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››Österreich ist das einzige Land, das aus Erfahrung dümmer wird.‹‹

Die Hofburg in Wien – der Sitz des österreichischen Bundespräsidenten Foto: Bwag Lizenz: CC BY-SA 3.0 AT

Mit dem aus Salzburg stammenden Gewerkschafter und Sozialpolitiker Thom Kinberger haben wir bei den Ruhrbaronen schon häufiger gesprochen. Diesmal geht es um die Ibiza-Affäre, die Nachwirkungen der Europa-Wahl, den Brexit und weitere tagespolitische Fragen.

Thom, über den Unterschied zwischen Deutschland und Österreich sagte Wanda-Gitarrist Nico mal: „Vielleicht haben wir ein bestimmtes Bewusstsein für Größenwahn und dabei einen Hintlerwälder-Komplex, der sich dann zuspitzt“ – eigentlich passt das auch ganz gut auf die Ibiza-Affäre, die ja ein politisches Erdbeben ausgelöst hat. Wie siehst du das?

Der ganze Irrsinn ist ein Glücksfall! Die Massen feierten am Ballhausplatz „We‘re going to Ibiza“ mit den Vengaboys und in Zukunft gilt für alle autoritären Volksversteher in ganz Europa: „ Du kannst dir nicht sicher sein!“. Unser Bundespräsident hat nach der Ibiza-Affäre festgestellt, dass Österreich so einfach nicht sei. Da muss ich ihm widersprechen. Wir Österreicher sind uns unserer kleinstaatlichen Bedeutungslosigkeit bewusst, deshalb empfinden wir jede Grenzüberschreitung als Gaudi und jeden Gesetztsbruch als Kavaliersdelikt. Mit einem lässigen Schmäh, einem Schnappserl und dem Lausbuben Charme von Peter Alexander ist alles wieder leiwand. Diesen Korruptionsskandal als „b’soffene G’schicht“ zu bezeichnen ist zutiefst österreichisch. Der wahre Sündenfall war die Dummheit sich erwischen zu lassen. Deshalb bekommt H.C. Strache als moralische Lektion über 44.000 Vorzugsstimmen mit in die Europawahl. Da bleibt mir die Spucke weg und ich erinnere mich, dass Karl Kraus meinte: ››Österreich ist das einzige Land, das aus Erfahrung dümmer wird.‹‹

Die Nachfolgerin für Österreichs Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz steht fest. Das Amt soll übergangsweise Brigitte Bierlein übernehmen – bisher Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs. Ist das eine gute Wahl?

Die Koalition aus Koks, Konzerninteressen und Nationalismus ist gescheitert, insofern ist jede Person die dieses schmuddelige Bermudadreieck umschifft und einen geraden Satz formulieren kann ein Fortschritt. Brigitte Bierlein ist eine respektable Persönlichkeit auf die ich sehr gespannt bin. Ich hätte mir aber als erste Kanzlerin Österreichs eine Frau gewünscht, die durch Wahlen an der Spitze steht. Das hätte mich noch ein bissl stolzer gemacht. Aber ich will mich jetzt nicht beschweren, denn ich kann mich an keine Antrittsrede erinnern, die so frei von Politmarketing war. Versteh‘ mich nicht falsch, Politik darf nicht irgendwelchen sogenannten Experten und Geschäftsleuten überlassen werden. Der Parteienzirkus ist vollkommen lachhaft und Realitätsfern, aber durch seine Verzweigungen in der Gesellschaft, repräsentativ und legitim.

Das Scheitern von Strache & Co. hat auf die Europawahl in Österreich relativ wenig Einfluss gehabt: die ÖVP hat 7,5 % zugelegt, die SPÖ ist fast auf dem selben Level geblieben und die FPÖ hat sogar nur 2,5 % verloren. Wie kommt dieses Ergebnis aus deiner Sicht zustande?

Die österreichische Seele ist untertänigst nach Innen und renitent nach Außen. Wir hängen an unseren Hofrats-Titeln und bewundern unsere Sportler weil sie es allen andern zeigen. Wir verachten die internationale Elite und vermissen unseren Kaiser. Wir holen uns die Aufmerksamkeit der Welt gerne nach Hause. Unsere Angst vor der Veränderung ist größer als die Hoffnung auf Verbesserung. Deshalb hat sich die Konservative wieder um die Volkspartei gescharrt. Manche mögen das als nationalen Schulterschluss sehen, dafür spenden wir dann ordentlich für „Nachbar in Not“. Denn auch das ist Österreich, hilfsbereit und großzügig. Aber wir gehen gerne auf Nummer sicher. Europa ist für uns eine unverbindliche Empfehlung, deshalb bleiben wir auch weiterhin neutral, damit wir über alles jammern können und es am Ende besser wissen. Wir sind die Auenländer im Ringkrieg. In uns steckt mehr als auf den ersten Blick zu sehen ist.

In Deutschland gab es einen Wahlerfolg für die Grünen, CDU und SPD, die etablierten Volksparteien also, mussten schwere Verluste einstecken. Warum erreichen diese Parteien nicht mehr im Großen und Ganzen die gesellschaftliche Mitte?

