„In der Notfallversorgung werden Löcher gestopft“

Magnus Memmeler Foto : Privat


Magnus Memmeler hat die Faxen dicke. „Wenn eine Nacktschnecke die Wasserversorgung aushebeln kann, sagt das etwas über die Stabilität unserer Infrastruktur aus.“

Kaya Gercek: Täglich finden wir die Begriffe Katastrophenschutz, Zivilschutz, Bevölkerungsschutz, kritische Infrastrukturen und Krisenvorsorge in den Medien. Wie zufrieden sind Sie? Hat es die Bevölkerungsschutzgemeinde endlich in das öffentliche und politische Bewusstsein geschafft?

Magnus Memmeler: Ich bin in der Tat zufrieden, dass sich immer Fach- und Sachkundige Bevölkerungsschützer lautstark aber fundiert zu Wort melden, um Korrekturbedarfe im Bevölkerungsschutz aufzuzeigen. Das stattfindende Kasperletheater zwischen Bund und Ländern und die katastrophale Krisenkommunikation machen mich jedoch unglaublich fassungslos und wenig zuversichtlich, dass nun die große Zeitenwende im Bevölkerungsschutz und der Daseinsvorsorge einsetzt.

Gercek: Offensichtlich müssen wir differenzierter nachfragen. Was läuft bei der Krisenkommunikation falsch und was passiert derzeit auf der Bund- und Länderebene, was Sie als falsch einstufen? Im Juni wirkte es doch so, als würden sich die Innenministerien von Bund und Ländern schnell einig werden können.

Memmeler: Die Überschrift „IMK: Nichts Neues für den Bevölkerungsschutz“ des Behördenspiegels bringt das Ergebnis der Herbstkonferenz der Innenministerien leider auf den Punkt. Bockige Ministerinnen und Minister bringen erneut nichts anderes zustande, als dem jeweils anderen zu wenig Engagement vorzuwerfen und mehr Einsatz von Finanzmitteln vom jeweils anderen zu fordern.

Leon Eckert von den Grünen fasst die Innenministerkonferenz auf Twitter mit den folgenden Aussagen zusammen:

„#Innenministerkonferenz 2024 soll es einen gemeinsamen Plan zur Finanzierung von #Sirenen geben. 2020 Warntag, der alle Mängel offenlegte. 2021 Flutkatastrophe mit mangelhafter #Warnung. Die Länder haben im Versuch ihre Aufgaben an den Bund abzugeben viel zu spät reagiert.“

„10 Milliarden für den #Bevölkerungsschutz sind sinnvoll aber die Länder müssen jetzt Farbe bekennen und ihren Teil für den #Katastrophenschutz beziffern. Der Bund hat genug Baustellen im #Zivilschutz. ‚IMK“

„Das gemeinsame #Kompetenzzentrum scheitert weil sich nicht alle Länder dort vollumfänglich beteiligen wollen vor den Augen der #Innenminister*innen. Mit ungelösten Koordinationsproblemen bei länderübergreifenden Lagen droht wieder das Menschenleben nicht gerettet werden können.“

Am 2.Dezember titelte die Welt „Länder geben Bund mehr Zeit für Pakt zum Bevölkerungsschutz“ Was in der Überschrift fast gönnerisch wirkt, ist nichts anderes als die flapsige Ergebniszusammenfassung, dass alle bisherigen Vorhaben für das Jahr 2023 auf mindestens 2024 verschoben wurden.

Quasi als Vorbereitung auf das Desaster der Innenministerkonferenz zeigte der Chef des BBK, wie Krisenkommunikation nicht funktionieren darf. Der „oberste Bevölkerungsschützer“, Ralph Tiesler, warnt vor möglichen flächigen Stromausfällen in diesem Winter, um dann am Folgetag zurück zu rudern und von einer missverständlichen Äußerung zu sprechen, nachdem die Bundesnetzagentur klargestellt hat, dass flächige Stromausfälle unwahrscheinlich seien. In Krisenzeiten müssen die maßgeblichen Player sich abstimmen und eine einheitliche Sprache sprechen, damit die Bevölkerung sich in kompetenten Händen fühlt. Die Schulnote für die Krisenkommunikation lautet leider immer noch mangelhaft.

Neben dem Stillstand und der gegenseitigen Blockade bei Bund und Ländern muss man zusätzlich feststellen, dass unsere Infrastruktur und die Versorgungsstrukturen in einem maladen Zustand sind, während viele Hausaufgaben schlicht nicht gemacht wurden.

Gercek: Können Sie Beispiele für die Probleme bei Infrastruktur und Versorgungsstruktur geben und welche Hausaufgaben wurden nicht gemacht?

