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Katastrophenschutz: Was aktuell zu leisten ist…

Hochwasser in Kordel By Chz – Own work, CC BY-SA 4.0, 

Einige Leserinnen und Leser werden unseren Interviewpartner kennen.  60 Mal unterhielten sich die Ruhrbarone über das Corona-Management mit Magnus Memmeler. Wir haben mit dem ausgewiesenen Kenner des „deutschen Katastrophenschutzes“ gesprochen.

Ruhrbarone: Heftige Unwetter haben im Westen Deutschlands zu einer unbeschreiblichen Hochwasserkatastrophe geführt. Die Bilder sind für unbetroffene und nicht beteiligte Menschen nur schwer einzuordnen. Was muss der Katastrophenschutz, den Sie ja sehr gut kennen, aktuell leisten? Was sind die größten Herausforderungen?

Memmeler: Im Gegensatz zu allen bisherigen Hochwasserereignissen in der Bundesrepublik, ist das zerstörerische Ausmaß aktuell besonders groß. In den am härtesten betroffenen Regionen sind große Teile der Infrastruktur innerhalb von einigen Stunden vernichtet worden und sind deshalb auch für den Katastrophenschutz nicht nutzbar.

Die logistische Herausforderung, die zu leisten ist, ist schlicht nicht zu unterschätzen und für viele Bürgerinnen und Bürger wahrscheinlich auch nicht wirklich vorstellbar, da die Lage nicht ihrer gewohnten Alltagsrealität entspricht.

Um das Ausmaß des Einsatzes zu begreifen, muss man sich vergegenwärtigen, dass sich inzwischen tausende Katastrophenschützer im Einsatz befinden oder aus allen Teilen der Bundesrepublik auf dem Weg in die Schadensgebiete sind.

In NRW und Rheinland-Pfalz befinden sich Strömungsretter aus zahlreichen Bundesländern im Einsatz, um Menschen aus ihren Häusern zu retten, mit Panzern müssen Zuwegungen geschaffen werden, damit Menschenrettung ermöglicht wird, zahlreiche Hubschrauber sind an der Evakuierung von Krankenhäusern und Pflegeheimen beteiligt und verschaffen von oben einen Überblick, um Schadensgebiete bewerten zu können. Alle Einheiten, die sich bereits im Einsatz befinden oder sich auf den Weg in die Schadensgebiete befinden, müssen sich darauf einstellen, dass sie mehrere Tage im Einsatz gebunden sein werden.

Einige dieser Einheiten werden auf den Weg gebracht, nachdem sie zuvor 24 oder 48 Stunden in der eigenen Region Hochwasserschäden beseitigt haben oder betroffene Mitmenschen betreut haben.

Aufgrund der folgenschweren Unwetter in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz wurde durch das Verteidigungsministerium der militärische Katastrophenalarm ausgelöst. Damit können nun Bundeswehrkräfte vor Ort über ihr Vorgehen entscheiden, wenn dem Militär eigene Einsatzabschnitte zugewiesen werden. Das Ausmaß der Schäden hat dazu geführt, dass sonst recht aufwendige Anforderungswege ausgehebelt wurden und sehr dezentral Anforderungen durch die Bundeswehr bearbeitet werden können.

In der Tat entscheiden derzeit Standortleitungen von Bundeswehrstandorten, welche Ressourcen sie lokal in den Einsatz bringen können. Am Beispiel von Hagen konnte man erkennen, wie schnell dieses Vorgehen wichtige taktische Mittel verfügbar machen konnte, um abgeschnittene Ortsteile wieder erreichbar zu machen. Kritische Beobachter flüsterten hinter vorgehaltener Hand, dass der Bundestagswahlkampf hier eventuell beschleunigend gewirkt hat. Wenn es so wäre, wäre das bitter und sollte zeitnah genauso, wie aktuell gelebt, als Regel formuliert werden, wenn die Zivil-Militärische-Zusammenarbeit (ZMZ) gefordert ist.

