
Endlich war es wieder so weit. Das Ruhrpott-Rodeo hatte mit 44 Bands ein Line-up, das begeistert. Das Festival war in diesem Jahr ausverkauft und deshalb auch sehr gut besucht. Trotzdem war Platz für alle da: Kinder, Alte, Blinde, Rollstuhl- und Rollator-Fahrer – alle waren sie hier im Punkrock vereint.
Da es letztes Jahr mit Kind so gut geklappt hatte, war ich auch dieses Jahr wieder mit dem Sohnemann dabei. Wir kamen ziemlich spät und mussten zuerst lange in der Auto- und dann in der Bändchen-Schlange warten. Als wir das Bändchen für die drei Tage Festival endlich am Arm hatten, sind wir schnell zur Bühne geflitzt und haben es zu Melonball noch geschafft. Dort wurde mir mein Kind gleich entrissen und auf männlichen Schultern platziert. Wenige Minuten später wurde der kleine Mann gleich in den Pogo mitgenommen. So waren wir in wenigen Minuten mittendrin im Festival – natürlich auch, weil Melonball mit ihrem melodischen, schnellen Punk und einer unverwechselbaren, phänomenalen Frauenstimme überzeugten. Das war ein wunderbarer Einstieg. Neben der großen Bühne waren diese riesigen Dinosaurier aufgebaut, und das Riesenrad war auch wieder da. Von dort aus konnte man sich einen schönen Überblick über das Festivalgelände verschaffen.
Private Function hat mich nicht so vom Hocker gehauen. Und da ausgerechnet die Frau in der Band eine Pali-Fahne schwenken musste, war ich auch nicht traurig darüber. Dann kam Lagwagon – seit Jahrzehnten eine meiner Lieblingsbands. Und wie erwartet folgte Hit auf Hit. Es war grandios. Gut beim Rodeo ist, dass quasi nahtlos eine Band nach der anderen abwechselnd auf den beiden Bühnen spielt und so weder Pausen noch Überschneidungen vorkommen. So kann man sich die Zeit gut einteilen und bei Bands, die nicht so gefallen, etwas anderes tun. Nicht so bei Vitamin X aus Amsterdam, die schnellen, sehr guten Hardcore spielten. Ich fand sie richtig klasse, zumal ich die Band zwar kannte, aber noch nie live gesehen hatte. Auch auf Montreal hatte ich mich gefreut, weil ich sie schon vom Vorjahr kannte. Sie waren wie erwartet sehr unterhaltsam und lustig. Für eine große Auswahl an leckerem Essen und ausreichend Trinken ohne viel Anstehen war auch gesorgt. Aber die Rapperin Nura haben wir uns komplett gespart und die Zeit weit ab von der Musik an unserem Auto verbracht. Nura ist bekannt für ihren Hass auf Radikalfeministinnen. Aber wer so oft „Fotze“ sagt, sollte den Unterschied zwischen Fotze und Penis kennen… Auch ihre Haltung zu Israel finde ich nicht so toll.
Der Sänger von Itchy berichtete, von ihr als „fetter, alter Cis-Mann“ bezeichnet worden zu sein, nur weil er gewagt hatte, ihr nach ihrem Auftritt auf der Bühne über den Weg zu laufen. Die Band Itchy war dann überraschend gut, und mein Sohn erkor sie zu seiner neuen Lieblingsband. Da folgte tatsächlich auch ein Ohrwurm auf den anderen. Vor der großen Bühne, die ein bisschen kleiner als die andere Bühne mit den Riesen-Dinos war, war auch wieder ein Podest für Menschen mit Behinderung. Und es fand sich immer jemand, der half und z. B. blinde Punker dorthin begleitete. Als die Sonne unterging, wurde das Festival in stimmungsvolle Farben getaucht, was den Dinos nochmal einen extra Zauber verlieh. Mein Highlight für Tag Nr. 1 war Perkele. Die Band aus Göteborg spielte sich, dann schon im Dunkeln, angeleuchtet mit vielen bunten Farben, mit ihren wunderbaren Hymnen in unsere Herzen. Die Donots haben wir noch ein wenig gehört. Sie sind sicher auch nicht verkehrt, aber wir wollten dann doch schlafen gehen, um ausgeruht in den nächsten Tag zu starten.
