Ruhrpilot

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Das funktionierende Navigationssystem

WAZ: 330 sollen gehen…FAZ

INA: Deutsche Medien lassen Themen aus…Ruhr Nachrichten

Literaturpreis: Preisträger gesucht…Der Westen

ITB: Partnerland Ruhrgebiet…Spiegel

Elend: Milliardäre werden immer ärmer…Welt

Bahn: Kündigung an Mehdorn…Patje

Entwicklung: Die Macht der Geografen…draußen blog

Hochzeit: Traurig aber wahr.. Sackgänger

Olympia: Russlands Sotschi muss mit weniger auskommen… Jens Weinreich

Internet-Zensur: Das Protokoll vom Stopp-Server…netzpolitik.org

Mehr Kurzarbeit bei Thyssen

Der Stahlkonzern ThyssenKrupp schickt weitere Mitarbeiter auf Kurzarbeit. Nach Stahl und Edelstahl trifft es nun den Dienstleistungsbereich. Wie ich hörte, sollen es mehrere Tausend sein.

Wie das Unternehmen bestätigte, wurde mit dem Gesamtbetriebsrat von ThyssenKrupp Services eine entsprechende Rahmenvereinbarung getroffen. Die Umsetzung soll in den kommenden Wochen erfolgen. Die Thyssen-Sparte beschäftigte 45.000 Menschen weltweit, rund die Hälfte arbeitet in Deutschland.

Anders als bei den Bereichen Stahl und Edelstahl geht Services gleich in die Vollen. Die Kurzarbeit solle bis Mitte kommenden Jahres gelten, hieß es im Konzern. Der gesetzliche Rahmen wird damit komplett ausgeschöpft. Im ersten Quartal hatte Services einen Umsatzrückgang von vier Prozent verbucht; fü den weiteren Jahresverlauf rechnet der Vorstand mit einer gedämpften Entwicklung.

3 für 7 – Verrücktes für tolle Tage

Das Wetter: Schlecht. Die Aussichten: Karneval. Kontrastprogramm: Wenig. Da helfen nur diese merkwürdigen Veranstaltungen, die so ein bisschen Tribut an die bescheuerteste Woche des Jahres zollen, aber im Grunde auch für sich besuchbar sind. Drei Männer: Jürgen Kuttner, Eduardo de Filippo, Reiner Calmund.

Jürgen Kuttner. Radio Fritz. Ostausgabe der TAZ. Hat Ästhetik, Kulturtheorie und Philosophie studiert. War IM. Beendete viele Sendungen mit "Gute Nacht" von Schubert. Vater von Sarah Kuttner. Erklärt gerne Funktionsweisen von Medien und Filmen im Rahmen von "Videoschnipselvorträgen". Hat einige gute Interviews gemacht. Erklärt die Welt mal wieder am nächsten Samstag in Mülheim.

Eduardo de Filippo. Neapolitaner. War mit einer Schauspielerin verheiratet, seine erste eigene Rolle war die eines weinenden Elefanten. Dann Dramatiker und Regisseur mit Hang zur bitteren Komik. Sein Stück "Verrückt" (Foto: Knut Maron) dreht sich denn auch um eine Theatertruppe, die zwischen Bühne und Weltbühne nur bedingt unterscheiden mag. In einer weiteren Hauptrolle: Eine Maschine. Regie beim Gastspiel des Theater an der Ruhr im Theater Duisburg: Roberto Ciulli.

Reiner Calmund. Bekannt geworden als Fußballmanager. Dann der Versuch, aus dem eigenen Abnehmen Profit zu schlagen. Durchaus Skandal gebeutelt. Ende letzten Jahres erschien seine Biografie "fußballbekloppt". Damit tingelt er nun durch ausgewählte Veranstaltungsorte wie die neue shopping mall in Essen und bietet an, seine Unterschrift hier oder da drunter zu setzen – nicht zwingend unter Verträge.