Neben den Schadensereignissen und den damit vor Ort bestehenden Herausforderungen, muss vor Ort parallel Infrastruktur geschaffen werden, um den Helfern, die aus dem Bundesgebiet anreisen, die Arbeit vor Ort zu ermöglichen. Katastrophenschutz bedeutet Logistik unter Zeitdruck und mit einer extrem geringen Fehlertoleranz. Als sei das noch nicht genug, müssen auch Hilfsangebote aus der Bevölkerung koordiniert werden, damit sich aus gut gemeinten Vorhaben nicht neue Risiken ergeben.

 


Magnus Memmeler mit Maske Foto: Privat

Magnus Memmeler (53 Jahre) lebt in Kamen. Seit über 31 Jahren arbeitet er im Rettungsdienst und Katastrophenschutz. 25 Jahre davon hat er diverse Leitungsfunktionen eingenommen. Er war beauftragt zur Organisation des Sanitätsdienstes beim DEKT in Dortmund und Verantwortlicher einer großen Hilfsorganisation bei der Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten in den Jahren 2013 – 2018. Er war zudem Mitglied bei der Stabsarbeit von Bezirksregierungen und in Arbeitskreisen des Innenministeriums bei der Konzeption von Katastrophenschutz-konzepten.

 

 


Ganz platt ausgedrückt, kann man neben den bekannten Herausforderungen sagen, dass lokale Helferpotentiale aus dem Einsatz gezogen werden müssen, um Spontanhelfer aus der Bevölkerung zu lenken und um Einsatzkräften aus anderen Regionen ihr Einsatzgebiet zuzuweisen, weil Helferinnen und Helfer aus Baden-Württemberg in Erftstadt wahrscheinlich als ortsunkundig eingestuft werden müssen, da nur so das Einsatzgelingen an den folgenden Tagen sichergestellt werden kann.

Diese Erklärung schiebe ich bewusst ein, weil sich manch ein Mitbürger sicherlich fragt, warum Katastrophenschützer an Autobahnraststellen rumlungern, statt die Evakuierung zu unterstützen oder Keller auszupumpen. Diese Kolleginnen und Kollegen sorgen dafür, dass überregional angeforderte Komponenten gut in den anstehenden Einsatz geführt werden, indem sie die Helferinnen und Helfer aus anderen Bundesländern an Autobahnraststätten oder andernorts in Empfang nehmen.

Wegen der hier nur grob beschriebenen Komplexität und der überregional andauernden Lage kritisiere auch ich, dass nicht bereits am Mittwoch der Koordinierungsstab der Landesregierung NRW einberufen wurde. Streng genommen muss man in der weiteren Betrachtung prüfen, ob es sich hier nicht um vorsätzliches Führungsversagen gehandelt hat, um die Lage zunächst etwas harmloser erscheinen zu lassen.

Ruhrbarone: Vorsätzliches Führungsversagen ist ein nicht unerheblicher Vorwurf. Womit begründen Sie und andere Kritiker diesen Vorwurf, was hätte eine interministerielle Koordinierungsgruppe leisten sollen?

Memmeler: Allen geschulten Beobachtern war sehr schnell klar, dass lokale Strukturen, angesichts des Schadensausmaßes, sehr schnell auf überregionale Hilfe angewiesen sein werden, die aus anderen Regierungsbezirken, landesweit und sogar bundesweit abgerufen werden müssen. Diese Koordination ist durch gute Stabsstrukturen in Landkreisen, Regierungsbezirken und im Innenministerium abbildbar.

Ebenso schnell war aber auch klar, dass Ausfälle bei der Energieversorgung, der Trinkwasserversorgung und sogar der Behördenstrukturen zu beklagen waren. Zusätzlich wurde recht rasch klar, dass sehr schnell Lösungen für zerstörte Infrastruktur zu schaffen sind, um sich nicht dauerhaft hinter der Lage zu befinden.

