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NRW: Zusammenarbeit von Nazis und Migranten

Dortmunder Neonazis 2014 auf einer antiisraelischen Demonstration Foto: Laurin


In Nordrhein-Westfalen  arbeiten Neonazis und einzelne Migranten zusammen. Nach einem Angriff auf ein besetztes Haus haben Polizei und Verfassungsschutz die Szene im Blick.

Nicht weit entfernt vom Bochumer Bergbaumuseum liegt der Stadtteil Hamme. Ein ruhiges und eher grünes Wohnquartier mit günstigen Mieten nahe der Innenstadt. Im Oktober vergangenen Jahres besetzten linke Jugendliche dort ein Haus in der Haldenstraße 47 und benannten es dem Zeitgeist hipper Linksradikaler folgend verniedlichend in „Haldi47“ um. Die Diakonie, der das Gebäude gehörte, duldete die Besetzer, die ihrerseits zusagten, es zu verlassen, wenn mit dem Bau einer geplanten Wohnanlage für Behinderte begonnen werde. Das Gebäude wurde zu einem von vielen Treffpunkten der alternativen Szene der Ruhrgebietsstadt. Doch Ende März wurde „Haldi47“ zwei Mal Nachts von Neonazis  angegriffen: Steine flogen, Aufkleber mit dem Konterfei des im Herbst 2021 verstorbenen Rechtsradikalen Siegfried „SS Siggi“ Borchardt angebracht und auf eine der Rollladen die Parole „Free Feldmann“ gesprüht. Der Dortmunder Neonazi Steven Feldmann war Anfang März in Köln festgenommen worden, nachdem er nicht zur Hauptverhandlung eines Berufungsverfahrens erschienen war. In der Vergangenheit war Feldmann bereits wegen Körperverletzung verurteilt worden. Die Dortmunder Neonazis demonstrierten damals gegen seine Verhaftung und stilisierten ihn zum Widerstandskämpfer gegen das verhasste demokratische System.

Doch nicht nur Personen aus diesem Kreis waren offensichtlich an dem Angriff auf das Haus in Hamme beteiligt. Neben klassischen Neonaziparolen, berichteten die Besetzer, sei auch „Allahu akbar”, arabisch für „Gott ist groß“, gerufen worden. Neonazis und Migranten gemeinsam gegen Linke? Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch aussieht, könnte auch das Ergebnis einer Reihe von Auftritten Feldmanns sein. Feldmann ließ sich in dem Youtubechannel „Beastkitchen“ von dem Gladbecker Ahmed „Sharo45“ Sharif interviewen. Sharif testet in seinem Kanal Restaurants und Dönerbuden. Auf der Webseite von Beastkitchen werden Küchenmesser, Vegetarierposter und Hoodies angeboten und das alles unter dem Banner der Völkerverständigung: Das Beastkitchen-Team wolle, so ist dort zu lesen, seinen Zuschauern suburbane und kulturelle Hintergründe aufzeigen und lege hierbei den „Fokus nicht nur auf Gut und Böse, sondern auf ein kritisches Hinterfragen und ein Zusammenführen des sozialen Miteinanders getreu dem Motto: Essen verbindet!“

Anfang des Jahres interviewte Sharif Steven Feldmann beim Essen in einem türkischen Restaurant. Feldmann schmeckte es, doch seine politischen Ansichten vertrat er auch nach dem Genuss orientalischer Spezialitäten konsequent: „Ich persönlich wäre für die Rückführung aller in Deutschland lebenden Ausländer“, sagte er Sharif am Essenstisch und machte klar, dass er ihn auch gerne jenseits der deutschen Grenzen sehen will. Der Rapper und Kampfsportler „Bözemann“ nannte Feldmann kurz darauf in seiner Youtube-Show einen Rassisten, was den nicht weiter störte: „Rassismus ist die Anerkennung von Rassen und in dem Moment, wo ich akzeptiere, dass es verschiedene Rassen gibt, kann man mich als Rassisten bezeichnen.“ Feldmann kam bei den Migranten unter den Zuschauern von Sharif und Bözemann an, der Verfassungsschutz NRW sieht eine „große und zum Teil positive Resonanz bei deren Followern.“