Memmeler: Populistisch möchte ich mit der Frage einsteigen – Wie gewissenhaft gehen wir mit unseren Grundversorgungsstrukturen um, wenn eine Nacktschnecke die Trinkwasserverssorgung lahmlegen kann? Offensichtlich reichen Unzulänglichkeiten, wie ein fehlerhafter Dichtring, um Versorgungsstrukturen zu stören. Der Beitrag des SWR bestätigt, dass vielerorts die Hausaufgaben nicht gemacht wurden und zahlreiche Landkreise und kreisfreie Städte schlicht planlos sind, wenn eine Mangelsituation eintreten würde.

Auf der Homepage des Bundes lesen wir: „Anlass für sogenannte „Blackouts“ sind insbesondere schlechte Wetterbedingungen wie Stürme, Gewitter oder auch heftigen Schneefall: Strom- oder Hochspannungsleitungen werden beschädigt oder zerstört. Ein längerer und flächendeckender Stromausfall ist die Folge. Aber auch ein punktuell zu hoher Stromverbrauch kann zu einem Stromausfall führen: Beispielsweise, wenn viele Haushalte Heizlüfter oder Elektroheizungen nutzen, um in der aktuellen Situation Gas zu sparen.“

Angesichts des Jahrestages der Schneekatastrophe 2005 im Münsterland, die in der vergangenen Woche Jahrestag hatte, sind diese Aussagen des Bundes auch eine Warnung, dass wir von einer Entwarnung weit entfernt sind. Wenn solche Lagen dann auch noch durch eventuell ungeschulte Stäbe abgearbeitet werden müssen, wie es offensichtlich 2021 im Ahrtal gegeben war, dann gute Nacht Marie.

Es bedarf nur weniger unglücklicher Umstände oder bewusst gesteuerter Sabotage bedarf, um lokal Krisen auszulösen. Man stelle sich vor, diese würden von weiteren Störungen begleitet. Nicht umsonst beschäftigen sich EU und Bund derzeit intensiv mit dem Schutz kritischer Infrastruktur. Bis diese Planungen greifen, wird jedoch noch einige Zeit vergehen und es muss sich erst noch beweisen, ob hier hektisch und öffentlichkeitswirksam Placebos platziert werden oder der Schutz von kritischer Infrastruktur tatsächlich signifikant verbessert wird.

Dass neben den immer möglichen lokalen Störungen auch großflächige drohen, konnten wir in den vergangenen Tagen lesen. Wie diese Beiträge zeigen, könnten die derzeit gefeierten Lichterketten sehr schnell dunkel werden und die Meldung von gefüllten Gasspeichern nur temporär zur Beruhigung beigetragen haben. Die momentan drohende Mangellage trifft leider auf mäßig geschützte Infrastruktur und eine in den letzten Jahrzehnten kaputt gesparte Daseinsvorsorge, die traditionell am Stock geht und derzeit erneut an ihre Grenzen geführt wird.

 

Gercek: Herzlichen Dank für die zahlreichen Beispiele, die zeigen, dass noch kein Grund zur Entwarnung besteht und wir noch viel Nachholbedarf haben. Zum Abschluss provozieren Sie die Nachfrage, was denn am Zustand der Daseinsvorsorge problematisch ist und ihnen Sorge bereitet?

Memmeler: Rettungsdienste, Kliniken und Arztpraxen gehen nach drei Jahren Pandemie am Stock. Selbst in diesem „ruhigen“ Jahr gab es wenig bis keine Gelegenheiten zum Durchschnaufen, weil es immer wieder zu Personalausfällen im eh schon gebeutelten Gesundheitssystem gekommen ist. Gleiches gilt für die Altenpflege und Eingliederungshilfe, die sich bisweilen nur zu helfen wissen, indem man Patienten in die Obhut von überlasteten Kliniken übergibt.

An den derzeitigen Hilferufen der Kinderkliniken und den daraus resultierenden Medienmeldungen kann man sehr gut den Zustand unserer Daseinsvorsorge am Beispiel der Kinderkliniken herleiten.

In der Notfallversorgung werden Löcher gestopft, indem man neue Löcher aufreißt. Hochspezialisierte Kinderkrankenpflege kann nicht adäquat von Pflegekräften geleistet werden, die vorwiegend mit geriatrischen Notfällen konfrontiert sind oder sich mit der Unfallchirurgie Erwachsener beschäftigen. Dieser Versuch hier kurzfristig zu helfen, führt nur  dazu, dass Fachkräfte aus Mangelbereichen abgezogen werden, um unzureichend in der Kinderheilkunde zu unterstützen, die sehenden Auges jahrzehntelang kaputt gespart wurde, weil die DRGs absolut unpassend waren und sind, um Kinderheilkunde abzubilden und kostendeckend zu finanzieren.

Am Beispiel der Kinderheilkunde lässt sich sehr pointiert der Gesamtzustand in der Akutversorgung in der Bundesrepublik ablesen. Wie soll dann Bevölkerungsschutz, inklusive der erforderlichen klinischen Versorgung funktionieren, wenn uns eine Infektionswelle schon an die Grenzen führt?