Wer koordiniert die Aktivitäten der Energieversorger, um die Strom- und Gasversorgung in den betroffenen Regionen schnell wieder sicher zu stellen? Neben der übergangsweisen Notversorgung mit Trinkwasser muss die schnelle Reaktivierung der regelhaften Trinkwasserversorgung koordiniert werden. Dort, wo es heute oder in einigen Tagen bereits möglich erscheint, muss die Wiederherstellung von Bahnverbindungen und Straßenwegen eingeleitet werden. Betreiber von Stauseen müssen eingebunden werden, um die Resilienz dieser Strukturen beurteilen zu können. Und, und, und. Zusätzlich müssen sehr schnell die Infrastrukturen ertüchtigt werden, die benötigt werden, um zigtausend Helferinnen und Helfer in den Schadensgebieten zu beherbergen und zu versorgen, um die akute Phase zu überstehen.

Immer wiederkehrende Spendenchaos

Ich versuche an recht banalen Beispielen festzumachen, warum sehr schnell mehrere Ressorts an den Tisch müssen. Bereits jetzt ist klar, dass wir sehr große Geldmittel benötigen werden, um die Schäden bewältigen zu können. Hier wäre das Finanzministerium gefordert, schnell eine realistische Einschätzung vorzunehmen, welche Ressourcen in der noch andauernden Pandemielage überhaupt zur Verfügung stehen. Zusätzlich hätte man unmittelbar einen zentralen Spendenfond gründen können, um das immer wiederkehrende Spendenchaos an die zahlreichen Hilfsfonds, die sicherlich alle helfen wollen, vermeiden zu können.

Neben Deutschland Hilft und den kirchlichen Vertretern rufen alle einzelnen Hilfsorganisationen zu spenden auf und werden flankiert durch unzählige spontan gegründete Hilfsfonds. Wenn man unmittelbar vor die Kameras tritt und schnelle unbürokratische Hilfe verkündet, muss diese auch strukturiert werden.

Nach dem Oderhochwasser hat es etliche Jahre gedauert, bis alle Spenden identifiziert und am Ende auch verteilt waren. Was hat man daraus gelernt? Nichts!

Das Wirtschaftsministerium hätte unmittelbar die Koordination der Einbindung von Energieversorgern, Telekommunikationsunternehmen und Wasserversorgern unterstützen können. Flankierend hätte das Gesundheitsministerium einen Überblick über intakte medizinische Versorgungsstrukturen erstellen können, um die zahlreichen Evakuierungsmaßnahmen aus Kliniken und Senioreneinrichtungen zu unterstützen.

Zusätzlich hätten so Verlegungen aus Kliniken im Schadensgebiet eingeleitet werden können, um die lokale Notfallversorgung in den Schadensgebieten zu erleichtern, denn die Bilder, die wir alle im TV sehen, legen nahe, dass noch viele Patienten in den Kliniken der Schadensgebiete zu versorgen sind. All diese Aktivitäten müssen sodann durch das Innenministerium bedarfsgerecht koordiniert werden, um jederzeit ein möglichst aktuelles Lagebild zu erhalten, um das weitere Einsatzgeschehen zielgerichtet leiten zu können.

Ich reiße hier die einzelnen Aufgaben bewusst nur an, da wir uns hier sicherlich mehr an die breite Bevölkerung, als denn an die Katastrophenschutzexperten wenden.

Wie sehr der Katastrophenschutz inzwischen zum politischen Thema geworden ist, was wir uns ja auch alle gewünscht haben, wird an den ersten recht unverblümten Ankündigungen des Bundes klar. Laut der Regierungssprecherin Martina Fietz will die Bundesregierung den Ablauf der Katastrophenhilfe, bei der die Bundesländer und Landkreise die Führung haben, nicht bewerten. Angesichts der dramatischen Lage in den überfluteten Gebieten sei jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um über mögliche Änderungen der Kompetenzen für die Katastrophenhilfe zu sprechen.