Und dann ist da noch Serkan B., ein Dortmunder mit Migrationsbiografie, der sich nach Angaben der Sicherheitsbehörden symbolisch zum Rechtsextremismus bekennt und vor allem gegen die Antifa hetzt, die er mit Pädophilen gleichsetzt. B. steht auch im Verdacht, am Überfall auf die Haldenstraße 49 beteiligt gewesen zu sein. Er gilt als Mehrfach- und Intensivtäter und fiel bislang eher durch allgemeine und nicht politische Straftaten auf. Nun gilt er als Teil der „Anti-Antifa“. Die Dortmunder Polizei hat die Gruppe im Blick: „Die Gefährlichkeit der Anti-Antifa, die mit antisemitischem Hintergrund und starker Feindlichkeit gegen Minderheiten Gewalt ausübt, ist nicht in Abrede zu stellen,“ teilt sie auf Anfrage mit. Die Beamten sind dabei, Informationen aus der Bevölkerung zu sammeln „um diese Szene und deren Beziehungen untereinander aufzuhellen.“ Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass Dortmunder mit Migrationsbiografie mit einigen Personen aus der Dortmunder Neonaziszene zusammenarbeiten. Der gemeinsame „Kitt“, der alle zusammenhalte, sei „Gewaltbereitschaft, hypermaskulines Auftreten und eine Feindschaft gegen eine linke Jugendkultur.“

Von einer weitgehenden Zusammenarbeit zwischen der jugendlichen Migrantenszene und der organisierten rechten Szene in Dortmund könne jedoch nicht gesprochen werden. Es ginge um einzelne Personen. Die rechte Szene nutze sie für ihre eigene Propaganda. Das bekannte rechtsradikale Migrantenorganisation wie die türkischen Graue Wölfe mit deutschen Nazis zusammenarbeiten, sei bislang nicht vorgekommen. Im Kern lehne die rechte Szene Migranten aufgrund ihrer Herkunft und Lebensweise ab.

Schon in der Vergangenheit haben in Dortmund Rechtsradikale immer wieder die Nähe zu Migranten gesucht, ohne sie in ihre Organisationen einzubinden. Bislang war der gemeinsame Nenner jedoch der Antisemitismus: 2014 nahmen sie an einer von Muslimen organisierten Demonstration gegen Israel teil. Michael Brück, damals noch ein Funktionär der Nazi-Partei „Die Rechte“, heute in Chemnitz bei den „Freien Sachsen“ aktiv, posierte damals sogar vor Fotografen und ließ sich mit Kopftuchträgerinnen und palästinensischen Fahnen ablichten. Bei den eigenen Anhängern kam das seinerzeit nicht gut an. In den sozialen Medien beklagten sie sich darüber, dass ihre Volksgenossen mit Arabern demonstrieren würden, die man ja eigentlich aus Deutschland werfen wolle. Das Argument, sie seien Verbündete im Kampf gegen Israel und würden schneller aus Deutschland verschwinden, wenn es den Judenstaat nicht mehr gäbe, überzeugte damals nicht alle Nazi-Freunde.

2018 demonstrierten Neonazis unter der Parole „Israel ist unser Unglück“, einer Variante der NSDAP-Parole „Die Juden sind unser Unglück“, nahe des Dortmunder Hauptbahnhofs gemeinsam mit Arabern gegen den 70. Geburtstag Israels. Vertreter palästinensischer Gruppen hielten in dieser Zeit Vorträge bei Kameradschaftsabenden. Als sich im selben Jahr in Dortmund Rechtsradikale aus ganz Europa zu einem Marsch unter dem Motto „„Europa erwache“ versammelten, war auf dem Lautsprecherwagen ein großes Transparent mit dem Konterfei des ehemaligen iranischen Präsidenten und Holocaust-Leugners Mahmud Ahmadinedschad zu sehen.

Die Nähe der Nazis zum Iran und dessen antisemitischem Mullah-Regime hält bis heute an. Als das Land den Dortmunder Polizeipräsidenten Gregor Lange Anfang des Jahres auf seine Sanktionsliste setze, schrieb Sascha Krolzig, der Kreisvorsitzender der NPD, einen Brief an den iranischen Botschafter Mahmoud Farazandeh in Berlin und versicherte ihm seine „vollumfängliche Zustimmung zu dieser Maßnahme.“

Doch nicht nur in Dortmund arbeiten Rechtsradikale und Migranten zusammen. In Leverkusen kooperiert nach Angaben des Verfassungsschutzes der „Aufbruch Leverkusen“ mit dem Verein „Die Brücke zwischen Deutschland und Russland“ zusammen. „Die beiden Vereine versuchen seit Mai 2022 Narrative der russischen Regierung in Bezug auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu verbreiten.“ Sind bei der „Brücke“ vor allem Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion engagiert, trifft man beim „Aufbruch“ auf einen alten Bekannten aus der rechten Szene Nordrhein-Westfalens: Der Leverkusener Anwalt und Lokalpolitiker Markus Beisicht  bis zur Auflösung im März 2019 Vorsitzender der aus pro Köln hervorgegangenen „Bürgerbewegung pro NRW“ und zuvor NRW-Landesvorsitzender der rechtsextremen Deutschen Liga für Volk und Heimat.

Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Welt am Sonntag

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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