Gauland und die Nazizeit: In tausend Jahren noch kein Vogelschiss

Alexander Gauland Foto: Metropolico.org Lizenz: CC BY-SA 2.0

Rechtsradikale aller Fraktionen haben ein Problem mit der deutschen Geschichte. Das ist nicht neu. Den Nazis waren die verlaust in Langhäusern unter einem Dach mit Kühen und Schweinen lebenden Germanenstämme so peinlich, dass sie sich mit „Thule“ ein untergegangenes Großreich herbei fantasierten und eine eigene Organisation, das SS-Ahnenerbe, nach seinen Resten suchen ließen. Und auch nach dem verlorenen Krieg, nach der Shoah, den millionenfachen Morden an Sinti, Roma und Homosexuellen, Christen, Konservativen, Kommunisten und vielen anderen Gruppen blieb das Verhältnis schwierig. Stolz auf Massenmörder und militärische Versager zu sein, fiel nach dem Krieg kaum einem Nazi und seinem Nachwuchs leicht, also wurde versucht, den Holocaust zu leugnen, die Verbrechen der Wehrmacht herunterzuspielen und die Beteiligung breiter Teile der Bevölkerung am Nationalsozialismus zu verschweigen. Das war so erfolglos wie der Versuch, die Existenz von Sonne und Mond zu ignorieren.

Wenn Gauland heute vor den Pimpfen der Jungen Alternative im thüringischen Seebach sagte, die Nazizeit sei ein Vogelschiss in der tausendjährigen deutschen Geschichte, geht er einen anderen Weg: Was sind denn schon diese zwölf Jahre im Vergleich zu den vielen Jahrhunderten? Er leugnet die Verbrechen der Nazis nicht, aber er relativiert sie, in dem er einen weiten Zeithorizont eröffnet. Es ist sein Versuch, die neue rechtsradikale Bewegung deren parlamentarischer Arm die AfD ist, von der Last der Geschichte zu befreien. Es ist ein lautes, donnerndes Schwamm drüber und der Zuspruch seiner Anhänger kann ihm gewiss sein.

Gauland hat auch Geschichte studiert. Er weiß, dass das, was er erzählt, Politik ist und keine historische Aussage. Er instrumentalisiert die Geschichte, die langen Zeitläufe , die so faszinierend sind, um in der Gegenwart politischen Erfolg zu haben. Ihm dürfte klar sein, dass die Nazizeit auch  in 100, 500 oder 1000 Jahren von Historikern nicht als „Fliegenschiss“ gesehen werden wird, so es dann noch eine Geschichtswissenschaft gibt. Die Krönung Karls, der Gang von Heinrich IV nach Canossa, der 30jährige Krieg, die Nazizeit – das werden auch aus der Sicht künftiger Generationen die zentralen Punkte deutscher Geschichte bleiben – und in ihrer Monstrosität wird auch dann die Nazizeit aus der Kette dieser Ereignisse hervorstechen. Die 48er Revolution, die Reichsgründung 1871 oder die Entstehung der Bundesrepublik werden aus der fernen Zukunft wie Fußnoten erscheinen. Ereignisse am Rand der großen eurasischen Platte wie viele andere auch. 

Aber das kann Gauland heute egal sein. Er nutzt die Umdeutung der Geschichte zur ideologischen Munitionierung der Fußvolks der Partei. Und das wird seine Lesart dankbar annehmen, kommt sie doch dem Wunsch vieler Deutscher seit 1945 entgegen, ein für allemal einen Schlussstrich zu ziehen. Seine Anhänger wollen  sich als Modernisierer präsentieren, die den Ballast der Geschichte scheinbar abwerfen. Dabei sind sie diejenigen, die erpicht darauf sind, die Scharte auszuwetzen und es diesmal besser zu machen als die Nazis, die kläglich scheiterten. Ob es ihnen gelingt, werden wir sehen. Die Geschichte ist geschrieben, die Zukunft ist offen. Es ist an uns, sie zu gestalten. Ob wir in den Augen künftiger Generationen versagen werden oder nicht, wird noch beurteilt werden – in 100, 500 und 1000 Jahren.  

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Manfred Michael Schwirske
Manfred Michael Schwirske
6 Jahre zuvor

Meisterlich kommentiert und argumentiert von Stefan Laurin.

Axel Kühne
Axel Kühne
6 Jahre zuvor

Absoluter Volltreffer. Versenkt.
Mir fehlt jetzt, nicht in diesem Artikel aber in der Debatte, der Bezug auf die Mängel unseres derzeitigen Gesellschaftsbildes, dass nicht nur im Präsens als unzureichend anzusehen ist und mit zu vielen Unentschlossenen der AfD zum Anhäufen einer kritischen Masse dient, sondern auch mit großem Mangel im Hinblick auf eine zukünftige Entwicklung daherkommt.