Sie fügte hinzu: „Welche Schlüsse möglicherweise irgendwann aus den aktuellen Ereignissen zu ziehen sind, wird sich zeigen.“ Jetzt gehe es erst einmal darum, die Sicherheit der Menschen zu gewährleisten. Der Bund hat im Katastrophenschutz in Friedenszeiten keine unmittelbaren Zuständigkeiten, kann aber auf Anforderung der Länder mit Einsatzkräften und Material helfen.

Die Kritik an der Performance des Bundesinnenministeriums in der Pandemiebewältigung scheint angekommen zu sein und führt nun dazu, mehr Zuständigkeit einzufordern.

Ruhrbarone: Neben der herausfordernden Lage in den Schadensgebieten erwachsen also auch neue Begehrlichkeiten? Was sind aus Ihrer Sicht die zukünftigen Herausforderungen, um solchen oder anderen Lagen noch besser begegnen zu können?

Memmeler: Beginnen wir mit den banalen Hausaufgaben, die seit Jahren in den Schubladen ruhen, da die bequemen bestehenden Strukturen behördlich leichter zu verwalten waren. Wie bereits in unseren Interviews zur Pandemiebewältigung erwähnt, verfügen alle Hilfsorganisationen über fakultative Ausstattungskomponenten, die teilweise nicht einmal in den Organisationen flächig erfasst sind.

Wir verfügen also über Ressourcen, die in großen Teilen unbekannt sind und deshalb in keinem überregionalen Alarmplan Berücksichtigung finden.

Watfähige Fahrzeuge – zentral nie erfasst

Die vom Land mitfinanzierten und verwalteten Wasserrettungszüge sind bekannt und befinden sich auch im Einsatz. Dass der eine oder andere Verband über Boote verfügt, weil diese für regionale Lagen vorgehalten werden weiß niemand, weshalb diese auch wie Bitterbier angeboten werden müssen, was teilweise zu Frust führt, weil sie dennoch nicht abgerufen werden. Alle Hilfsorganisationen verfügen über watfähige Fahrzeuge, z.B. Unimogs, die in den extrem unwegsamen Einsatzgebieten das Einsatzmittel der ersten Wahl wären. Auch diese Sonderfahrzeuge sind zentral nie erfasst worden, obwohl sich viele dafür eingesetzt haben. In NRW habe ich diese Forderung als Mantra immer wiederkehrend vorgetragen.

2017 gründeten die Johanniter in NRW UNIKE (Universelle Katastrophenschutz-Einheit), die sich ausschließlich aus geländegängigen Fahrzeugen zusammensetzt und so aufgestellt wurde, dass sie 1 zu 1 die Anforderungen an die beschriebene Einsatzeinheit NRW erfüllt, um den Mitarbeitenden im Innenministerium und innerhalb der Bezirksregierung den taktischen Wert an bekannten Katastrophenschutzeinheiten zu verdeutlichen. Der Bauer isst nämlich nicht, was er nicht kennt.

Diese Einheit besteht ausschließlich aus fakultativ in den Regionalverbänden vorgehaltenen Ressourcen und sollte quasi der Anstoß sein, die Forderung zu erfüllen, diese Mittel auch zu erfassen. Obwohl in 2017 und 2018 alle Landkreise, Bezirksregierungen und das Innenministerium aufwändig und mehrfach über den taktischen Wert informiert wurden, kam es in dieser Woche nicht zur Alarmierung, da diese Einheit in keiner Ausrückerordnung aufgenommen wurde.

Gleiches gilt für bundesweit hunderte ELW (Einsatzleitwagen), die von den Hilfsorganisationen für zum Beispiel Sanitätsdienste vorgehalten werden. In allen Schadensgebieten im Westen Deutschlands sind nun zahlreiche Einsatzabschnitte zu bilden, in denen die Lagebilder erfasst werden müssen, die Kräfte geführt werden müssen und diese Meldung an einer zentralen Stelle zusammengeführt werden müssen, um ein komplexes Lagebild zu erhalten.