Im Überblick:
"Jürgen Kuttner erklärt die Welt" am Samstag, 21. Februar, um 20 Uhr im Mülheimer Ringlokschuppen.
"Verrückt" von Eduardo de Filippo auch am Samstag, 21. Februar, um 19.30 Uhr im Theater Duisburg.
Signierstunde mit Reiner Calmund am Samstag, 21. Februar, schon um 13 Uhr im Essener Shopping-Center Limbecker Platz.

Web Fractures: Fettervogel, Muzak, Santogold

Blicke ins Netz

Fettervogel.de eine freie Seite fürs Handy-Tuning. Ja eigentlich nicht mehr unsere Zielgruppe. Oder doch? Hier soll man mit herkömmlichen MP3 oder aus Videostreams bei Youtube Klingeltöne für iPhone basteln können. Bei meinem ersten Test habe ich abbrechen müssen und jetzt dauert es auch schon zu lange. Selber probieren oder doch besser die Finger von lassen wg. Zeitloch? Mach einfach Klck 

Muzak, was`n das? Kennen wir spätestens seit dem genialen Film Decoder von Klaus Maeck mit FM Einheit, William S. Burroughs, Genesis P. Orridge und Christiane F aus den 80ern. FM Einheit, der ehemalige Schlagwerker der Einstürzenden Neubauten demonstriert hier wie man subversive Musik machen kann, die Besucher von Schnellrestaurants – keine Name jetzt – zum K***en bringt. Das war 1984 Fiktion. Heute wir sind es gewohnt überall mit Muzak beschallt zu werden: Fahrstühle, Kaufhäuser und ganz böse in Hotelrestaurants zum Frühstück. Das hat jetzt eventuell ein Ende, denn der Marktführer hat Konkurs angemeldet. Mehr beim Klck

Aus Everybody`s Darlin` und dem Newscomer der Jahres 2008 Santogold wird Santigold. Wieso? Steht unterm Klck

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Bloomberg: Opel in Bochum auf der Kippe

Der US-Autobauer General Motors (GM) will nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg den Standort in Bochum schließen. Dies sei Teil der Überlegungen, um Finanzhilfen von der US-Regierung zu erhalten, berichtet die Agentur heute.

Vorgeschlagen werde zudem der Verkauf der Opelfabrik in Eisenach. GM ist infolge der Finanzkrise in Schwierigkeiten geraten und erhofft sich Hilfen vom Staat. Um an die Finanzmittel der Regierung zu kommen, muss der Konzern weitreichende Zugeständnisse machen. Geschlossen werde soll auch die Autofabrik in Antwerpen.

Hier der Link zu der vollen Harttop-Story: klack

Interessant ist auch: Bloomberg hat auch das folgende WAZ-Stück ausgewertet für seinen Bericht, in dem es um die Beteiligung des Staates an dem Bochumer Opelwerk geht: klick

Junge Union in NRW greift FDP-Minister Pinktwart und Wolf an

Foto: CDU Oer-Erkenschwick / Volmering steht rechts

Nach Meinung der jungen Konservativen müssen die FDP-Minister Andreas Pinkwart und Ingo Wolf dafür sorgen, dass die Studiengebühren ordentlich eingesetzt und nicht verplempert werden. Zudem soll Wolf ausländische Straftäter nach ihrem Herkunftsland statistisch erfassen und auch ansonsten härter durchgreifen. Dies sagte bei "aller Zufriedenheit mit der schwarz-gelben Landesregierung" der JU-Landeschef Sven Volmering.

Zitat:

Pinkwart muss endlich seine Hausaufgaben bei der Verwendung der Studienbeiträge machen. Die CDU hat bereits auf ihrem letzten Parteitag auf Antrag der Jungen Union das Wissenschaftsministerium aufgefordert, die Zweckbindung der Studienbeiträge zur Verbesserung von Forschung und Lehre stärker zu überprüfen und zur Not auch durchzusetzen. An einigen Universitäten in NRW kommt es jedoch immer noch vor, dass Studenten 500 Euro Studienbeiträge zahlen, um dann zu erleben, dass, wie im DFB-Pokal, die Teilnahme an Pflichtseminaren ausgelost wird. Dieser Zustand ist unzumutbar und es ist ernsthaft zu prüfen, ob in solchen Fällen den Studenten nicht ein Teil ihrer Beiträge zurückgezahlt werden muss.

