György Konrád über Osteuropas Erinnerung an Krieg und Holocaust

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»Entfesselte Erinnerung. Die Auseinandersetzung mit Völkermord, Zwangsarbeit und dem Zweiten Weltkrieg nach 1989« – so hieß eine internationale Konferenz der Stiftung Erinnerung–Verantwortung–Zukunft und der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, die vor einigen Wochen in Berlin stattfand. Die Festrede hielt der bekannte ungarische Schriftsteller György Konrád. Am Rande der Konferenz ergab sich – bei Whiskey und Rotwein in einem Café am Potsdamer Platz – die Möglichkeit, mit Konrád über die Erinnerungsformen Osteuropas zu sprechen.

Herr Konrád, mit welchen Gefühlen besuchen Sie als Überlebender des Holocaust diese Konferenz, auf der die Verbrechen an den Juden wissenschaftlich-abstrakt behandelt und die Lebensgeschichten der Opfer nur am Rande thematisiert werden?

Meine Teilnahme an dieser Veranstaltung erscheint mir notwendig, aber auch ein wenig frivol. Dieses Gefühl ist unvermeidlich. Für Menschen, die nicht meine Erfahrungen gemacht haben, ist es naturgemäß etwas anderes. Trauer können wir nur für Menschen empfinden, die wir gekannt und geliebt haben.

Wie haben sich die osteuropäischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Judenverfolgung auseinandergesetzt?

Es wurde von den Kommunisten nach dem Zweiten Weltkrieg vermieden, über dieses Thema zu sprechen. Man wollte keine Teilung der Gesellschaft riskieren. Es spielte keine Rolle, ob man als Arbeiter Jude, Christ oder Muslim war. Und es gab Antisemitismus. Auch das ein Grund, warum man nicht über die Verbrechen an den Juden sprach.

Haben sich die osteuropäischen Länder nach 1989 ausreichend mit der eigenen antisemitischen Vergangenheit befasst?

Diese Bereitschaft war nicht sonderlich stark ausgeprägt. Das hatte seinen Grund. In der Sowjetunion galt das Wort »Zionist« als Schimpfwort. Es gab natürlich auch nach 1989 Regierungen, die latent antisemitisch eingestellt waren. Und noch heute sprechen Rechtsradikale von der »Achse New York–Tel Aviv«. Aber man kann nicht behaupten, dass es innerhalb des rechten Parteienspektrums nur judenfeindliche Stimmen gegeben hätte. Sicherlich: Einige Politiker haben den Holocaust geleugnet. Aber es gab auch diejenigen, die sich mit den Juden vor dem Hintergrund der Schoa solidarisierten und für sie Verständnis hatten.

Wie beurteilen Sie die deutschen Formen der Erinnerung an die sechs Millionen ermordeten Juden?

Deutschland nimmt seine Geschichte sehr ernst und bekennt sich zur Schuld am Zweiten Weltkrieg. Das schätze ich sehr. Eine solche Bereitschaft, sich mit den eigenen Untaten auseinanderzusetzen, ist in den Ländern der früheren Sowjetunion nur schwer zu finden. Wenn wir ein falsches Bild von der Vergangenheit haben, dann sind wir auch fähig zu anderen Verbrechen.

Wie aktuell die Geschichte des Zweiten Weltkriegs ist, zeigen in diesen Tagen auch Russlands und Polens gegensätzliche Interpretationen des Hitler-Stalin-Pakts. Haben sich beide Länder hinreichend kritisch auch mit der dunklen Seite ihrer Geschichte befasst?

Keines der beiden Länder ist unschuldig. Aber sie sind auch Opfer. Sowohl Russland als auch Polen sagen die Wahrheit, aber beide Staaten verschweigen auch etwas. Es ist für mich immer erfreulich, wenn einzelne Menschen während der Schoa nach dem Satz aus dem Talmud gehandelt haben: »Wer einen Menschen rettet, rettet die ganze Welt.«

Was ist der Grund dafür, dass in Ihrer Heimat Ungarn der Hass auf Juden in solch bedenklichem Maße zunimmt?

Weil es sie gibt!

 

© Jüdische Allgemeine: 10.September 2009

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Angelika
Angelika
14 Jahre zuvor

Interessantes Interview!

Dirk E. Haas
Dirk E. Haas
14 Jahre zuvor

Wirres Interview. Konráds Rede ist um einiges klarer.

flo
flo
14 Jahre zuvor

Ich habe als Dissertant die Veranstaltung besucht. Der eindrucksvollste Vortrag in diesen beiden Tagen war sicher nicht der von Bundestagspräsident Lammert, der entsetzlich langsam und einschläfernd gesprochen hat, sondern der von Herrn Konrad.

Ist auch ein interessantes Interview. Finde es überhaupt nicht wirr!

Oliver
Oliver
14 Jahre zuvor

Hi Phil., Whiskey und Rotwein bei dem schwierigen Thema?
Aber im Ernst. Mir gefällt es, dass er die Dinge differenziert betrachtet. Sehr Lesenswert!

Grüße aus Pankow.

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