Das hängt zum einen mit den Parteistrukturen der Volksparteien zusammen. Sie durchdringen zwar viele Lebensbereiche und schleppen unzählige Vorfeldorganisationen bis in die Kommunen und Gemeinden mit sich rum. Eine klare Linie und Spitzenfunktionäre mit Format werden jedoch in diesem Malstrom wundgescheuert. Aber im Wettkampf der europäischen Ideen brauchst du keinen heißen Arsch, sondern ein flammendes Herz! Vielleicht ist das zuviel der Ehre für die Grünen, aber den zweiten Aspekt, den Zeitgeist, bilden sie sicher sehr gut ab. Denn Nachhaltige Klimapolitik findet quer durch alle ideologischen Lager Zustimmung. Umweltschutz ist auch Heimatschutz, denken sich sogar die konservativsten Sturschädel. Da kann man nicht viel falsch machen, haben sich wohl viele gedacht.

„Im Wettkampf der europäischen Ideen brauchst du keinen heißen Arsch, sondern ein flammendes Herz“, so die Worte von Thomas Kinberger / Bild: Julia Scheler

Youtuber wie Rezo haben der CDU vorgeworfen nicht schnell genug in der Klima-Katastrophe zu agieren. Annegret Kramp Karrenbauer hat sehr verzweifelt Position dagegen ergriffen. Warum tun sich politische Repräsentaten damit so schwer, souverän damit umzugehen, wenn sie angegriffen werden? Denn eigentlich sollte es ja logisch sein, dass ein Angriff aus der „linken Ecke“ kommt…

Besonders Dünnhäutig reagieren Politiker wenn Kritik aus Bereichen kommt die sie nicht wahrnehmen. Also von Menschen die Öffentlichkeit aus Kunst oder Kultur generieren. Ich versteh’ das gar nicht. Spitzenpolitiker haben ihrer Karriere alles andere untergeordnet um überhaupt in eine Position zu kommen, in der es sich lohnt kritisiert zu werden. Martin Grubinger, österreichischer Schlagzeuger und Multi-Perkussionist, hat in der Kronen Zeitung eine eigene Kolumne in der er sich klar humanistisch und weltoffen positioniert. Dass der sich eine politische Meinung erlaubt, finden nicht Wenige unmöglich! Obwohl das natürlich auch umgekehrt gilt. Andreas Gabalier hatte der SPÖ Faschismus vorgeworfen, als diese bei einem Stadtfest seine Songs nicht spielen wollte. Es liegt also wohl doch eher am Ego der Menschen und weniger an deren Profession.

In Deutschland stieg die Wahlbeteiligung sogar auf über 60 Prozent bei der EU-Wahl.Die Wähler spüren, dass die Antwort auf globale Fragen jedenfalls auch in Europa liegt und nicht mehr nur in den Hauptstädten der EU-Mitgliedstaaten. Das gestiegene Interesse zeigt, dass die Menschen sich Lösungen von der EU erhoffen, beim Klimaschutz etwa oder in der Flüchtlingspolitik. Eigentlich ein gutes Zeichen, oder?

Unlängst habe ich mit meiner Band eine Show am Vienna Metal Meeting gespielt, mit dabei waren unserer Frauen. Eine aus Island, eine Schottin, eine Deutsche und eine Österreicherin. Das zeigt doch auch die neue Mobilität der Menschen. Die Lebenswelten haben sich in den letzten Jahrzehnten komplett geändert, genau wie die politischen Herausforderungen. Klimaschutz, Flüchtlingspolitik, Brexit, der Aufstieg Chinas, die Unberechenbarkeit der USA, all das betont die Wichtigkeit Europas. Die Idee der Nationalstaaten ist eine junge Idee. Ein vergleichsweiser kurzer Zeitraum in der Geschichte der Zivilisationen. Ich bekenne mich zu einem Europa der Regionen. An Nationen und künstliche Grenzen glaube ich nicht. Die hohe Wahlbeteiligung bedeutet hoffentlich, dass das viele Menschen mittlerweile auch erkennen.

Den Showmastern „Joko und Klaas“ ist in den vergangenen Woche ein toller Coup gelungen. Sie gawannen 15 Minuten Sendezeit bei ihrem Haussender Pro7 und gaben diese drei beeindruckenden Menschen: der Iuventa- und Seawatch-Kapitänin Pia Klemp, dem Obdachlosenhelfer Dieter Puhl und der Aktivistin Birgit Lohmeyer, die sich gegen rechte Gewalt einsetzt. Fernsehen kann also doch noch spannend sein im Netflix-Zeitalter, oder?