Der FDP-Innenminister ist der erste Wolf in der Geschichte dieses Landes, der ständig zum Jagen getragen werden muss und viele Reformbestrebungen blockiert, sei es bei der Frage der Videoüberwachung, sei es bei der Frage der Wiedereinführung einer Sperrklausel bei Kommunalwahlen oder der Einstellung von mehr Polizeianwärtern.

Ein neuer Höhepunkt dieser Entwicklung ist die Weigerung von Wolf in der Kriminalitätsstatistik das Herkunftsland von Tatverdächtigen zu erfassen. Wenn sowohl das schwarz-gelb regierte Bayern als auch das rot-rot-regierte Berlin dieses Instrument einsetzen, um Kriminalitätsursachen empirisch besser erfassen und beurteilen zu können, gibt es keinen überzeugenden Grund, warum dies auch in NRW nicht möglich sein kann.

Uwe Tellkamp, Bestseller-Autor und Gewinner des Deutschen Buchpreises über die DDR, den Finanzkapitalismus, das Schreiben und sein nächstes Buch

Foto: privat

Was macht man an einem ganz normalen Mittwochabend im demokratisch-freiheitlichen, aber furchtbar langweiligen Bochum? Man besucht die Lesung von Uwe Tellkamp im Thürmer-Saal und lässt sich vom Autor persönlich aus seinem Buch „Der Turm“ vorlesen. In diesem fast 1000 Seiten langen Epos erzählt Tellkamp davon, wie es ist, in einem unfreien, totalitären Staat zu leben. Am Beispiel des Bildungsbürgertums seiner Heimatstadt schildert der gebürtige Dresdner die letzten sieben Jahre der zerfallenden Republik. Mit diesem Roman ist Tellkamp ein beeindruckendes Panorama der untergehenden DDR gelungen. Vor der Lesung gibt der Autor mir ein Interview. Er möchte vorab jedoch noch etwas trinken, ist sich aber unsicher, ob das im Künstlerappartement befindliche Mineralwasser für ihn gedacht ist. Schließlich schenkt er sich doch ein und sagt: „Ist auch nur fremdes Gut.“

Ruhrbarone ?: Herr Tellkamp, bei Schopenhauer heißt es über den Beruf des Arztes: „Der Arzt sieht den Menschen in seiner ganzen Schwäche“. Nun sind Sie sowohl Arzt als auch Schriftsteller. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Berufen?

Uwe Tellkamp !: Was mir gemeinsam zu sein scheint bei Ärzten, die auch Schriftsteller waren – sei es Benn, Döblin oder Bulgakow und Tschechow -, ist der relativ nüchterne, in gewissem Sinne klinische Blick. Das heißt: Der Arzt kennt den Körper – in seiner Schwäche, im Altwerden und gleichzeitig weiß er um die Schwierigkeit der Diskretion. Als Arzt sieht man den Patienten nackt, verletzbar und muss immer wieder eine Balance finden zwischen dieser Körperlichkeit, dieser Nacktheit und der Diskretion, die dazugehört und mich als Arzt begleitet. Das ist ein sehr schwieriger Zustand, der mir zu denken gegeben hat. Ein ähnlicher Zustand ist auch beim Schreiben da. Meine Figuren sind in einem gewissen Sinne nackt, während ich als Autor bekleidet bin. Mir geht es immer wieder darum, Diskretion gegenüber Figuren zu bewahren und ihnen nicht zu nahe zu treten. Das ist eine Gemeinsamkeit, die ich sehe. Eine zweite Gemeinsamkeit ist die Ähnlichkeit zwischen Diagnose und Diagnoseverfahren, Annäherung, Vortasten und meiner Art zu schreiben.

