„Merkel gehört vor Gericht“

trainofhope5
Von der freundlichen Stimmung, mit der im Spätsommer in vielen Städten Flüchtlinge empfangen wurden, ist nicht mehr viel übrig geblieben.


Die Flüchtlingskrise bestimmt das gesellschaftliche Klima. Die Parteien geraten zunehmend unter Druck, die Stimmung wird bösartiger.

Seit über einem Jahr treffen sie sich fast jeden Montag vor dem Duisburger Hauptbahnhof. Ältere Herren mit abgewetzten Schuhen, grau gewordenen Langhaarige, die aus der Zeit gefallen scheinen, ein paar Menschen, denen man ihre langjährigen Probleme mit Drogen und Alkohol schon aus der Ferne ansieht und disziplinierte Nazi-Kader mit schwarzen Funktionsjacken. Was sich dort auf dem zugigen Platz versammelt, auf dem es nach altem Frittenfett aus der Bahnhofspommesbude riecht, ist der nordrhein-westfälische Ableger von Pegida. In Düsseldorf, Köln und Bonn gescheitert bekommt Pegida-NRW fast jeden Montag über 300 Teilnehmer auf die Straße. Dann wird gegen Flüchtlinge gehetzt, bedauert, dass es in Deutschland verboten ist den Holocaust zu leugnen und auf die Lügenpresse und die verkommenen Politiker geschimpft, die nur das Ziel haben, das eigene Volk zu betrügen. Viel Protest regt sich in Duisburg nicht gegen Pegida, was auch an denen liegt, die unverdrossen gegen Pegida demonstrieren. Gut hundert Anhänger stalinistischer Sekten und der Linkspartei hetzten auch gegen die Politiker, die nur das Ziel haben, das eigene Volk zu betrügen, die Medien, die Lügen verbreiten und hetzen und beschwören irgendeinen Sozialismus, der ganz bestimmt der wahre ist. An den Montagen versammeln sich viel Dummheit und Hass vor dem schmuddeligen Bahnhof. Und nicht nur dort.

Spätestens seit den Missbrauchsexzessen vor dem Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht hat sich die Stimmung in Nordrhein Westfalen verändert. Wurden die Flüchtlinge im Spätsommer noch von vielen mit Geschenken und Lebensmitteln begrüßt und waren es nur kleine Gruppen von eingefleischten Rechtsradikalen, die gegen ihre Ankunft protestierten, wächst nun der Unmut. Laden Stadtverwaltungen zu Bürgerversammlungen ein, um über die Errichtung neue Flüchtlingsunterkünfte zu informieren, schlagen ihnen immer dieselben Ängste entgegen: Flüchtlinge würden stehlen, Frauen belästigen und vergewaltigen, herumlungernde junge Männer nach Streit suchen. Wenn die Polizei oder die Stadtverwaltungen versuchen die Ängste abzubauen, erklären, dass vor allem von Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak kaum Gefahren ausgehen, glauben ihnen immer weniger Menschen, auch wenn sie genau erklären von welchen Migrantengruppen Gefahren ausgehen und von welchen nicht und die politisch korrekte Zurückhaltung längst aufgegeben haben. Zur Lügenpresse haben sich in ihren längst die Lügenverwaltung, die Lügenpolizei und die Lügenpolitik gesellt. Vor allem in den sozialen Netzwerken brechen sich Angst und Hass freie Bahn. Hier kursieren Gerüchte über Verbrechen von Flüchtlingen, organisieren sich die immer zahlreicher werdenden Bürgerwehren und bekommt den meisten Applaus, wer am radikalsten hetzt. Und immer häufiger folgt den wüsten Parolen im Internet die praktische Tat. „Die Täter“, sagt ein Sprecher des Innenministeriums, „gehörten in der Regel nicht zur organisierten Naziszene. Viele haben sich in den sozialen Netzwerken radikalisiert und deuteten die dort erhaltene Zustimmung zu immer radikaleren Parolen als Aufforderung zu handeln. Später werden dann Hakenkreuze geschmiert oder ein Flüchtlingsheim angezündet.“ Parolen, die noch vor wenigen Monaten nur in den Kreisen von Neonazis Zustimmung fanden, werden von immer weiteren Teilen der Bevölkerung unterstützt oder hingenommen. Mit 214 rechtsextremistisch motivierten Straftaten gegen Flüchtlinge 2015 hat sich die Zahl im Vergleich zum Vorjahr mehr als Verachtfacht.