Wenn dann auch noch die Versorgung mit Medikamenten zunehmend problematischer wird , ist klar, dass der Versorgungsdruck sich noch weiter steigern könnte. Die Novellierung der Notfallversorgung im Zusammenspiel von Kassenärzten und Kliniken in gemeinsamen Versorgungszentren ist noch nicht wirklich gestartet, was eine Lenkung von Patienten in die jeweils geeignete Versorgungsform noch zusätzlich erschwert. Ebenso sind die gemeinsamen Leitstellen von Rettungsdienst und KV noch nicht etabliert worden, die die erforderliche Vorarbeit leisten könnten.

Am Beispiel des Rettungsdienstes bringt ein Forschungsbericht der Bertelsmannstiftung den Handlungsbedarf auf den Punkt. Den Link zur Studie findet der interessierte Leser in der heutigen Linksammlung.

Der Zustand der Daseinsvorsorge macht nicht nur mir große Sorgen. Fachkräftemangel, unkoordiniertes Vorgehen, keine Resilienz bei der Kritischen Infrastruktur, Gesundheitsversorgung am Limit und Politik die Bevölkerungsschutz für medienwirksame Besuche missbraucht, statt endlich zu schauen, ob wenigstens kleine gemeinsame Schritte möglich sind, sind einfach schlechte Voraussetzungen um einer multiplen Risikolage begegnen zu können.

Um zum Schluss noch einmal auf die Eingangsfrage zurück zu kommen, muss ich sagen, dass ich froh um jeden bin, der die Probleme in der Daseinsvorsorge und im Bevölkerungsschutz klar benennt, damit möglichst zeitnah zumindest ein langsames Erwachen stattfindet. Offensichtlich fehlt es ja noch immer am Bewusstsein, wie fragil die  subjektiv wahrgenommene Sicherheit ist. Sorgen Sie bitte alle vor, solange sich Bund und Länder noch im Sandkasten prügeln und die Notfallversorgung nicht nachhaltig novelliert wurde.

Gercek: Herzlichen Dank.

Linksammlung:

EU zum Schutz kritischer Infrastruktur: https://www.heise.de/downloads/18/3/6/4/8/1/0/6/TA-9-2022-0394_DE.pdf

Pläne des Bundes zum Schutz kritischer Infrastruktur: https://netzpolitik.org/2022/kritis-dachgesetz-innenministerin-faeser-will-kritische-infrastruktur-physisch-besser-schuetzen/

Eckpunkte für ein KRITIS-Dachgesetz: https://intrapol.org/wp-content/uploads/2022/11/Eckpunkte-fuer-ein-KRITIS-Dachgesetz-Stand-25.11.2022.pdf

Dokumentation der Innenministerkonferenz: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw47-de-inneres-heimat-918230

Ungeschulter Krisenstab im Ahrtal: https://rp-ga-epaper.s4p-iapps.com/artikel/993433/24804009?fbclid=IwAR2v4TsF_VOYy4YUC_ffzqgeDV2kq7LsRtquTiy3MUco3dR4HpvEyRzPCbs

https://www.faz.net/agenturmeldungen/dpa/flutkatastrophe-zeugen-erlebten-add-stab-als-ungeschult-18487603.html

Beispiel für Länder fordern: https://www.n-tv.de/regionales/sachsen-anhalt/Zieschang-fordert-vor-Konferenz-verbesserten-Zivilschutz-article23751602.html

Studie zur erforderlichen Neustrukturierung des Rettungsdienstes: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/neuordnung-versorgungslandschaft/projektnachrichten/notfallversorgung-und-rettungsdienst-in-deutschland

Thesen zur Zukunft der Stabsarbeit: https://crisis-prevention.de/innere-sicherheit/thesen-zur-zukunft-der-stabsarbeit.html?fbclid=IwAR3cv8UVkadGRR2HgDyQDSiwigRwysDn2Dnrw8oTDkMMMc5Exckg7AbYt_Q

Jahrestag der Schneekatastrophe im Münsterland. https://www.wetteronline.de/wetterticker/jahrestag-schneechaos-im-muensterland–9b579a55-9d77-42cf-88e9-911b0bb8c6f1

Hilfestellung zur Arbeit von Krisenstäben: https://akademie-oeffentliches-gesundheitswesen.github.io/krisenmanagment/chapter_4.html

Kleine Anfrage der Union zum Zustand des Katastrophenschutzes: https://dserver.bundestag.de/btd/20/045/2004592.pdf

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Reginald
Reginald
1 Jahr zuvor

Leider leben wir in einer Zeit wo Dank der Umwandlung der kommunalen Versorger in GmbHs nur noch völlig ungeeignetes Personal in Positionen sind,wo Sie einfach nichts verloren haben.So wird es nichts werden.

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