?: Als Sie noch als Arzt praktizierten, sagten Sie, dass Sie wegen des Zeitmangels teilweise auf Treppen oder im Keller geschrieben haben. Nun haben Sie sich dazu entschlossen, als Arzt zu pausieren, um mehr Zeit fürs Schreiben zu haben. Ging diese Rechnung auf, können Sie die gewonnene Zeit sinnvoll nutzen?

!: Die Rechnung ging auf, als ich arm und unbekannt war. Aber da gab es dann andere Schwierigkeiten. Jetzt lerne ich die Kehrseiten des Glücks kennen und die Beschneidung von Zeit, zu dem zum Beispiel Interviews gehören. (Lacht) Im Gegensatz zu früher habe ich Wahlfreiheit. Ich bin in der glücklichen Lage, nicht alle Lesungen machen zu müssen. Ich versuche schon, das gehört dazu, meinen Teil zu leisten, könnte aber, das ist der Unterschied, die Reißleine ziehen und mich hinsetzen.

?: Bei Wolfgang Koeppen heißt es: „Wer schreibt, der bleibt.“ Er bestimmte das Schreiben als Auflehnen gegen die Endlichkeit. Andere Schriftsteller sagen, das Schreiben gründe in einem Zustand innerer Notwendigkeit. Was lässt Sie zur Feder greifen?

!: Das weiß ich nicht. Das ist ein Drang, der unbegründbar ist und über den ich mir auch keine näheren Gedanken mache. Da gibt es die hübsche Anekdote von der Spinne, die den Tausendfüßler fragt wie er gehe. In dem Moment, wo er sich darüber bewusst wird, verheddert er sich. Vorher hat er es unbewusst gemacht.

?: Sie haben in Ihrem Buch „Der Turm“ über den privaten Rückzugsraum des Bildungsbürgertums im totalitären Staat DDR geschrieben. Sie sagten, die zentrale Frage Ihres Buches sei, wie sich der Mensch gegenüber einer feindlichen Umwelt verhält. Was glauben Sie, von welchen Menschen wird „Der Turm“ in der Bundesrepublik 2009 bewohnt?

!: Das, was damals die „Türmer“, diese Bildungsbürger erlebt haben in ihrer Nische gegenüber dem Sozialismus, scheinen heute Leute zu sehen in ihrer Nische gegenüber den Strudeln von Finanzkapitalismus und grassierender Wirtschaftskrise. Das scheint eine Parallele zu sein, die da greift. Ich glaube, das Buch wird von Menschen gelesen, denen diese Form der Bildung, klassischer Bildung immer noch etwas bedeutet. Das Buch hat enormen Erfolg und der ist nicht allein erklärbar aus 20 Jahre Mauerfall oder Marketing. Auch wenn das Marketing greift, es funktioniert nur bis zu einer gewissen Grenze. Das, was der Verlag und ich mit diesem Buch erleben, ist eine Sache, die weit darüber hinausgeht. Das Buch muss auch Dinge treffen, die anderswo zu finden sind.

?: Sie waren bei der NVA Panzerkommandant und haben im Oktober 1989 – Sie waren 21 Jahre alt – den Befehl verweigert, gegen eine oppositionelle Bewegung vorzugehen. Daraufhin wurden Sie zwei Wochen in Haft genommen. Können Sie etwas zu den genauen Umständen sagen?

!: Das Ganze hing zusammen mit der Ausreisebedingung über Prag, wo die deutsche Botschaft besetzt wurde. Als Genscher an den Balkon trat und sagte, sie können ausreisen, wurden die Züge von dort über Dresden in die Bundesrepublik geleitet. Honecker hatte sich ausbedungen, dass diese Züge noch mal über DDR-Gebiet fahren, was ein schwerer Fehler war. Anfang Oktober eskalierte das Ganze, denn in der Stadt gab es natürlich Gerüchte, dass diese Züge kommen. Es herrschte Visums-Pflicht, man konnte nicht mehr in die Tschechoslowakei oder nach Polen fahren. Es grassierte dann der Witz: Wir können im Grunde nur noch mit den Füßen voran aus dem Land. Jeder hatte Angst, was wird und wohin das Ganze treibt. Sehr, sehr viele Menschen sind dann raus zum Bahnhof und haben versucht, sich an die Züge ranzuhängen, um rauszukommen und zu flüchten. Das ist die Vorgeschichte. Die Kaserne, in der ich war, hatte dann am 5. Oktober den Einsatzbefehl, gegen die aus dieser Anarchie hervorgegangene Gruppe 20, eine Oppositionsbewegung, vorzugehen.