In diesem Jahr, das ist heute schon sicher, wird die Statistik noch schlimmer ausfallen. Fast jeden Tag finden zur Zeit Anschläge auf Flüchtlingsheime statt. Die Vielzahl der Anschläge überlastet die Staatsschutzabteilungen der Polizei schon jetzt. So kann der Bochumer Staatsschutz Anzeigen gegen Rechtsradikale nicht mehr bearbeiten, weil das wenige Personal durch die Bearbeitung eines Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Witten gebunden ist. Die Welle der Gewalttaten verhindert so durch ihre schiere Zahl die Aufklärung und gibt den Tätern den Schutz, um sicher vor Verfolgung.

Auch bei CDU und SPD ist die Stimmung dabei zu kippen. In der Union halten große Teile der Basis sich noch mit offener Kritik an der Kanzlerin zurück. Zwar gab es nach Informationen dieses Blogs bereits ein Mitglied des Landesvorstandes der Union, der im kleinen Kreis die Pegida-Ansicht vertrat, Merkel gehöre vor Gericht gestellt, weil sie mit der Öffnung der Grenzen gegen geltendes Recht verstoßen hätte. Noch ist das eine Einzelmeinung. „Viele in der Union verhalten sich abwartend und hoffen darauf, das die Kanzlerin bald einen Plan vorlegt, der das jetzige Chaos beseitig,“ sagt ein führendes Mitglied der CDU-Ruhr. Innerhalb der Partei sei es ruhig, es gäbe nur vereinzelte Austritte. Anders sieht das bei den Anhängern der Partei aus: „In Gesprächen mit Bürgern wird die Politik der Bundesregierung scharf kritisiert. Das bläst uns der Wind ins Gesicht.“

In der SPD ist der Streit indes längst offen ausgebrochen. Im Essener Norden wollten die Ortverbände Karnap, Vogelheim und Altenessen unter der Parole „Der Norden ist voll“ Ende Januar bei einer Demonstration gehen mehr Flüchtlinge in ihren Stadtteilen einen großen Kreisverkehr blockieren und so den Verkehr nachlegen.

Mit Mühe und viel Druck konnte die Landes-SPD ihre Genossen dazu bewegen, die Demonstration abzusagen. Sogar NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) sah sich genötigt, sich auf Twitter von der Aktion zu distanzieren: NRWSPD steht für eine offene und vielfältige Gesellschaft und eine Willkommenskultur für Flüchtlinge“ schrieb Kraft, die auch Landesvorsitzende der Sozialdemokraten ist. „Protestaktionen, die das in Frage stellen könnten, lehnen wir ab. Das schadet der SPD insgesamt.“
Auch wenn die SPD-Granden die Demonstrationen verhindern konnten, geht der Protest der Genossen im Norden Essens weiter. Als Privatpersonen und nicht als SPD Mitglieder unterstützen nun einige Sozialdemokraten Proteste gegen die Zuzug weiterer Flüchtlinge in den Essener Norden.

Aber auch auf der Seite derjenigen, die sich für Flüchtlinge einsetzen, machen sich Zweifel breit. Auf einer Party im November vergangenen Jahres in Bonn, die von dem Verein Refugees Welcome Bonn e.V. mitorganisiert wurde, wurden Frauen von „Männern belästigt, ungewollt angefasst oder unangebracht angegangen.“, wie der Verein in einer Stellungnahme mitteilt. Refugees Welcome Bonn hat sich für die Vorfälle entschuldigt und klar gemacht, dass ein solches Verhalten nicht geduldet wird. Die Gruppe fordert, dass ein „Nein akzeptiert wird, statt weiterhin zu versuchen, den eigenen Willen einer anderen aufzuzwingen.“

