielen entdeckte er eine amerikanische Splitterbombe. Als er den Blindgänger aufheben wollte, explodierte er und riss dem damals 10-Jährigen ein Bein ab. Eine Hilfsorganisation finanzierte ihm die lebensrettende Amputation.

Auf Krücken von Afghanistan bis Deutschland

Ehan A., Foto: Ulrike Märkel
Ehan A., Foto: Ulrike Märkel

Doch auf Dauer gab es für den jungen Afghanen in seiner Heimat keine Perspektive. Als die Taliban seine Behinderung als Tarnung für einen Bombenanschlag nutzen wollten, entschloss er sich zur Flucht. Zu Deutschland hat er eine besondere Beziehung: „Dieses Land fühlte sich für mich ein bisschen vertraut an, denn die Ärzte, die mir als Kind geholfen haben, waren Deutsche.“ Mit der Entschädigung der USA für seine erlittenen Verletzungen konnte er die Reise nach Europa bezahlen. Sie kostete ihn alle seine Ersparnisse – 6.500 US-Dollar. Der Abschied von seiner Mutter fiel ihm schwer, doch meinte sie: „Ich bin traurig, dass Du gehst – aber wenn Du glücklich wirst, bin ich es auch!“ Der Fluchtweg war für Ehan sehr beschwerlich. Die Schlepper ließen ihn mit den Worten stehen: „Der ist zu langsam!“ Um den Grenzkontrollen zu entgehen, musste er alleine auf Krücken zwei Berge bewältigen. Nach Aufenthalten in vier verschiedenen Flüchtlingsunterkünften kann er in der Adlerstraße wieder etwas aufatmen. Er hat einen neuen Rollstuhl bekommen und wünscht sich nichts so sehr, wie bald in einer Basketballmannschaft trainieren zu können, denn in seiner Heimat spielte er als Profi im Behindertensport.

Nahid F. – Eigene Fluchterfahrungen verpflichten zu Solidarität

Um solche praktischen Dinge kümmert sich Nahid F.. Sie koordiniert die Anfragen, Hilfsangebote und Aktivitäten im Haus. Dabei kommt ihr nicht nur das organisatorische Wissen als Projektmanagerin zugute, sondern auch ihre eigene Fluchterfahrung. 1984 kam sie als politischer Flüchtling aus dem Iran nach Deutschland. Für sie sind die eigenen Fluchterfahrungen ein guter Grund, sich mit allen Kräften für die Neubürger in Dortmund einzusetzen.

Nahid F., Foto: Ulrike Märkel
Nahid F., Foto: Ulrike Märkel

Sie weiß, was es bedeutet, von heute auf morgen alles zurücklassen zu müssen. Sie kann sich in die Situation der Flüchtlinge hineinversetzen und nimmt die Neuankömmlinge mit großer Herzlichkeit auf. Sie gibt heute die Hilfe weiter, die sie bei ihrer Ankunft als Flüchtling in Deutschland selbst erfahren hat. Jetzt koordiniert sie die zahlreichen ehrenamtlichen Aktivitäten, wie die Gruppe für die Kinderbetreuung, die Besetzung der Kleiderkammer und das Übersetzerteam. Es gibt Tanzveranstaltungen und Konzerte, und einmal wöchentlich einen Kinoabend, der für ein paar Stunden die Sorgen vertreiben soll.

Wichtig ist neben der ideellen Hilfe auch die materielle Unterstützung der meist mittellosen Flüchtlinge. Auf die Idee der Gründung einer Spendensammel-Facebookgruppe ist Astrid C. durch eine Hamburger Flüchtlingshilfegruppe gekommen, die das facebook-Prinzip schon seit einer ganzen Weile erfolgreich für die Koordination der Hilfsangebote nutzt. In der Kleiderkammer sammelt nun ein Team von acht Leuten die eingegangene Sachspenden und bügelt, wäscht, nummeriert nach Größe und verteilt die Kleider an die Menschen, die oftmals nur mit einem einzigen Koffer aus ihrer Heimat fliehen konnten.

Flüchtlingshilfe: Ohne Ehrenamt würde es nicht gehen

Nahid F. betont: „Ohne die Ehrenamtlichen würde es diese vielen Angebote nicht geben. Es ist großartig, dass die Flüchtlinge inzwischen Vertrauen zu den Ehrenamtlichen gefasst haben. Ich denke, dieses Viertel ist für die Unterkunft optimal, denn die Nachbarn packen mit an und begrüßen die Neubewohner sehr freundlich. Das spüren die Menschen, die zum Teil schreckliche Erlebnisse hinter sich haben. Es gibt ihnen das Gefühl, hier willkommen zu sein.“

Ein Tag kann sehr lang werden, wenn man Stunde für Stunde füllen muss. Das kann auf Dauer zermürben. Die Flüchtlinge stehen tags- über auf den langen Fluren der Unterkunft oder sitzen auf ihren Betten, denn einen Aufenthaltsraum gibt es in der Einrichtung noch nicht. Die sieben Sprachkurse sind bei den Heimbewohnern sehr begehrt. Vom Kleinkind bis zum Senioren, vom Analphabeten bis zum Fortgeschrittenen können die Bewohner Deutsch lernen. „Die Motivation ist ungeheuer groß“, erzählt Jost R. begeistert. Er hatte nach einer Bürgerveranstaltung nicht lange gezögert und die Initiative für die Sprachkurse ergriffen.

Sprachkurse mit Jost R., Foto: Ulrike Märkel
Sprachkurse mit Jost R., Foto: Ulrike Märkel

15 Lehrerinnen und Lehrer haben sich seitdem bei ihm gemeldet, um die Flüchtlinge zu unterrichten. „Das ist wunderbar, denn Sprechen und Verstehen ist die Basis, um sich an einem Ort wohlfühlen zu können.“ Die Adlerstraße hat sich nicht nur zu einem Pilotprojekt erfolgreicher Nachbarschaftshilfe entwickelt, sondern ist ein Musterbeispiel dafür, was gesellschaftliches Engagement leisten kann. Die Dortmunder Bürger haben mit Herz und Verstand gezeigt, dass es neben der ausländerfeindlichen Pegida-Bewegung etwas viel Bemerkenswerteres in Deutschland gibt: Echte Gastfreundschaft und Mitmenschlichkeit.

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Hilal
Hilal
8 Jahre zuvor

Guten Tag
Wir möchten helfen!!
Da wir bald opferfest haben suchen wir nach Flüchtligsheime in bochum , wo wir den Menschen helfen und spenden können.
Wir möchten ein Tag mit den verbringen ,wir möchten mitden kindern spielen . Auch möchten wir kleine Geschenke vorbereiten.Nur wir wissen nicht wo wir in bochum flüchtlingheime mit vielen kindern finden .

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