?: War die Erfahrung dieses Aktes staatlicher Repression eine notwendige Voraussetzung dafür, dass Sie knapp 20 Jahre später sozusagen die Krankengeschichte der DDR geschrieben haben?

!: Ich habe diese Erfahrung gemacht und kenne daher das Gegenstück nicht. Ob ich ohne diese Erfahrung geschrieben hätte, weiß ich also nicht. Es hat aber sicherlich eine Rolle gespielt. Wir redeten im Vorgespräch über Thomas Bernhard. Auch das ist ein Autor, der aus der Verletzung heraus geschrieben hat. Die schwere Lungenkrankheit war eine Triebkraft für ihn. Das Österreichische, diese versteinerten Verhältnisse waren immer eine Triebkraft für ihn. Diese Triebkraft habe ich auch.

?: Thomas Bernhards Todestag jährt sich in diesem Monat zum 20. Mal. Kürzlich erschien von ihm posthum das Buch „Meine Preise“. Ihm waren Preisverleihungen ein Gräuel. Sie erhalten in diesem Jahr den mit 15.000 Euro dotierten Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung. Was für ein Verhältnis haben Sie zu Preisverleihungen?

!: Diese Frage kann ich nicht beantworten. Die Frage ist zu privat. Das Buch „Meine Preise “von Bernhard habe ich übrigens gelesen. Man merkt zwar den Ad-hoc-Charakter, aber es ist ein sehr gutes Buch. Ein typischer Bernhard. Seinen Roman „Beton“ mag ich sehr gerne, weil er dort das menschlich Mühevolle in den Blick nimmt. Dort schreibt er über eine Frau, die es einfach sehr schwer hat, ihr Leben zu fristen und hinzukriegen. Deshalb mag ich dieses Buch. Ihr Roman „Der Turm“ endet mit einem Doppelpunkt. Planen Sie eine Fortsetzung des Romans? Ja. Ich habe grobe Vorstellungen vom Handlungsort und von den Figuren, die noch aus „Der Turm“ sind. Aber ich will nicht ins Einzelne gehen. Das ist noch zu zart und kostbar. Und woran arbeiten Sie gerade? Ich arbeite zurzeit an zwei Sachen. Eins ist fertig und heißt „Reise zur blauen Stadt“. Das Buch muss noch überarbeitet und korrigiert werden, bevor es dann im Herbst erscheint. Das andere ist ein Prosa-Buch über meinen kleinen Sohn.

Informationen zum Autor: 2008 war ein gutes Jahr für Uwe Tellkamp. Im Oktober erhielt er für seinen Roman „Der Turm“ den mit 25.000 Euro dotierten Deutschen Buchpreis. Sein Roman über den Untergang der DDR verkaufte sich bisher mehr als 250.000 Mal. Tellkamp wurde 1968 geboren, veröffentlicht im Suhrkamp-Verlag und lebt zurzeit in Freiburg.

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Das Elend der öffentlichen Verwaltung

Foto: flickr.com / andred584

Die Wirtschaftswundergeneration der BRD glaubte noch an die Leistungsgesellschaft. Leistung sollte sich lohnen, Wahlparolen wurden danach ausgerichtet. Wer arbeiten will, findet auch was, glaubte man. Deutschland wurde gar als „Modell“ bezeichnet, von der SPD im Wahlkampf 1976. Man glaubte, dass es, mit Rückschlägen durch einzelne Konjunkturkrisen zwar, die professoral und väterlich durch Karl Schiller und Helmut Schmidt tagesschaugerecht analysiert wurden, jetzt stetig aufwärts gehen würde. Den Kindern sollte es einmal besser gehen. Das war die soziale Marktwirtschaft in Reinform, die Attac-Mitglied Heiner Geißler heute rhetorisch verteidigt und gerne wiederhaben möchte.