Solche öffentlichen Stellungnahmen sind selten, weiß ein Aktivist der sich in der Szene der Flüchtlingsunterstützer gut auskennt: „So etwas ist schon in viele Städten passiert und leider werden solche Vorfälle unter den Tisch gekehrt und nicht offen angesprochen, wie es die Bonner getan haben.“ Das habe dazu geführt, dass immer mehr Frauen den Flüchtlingsgruppen den Rücken gekehrt hätten. „Es ist doch klar, dass nicht nur nette Menschen auf der Flucht sind und auch diejenigen, die kriminell werden haben ein Recht auf Schutz. Aber das heißt nicht, dass man sich alles bieten lassen muss. Missstände müssen offen angesprochen werden. Den meisten Gruppen fehlt dazu der Mut, vieles wird als kulturelles Missverständnis entschuldigt.“

Der Spätsommer, als Tausende Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen mit Wärme und Begeisterung empfangen wurden, erscheint heute mehr als ein paar Monate her. Es war eine andere Zeit. Angst vor Anschlägen und Bedrohungen auf Seiten der Flüchtlinge, Wut und die steigende Bereitschaft zu Gewalt bei immer größeren Teilen der Bevölkerung und Enttäuschung auf Seiten der Helfer prägen immer stärker das Bild und verändern mit jedem weiteren Tag die Stimmung im Land.

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
14 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Robin Patzwaldt
Editor
8 Jahre zuvor

Schöne Zusammenfassung, Stefan. So sieht es aus. Da dürften nicht viele Zeitgenossen wiedersprechen. Aber was nun tun? Da wird die Sache dann garantiert schon kontroverser. Und offenbar ist eben auch in der Politik da aktuell die Ratlosigkeit sehr groß…

Walter Stach
Walter Stach
8 Jahre zuvor

Stefan,
und w i r können allesamt ein wenig dazu beitragen, daß
1.
Sorgen/Besorgnisse vieler Menschen -keineswegs aller-Menschen nicht in Angst umschlagen und zu Hass führen,

daß
2.
alle Fremden in diesem Lande und alle, die an den Außengrenzen Europas/Deutschland als Menschen respektiert werden,

daß es

3.
unter den Fremden "gut und böse" Menschen gibt so wie in jeder menschlichen Gruppierung
daß

4.
all denen mit massiven Widerstand begegnet wird, die das Fundament unser freiheitlich-pluralistischen Gesellschaft und durch ein anderes -welches immer das sein mag-ersetzen wollen.

Und dazu bietet sich jedem von uns diverse Möglichkeiten an, z.B. durch mündliche und schriftliche Diskussonsbeiträge in privater Runde, in den Parteien, den Gewerkschaften, den Kirchen, am Arbeitsplatz , im Sportverein, durch die Teilnahme an öffentlichen "Widerstandsaktionen".

Den Parteien, den Kirchen, den Gewerkschaften, den Wirtschaftsverbänden, jedem einzelnen Unternhmer und vor allem Medien (!!)stehen vielfälltige Möglichkeiten offen, den Diskurs in der Gesellschaft im Sinne der o.a. Feststellungen 1- 3 positiv zu beinflussen.

Und dabei sollte es für die, die sich in diesem Sinne engagieren, selbsverständlich sein, daß

1.
Realitäten bennnant und nicht geleugnet werden, dazu gehören u.a.

1.1
hinzunehmen, daß wir weiterhin über X Jahre davon ausgehen müssen, daß Millionen Menschen aus Kriegsgebieten und Menschen vor dem Hungertod aus ihren Heimatländern fliehen werden und u.a. nach Europa wollen,
1.2.
hinzunehmen, daß es derzeit und vermutlich auch für die Zukunft nicht d i e richtige, die einzig denkbare richtige Lösung für all die Probleme gibt, die direkt oder indirekt mit Flucht und Flüchtlingen zu tun haben,
1.3
zu akzeptieren, daß es in Europa und an den europäischen Außengrenzen in Gegenwart und über eine lange Zukunft vorbei ist mit einem relativ friedlichen Miteinander der Menschen und Völker wie in den letzten Jahrzehnten und

daß das Alles

1.4
keineswegs, sozusagen naturbedingt, zur "Verelendigung" in Deutschland, in Europa führen muß und
1.5.
daß wir in Europa, namentlich in Deutschland schon oftmals bewiesen haben, auch mit gewaltigen Herausforderungen materieller und geistiger Natur fertig zu werden , u.a. mit den Folgen des II.Weltkrieges, mit den Folgen der Wiederverenigung.

