„Ich bin im Herzen Punk“

Der Ratinger Hof auf der Ratinger Straße in Düsseldorf 1978 Foto: Ralf Zeigermann Lizenz: CC BY-SA 3.0


In den 70er-Jahren war der Ratinger Hof in Düsseldorf eines der Zentren des entstehenden Punks. Dann begann sein Abstieg. Die Besitzer wechselten. Nun versucht der Club einen Neustart.

Graue Steinfassade, unten eine Kneipe, darüber ein paar Stockwerke. So sieht es hier in der Ratinger Straße nahe der Düsseldorfer Altstadt überall aus. Das Haus, in dessen Parterre man den „Der Hof“ findet, unterscheidet sich nicht von denen in seiner Nachbarschaft. Doch der „Hof“ ist anders als die anderen Lokale, er ist eine Institution. Zwar wurde der Altbau Ende der 80er-Jahre abgerissen und durch einen Neubau ersetzt, aber die Geschichte bleibt: Im Hof begann in Deutschland der Punk und ohne ihn hätte es Bands wie DAF, Fehlfarben und die Toten Hosen vielleicht nie gegeben.

Stanislava Balueva Foto: Privat

Seit dem Sommer vergangenen Jahres führt Stanislava Balueva mit einem kleinen Team den Club. Sie hat ihn von Ratinger Hof in „Der Hof“ umbenannt. Sie sitzt am Tresen des Hofs. Die Wände sind schwarz. An ihnen hängen Konzertplakate und Fotos aus seiner langen Geschichte. Zur Fläche vor der Bühne geht es ein paar Stufen hinab. Groß ist der Hof nicht. Bei 300 Besuchern wird es schon angenehm eng. „Viele in Düsseldorf“, erzählt die 36-Jährige, „haben ihn schon immer so genannt. Und außerdem sind die Höfe die Orte in Düsseldorf, in denen viele Künstler und Musiker aktiv sind. Die Höfe sind der Treffpunkt der Kreativen in dieser Stadt.“ Balueva hat den Ratinger Hof übernommen, weil sie für genau diese Menschen einen Ort in der Düsseldorfer Altstadt erhalten will und weil sie seine Historie kennt. Der Ratinger Hof war seit den 60er-Jahren eine Hippie-Kneipe, in der sich auch viele Studenten der nahen Kunstakademie trafen. Lokale wie ihn gab es in jeder Stadt: Es roch in ihnen nach Patschuli, die Gäste trugen wallendes Haupthaar und aus den Boxen erklang das kein Ende findende Stück „In a Gada da Vida“ von Iron Butterfly. Das änderte sich, als 1974 Carmen Knoebel zusammen mit Ingrid Kohlhöfer das Lokal übernahm. „Wir haben damals ein kleines Café mit dem Namen Domino betrieben, als uns der Ratinger Hof angeboten wurde. Wir dachten uns: Größeres Lokal, mehr Geld“, erinnert sich Knoebel. Es gab kein Konzept für den Ratinger Hof. Die beiden jungen Frauen wollten Geld verdienen: „Die Rechnung ging aber nicht auf.“

Allerdings änderte sich die Musik. Carmen Knoebel war kein Hippie. Mit 14 Jahren war sie zusammen mit ihrem Bruder 1958 auf einem Bill Haley Konzert in Berlin. „Nach 20 Minuten begann die Polizei den Saal zu räumen, weil das Publikum auf den Stühlen tanzte. Es war im Prinzip mein erstes Punk-Konzert.“ Im Ratinger Hof wurde nun auch Velvet Underground gespielt, eine Band, die in den späten 60er-Jahren von Lou Reed und John Cale gegründet worden war. In ihren Stücken ging es nicht um Liebe und indische Gurus, sondern um Sadomasochismus und das Gefühl, Heroin zu spritzen. Die Band kannte in Deutschland damals kaum jemand. Knoebel schon: „Velvet Underground war eng mit Andy Warhols Atelier „Factory“ verbunden und ich habe mich immer sehr für seine Arbeit interessiert.“

Knoebel ging es bei Velvet Underground allerdings weder um Drogen noch um Sadomaso. „Ich war auch Fan von Mothers of Invention, die ja noch vor Velvet eine neue Musik geprägt haben. Ohne Drogen.“ Auch die deutsche Avantgardeband Can fand sie spannend. Knoebel interessierte sich für Musik und nicht für Skandalgeschichten.

Der Wandel des Ratinger Hofs hatte begonnen. 1977 nahm er noch mehr Fahrt auf: Carmen Knoebel und ihr Mann, der Künstler Imi Knoebel, warfen den verbliebenen Hippie-Kitsch auf den Sperrmüll, strichen die Wände weiß und installierten Neonröhren: „Wir wollten Klarheit. Unsere Wohnung war auch sehr klar, weiß und glatt. Ich konnte den dunklen Schuppen nicht ab, in dem sich die Leute versteckten, statt da zu sein.“

Am Tag der Neueröffnung stand ein Teil des Publikums irritiert auf der Ratinger Straße, andere feierten in den neugestalteten Räumen und hatten ihren Spaß.