Da stimme ich dir prinzipiell zu, aber viele Leute konsumieren einfach die Meinung eines Fernsehstars, aber verbinden diese klar mit seiner Funktion. Sie hinterfragen deshalb noch lange nicht ihre eigene Haltung. Das ist auch eine Art von Konsumismus den ich gefährlich finde. Es braucht schon echte Erfahrungen um ein Weltbild zu formen. Ich habe Ende der 1990er in Nordafrika viele wunderbare Begegnungen gehabt, besonders in Libyen. Deshalb hat mich die Islamophobie nach 9/11 völlig irritiert. Das Bild vom Wüstenterroristen passte einfach nicht zu den Bekanntschaften und der Gastfreundschaft die mir dort begegnete. Wir waren ein komplett ignoranter Haufen junger Ausländer, die mitten in Tripolis während des Ramadan ihre Speckjause am Wochenmarkt weggeputzt haben. Dazu Coke und Marlboro. Die hätten allen Grund gehabt uns ordentlich Stoff zu geben. Selbst in solchen Situationen waren die Menschen dort höflich und belustigt. Ich könnte dir da Geschichten erzählen, das glaubst du nicht. Wenn Leute wie Pia Klemp mit ihren Erfahrungen Platz in den Medien bekommen, um Geschichten aus der Parallelwelt zu erzählen, ist das schon interessant.

In Frankreich hingegen hat die nationalistische Partei von Marine Le pen einen Prozentpunkt mehr geholt als die liberale Partei „La République en Marche“ des Präsidenten Emmanuel Macron. Das ist schon alarmierend, oder?

Schon, aber Nationalismus und Internationalismus sind dem Zyklus des Zeitgeistes – und dem Einfuss globaler Krisen unterworfen. Macron empfinde ich als mindestens so gefährlich. Er gehört genau zu der Spezies PR-Politikern, die beinahe unbemerkt, aber nachhaltig, die Machtverhältnisse ändern. Ein fescher Traumschwiegersohn im Slim-fit Anzug, ein moderner Leader für die Generation iPhone. Konzerne und Lobbyisten durchdringen in seinem Gefolge die Gesellschaft und besetzen die Schalthebel der Macht. Deshalb sind sie ab einem gewissen Punkt völlig unabhängig von Wahlergebnissen. Das zeigt sich auch in der Zusammensetzung der Gelb-Westen-Demonstranten. Das ist der geballte Volkszorn aus allen Ecken. In Frankreich werden gerade die Spielregeln geändert.

Die britische Premierministerin Theresa May hat am Freitag vor einer Woche ihren Rücktritt angekündigt; auf der britischen Insel sind Brexit-Befürworter wie Nigel Farrage nun auf dem Vormarsch. Wird das in einer Katastrophe enden?

Dazu habe ich gar keine Emotionen mehr. Aus europäischer Sicht ist mittlerweilen alles recht, was eine Entscheidung herbeiführt. Das ganze Theater ist eine ernste Lehrstunde über Demokratie. Vor allem die lauten Rufe nach Basisdemokratie vernehme ich nur noch selten. Gut so. Hier wird doch in der Regel nur die Summe an irrationalen Emotionen abgebildet. Farrage wird den Austritt durchziehen. Das wird die innenpolitischen Konflikte mit Schottland, Nordirland, usw. erhöhen. Und wenn sich dann die politischen Verhältnisse auf der Insel ändern, kann ja nach einer Volksabstimmung um den Beitritt angesucht werden. Dann gibt es wenigstens keine Sonderkonditionen für die Briten mehr.

Ein anderer, großer Österreicher war Niki Lauda, der kürzlich verstorben ist. Nach seinem Unfall am Nürburgring 1976, wäre er fast verbrannt. Danach folgten zwei Nierenoperationen und eine Lungentransplantation. Was bedeutet dir Niki Lauda?

Auch Niki Lauda war eine Persönlichkeit aus einer anderen Lebenswelt. Einer der sich nie verstellt hat. Vielleicht war er deshalb extrem beliebt. Er war ein harter Mensch. Zu Anderen, aber auch zu sich selbst. Nur so konnte er solche sportlichen Erfoge erzielen. Er schaffte es als Eigentümer seiner Lauda Air einen verrückten Wettbewerb mit der Austrian Airlines (AUA) zu führen und scheitert nicht zuletzt an seinem Ego. Die AUA musste dann auf Druck der Politik die Lauda Air komplett – samt eines riesigen Schuldenberg übernehmen. Er steht für einen Leistungsbegriff, der mir fremd ist. Trotzdem respektiere ich ihn als Teil des österreichischen Bewusstseins.

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Nina
Nina
4 Jahre zuvor

Schönes Interview. 🙂

thomas weigle
thomas weigle
4 Jahre zuvor

Ein Land, das seine nationale Fluggesellschaft AUA abkürzt, kann nicht ganz schlecht sein. Als ich dieses Kürzel einige Zeit vor Laudas Fahrt ins Feuer auf dem Nürburgring bei Qualtinger las ( "Beim Fliegen bin ich patriotisch.Nur mit der AUA."), hielt ich das für einen seiner üblichen Scherze.

Roland
Roland
4 Jahre zuvor

Ein alter, weißer Mann, bei dem Frust und Pessimismus sehr tief sitzen. Gute Besserung.

Jürgen
Jürgen
4 Jahre zuvor

Das die FPÖ doch 2,5 % verloren hat, wundert mich sehr. Hatte weniger Verluste erwartet.

Wenn Rechtsradikale in Österreich ein Haus abbrennen und man sagt, es waren Rechtsradikale, spricht der Österreicher von einer Verschwörungstheorie.

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