Starkes Programm – viel Entertainment nebenher
Nach einer entspannten Nacht im Auto testeten wir das Frühstücksangebot, und mein Kind bekam extra ein Nutella-Brötchen frisch geschmiert. Dann wurde das Kinderprogramm ausprobiert. Es gab Sackhüpfen und Glücksspiel mit den lustigen Piraten. Also Kinderanimation – einfach, aber gut. Und dann ging es ab zur ersten Band. Samstag war das der Überraschungsgast Sondaschule. Bei Talco war der Sound zwar etwas zu laut, aber wir hatten viel Spaß bei dieser lustigen italienischen Zirkus-Punk-Musik. Da kann man einfach nicht still stehen bleiben. Selbst die Security hat manchmal mitgefeiert. Gute Laune überall, und das Wetter dazu war erstklassig. Das erste Mal auf einer großen Bühne begeisterten The Whops Groß und Klein. Die Band besteht aus Kindern im Alter von 12 bis 14 Jahren. Und die haben richtig abgerockt. Mein Sohn (9) war absolut begeistert von den Mini-Punkrockern.
Die Spitz, eine Frauenband aus Austin, Texas, hat mir auch gefallen. Sie machen schön wilden, rotzigen Streetpunk. Zebrahead hat so richtig gut Stimmung gemacht. Da war es auch vor der ganz großen Bühne krachend voll. Sie lieferten eine hammermäßige, sehr abwechslungsreiche Musik und eine richtig gute Show. Dubioza Kolektiv hat tolle Balkan-Tanzmusik gespielt. Auch ihre Show mit immerhin sieben Musikern auf der Bühne war klasse. Cocksparrer war natürlich ein Muss. Da folgte wieder eine Hymne nach der anderen. Überraschend für mich selbst war die beste Band am Samstag die Antilopen Gang. Wir hatten uns schön vorne vor die Bühne in die zweite oder dritte Reihe gestellt. Da sprach mich jemand an, ich würde doch mit meinem Kind mitten im Moshpit stehen. Und ich sagte noch so: „Ach, das ist doch nur die Antilopen Gang, da ist doch sicher nicht so viel Pogo.“
Oje, da hatte ich mich wohl geirrt. Das wurde ganz schön eng dort. Mein Kind wurde kurzerhand nach vorn in die erste Reihe bugsiert, wo es eine fremde Frau mit ihrem Körper verteidigte, während ich versuchte, irgendwie in dem Gedränge in der Nähe zu bleiben. Das war tatsächlich ein Abriss vom Feinsten. Antilopen Gang war nicht nur mein Highlight für Tag 2, weil sie die Headliner an die Wand gespielt haben, sondern auch, weil Claus Lüer von Knochenfabrik auf die Bühne kam und „Filmriss“ gesungen hat. Naja, Slime war dann auch noch dabei. Und die Sex Pistols. Von gewissen seltsamen Statements des neuen Sängers einmal abgesehen hat man sie also nun einmal live gesehen. Abgehakt. Sie haben ihr Programm abgespult. Es war okay.
Tanzen im Regenmantel
Der dritte Tag war verregnet und fing musikalisch sehr nett mit den Frauen von The Red Flags an. Danach ging es wunderbar weiter mit dem herrlich eingängigen Rock’n’Roll von The Drowns. Dass man auch mit Regenjacke tanzen kann, lag wohl an der tollen Musik von Teenage Bottlerocket und Mad Caddies. Und letztere haben viele Hits gespielt, auch ganz alte Lieblingsstücke von mir wie „Monkeys“ oder „Road Rash“. Trotz Regen hatten wir gute Laune, trotz Regen waren die Acts ausgesprochen gut besucht. Regenponchos, die man kaufen konnte, waren sehr nützlich. Weiter ging es mit dem Tanzen im Regenmantel bei The Meffs. Die Frau an Mikrofon und Gitarre hatte mich schon letztes Jahr in Glaubitz beim Back-To-Future-Festival begeistert, wie sie da über die Bühne hopst und so ganz nebenbei erstklassige Punkmusik spielt – nur sie und ein Mann am Schlagzeug. Verrückt.
Am Tag Nr. 3 war meine Lieblingsband Ignite. Der neue Sänger (seit 2019) überzeugte mit authentischem Ignite-Gesang und einer atemberaubenden Show. Er brachte es fertig, singend ins Publikum zu springen, sich singend rumtragen zu lassen und dann locker-flockig wieder auf die Bühne zu hüpfen, um das Publikum weiter anzuheizen. Leider war Ignite auch schon die letzte Band, die wir sehen konnten, denn wir mussten uns schon wieder auf den weiten Heimweg begeben. Schade, dass wir so The Exploited und die großen Wizo verpasst haben. The Exploited hätte ich eigentlich gern nach ca. 30 Jahren mal wieder live gesehen, und ich musste meinem Sohn versprechen, das nachzuholen. Wir sind dann nach Hause gefahren – voll mit Freude und den schönen Erinnerungen an dieses wunderbare Festival-Wochenende beim Ruhrpott-Rodeo.
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