Wegen der zum Teil fehlenden Telekommunikation und um die eingesetzten Kräfte korrekt führen zu können, werden momentan viele dieser ELW benötigt. Manche Verbände verfügen sogar über geländegängige ELW, die man nun quasi mitten in die Schadengebiete verbringen könnte, um zum Beispiel geländegängige Krankenwagen und Strömungsretter zu führen.

Meine Aufführung soll nicht dazu führen, dass nun alle Leserinnen und Leser denken, dass in den Einsätzen ausschließlich eine Mangelverwaltung besteht. Sehr wohl könnte es aber noch effektiver laufen. Hierzu ein kleines Beispiel:

Noch werden Boote und ggf. sogar Taucher in den Einsatzgebieten benötigt. Ich weiß, dass beides in Lübeck bei mir bekannten Standorten vorrätig ist. Die derzeitigen Planungen der beteiligten Innenministerien sehen vor, dass die Ablösung der aktuell im Einsatz befindlichen Kräfte in einigen Tagen ansteht. Wenn nun in eventuell 3 Tagen Kräfte zur Ablösung aus Schleswig Holstein angefordert werden, ist das Wasser hoffentlich so weit zurückgegangen, dass Boote und Taucher aus Lübeck nicht mehr benötigt werden. In der akuten Phase wären sie jedoch Gold wert gewesen, um noch schneller noch mehr Menschen helfen zu können. All das, weil niemand wirklich weiß über welche Mittel wir tatsächlich im Katastrophenschutz verfügen.

Um nicht ganz so weit in die Ferne zu schweifen. Im Kreis Lippe steht mindestens auch noch ein Unimog der eingesetzt werden könnte aber derzeit darauf wartet, dass die Einheiten aus Lippe zur Ablösung anreisen sollen. Ja, diese Einzelkomponenten sind derzeit nur schwer zu lenken. Wenn sie aber denn erfasst gewesen wären, bestünde auch ein beschriebenes Vorgehen zu deren Einsatz und außerdem würden so Doppelverplanungen vermieden, wenn Anforderungen von Menschen angestoßen werden, die wie ich über das Wissen verfügen, wo man was abfragen könnte.

Aus Sicht des Leiters des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Armin Schuster, hat die Unwetterkatastrophe gezeigt, dass die geplanten Reformen bei der Bewältigung länderübergreifender Krisen nicht warten können.

„Wir kommen mit der bereits beschlossenen Neuausrichtung im Bevölkerungsschutz genau dahin, wo wir hin müssen“, sagte Schuster am Freitag der Deutschen Presse-Agentur.

Allerdings müsse die Geschwindigkeit bei der Umsetzung der Neustrukturierung erhöht werden. Diese völlig neuen und selbstbewussten Äußerungen basieren auf den Bund- und Länderbeschlüssen der Innenministerkonferenz im Juni. Die Innenministerkonferenz hatte sich darauf geeinigt, beim BBK ein gemeinsames Bund-Länder-Kompetenzzentrum einzurichten.

Dort sollen im Krisenfall alle an der Bewältigung einer akuten Krise beteiligten Akteure zusammenkommen. Um zukünftig eine bessere Koordinierung zu gewährleisten, sei es wichtig, dass in einem solchen Fall, wo an verschiedenen Orten gleichzeitig Trinkwasser, Rettungshubschrauber, Bergungsfahrzeuge und Helfer benötigt werden, alle an einem Tisch sitzen, betonte Schuster nun mehrfach in diversen Interviews.

Ganz CDU betonte Schuster aber auch schnell: Wenn man jetzt nur über Klimaschutzpolitik diskutiere, greife das zu kurz.

