Grellbunte Popkultur ›Made in Germany‹: 30 Jahre VIVA

Mehr Scooter und Mr. President als Nirvana und Metallica hatte VIVA im Programm | Foto: ARD Kultur

Deutschlands erster Musiksender VIVA stand mal für zeitgemäßes und hippes Entertainment. Der grellbunte Video-Clip-Sender ging ab dem 1. Dezember 1993 on Air und war die Startrampe für die Karrieren von Stefan Raab, Heike Makatsch oder Dieter Gorny. Manche Protagonisten von damals sind bis heute noch am Ball – wenn auch in ganz anderen Rollen. Die verrückte Geschichte seines Aufstiegs, Triumphs und Niedergangs erzählt nun die dreiteilige Doku „Die VIVA-Story – zu geil für diese Welt!“ von ARD Kultur.

Mit einer gemischten Moderations-Performance ging VIVA vor genau 30 Jahren am 1. Dezember 1993 an den Start. Drei Moderatoren bemühten sich vor dem Teleprompter möglichst ungestüm und gegen den Strich gebürstet rüber zu kommen: Nilz Bokelberg saß mit Pudelmütze und Schlafzimmerblick in einer Hängematte, Mola Adebisi rekelte sich im Hintergrund auf Kissen rum und Heike Makatsch sagte aufgekratzt in die Kamera: „Jetzt kommen wir zur Sache! Wir haben lange überlegt welchen Clip wir als erstes präsentieren wollen. Ganz klar, dass wir uns für eine Band entschieden haben, die so ist wie wir: ›Zu geil für diese Welt‹. So kam gleichnamiger Track von den Stuttgarter Hip-Hoppern ›Die Fantastischen Vier‹ aus den angemieteten VOX-Studios in Köln-Ossendorf direkt in die Kinderzimmer-Flimmerkisten der Republik.

Der Musiksender sollte von Anfang an eine Art Gegenpol zu MTV Europe sein, das bis dahin vornehmlich Videos englischsprachiger Künstler zeigte. VIVA sollte 40 Prozent mehr deutsche Musik bringen – mit diesem Alleinstellungsmerkmal wollte der Sender seine Ausrichtung auf den Punkt bringen – und so liefen Techno-Sternchen wie Marusha, Boygrups wie Tokio Hotel oder Comedy-Schlager von Die Doofen. Geschäftlich angeschoben wurde dieser Sender von Dieter Gorny. Ein Mann also, der vorgefertigte Marketingsätze wie „VIVA verkauft kein Lebensgefühl, sondern reflektiert es“ zu jeder Tageszeit abrufen kann. Seine Biografie kann man einschlägig nennen. Denn vor der Zeit des Musikfernsehens war Gorny Leiter des Rockbüros NRW und langjähriger Geschäftsführer der Musikmesse Popkomm.

Dieter Gorny und VIVA-Moderator Oliver Pocher (v.l.) am schlimmsten Tag ihrer Karriere – sie stehen hier zusammen mit Duisburgs OB Adolf Sauerland (rechts) während der Loveparade-Katastrophe im Jahr 2010  | Foto: Thomas Meiser

Und als VIVA zum Börsengang ausholte wurde Gorny zum Vorstandsvorsitzenden gewählt. Damals sah mit langen Haaren und akzentuiertem Kinnbart aus wie ein agiler Vorzeige-Unternehmer in Sachen Pop und Rock. Heute wirkt der ehemalige Berufsjugendliche alt und grau – wie ein Schatten seiner selbst. Sieht man den aktuellen Dreiteiler, den ARD Kultur ab heute in seiner Mediathek zeigt, wirkt Gorny wie ein müder alter Mann, der in mühsamen Sätzen von früher erzählt. Der Mann mit dem SPD-Parteibuch in der Tasche war einer der vier künstlerischen Direktoren der Ruhr 2010 und hat die Loveparade im Kulturjahr trotz Geldmangels und verheerenden Sicherheitsauflagen in Duisburg ausgerichtet. Dabei kamen 21 Menschen ums Leben, über 500 weitere wurden schwer verletzt. Dieter Gorny führte den Sender bis zur Übernahme durch MTV, die am 14. Januar 2005 durchgeführt worden ist.

Mittendrin war bei VIVA auch mal richtig viel Geld in den Jahresbilanzen verzeichnet: 2002 verkündete der Sender bei einem Umsatz von 109 Millionen Euro einen Gewinn von 15 Millionen Euro. Diese Erfolgsgeschichte hat das Unternehmen allerdings nicht seinen Musikprogrammen zu verdanken, sondern durch eine breite Aufstellung im TV-Geschäft. Plötzlich produzierte Brainpool (die Firma hinter VIVA bis zum Jahr 2004) auch Comedy-Formate wie zum Beispiel ›Ladykracher‹ für Sat 1. Der Show-Gigant in der Sendegruppe war aber der Sohn aus einer Kölner Metzgerfamilie: Stefan Raab. VIVA ließ ihn Ukulele spielen und TV-Altmeister (wie Chris Howland, die Wildecker Herzbuben oder Howard Carpendale) setzten sich in sein grellbuntes Studio zum Nonsens-Talk. Aber keine Jugendkultur ist für die Ewigkeit konzipiert und so hat VIVA gegen Ende 2018 das Zeitliche gesegnet.

Besonders interessante Einblicke hinter die Kulissen bietet diese dreiteilige ARD-Dokumentation hinsichtlich der Entstehungsgeschichte des für seinen knallbunten Anarchismus berühmten Senders – und ordnet es mit fast unzählig geführten Interviews von Moderatoren und Programmmachern neu ein. Das Unfertige und Anarchische wurde damals zur Perfektion erhoben, die Improvisation war oftmals der King. Vielleicht war der Indie-Ableger VIVA Zwei dabei die kunstvollste Version von Fernsehen, die es je auf bundesdeutsche Flimmerkisten geschafft hat. Alle drei Teile von „Die VIVA-Story – zu geil für diese Welt!“ sind toll gefilmt, perfekt geschnitten und geben hautnahe Einblicke in das Innenleben eines Jugendsenders außer Dienst. Die Serie ist ab sofort in der ARD Mediathek und auf ardkultur.de abrufbar.

 

 

 

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