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In der Stadt besitzt niemand ein Bauernhaus

rotunde (8)Die Theaterproduktion „Oy,Oy,Oy“ der Gruppe „Freie Radikale“ in der Rotunde Bochum. Von unserer Gastautorin Anne Winterhager.

Warum lebst du in der Stadt?

Warum lebst du in der Stadt?

Weiß ich doch nicht warum.

Wahrscheinlich, weil

Weil, weil, weil, …

Weil mir auf dem Land nichts gehört.

Weil also, wenn ich ein Bauernhaus hätte…“ 

Was ist  Stadt für mich? /

Hat sie einen Rhythmus?/Findet meine Stadt in Ecken statt oder auf Plätzen? / Ist sie dunkel oder hell? / Und wie kann etwas so eng sein und gleichzeitig aufs Brutalste unpersönlich? / Hört sie sich an wie das Geklacker von abertausend Schuhsohlen auf dem Asphalt der Fußgängerzone – oder ist das Klischee?  / Ist Stadt Klischee? / Riecht sie nach AMONIAK? / Und kann man  eigentlich noch irgendeinem von diesen Stadtsäcken vertrauen? 

Wie heißen meine Nachbarn? / Gucken Städter durch mich durch, oder lassen sie mich so wunderbar in Ruhe? / Gehen die Menschen in  Fußgängerzonen wirklich im Gleichschritt – oder ist das bloß Ge-Unke geplagter Individualisten? / Und was wollen eigentlich die kleinen Hipster da – so wie alle sein oder jemand Besonderes?  / Und gibt es für mich als Dorfkind eigentlich je die Möglichkeit in der Stadt so richtig anzukommen? / Ist das genetisch? / Und will ich das?

 Wie ist es denn nun, wenn alle gucken? Geil oder scheiße? /

Sitzt in der Stadt die geballte Macht? / Ist diese Macht ein riesiges Insekt? /Und wann kommt eigentlich die Natur  zurück. / So richtig schön durch die Ritzen unserer stätischer  Müllhalden. /Gibt es dann eigentlich irgendwann Zombies?/

Und welche Stadt ist eigentlich meine Stadt?

Fragen, die ich mir immer wieder zur Stadt stelle, kommen fast alle auch in dem Theatermusikperformancetanzstück von Günfer Cölgecen , einer preisgekrönten Bochumer Regisseurin, Theaterpädagogin und Schauspielerin, auf.  Zusammen mit ihrer Theatergruppe „Freie Radikale“ hat sich dem Wahnsinn gestellt, die irre, launische Diva Stadt einzufangen und auf die Bühne zu bringen, ohne sie allzu sehr zu bändigen.

Die Stadt in all ihrer Vielfalt, Diversität und Ambivalenz, fühlbar und fragmentiert auf der Bühne; dabei geht es nicht darum, eine klassische Geschichte zu erzählen,  sondern erlebte Phänomene aufzuzeichnen und in Theatersprache zu übertragen:  Die Stadt lebt auf, getragen von automatischem Schreiben und dem Bühneneinsatz von Stimme und Körper, Ton und Musik, Licht und Bildender Kunst.

Woher die  ganzen Stadteindrücke stammen? Aus der Stadt! Im Gegensatz zu manchen Theaterleuten, die lieber tagein tagaus auf dunklen Probebühne verweilen, hing Günfer Cölgecen  mit ihren Leute ganz massiv  in ihrer Heimatstadt Bochum herum, suchte Geräusche, Bilder, Reaktionen, Sprache, Pommes-Buden und beobachtete die Reaktionen ihres Teams darauf. Die Truppe ging sogar unter Tage, starrte Maschinen an – und die Regisseurin schrieb hinterher mit der Technik des automatischen Schreibens alle ihre Eindrücke nieder, teils auch onomatopoetisch-lautmalerisch. Viele ruhrgebietstypische Dinge findet man so im Stück natürlich wieder. Wer gut aufpasst kann vielleicht das Gequietsche der alten „Nokia-Bahn“ hören, die in den  Bochumer Hauptbahnhof einfährt.

Und hinterher?

Ein Riesen-Ensemble, eine kleine Bühne, extra zu eng, extra gut durchgemischt: Laien und Profis, männlich und weiblich, Groß und Klein, jung und älter. Freie Radikale. Ihre Gesichter alle unterschiedlich, ihre Körper alle in den gleichen, mit fluoreszierender Farbe angepinselten  grün-gelben Mänteln, die verstecken wollen (aber nicht können) dass sich darunter Unterschiedliches verbirgt. Alle versuchen sich in der engen Stadt auf den Beinen zu halten, suchen ihren Rhythmus, ihren Chor miteinander oder gegeneinander. Mal synchron, mal asynchron, mal angepasst, mal emanzipatorisch. Der Kampf einer überfüllten Fußgängerzone, die  Schönheit und der Erstickungstod auf der Bühne – und der Schauspieler kein erhabenes Wesen, sondern einer, der wie jeder andere selbstgewählte Stadtneurotiker,  damit klar kommen muss, maximal 1 qm Platz zur Verfügung zu haben.

Zum Schluss noch die Anmerkung: es gibt verdammt viel Styropor und die wunderbar banale Erkenntnis dass Ruhrpottkind, zwei ts in der Mitte hat. –

Ladies and Gentlemen: Lassen sie sich berauschen!

„Ruhrpottkind hat zwei ts in der Mitte

Als Ruhrpottkind ist man halt kein Landei.

Die Landeier sind immer überrascht,wenn die hier herkommen.

Die denken, hier wäre alles grau gelb.

Ist es aber nicht.

Hier ist es grün. Grün. Grüner als man denkt.

Und mitten im Grün diese Flächen, riesig.

Und mittendrin das Ruhrpottwesen.

Unbehauen, unkompliziert, ungeschminkt.

Immer direkt. Kommt auf den Punkt.“

Termine in der Rotunde, Konrad Adenauer Platz 3, 44787 Bochum:

4.7. (Premiere / 20 Uhr)

5.7. (20 Uhr),

10.7. (20.30 Uhr),

11.7. (20.15. Uhr – einzelne Auszüge im Rahmen von Bochum TOTAL)

14.7. (18 Uhr),

25.9. (20 Uhr).

Kartenreservierung möglich unter: kartenreservierung@freieradikale.eu

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