Es ist anders gekommen. Viele Kinder haben interessantere Jobs als die Eltern, sie stehen nicht am Band, Hochofen oder im Stollen, sondern haben Abitur oder Studienabschluss und entfalten ihre Kreativität am PC. Allerdings: sie kommen die Eltern nur selten besuchen, haben eine Scheidung hinter sich, und vor allem wissen sie nicht, ob sie ihren guten Job auch nächstes Jahr noch behalten. Sie kämpfen mit psychosomatischen Erkrankungen, depressiven Phasen, erzählen den Eltern nichts davon, damit die sich nicht sorgen, aber die sind ja nicht blöd: je weniger geredet wird, umso mehr besteht Anlass zur Sorge.

Die Eltern haben Schwein gehabt. Sie sind aus ihren alten Industriejobs in Stahl- und Bergbauindustrie frühverrentet worden, mit Renten so hoch, wie sie nie wieder sein werden. Sie sind noch rüstig und haben jetzt viel Zeit, sich mit der Welt zu beschäftigen. Etliche gehören jetzt zu den StammwählerInnen der Linkspartei, manche sind sogar bei ihr Mitglied geworden und gehen den erfahrenen Funktionären, die nur wenig Zeit haben, dort jetzt gehörig auf die Nerven. Die jahrzehntelange Lebenserfahrung im Kapitalismus, die sie gesammelt haben, drängt nach Mitteilung, gerade jetzt.

In den 70er Jahren hätte man es nicht für möglich gehalten, dass der Vater mal freiwillig den 1000-Seiten-Wälzer „Schock-Strategie“ von Naomi Klein lesen würde. Naomi Klein ist durch den Bestseller-Erfolg ihres ersten Buchens „No Logo!“ so reich geworden, dass sie davon eine Recherche- und Schreibfirma aufgebaut hat, deren Produkt „Schock-Strategie“ ist. Kernthese des Buches: eine ideologisch von der Chicagoer Monetaristen-Schule Milton Friedmans ausgebildete Kamarilla von Beratern und Lobbyisten legt es überall auf dem Globus darauf an, über bewusst hervorgerufene Krisensituationen putschartig riesige Privatisierungsschübe und Umverteilungsprozesse von öffentlichen in private Kassen, von unten nach oben durchzusetzen. Sie waren und sind überall: in Chile 1973, im Thatcher-England, in Deutschland, Osteuropa, im Russland Jelzins, im China nach Mao, in Südafrika zwangen sie die ANC-Regierung in die Knie. Bei allen Finanzkrisen und fast allen Putschen hatten und haben sie ihre Finger im Spiel. Wer sich das Geschehen der letzten Wochen mit offenen Augen angesehen hat: wer wollte noch leugnen, dass Klein nicht nur rückblickend sondern leider noch mehr prophetisch Recht hat? Bevölkerungsmehrheiten in den USA wie hierzulande dürften ihr heute zustimmen. Wie sonst ist der Drang zur deutschen Bahnprivatisierung, gegen die 70% der Bevölkerung sind, zu erklären? Wie staatliche Milliardenbürgschaften für marode Banken und Konzerne? Und ein Billionen-Dollar-Schirm von US-Präsident Obama reicht „der Börse“ immer noch nicht aus?

Doch wo ist das Rettende? Denn das jämmerlichste Bild gaben in all diesen Prozessen oftmals demokratisch gewählte Parlamente und Regierungen ab. Was wäre durch Verstaatlichung gewonnen, wenn die Verfügungsmacht in die Hände dieser Gestalten gelegt würde? Beweisen die doch permanent, dass sie sich nicht für die Meinung ihrer Wähler interessieren, sondern eine wolkige Verantwortung heranziehen, der sie nachkommen müssen. Diese Verantwortung lassen sie sich von ihnen intellektuell überlegenen hochbezahlten Lobbywissenschaftlern erklären und anschliessend drücken ihnen entschieden nervenstärkere Konzern- und Bankvorstände die Pistole auf die Brust: Milliarden jetzt, oder „alles bricht zusammen“. Da kann man sich nicht lange mit Diskussionen mit dem Volk aufhalten.