Aus seiner Sicht sei es daneben auch wichtig, „dass alle einen Ernstfall mit multiplen Problemlagen für ein realistisches Szenario halten.“, für das sich Deutschland wappnen müsse. Und weiter: „Wir müssen eine nationale Strategie zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit und Krisenvorsorge haben.“

Die in den Interviews bei den Ruhrbaronen mehrfach beschriebenen Probleme bei der Pandemiebewältigung in 2020 haben ja bereits zur notwendigen Debatte geführt, welche Rolle Bund, Länder und mittendrin das BBK zukünftig einnehmen sollen, um zukünftigen Katastrophen besser begegnen zu können. Dieses Unwettergeschehen in 2021 wird diese Debatte sicherlich noch einmal neu befeuern, wie die sehr offensiven Äußerungen des Bundes belegen.

Eventuell führen die zahlreichen Luftrettungseinsätze in der jetzigen Situation, die sogar von Lufterkundungen begleitet werden, auch mal dazu, dass endlich eine bundesweite Regelung geschaffen wird, um den Einsatz von Löschhubschraubern bei größeren Waldbränden zu regeln.

Der taktische Wert von Luftrettungsmitteln im Katastrophenfall

Aktuell stellt die Anforderung von Löschhubschraubern bei Waldbränden nämlich noch immer ein erhebliches finanzielles Risiko für den anfordernden Landrat dar, weshalb Löscheinsätze aus der Luft häufig nur zögerlich eingeleitet werden und dann ohne einheitliche Koordination stattfinden, wie es diese beispielsweise in Frankreich schon lange gibt. Die aktuelle Schadenslage zeigt nämlich auf, dass der taktische Wert von Luftrettungsmitteln im Katastrophenfall endlich beschrieben werden sollte.

Ruhrbarone: Viel Wahlkampf, viele Begehrlichkeiten und viele noch zu erledigende Hausaufgaben. Zum Abschluss die Frage, was wünschen Sie sich für die noch laufenden Einsätze und die Zukunft?

Memmeler: In der jetzigen Lage wünsche ich mir, dass auch die PSNV – Kräfte (Psychosoziale Notfallversorgung) des Katastrophenschutzes mit eingebunden werden, da warm, satt und trocken sicherlich nur einen Teil der Bedürfnisse von Betroffenen abdeckt, die gerade ihr Daheim verloren haben. Ebenso dürften einige Einsatzkräfte, angesichts des Schadensausmaßes, Redebedarf haben. Die eingesetzten Kräfte werden nämlich unvermittelt aus der heilen Welt in das absolute Chaos entsendet.

Außerdem wäre es einfach hervorragend, wenn spontan gestartete Hilfsangebote in strukturiert Bahnen gelenkt werden könnten. Es ist mit sehr viel Aufwand für alle verbunden, wenn nun beispielsweise Baumärkte Bautrockner zu Verfügung stellen wollen und Betroffene zunächst recherchieren müssen, wo denn welche verfügbar sind. Idealerweise schaffen nun Hilfsorganisationen und Gemeindeverwaltungen die Möglichkeit, diese Angebote zentral entgegen zu nehmen und dann auch abrufbar zu machen. Gleiches gilt auch für Übernachtungsangebote und ähnliche Hilfestellungen.

Mein Appell an die Bevölkerung lautet, dass kein Shitstorm ausgelöst werden sollte, weil Kleiderspenden mancherorts aktuell abgelehnt werden. Wer den Ausführungen zu Beginn des Interviews gefolgt ist, wird verstehen, warum betroffene Gemeindeverwaltungen nun keine Ressourcen zur Verfügung haben, um Sachspenden zu verwalten und zu verteilen. Dies sollte jetzt besser über zum Beispiel Kirchengemeinden geschehen und das Angebot in den sozialen Medien bekanntgegeben werden, denn auch die Hilfsorganisationen müssen sich gerade ganz anderen Herausforderungen stellen.

