Juden sind kein Teil des polnischen Volks!

Polen hat einen neuen Ministerpräsidenten von Kaczynskis Gnaden. Das ist hier an einigen im Lande vorbei gegangen, und diejenigen, die es mitbekamen, werteten es meist als positives Zeichen. Von einer „Annäherung an die EU“ war da die Rede. Dabei übersah man meist, dass der Wolf schlicht Kreide gefressen hatte. Im Rahmen des Erinnerns an die Shoah könnte man nun die Augen öffnen – tut es aber nicht.
Kamarilla-Kaczynski hatte zuvor die vor allem auf dem Land beliebte Beata Szydlo, politisch ebenso unappetitlich wie er, abgesägt und Morawiecki installiert, bevor eben jene ihm hätte innerparteilich gefährlich werden können.
Morawiecki nun schoß in der vergangenen Woche erstmals gegen Deutschland: mit dem Mut des Dummen wies er darauf hin, dass angeblich das deutsche Justizsystem nicht unabhängig wäre – haltet den Dieb, rief da der Dieb. So richtig interessierte das hierzulande niemanden, war es zu durchsichtig, will man doch in Deutschland zu sehr einfach Ruhe haben.

Nun verabschiedete die Regierung Morawiecki (die ehrlicherweise eigentlich das „Kamarilla-Kaczynski-Kabinett II“ heißen sollte), ein Gesetz das nun weltweit festlegen soll, was man über Polen im Zweiten Weltkrieg sagen darf und was nicht.

Die tagesschau fasst es wie folgt zusammen:

Am Freitag hatte das Parlament das Gesetz verabschiedet. Danach droht künftig jedem eine Geld- oder Haftstrafe von bis zu drei Jahren, der die Todeslager der Nazis im besetzen Polen fälschlicherweise als „polnische Lager“ bezeichnet. Das Gesetz soll für polnische Bürger und für Ausländer gelten. Es gilt als sicher, dass es auch den Senat passieren wird, bevor es es der Präsident mit seiner Unterschrift in Kraft setzt.

Die Kritik aus Israel war den Polen egal, und in Deutschland sagte Iran-Freund Gabriel natürlich gar nichts. Und auch die oben dargestellten Tweets des polnischen Premiers interessierten nicht wirklich. Es ist dabei aber kein Zufall, dass Morawiecki von „Jews, Poles and…“ spricht. Er folgt damit einer Diktion, nach der ein Pole kein Jude, und ein Jude eben kein Pole sein kann. Jüdische Polen gibt es danach nicht. Das hat geschichtliche Tradition, und war schon im Polen der vor nazideutschen Besatzungszeit lange Usus, aufgeweicht nur kurzzeitig von Reformbemühungen des heutzutage in Polen verklärten Autokraten Piłsudski.

Der andere, obige Tweet macht noch deutlicher, dass die gewählte Formulierung kein Zufall war:

Polen und Israel haben 2016 eine Erklärung herausgegeben, in der sie allen Versuchen widersprachen, die Geschichte des polnischen und des jüdischen Volkes zu entstellen – durch das Leugnen oder Verkleinern der Opfer der Juden während des Holocaustes oder durch die Verwendung falscher Begriffe wie „polnische Todeslager“.

Das polnische Volk in Polen. Das jüdische Volk in Israel.
Die eigene jüdische Geschichte Polens sieht der Ministerpräsident nicht.
Und der EU ist das egal.

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Gerd
Gerd
6 Jahre zuvor

Will der Autor leugnen, dass die Juden ein Volk sind oder will gar unterstellen, dass die Tagesschau eine vertrauenswürdige Quelle in Sachen konservative Parteien/Politiker ist?

Schwer zu sagen was absurder wäre.

thomas weigle
thomas weigle
6 Jahre zuvor

In den 90ern stellte die SGE der Jüdischen Gemeinde Frankfurts einige 100 Freikarten zur Verfügung. Nach einiger Zeit meldete sich die SGE-Geschäftsstelle bei Ignaz Bubis mit der Bemerkung, dass "seine Landsleute noch keine Karten abgeholt" hätten. Die Antwort von Bubis war nur peinlich für die SGE. "Er", also Bubis, "habe in der Zeitung gelesen, dass bereits 30.000 seiner Landsleute eine Karte für das betreffende Spiel erworben haben."