Es ist dies eine Geschichte des Elends der öffentlichen Verantwortung und Kontrolle. Die politische Klasse ist nicht mit Personen bevölkert, die das ausüben können. Sie wurden systematisch dazu ausgebildet, solchen riskanten Aufgaben auszuweichen. Leistungsstarke Menschen, die mitten im Berufsleben stehen und in der Regel gleichzeitig eine Familie mit Kindern und pflegebedürftigen Eltern managen müssen, wählen zwar mit Riesenmehrheit Rot-rot-grün, haben aber keine Lust und noch weniger Zeit, selbst in der Politik mitzuwirken. Dafür ist ihnen das Niveau in Ortsvereinen und Ratsfraktionen zu niedrig, zeitverschwenderisch und intrigant. Dort sitzt ein Bevölkerungsausschnitt der, freiwillig oder gezwungenermassen, Zeit hat. Alt-68er im Ruhestand, Eltern, deren Kinder aus dem Haus sind, und prekär oder gar nicht Beschäftigte, die auf die kargen Sitzungsgelder angewiesen sind. Das ist die Basis, aus der heutige politische Elite ausgewählt wird. Helmut Kohl und Joschka Fischer sind prominente Beispiele, die Mehrzahl jedoch bildet heute eine gesellschaftliche Negativauslese. Sie sind eine getreue soziale Abbildung der Entwertung demokratischer Willensbildung durch den Neoliberalismus der letzten Jahrzehnte. Das subjektive Bewusstsein dieser durchaus gutwilligen und engagierten Menschen besteht aus Minderwertigkeitskomplexen, schliesslich ist PolitikerIn einer der niedrigst geachteten Berufe in unserer Gesellschaft, der ängstlichen Wahrnehmung und Witterung von Krisen und Risiken, und dem Versuch, ihnen stets rechtzeitig aus dem Weg zu gehen. Verantwortung wird auf vermeintlich schuldige KonkurrentInnen, gerne solche in der eigenen Partei, abgeschoben . (s. Freitag 06/2007 „Opfer der Verhältnisse“).

Wenn es solche Menschen nun demokratisch in den Aufsichtsrat der Stadtwerke, der Stadtsparkasse oder gar der Landesbank verschlägt, was will man dort von ihnen erwarten? Man sollte meinen, dass sie sich dort um die Förderung des Mittelstandes und der arbeitsplatzintensiven kleinen Unternehmen in ihrer Region kümmern. Oder um ökologische und verbraucherfreundliche Energieerzeugung. Schön wärs. Weisgemacht wird ihnen, dass wir Globalisierung haben. Dass wir im Wettbewerb stehen. Dass wir uns neu aufstellen müssen. Dass wir konkurrenzfähig bleiben müssen. Dass wir dafür mehr Rendite brauchen. Dass wir Bündnisse schliessen müssen mit Großbanken und Energiekonzernen. Sonst werden wir geschluckt und sind tot und haben nichts mehr zu sagen. Wenn es rundherum von Drachen und Schlangen nur so wimmelt, wie soll sich der Politiker im Aufsichtsrat ohne jegliche alternative Expertise dann verhalten? Er verhält sich wie das Kaninchen: nicht bewegen, Augen und Ohren zuhalten, von nichts wissen und sich also nicht den Schlaf rauben lassen, Aufwandsentschädigung nachhause nehmen, solange es noch geht, und wenn was schief geht schnell eine/n Schuldige/n finden.