An die Hüter der Spardosen

Die erforderliche Nachbereitung dieser Schadenslage wird zeigen, wie vielschichtig die Herausforderungen in so komplexen Lagen sind und das zum Beispiel die häufig belächelten Einsätze von Drohnen außerordentlich wertvolle Hilfe leisten, um schnell einen Überblick zu erhalten oder um gefahrlos die Standfestigkeit von Deichen und Staumauern beurteilen zu können. Dieses kleine Beispiel möchte ich auch nutzen, um mich an die Hüter der Spardosen in den Hilfsorganisationen zu wenden.

Ich weiß noch sehr genau, wie intensiv die Diskussionen waren, wenn ich begründen musste, warum Ehrenamt und Katstrophenschutz in meinem Landesverband so teuer waren. Es war nie teuer, sondern wertvoll. Wer das anders sieht, sollte sich als Verantwortlicher nicht vor einem Unimog fotografieren lassen, sich nicht in Impfzentren den Kameras stellen und in der jetzigen Situation auch nicht mit der Leistungsfähigkeit der eigenen Organisation prahlen.

Ohne das Ehrenamt in allen Katastrophenschutzorganisationen wäre diese Katastrophe nicht beherrschbar. Ehrenamt ist nämlich nicht umsonst, sondern tatsächlich unbezahlbar. Das von vielen Fürsten als Spielzeug des Ehrenamtes titulierte Einsatzmaterial hat uns allen in 2020 und auch jetzt den Hintern gerettet. Nun gilt es für alle, gemeinsame Strukturen aufzubauen, damit Katastrophenschutz zukunftsfähig bleibt.

Und an alle gerichtet, die die momentane Schadenslage für den eigenen Vorteil ausnutzen wollen, möchte ich einfach nur die Nachricht richten, dass dieses Verhalten ähnlich schäbig ist, wie die bereits stattfindenden Plünderungen in verlassenen Gebäuden. Es sind Menschen verstorben und Menschen haben ihr Daheim verloren. Wenn Ihr politische Verantwortung übernehmen wollt, dann tut alles dafür, dass das in Zukunft vermieden wird, den Betroffenen wirklich unbürokratisch geholfen wird und der Katastrophenschutz in der Bundesrepublik endlich die Anerkennung erhält, die er verdient.

Ruhrbarone: Vielen Dank für diesen kleinen Überblick zu den Herausforderungen im Katastrophenschutz.

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thomas weigle
thomas weigle
2 Jahre zuvor

Im Netz wimmelt es ja nur so von "Experten", die genau wissen, was wer wie falsch gemacht hat. Nun endlich ein ausgewiesener Experte. Gut so!!

Werntreu Golmeran
Werntreu Golmeran
2 Jahre zuvor

Sehr gutes Interview!

Nach einer Woche Betroffenheitsjournalismus wäre es vielleicht Zeit, dass sich auch die "grossen Medien" mit den konkreten Ursachen und Verantwortlichen der einzelnen Katastrophenorte kritisch beschäftigen.

Beispiel Blessem:
Wer betreibt die Kiesgrube, wem gehört das Unternehmen, wie wurde es überwacht, waren Mängel bekannt? Dazu findet man so gut wie keine Informationen in den Google-News. Focus erwähnt, dass der Betreiber auf eine Anfrage nicht reagiert habe. Vielleicht fragen die Ruhrbarone ja mal bei RWE nach und berichten über das Ergebnis.

Memmeler
Memmeler
2 Jahre zuvor

Herzlichen Dank für die Kommentare. Das zuständige Ministerium hat Blessem bereits vor geraumer Zeit als Hochwasserrisikogebiet ausgewiesen, dennoch erfolgte keine Warnung. Das zuständige Bergamt in Arnsberg hat wegen des Ausbaus der Grube deshalb hohe Anforderungen an den Hochwasserschutz gestellt. Ob die befolgt wurden, bleibt in der Tat schwammig.
Morgen gibt es wohldosiert weitere Erkenntnisse aus der Lage.

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