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
6 Jahre zuvor

@Gerd: Leugnen, dass Abstammung und Staatsangehörigkeit nicht selten unterschiedliche Wurzeln haben, *das* ist absurder als jeglicher Relativismus des äußerst rechten Spektrums – sowohl in Polen als auch hierzulande.

thomas weigle
thomas weigle
6 Jahre zuvor

@Klaus Lohmann Ignaz Bubis wusste auch von einem deutschen Bundespräsi zu berichten(Weizäcker oder Herzog), der ihm Grüße an "seinen Präsidenten" mit auf den Weg gab. Dass die Juden nicht zum deutschen Volke gehören, ist eine Meinung, die weit bis ins liberale Bürgertum reicht. Vor 1933 jedenfalls wünschte sich ein großer Teil der deutschen Juden kaum etwas sehnlicher als als gleichberechtigter Teil des deutschen Volkes angesehen zu werden.

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
6 Jahre zuvor

@thomas weigle: Dazu passt, dass die deutsche Wehrmacht und ihre "Chefs", allen voran der GröFaZ, ab '39 bei der Annektierung Polens als "neuen Lebensraum" immer von "Polen und Juden" sprachen – wobei für beide Abstammungsbegriffe im Nazi-Sprech die Abstraktion "Untermensch" galt.

Klaus R.
Klaus R.
6 Jahre zuvor

"..und in Deutschland sagte Iran-Freund Gabriel natürlich gar nichts."

Man muß auch nicht zu jedem Rülpser aus Israel etwas sagen. Das Polen ein Problem mit dem Begriff "polnischen Todeslager" hat, kann ich voll und ganz nachvollziehen. Korrekt müsste es heissen: "deutsche Todeslager im besetzten Polen".

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
6 Jahre zuvor

@Klaus R.: Lesen Sie doch bitte mal Jan Tomasz Gross’ Bücher "Nachbarn" oder "Angst" (nur als Beispiel) über den polnischen Antisemitismus während und direkt nach dem Krieg und dessen "tragender Säule" aus dumpfem Nationalismus und Katholizismus, über die Frage, warum die Shoa in der polnischen Bevölkerung kein Trauma ausgelöst hatte und warum es *nach* dem Kriegsende zu Progromen gegen jüdische Polen gekommen war (was dann wiederum den Buchtitel mit "Angst" vor einer Rückkehr der Juden erklärt).
Und Jan Tomasz Gross’ Recherche und Beurteilung wird heute von vielen Polen (nicht von der Regierung) als "korrekt" angesehen.

Gerd
Gerd
6 Jahre zuvor

„Auschwitz ist eine der bittersten Lektionen wie eine böse Ideologie zur Hölle auf Erden frühen kann. Juden, Polen und alle Opfer sollten Wächter der Erinnerung an die sein, die von deutschen Nazis ermordet wurden.

Polen und Israel haben 2016 eine Erklärung herausgegeben, in der sie allen Versuchen widersprachen, die Geschichte des polnischen und des jüdischen Volkes zu entstellen – durch das Leugnen oder Verkleinern der Opfer der Juden während des Holocaustes oder durch die Verwendung falscher Begriffe wie „polnische Todeslager“.“

Diese Aussage soll bedeuten, dass polnische Juden für den polnischen Ministerpräsidenten keine Polen sind!? Eine Behauptung, die der Autor – ein erklärter Gegner der polnischen Regierung – mit einem Wikipedia Artikel über polnischen Antisemitismus aus den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts ‚belegt‘. Das ist nicht an den Haaren herbeigezogen, das ist völlig aus der Luft gegriffen. Ein offensichtlicher Versuch einen Skandal durch Über- und Falschinterpretation herbeizuschreiben.

Klaus R.
Klaus R.
6 Jahre zuvor

#8 @Klaus Lohmann: Natürlich gab es auch in Polen Antisemitismus und Pogrome. Trotzdem waren es eindeutig deutsche Soldaten, die die Lager gebaut und betrieben haben und dort Millionen von Menschen ermordet haben. Gerade diese industrielle Vernichtung von Menschen war ein Alleinstellungsmerkmal der deutschen Kriegsführung. So zu tun als wären die Polen daran beteiligt gewesen ist unredlich.

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
6 Jahre zuvor

@Klaus R.: Unredlich ist es, wie der neue polnische Ministerpräsident so zu tun, als hätte man keinerlei Verantwortung. Selbst die allgemeine Gleichgültigkeit über das jüdische Schicksal, die lt. Gross in großen Teilen der damaligen Bevölkerung herrschte, ist ein Zuviel an Ignoranz.

@Gerd: Wenigstens ein klein bisschen Wiki-Lesen sollte es vorab schon sein, um sich zumindest nicht völlig ahnungslos zu zeigen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Juden_in_Polen#Zunehmender_Antisemitismus

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