Ich versuche jedenfalls auf dieser Basis, die ich hier be- bzw umschrieben haben, mich den aktuellen Problemen zu stellen und auf der dieser Basis zu argumentieren. Damit ist kein einziges konkretes Problem gelöst, aber für mich eine Leitlinie gegeben, die mir hilft, über konkrete Problemlösugen praktischer Vernunft gemäß nachzudenken.

Thomas Weigle
Thomas Weigle
8 Jahre zuvor

Ja, schön zusammengefasst, da hat @Robin recht. Allerdings ist unsere Situation ganz bedeutend dadurch erschwert, dass anderswo in Europa schon Parteien in der Regierung sitzen, die bei uns AfD heißen, in Duisburg montags noch in kleiner Zahl am HBF stehen.

Helmut Junge
8 Jahre zuvor

Den Duisburger HBF kann man (mit der Bahn) nicht direkt vom Duisburger Norden aus erreichen. Man kommt aus anderen Städten, wie Oberhausen, Essen, oder aus dem Duisburger Süden dahin. Insofern läßt sich über das Verhalten der Duisburger Bevölkerung nicht viel sagen. Was Pegida betrifft, kommen deren Anhänger vermutlich mit dem Auto oder aus den oben genannten Richtungen. Z.B. von Dortmund nach Duisburg HBF ist es ein Katzensprung gegenüber der Fahrt vom Duisburger Norden dahin.
Aber sonst hat Stefan die derzeitige Entwicklung einigermaßen gut beschrieben. Nur fehlt ein Hinweis darauf, was man den Einwohnern im Essener Norden sagen sollte. Im Essener Süden gibt es ja keine Entwicklung dieser Art. Und in der Beantwortung dieser Frage wird vermutlich der Lösungsansatz verborgen liegen. Die hat möglicherweise mit dem vielzitierten "wir" zu tun. Ein "wir" was es offenbar nur theoretisch gibt.

Walter Stach
Walter Stach
8 Jahre zuvor

Helmut Junge,

ja, wer von "Wir" spricht -wie ich- und wer "Wir" meint, der muß daran interessiert sein, daß sich möglichst viele Menschen angesprochen fühlen können, wenn das "Wir" bemüht wird.

Und anzunehmen, daß sich die Menschen im Essener Norden und die Menschen im Essener Süden gleichermaßen angesprochen fühlen, wenn von "wir in Essen", von " wir in NRW" oder von " wir in Deutschland,"die Rede ist, muß bezweifelt werden.
U.a. im Ruhrgebiet gibt es seit Jahren "Zwei-Gesellschaften" -Parallelgesellschaften-, die sich immer weiter von einander entfernen. Dort eine -trotz aller Differenzierungen- "gut"-bürgerliche Gesellschaft und dort eine Gesellschaft geprägt von sozialschwachen und bildungsfernen Schichten, bestehend aus "Einheimischen" und Menschen mit "Migrationshintergrund".

U.a. deshalb habe ich ja hier bei den Ruhrbaronen einige Male angeregt, über ein Projekt nachzudenken, das darauf ausgerichtet sein könnte, diesem Zustand der "Zwei-Gesellschaften", so wie er seit Jahren existiert, zu begegnen und damit zugleich zu versuchen, daß die zu uns geflüchteten Menschen nicht dazu beitragen, daß die Gesellschaft der sozial Schwachen und der Bildungsfernen weiter anwächst mit zunehmenden internen Spannungen innerhalb dieser Gesellschaft.

Wenn Gabriel das mit seiner neuesten Projekt-Idee im Sinne hat, wäre das m.E. diskussionswürdig.
Wenn er nur die bevorstehenden Landtagswahlen im Sinn hat, verhindert er damit, daß in der Politik, so wie das z.B. ansatzweise derzeit in der Partei die LINKE zu beobachten ist, im Sinne meiner Überlegungen diskutiert wird.