Noch immer kamen Studenten und Professoren der Kunstakademie in den Ratinger Hof, aber nun waren unter den Gästen immer häufiger junge Männer und Frauen, die in den kommenden Jahrzehnten die Musikszene in Deutschland ändern sollten: Tommy Stumpff und sein Kriminalitätsförderungsclub (KFC), Martina Weith und ihre Punk-Band Östro 430, Peter Hein, der mit seiner Band Fehlfarben mit „Monarchie und Alltag“ nach Ansicht des Musikmagazins Rolling Stone das beste deutschsprachige Album aller Zeiten veröffentlichte, Andreas Frege, der als Campino mit den Die Toten Hosen Stammgast im Hof war und Kurt Dahlke, der Pyrolator, der zusammen mit Robert Görl, Gabi Delgado-López, Wolfgang Spelmans und Michael Kemner hier die Deutsch-Amerikanische Freundschaft (DAF) gründete. Noch heute steht Dahlke mit Der Plan und Fehlfarben auf der Bühne. In den vergangenen 50 Jahren hat er zudem 250 Alben produziert und auf 150 mitgespielt.

So etwas wie den Ratinger Hof habe es vorher in Düsseldorf nicht gegeben, sagt Dahlke: „Imi und Carmen haben ihn entkernt. Danach war der Hippie-Muff raus.“ Dort seien Bands wie Clash und die Ramones gespielt worden. „Die Musik war uns vollkommen unbekannt.“ Carmen Knoebel hatte sie nach New York-Besuchen mitgebracht. Dort sah sie unter anderem die Ramones live im CBGBs, dem Club, in dem Punk 1974 geboren wurde und von dessen kleiner Bühne aus auch der Siegeszug von Bands wie Blondie und Talking Heads begann. „Ich bin in die Anfänge der Punk-Szene reingestoßen, als Carmen anfing, Konzerte zu veranstalten.“ Der Auftritt der britischen Punkband Wire 1978 hätte sein Leben verändert, sagt Dahlke: „Vielleicht wäre ich nicht Musiker geworden, wenn ich den Auftritt nicht erlebt hätte.“

Im Ratinger Hof hätte auch die Nähe zur Kunstakademie dazu geführt, dass sich Künstler und junge Punks gegenseitig befruchteten. Punk, sagt Kurt Dahlke, der heute in Berlin lebt, sei damals nicht nur ein neuer Musikstil gewesen. Im Zentrum hätte der Do-it-Yourself-Gedanke gestanden: „Punk machte Lust darauf, selbst Musik zu machen. Alles konnte ein Instrument sein: Eine Gitarre, ein Synthesizer, aber auch eine Dose.“

„Für mich war die Nähe zur Kunstakademie, der ganz andere Ansatz, wichtig: Der lustige, freie, künstlerische, der nicht die Härte hatte wie in Hamburg oder Berlin“, sagt Jürgen Teipel. Teipel hat mit „Verschwende Deine Jugend“ das wohl wichtigste Buch zur frühen Geschichte des Punks in Deutschland geschrieben. Punk sei auch eine Ansammlung von Leuten gewesen, die sonst keinen Platz gefunden hätten. „Im Ratinger Hof kamen sie dann alle zusammen.“ Die Düsseldorfer Szene sei damals für ganz Deutschland wichtig gewesen.

Stanislava Balueva will an diese Zeiten anknüpfen, ohne sie zu imitieren: „Was den Ratinger Hof ausmachte, war ja nicht der Punk, sondern dass er ein Zentrum war, in dem Kreative zusammenkamen, Bands gründeten und Netzwerke knüpften.“ Wie früher können heute Musiker wieder im Hof proben. Aber neben Konzerten von Bands wie den Bollock Brothers, Cheers Agnes und den Resten der Dead Boys, deren Karriere im legendären CBGB begann, finden auch Drag-Shows, Lesungen und Diskussionsveranstaltungen statt. „Wir haben hier schon Düsseldorfs Oberbürgermeister Stephan Keller auf dem Podium gehabt.“ Eines sei aber klar: „Ich bin im Herzen Punk.“

Der Hof Foto: Laurin

Auch Politik ist Balueva, die aus der Ukraine stammt, wichtig. Am Eingang des Hofs klebt ein Aufkleber, auf dem steht: „Kein Raum für Antisemitismus – We don’t need no Roger Waters“. Der ehemalige Pink Floyd Bassist ist einer der bekanntesten antisemitischen Hetzer in der Musikszene. „Nach den fürchterlichen Morden an Juden in Israel durch die Hamas, dem Überfall Russlands auf die Ukraine und dem Erstarken des Rechtsradikalismus in Deutschland, muss auch ein Club wie der Hof klar machen, wo er steht.“ Der Hof soll ein Raum sein, in dem die unterschiedlichsten Menschen zusammenkommen können. „Achtsamkeit spielt heute auch in der Punkszene eine große Rolle. Wir merken das auch an der Theke: Unsere Gäste trinken weniger und bewusster. Wer sich nur abschießen will, geht in die Altstadt.“ Nicht nur die neuen, achtsamen Punks kommen in den Hof. Auch die Toten Hosen schauen ab und an noch vorbei. „Wenn Konzerte stattfinden, die sie interessieren, sind einige von ihnen da“, sagt Balueva. Ob das neue Konzept dauerhaft trägt, ist offen. Wie viele Clubs hat auch Der Hof Mühe, seine Kosten einzuspielen. Doch Balueva ist optimistisch, dass sie und ihr Team es schaffen: „Düsseldorf braucht einen Ort wie den Hof.“

Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Welt am Sonntag

Mehr zu dem Thema:

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