Die Gaulands haben eine Zielrichtung und einen Gegner. Der Gegner ist ein humanistischer, fortschrittlicher und zukunftsorientierter Deutscher. Das Ziel ist Gestern.
Was haben wir?
Einen Gegner. Einen vor Großmannssucht kaum noch laufen könnenden Höcke, einen sehenden Auges das Volk in die nächste Katastrophe lenkenden Gauland.
Haben wir ein Ziel oder halten wir das Abarbeiten an den Reden der politischen Gegner dafür?

Walter Stach
Walter Stach
6 Jahre zuvor

"ein Vogelschiss"……..
1.
wenn Gauland dabei daran gedacht haben sollte,
daß er selbst nur ein ganz, ganz winziger Vogelschiss ist,
daß Deutschland als Staat nur ein Vogelschiss in der Geschichte der Völker dieser Welt ist,
daß die Menschen nur Vogelschiss in der Erdgeschichte sind und
daß die Erde selbst nur ein Vogelschiss im Universum ist.

2.
Seine Nazi-Kumpane werden , so hoffe ich es jedenfalls, darüber nachzudenken haben, wie sie mit einem (Partei-)Führer umgehen, der die von ihnen verehrte Hitler-Nazidiktatur als Vogelschiss bezeichnet.

3.
Der Vogelschiss war derart, daß die Scheiße auch heute noch- 75 Jahren, nach dem es sich "ausgeschissen zu haben schien, gewaltig stinkt –in Deutschland, in Europa, in der ganzen Welt.

zu registrieren ist, daß viele Scheißer nicht nur den 8.5.45 überlebt haben, sondern danach weiterhin in Wirtschaft, Politik, Administration ihre braune Scheiße ausbreiten konnten
Zu registrieren ist zudem, daß sich immer neue Scheißer finden, die nicht nur "dem Scheiß der Hitler-Nazi-Diktatur" Positives abgewinnen, sondern die dabei sind, neuen Scheiß derselben Färbung und desgleichen Inhaltes abzusondern.

4.
"ein Vogelschiss"…
Erbärmlich, widerwärtig, unerträglich, wenn Gauland das feststellt
unter anderen im Wissen um

die Ermorderung von rd. 6 Mio Juden,
die Ermordrung weiterer -.nicht exakt erfaßter- Menschen in den KZ,
die insgesamt 8o-9o Millionen Kriegstoten des II.Weltkrieges,
den Verlust von rd. 24 Prozent des deutschen Staatsgebietes bezogen auf dessen Ausmaß 1937.
Letzteres müßte doch in besonderem Maße Gauland angesichts seiner nationalistischen Position dazu bringen, in den 12 Jahre Nazi-Diktatur wegen dieser ihrer Folge mehr zu sehen als nur "einen Vogelschiss" in der Geschichte Deutschlands.

Zusammnegefaßt:
Ich meine, eine solche Äußerungen von Gauland, gedacht und gemacht als gezielte Provokation all der Menschen jenseits von AFD, NPD und….(?) und als Akt , um Aufmerksamkeit zu produzieren,
sollte stets (!!) als d i e Gelegenheit genutzt werden, sich aktiv und agressiv mit dem Ungeist auseinanderzusetzen, der offenkundig auch das gaulandsche Denken bestimmt.

Ich werde bei solchen Gelegenheiten immer wieder aufzeigen, wohin ein solcher Ungeist führen und welche Folgen er haben kann -auch für Deutschland, auch für das deutsche Volk, um die es vorgeblich Gauland und Co. ausschließlch geht.

"Gut so", daß ich dazu u.a. auch bei den Ruhrbaronen Gelegenheit habe, jetzt und hier im Nachgang zu einem begrüßens- und lobenswerten Kommentar von Stefan Laurin.

Thomas Rajewicz
Thomas Rajewicz
6 Jahre zuvor

Ich finde die Erinnerung an den Faschismus wichtig. Warum, wurde ja im Artikel gut erklärt. Aber nicht nur der organisierte Raubzug gegen die Völker und der Raubmord an den Juden sollte im Gedächtnis unseres Volkes bleiben, sondern auch der Weg dahin. Der deutsche Faschismus war die Speerspitze des deutschen Imperialismus. Er wurde wie ein sanftes Gift eingeschleust und erfasste fast ein ganzes Volk. Es gelang den Faschisten, systematisch das Volk zu bländen und seelisch zu vergiften. Wer heute sagt, er würde aufstehen, hat sich nie gefragt, warum die Geschwister Scholl, der Kreisauer Kreis, die paar Kommunisten und SPD Leute, dann die Einzigen im Widerstand waren. Wer weiß, was ich getan hätte und wem ich hinterhewr gfelaufen wäre.

Und trotzdem ist der Faschismus nur eine Sequenz der deutschen Geschichte. Wir habe allen Grund uns immer wieder den Faschismus vor Augen zu führen, wir haben aber keinen Grund uns unser wegen zuschämen. Es ist wie mit einer einzelnen Person, wer sich nicht lieben, kann auch andere nicht lieben. Wer sich selbst nicht lieb, wird auch nicht lernen aus seinen schlechten Taten. Er wird in Wahrheit stagnieren.

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