Helmut Junge
8 Jahre zuvor

@Walter Stach, die Gentrifizierung ist, wenn ein gutes Einkommen vorhanden ist, ein leichtfüßiger Prozeß. Er geht immer in eine Richtung. Weg von sozialen Brennpunkten, hin in bessere Wohngegenden.
Neuhinzugekommene gehen dahin, wo die Mieten niedrig sind, oder werden von den städtischen Verwaltungen dort angesiedelt. Migranten, die es "geschafft haben", also gut verdienen, ziehen meist auch in die besseren Viertel. Vor allem Akademiker. Dieser Prozeß läuft schon seit Jahrzehnten. Er zieht sich durch alle politische Parteien. Vielleicht noch am wenigsten bei der SPD.
Ich habe ihn während meiner Zeit bei den Grünen beobachtet.
Weil die Besserverdienenden auf diese Art und Weise über den Kaufpreis ihre Welt für sich haben, sind sie auch die eigentliche Parallelgesellschaft, die von der Entwicklung in anderen Stadtteilen bestenfalls aus den Medien erfahren. Für sie ändert sich ihre Welt nicht.
An dem "wir", das bestimmte Leistungen verlangt, haben sie keinen wesentlichen Anteil.

Walter Stach
Walter Stach
8 Jahre zuvor

Helmut Junge,
ich war und ich bin der Auffassung, daß es zu den Aufgaben der Parteien gehört -vor Ort,, im Land, im Bund, in der EU- darüber zu streiten, ob man die sog Gentriefizierung für einen seitens der "öffenfliche Hand" hinzunehmenden Zustand erklärt oder ob man erklärt, ihn substantiell nicht ändern, aber in seinen krassen Auswüchsen begegnen oder ob man erklärt, diesen Zustand substantiell bekämpfen zu wollen.
Zur Zeit vermisse ich diesen Streit zwischen den Parteien, nicht nur, aber auch mit Blick auf die Folgen des Zuzuges von Menschen, die aus anderen Ländern nach Deutschland flüchten.
Wenn Funktionäre der SPD Essen aus nördlichen Stadteilen gegen die Zuweisung zusätzlicher Flüchtling in ihre Stadtquartiere prostestiert haben, dann wäre das ja eine von vielen Gelegenheiten gewesen, sich in Essen in den Parteien und zwischen den Parteien über die Gentriefizierung in Essen zu diskutieren, nicht wegen der sog. Flüchltings-"Problematik", sondern aus ihrem Anlaß.

er

Walter Stach
Walter Stach
8 Jahre zuvor

"Sieg der Vernunft über die Angst" ,
so titelt SPIEGELonline zum Ergebnis der heutigen Volksabstimmung in der Schweiz.

Es scheint so , und das freut mich, daß die praktische Vernunft durchaus mehrheitsfähig ist.
Jedenfalls in der Schweiz. Und in Deutschland? Da auch! Und daran änderm 1o-20%ige Zustimmungsquoten für die AFD in den sog. Sonntagsumfragen nichts.

Das freut mich um so mehr angesichts der ebenfalls am heutigen Tage zu registrieren "Aktion der Frau Steinbach", die sich damit ohne Weiteres als gleichwertig erwiesen hat mit Höcke und Co.
Ob die CDU, ob irgend jemand in der CDU -ganz im stillen- heute darüber nachgedacht haben könnte, daß diese Frau Steinbach spätestens jetzt ihre Mitgliedschaft in der c h r i s t l i c h -demokratischen Union vorsätzlich in Frage gestellt haben könnten?

Helmut Junge
8 Jahre zuvor

Walter, einverstanden, nur glaube ich nicht mehr daran, daß die SPD überhaupt noch dazu kommt, wichtige Grundsatzdiskussionen zu führen. M.E. ist das Problem nicht mehr lösbar. Es ist zu spät für eine gleichberechtigte Diskussion dieser Parteigruppen. Gerade die Aktion in Essen hat gezeigt, daß es den traditionellen Mitgliedern nicht gelungen ist, ihr Anliegen zu artikulieren. Und deshalb sind sie bewußt und reflexartig in die rechte Ecke gedrückt worden. Ihr eigentliches Anliegen ist dabei untergegangen. Und so wird es auch weiterhin gehen, was zu Parteiaustritten geführt hat und weiterhin führen wird. Die SPD wird ihre traditionellen Anhänger verlieren. Alles dauert in Deutschland eben länger als in Nachbarländern. Was Gabriel jetzt versucht, wirkt nicht ehrlich, sondern wahlkampfbedingt. Aber das ist nur meine Meinung. Ich empfinde übrigens, daß die Große Koalition in Berlin aus drei Strömungen einer einzigen Partei besteht. "DIE SPD" gibt es schon längst nicht mehr. Selbst Du wolltest ja mal austreten.