Wenn dereinst mal die Milliardenkrisen fast aller deutscher Landesbanken untersucht werden, wird man immer wieder auf dieses Muster stossen. Selten wagt es mal ein Mitglied eines Verwaltungsrates nachzufragen oder seriöse Krisenbewältigungsstrategien zu verlangen. Ganz offensichtlich wurde in keinem dieser Gremien jemals eine Diskussion über Risikomanagement, das es in jeder Bank geben muss, geführt. Die Mehrheit in den Aufsichtsgremien pflegt über solches Sitzung-in-die-Länge-Ziehen die Augen zu verdrehen. Es kommt durchaus vor, dass mal ein professionelles Vorstandsmitglied den Teppich hochhebt, um alte Netzwerke und ihre Vorteilsnehmerei zu untersuchen und für die Zukunft auszuschliessen. Schliesslich steht man doch angeblich im Globalisierungswettbewerb und muss die Effizienz des Unternehmens steigern. Doch dann muss derjenige schnellstens zum doppelten Gehalt an eine andere Stelle gelobt werden, ganz so, wie man es mit übereifrigen sizilianischen Staatsanwälten zu machen pflegt, denen man ein besseres Leben in Rom oder Mailand anbietet.

Stellen wir uns nur mal theoretisch eine absolute Mehrheit der Linkspartei vor: Banken und Energiekonzerne sollen vergesellschaftet werden, aber wer soll diese Unternehmen dann führen? Wo soll das Personal herkommen, das so viel gesellschaftliche Verantwortung auch tragen kann? Mit dem heutigen System ist es nicht zu finden. Verwaltungsrat einer Landesbank, noch nicht einmal einer Stadtsparkasse, ist heute kein Nebenjob mehr, für den zwei Stunden Sitzung im Monat und ein wenig Lektüre der Lokalzeitung ausreichen. Parlamentsmitgliedern, die ihre Aufgabe ernst nehmen, fehlt selbst beim besten Willen die Zeit, eine solche Aufgabe qualifiziert wahrzunehmen. Sie nehmen sie trotzdem gerne an, weil es sie in der politischen Rangordnung aufsteigen lässt. Das ist gut für sie selbst, aber nicht für öffentliche Kontrolle. Selbst Oskar Lafontaine hat nach eigener Aussage bei einer Sitzung des KfW-Verwaltungsrates gefehlt, weil er in Bayern wahlkämpfen musste, eine Aufgabe, die ihn kaum überrascht haben kann. Und was sagt es uns, wenn ein Fraktionsvorsitzender in einer westdeutschen Großstadt lieber Chef der Stadtwerke als demokratisch gewählter Oberbürgermeister werden will? Zu Recht erhofft er sich dort mehr Geld und Macht. Die Demokratie ist gegenüber der ökonomischen Macht auf allen Ebenen in Nischen verbannt.

Parlamente sollten die Unternehmens-Vorstände und -KontrolleurInnen – ja, die Frauen nicht vergessen, hier wäre die Quotierung wohl besonders dringlich! – zwar wählen, aber keinesfalls aus ihrer Mitte. Parteipolitische Abhängigkeit senken, dafür mehr berufliche und/oder wissenschaftliche Qualifikation, intellektuelle und materielle Unabhängigkeit, das täte dem öffentlichen Eigentum, wie es Landesbanken, Stadtsparkassen, Energieunternehmen und Rundfunkanstalten darstellen, gut. Von den heutigen Geheimhaltungs- und Verschwiegenheitspflichten müssten Aufsichtspersonen solcher öffentlicher Unternehmen befreit werden. Angelegenheiten öffentlicher Unternehmen müssen auch öffentlich erörtert werden dürfen. Die Verbindungen zum Volk müssen verbessert werden: Transparenz- und Berichtspflicht gegenüber der Öffentlichkeit, weniger Geheimhaltung, mehr Zugänglichkeit, vielleicht auch die Urwahl einiger Gremienmitglieder. Türen auf, mehr Luft rein! Es ist dringend! Eine Aufwertung von Politik wird nur gelingen, wenn inhaltliche und personelle Entscheidungen einer öffentlichen Willensbildung wieder zugänglich gemacht werden.

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