Ganz, ganz normal?

Hamja Ahsan Buchpräsentation, PrintRoom, Rotterdam, 2019, Foto (Ausschnitt): Florian Cramer/PR Documenta Lizenz: Creative Commons AttributionShare Alike 4.0

Zur zeitgeisthörigen Sprache zählt die Wiederholung kleiner Wörter. Das Adverb „sehr“ steht auf Platz 1 der Bestenliste, gefolgt vom Adjektiv „ganz“. In der Regel strömt aus dem Mund kulturbeflissener Damen und Herren die zweimalige Betonung, dass etwas „sehr, sehr wichtig“ oder „ganz, ganz wichtig“ sei. Zumeist irgendein verschrobenes „Narrativ“ oder „Momentum“ oder „die Luft nach oben am Ende des Tages“ in Verbindung mit „einer ganz, ganz wichtigen Position im öffentlichen Raum“. Von unserem Gastautor Olaf Müller

Obacht, denk ich, Obacht! Jetzt auch schon zweimal. Vielleicht war es vorher nur „ganz wichtig“ oder nur „sehr wichtig“. Nun muss der Vorfall wichtiger geworden sein, denn nun ist er ja „ganz, ganz wichtig“. Das Wichtige ist in der Welt der Kunst somit degradiert zum eigentlich Unwichtigen, wozu – sagen wir mal – der Bau von modernen Kitas, Schulen oder Universitäten gehört.

Sehr, sehr wichtig hingegen ist an selbigen Unis die Vorschrift zum Gebrauch der Gendersprache, die unbedingt einzuhalten ist! Sonst droht Punktabzug für die Hausarbeit. Claudia Roth, die Kulturstaatsministerin, fand, dass die Durchführung der Berlinale das „wirklich, wirklich Wichtige“ sei.

Und bei der Documenta 15 gehe es um den „Globalen Süden“, wo immer der auch sein mag. Ich dachte bisher, „global“ bedeute weltweit, weltumspannend. Der Süden ist doch nur eine von vier Himmelsrichtungen. Da muss mir etwas entgangen sein. Sehr, sehr dumm von mir.

Ein Künstler aus dem „Globalen Süden“, er heißt Hamja Ashan, schreibt auf seiner Facebookseite am 7. August, „this neoliberal fascist pig Olaf [Scholz] I don’t want him in my Documenta exhibition.“ Womit klar wäre, dass für den guten Künstler aus dem „Globalen Süden“ sowohl der Bundeskanzler als auch der Mensch, also Institution und Person, ganz, ganz unwichtig sind. Er tritt also den demokratisch gewählten Regierungschef Deutschlands in den Unterleib, zückt die Nazi-Keule und nennt ihn ein faschistisches Schwein, was den Künstler aus dem „Globalen Süden“ aber nicht abhält, das Steuergeld der Deutschen zu kassieren, um seine Kunst auf der Documenta 15 zu präsentieren; nur nicht für Olaf Scholz. Der muss draußen bleiben! Gut, dass ihm eh schon die Lust vergangen ist.

Ein aktualisiertes Titelbild der Facebook-Seite von Herrn Ahsan zeigt am 15.8. ein erschossenes Schwein … Der französische Philosoph André Comte-Sponville schreibt in seinem Buch „Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben“: „Intoleranz macht dumm, genauso wie Dummheit intolerant macht.“ Nun waren in Kassel rund um das Kuratorium gegenüber BDS erstens sehr, sehr tolerante Kuratoren, die intolerant gegenüber israelischen Künstlern waren, zweitens viele taube Ohren einer selbsternannten kulturellen Avantgarde. Generaldirektorin Frau Schormann hat den Hut nehmen müssen, der neue Interims-Generaldirektor Fahrenholz sucht noch die Definition von Antisemitismus; ein Gang in jede Sortimentsbuchhandlung kann da helfen: schlag nach z.B. bei Raul Hilberg, Eugen Kogon, Peter Longerich, Léon Poliakov, Natan Sznaider oder suche die schwarze Reihe vom S. Fischer Verlag auf. Offensichtlich kann er bei Herrn Ashan, der den Bundeskanzler als faschistisches Schwein bezeichnet, keine Verfehlung entdecken. Herrn Ashan, den möchte ich nicht sehen. Vielleicht andere auch nicht. Und die Beleidigung des Kanzlers, die sollte man zur Anzeige bringen. Ganz, ganz einfach. Bereits jetzt ist das Maß an intoleranter Dummheit in Kassel voll – auch an dummer Intoleranz. Das kommt davon, wenn man nicht auf den ersten Buchstaben von BDS schaut: B für Boykott

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nussknacker56
nussknacker56
1 Jahr zuvor

Gibt es unter den selbsternannten Vertretern des „globalen Südens“ nur einen Einzigen, der

a) einigermaßen kritikfähig ist (auch in der Gegenrichtung!) oder gar tatsächlich etwas zu sagen hat;
b) nicht in erster Linie darauf erpicht ist, sein Portemonnaie vollzustopfen, indem sie hier einem leichtgläubig veranlagten Publikum dessen anhaltende Verbrechen in Form von Kolonialismus inklusive eines mit Weißen untrennbar verbundenen Rassismus vorhalten;
c) schon mal auch nur einen nachhaltig-kritischen Blick auf die Zustände im eigenen Herkunftsland oder gar auf die des „globalen Südens“ geworfen hat und sich dort am Ende womöglich entsprechend engagiert?

Das kann ich mir mittlerweile kaum noch vorstellen. Die Gestalten, die hier aufschlagen – von Mbembe bis Ahsan – scheinen nur eines im Kopf zu haben: Die vorrangige Sanierung der persönlichen Finanzlage, verdeckt durch eine wortreiche Pseudokritik.

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