Arnold Voss
8 Jahre zuvor

Wer Geld genug hat, lebt da wo er will, wer zu wenig davon hat, da wo er muss. Das ist das eherne Gesetz des Wohnungsmarktes. D.h. je mehr sich die Gesellschaft spaltet, desto mehr spaltet sich, sozial wie räumlich,auch der Wohnungsmarkt. Die Flüchtlinge werden diese Tendenz deswegen, ob sie es wollen oder nicht, erst einmal noch weiter verstärken.

Walter Stach
Walter Stach
8 Jahre zuvor

Helmut Junge,
in Ergänzung und teilweise in Wiederholung meiner Überlegungen zu -5-:

Mir geht es bezogen auf die Probleme "Zwei-Klassengesellschaft" , "Gentrifizierung und diesebzüglicher Trendschub" durch den Zuzug von Flüchtlingen auf örtlicher Ebene, auf Landes- und auf Bundesebene nicht um Kritik an der hier interessierenden Politik einer Partei, "meine" SPD eingeschlossen.
Ich habe lediglich darüber sinniert, ob "man" den o.a. Problemen "überhaupt" begegnen sollte oder eben nicht, also dem freien Spiel der Kräfte die Gestaltungsmacht überlassend, und ggfls. wie "man" tätig werden könnte -in den Kommunen und auf Landes- und Bundesebene. Und diesbezüglich vermisse ich den offenen, den öffentlichen Diskurs in den Parteien und zwischen ihnen."Bestenfalls" gab es und gibt es auf alle Ebenen einschlägige Diskussionen aufgrund und anhand von Einzelproblemen.

In diesem Sinne wäre m.E. der Zuzug der Flüchtlinge in unsere Kommunen die Gelegenheit bzw. der Anlaß, gezielter als bisher ausgehend von den Kommunen, z.B. ausgehend von Initiativen aus Essen und Dortmund, unter Einbeziehung des Landes, des Bundes, der EU ein "Projekt aufzulegen", das z.B. mit dem von mir hier mehrfach genannten Titel be- bzw. umschrieben werden könnte:
"Integration sozialschwacher und bildungsferner Schichten -einschließlich der neu zugezogenen Flüchtlinge- in die Stadtgesellschaft". Dass dann zwangsläufig auch auf die Ursachen dieser Zwei-Klassengesellschaft und auf die Ursachen der Gentriefizierung einzugehen ist und darauf, ob und wie denen gezielter durch bundespolitische Entscheidungen begegnen werden müßte, versteht sich von selbst -sh. dazu die o.a.Anmerkungen von Arnold Voss-.

Wenn Gabriel mit seinem jüngsten Vorschlag eine solche Diskussion in Gang setzen wollte, wäre das ganz in meinem Sinne. Und insofern wäre dann das Widerwort von Schäuble "erbärmlich" zutreffend, allerdings nicht bezogen auf die Idee von Gabriel, sondern auf das Widerwort von Schäuble.
Ich unterstelle aber Gabriel und Schäuble, daß sie beide nicht die umfassende, hochpolitische und für die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland enorm wichtige Grundsatzdebatte wollen- "Zweiklassengesellschaft, Gentriefizieurng, Trendschub durch den Zuzug von Flüchtlingen", über die ich sinniert habe, sondern das es ihnen lediglich um kurzfristige Vorteile in den Landtagswahlkämpfen geht. Insofern , Helmut Junge, liegen wir mit unseren Mußtmaßungen nicht auseinander.

abraxasrgb
abraxasrgb
8 Jahre zuvor

Gentrification ist etwas anderes, als Segregation …

Ich würde mich freuen, wenn es im Ruhrgebiet endlich mal gentrifizierte Stadtteile gäbe. Der essener Süden ist definitiv nicht St. Georg oder Prenzlauer Berg, geschweige denn Ddorf Oberkassel 😉
Der Sozialäquator der Stadt Essen, die Eisenbahnlinie des Hauptbahnhofs, ist schon im letzten Jahrhundert, lange vor dem Bau der A40, durch einen OB Zweigert definiert worden. Wir können gerne über pfadabhängige Prozesse der Stadtplanung diskutieren, aber bitte nicht mit einem zum Kampfbegriff (A. Holm und Konsorten) avancierten Phänomen, von dem das Ruhrgebiet weiter entfernt ist, als der Mond von der Erde 😉

Arnold Voss
8 Jahre zuvor

Richtig abraxas, aber Gentrification verstärkt sie in der Regel. Im Ruhrgebiet ist zunehmende Seggregation das sozialräumliche Problem. Gentrification wäre dagegen auf Grund des Bebölkerungsrückgangs trotz Zuwanderer keins. Die Frage wäre, ob ein weiterer und vergösserter Flüchtlingsstrom vor allem in den Norden des städtischen Ruhrgebietes die Abwanderungstendenz der dortigen Mittelschicht Richtung Süden verstärkt. Wäre übrigens mal ein spannendes regionales Extrathema im Rahmen der Flüchtlingsdebatte.

Helmut Junge
8 Jahre zuvor

@Abraxas, @Arnold, @Walter, soll doch, wer es sich leisten kann, dahin ziehen wo es ihm gefällt.
Man muß nur wissen, daß das langfristig zwangsläufig zu Parallelgesellschaften führen muß.
Das führt auch nicht automatisch zu Problemen.
Aber in Essen sind Klagen aufgetaucht, die hinter dem Schwall rassistischer Äußerungen, die in den Medien zu Recht gebrandmarkt wurden, real faßbare Mißstände in der Verteilung von Lasten zuungunsten der sowieso schon benachteiligten Stadtteile von den städtischen Behörden aufzeigen. Eine Reihe von Problemen in diesen Stadtbezirken betreffen die Qualität der schulischen Ausbildung. Wenn nämlich neu hinzugekommene Migranten, ob Flüchtling oder was auch immer, nur weil das billiger ist, in Stadtteile angesiedelt werden, die bisher schon mit erheblichen Sprachproblemen bei Grundschülern zu kämpfen hatten, wird ein Schulunterricht noch schwieriger und vermutlich noch ineffizienter. Und das für alle Schüler. Das ist ein Problem das Eltern antreibt, ihre Kinder in andere Schulen unterzubringen, die weiter entfernt vom Wohnort liegen. Das tut, wer das kann schon lange. Der Anteil der der deutschen Sprache nicht fähigen Kinder beeinflußt die Unterrichtsqualität ganz erheblich. Das ist lange bekannt. Trotzdem wird offenbar der überwiegende Teil der neu hinzugekommenen Flüchtlinge genau diesen Stadtteilen zugeordned. Das ist jedenfalls die Klage der Bewohner der nördlichen Bezirke Essens. Jedenfalls habe ich das mühsam herausgelesen. Aber ich kann nur als entfernt wohnender Leser wiedergeben, was ich gelesen habe. Ob diese Klage berechtigt ist, kann ich nicht beurteilen. Da fehlen mir statistische Detailkenntnisse. Wenn das in Essen aber so ist, dann müßte die Stadtverwaltung dazu gebracht werden, bei der Verteilung von Flüchtlingen, die ja in größerer Zahl sehr schnell zugewiesen werden, die damit verbundenen Lasten gleichmäßiger auf alle Essener Stadtteile zu verteilen. Später werden diese Menschen so oder so in den sozial schwachen Wohngegenden landen, weil sie als Neulinge in diesem Land normalerweise nicht über das Einkommen verfügen, sich Wohnraum in besseren Wohngegenden zu erlauben.
Jedenfalls geht es um die Stadtverwaltungen, deren Arbeit korrigiert werden muß. (Falls die Vorwürfe der Ungleichverteilungen überhaupt stimmen).
Das "wir" stimmt in diesem Zusammenhang nicht.

Werbung