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Saison-Resümee 2021/22: zu wenig Rubbeldikatz am Borsigplatz!

Die Stimmung beim BVB war schon mal besser als jetzt zum Saisonende | Foto: Peter Hesse

 

Nach zwei Jahre Corona und drei Monaten Krieg in der Ukraine gibt es vermutlich wichtigeres, als über den Dreikalng Tore-Punkte-Meisterschaft zu sinnieren. Kommenden Samstag wird der letzte Spieltag eingeläutet. Die Bayern aus München fahren ihre zehnte Meisterschaft in Folge ein, der FC Schalke jubelt über das Comback in Liga 1 und in Bochum hat man auch mit viel tollen Partien die Klasse gehalten. Nur die Borussia aus Dortmund hat mit zu vielen verlorenen Spielen ein etwas schiefes Bild hinterlassen. Unsere Autoren Tommy Junga und Peter Hesse ziehen ein Resümee.

Tommy Junga: Was ist hängen geblieben von der nun beendeten Saison? Ich will mal damit einsteigen: am 33. Spieltag ergab sich die Konstellation, dass in Köln nach einer Niederlage freudetrunken der Platz gestürmt wurde und man in München die Zuschauer per Lautsprecherdurchsage bat, bitte wenigstens noch die Übergabe der Meisterschale abzuwarten und dann erst den Heimweg anzutreten. Liegt genau dazwischen die Wahrheit über die Bundesliga?

Peter Hesse: Diese Saison ist auch die gewesen, wo Greuther Fürth zur Schiessbude der Saison geworden ist, wir Köln Trainer Steffen Baumgart beobachten konnten wie er in Quarantäne seinen Fernseher angebrüllt hat und wie oft Christian Streich durch sehr wertvolle Gedanken immer wieder zum Bundespräsident der Herzen geworden ist, weil er durch seine unaufgeregte und „normale“ Art immer wieder positiv auffällt. Es ist auch die Saison, wo die vermeintliche „graue Maus“ – der VfL Bochum – mit kleinem Etat und geschlossener Mannschaftsleistung den Klassenerhalt geschafft hat. In meinem Erinnerungs-google taucht immer noch VfL-Torhüter Manuel Riemann auf, wie er nach dem Derbysieg gegen den BVB von Kneipenbänken springt und durch das halbe Bermudadreieck stagedived. Auch in Schalke darf man gratulieren. Der Verein hat es mit viel Spucke und Geduld – und ohne die Unterstützung der millionenschweren Sponsorengelder aus Rheda-Wiedenbrück (Tönnies) und Moskau (Gazprom) nicht pleite zu gehen, sondern direkt wieder in die erste Liga aufzusteigen. Dass der Trainer zudem Mike Büskens heißt und gleich drei Tage durchfeiert, macht das Ganze nahezu perfekt. Beim BVB war die größte News, das Aki Watzke der in den DFL Aufsichtsrat nachrückt. Gut für seine Eitelkeit, aber das ist entscheiden zu wenig Rubbeldikatz am Borsigplatz. Und das ganze Theater um den Haaland-Transfer nervte irgendwann nur noch.

Erling Haaland und Aki Watzke zeigten sich zu Beginn der Zusammenarbeit noch sehr harmonisch. Archiv-Foto: BVB

Tommy Junga: Sportlich erlebten wir eine Saison der Instabilität. Große Etats in Wolfsburg, bei der Hertha und in Gladbach, noch größere in Dortmund, Leipzig und München – so richtig rund lief es gefühlt bei keinem der Klubs. Stattdessen beste Laune und gute Platzierungen für Köln, Freiburg, Union und Bochum. Julian Nagelsmann hat ein gutes Drittel seiner Bayernspiele nicht gewonnen, schied überall aus und wurde er am Ende dennoch irgendwie Meister. Überhaupt: so richtig gut kehrten die neuen Besen kaum. Der Hütter-, Marsh- und Kohlfeld-Effekt war ja eher mau. Aber die Trainervögel haben sie in der Hauptstadt mit Tayfun Korkut und vor allem mit Felix Magath abgeschossen, oder?

Peter Hesse: Hertha bekam ganze 375 Millionen Euro von Investor Lars Windhorst. Ende Februar 2022 legte BSC-Sportdirektor Fredi Bobic im Sport-1-Doppelpass die Karten auf den Tisch und sagte ohne mit der Wimper zu zucken in die Kamera: „Das Geld ist weg“. Er hatte damit aber nicht Felix Magath beauftragt, 45 ausrangierte Fußballer rund um dem Globus aus dem Ali Karimi-Regal einzukaufen. Nein, das Geld diente um Verluste damit auszugleichen, denn unter anderem hatte die Hertha in der vergangenen Spielzeit ein Minus von 80 Millionen Euro Umsatz – viel davon waren auch coranabedingte Umsatzeinbußen. Ob für Kevin Prince Boateng dennoch Geld für einen neuen Medizinball zu Trainigszwecken übrig geblieben ist, ist nicht weiter bekannt. Zu den positiven Überraschungen würde ich auch noch Eintracht Frankfurt zählen. Ihr Jahrhundertauftritt beim FC Barcelona, wo die Bembel-Kicker mit 3:2 im Camp Nou gewannen, gehört zu den absoluten Highlights dieser Saison. Was hat dich noch aus dem Hocker gehauen?

Tommy Junga: Hängen bleibt mit Steffen Baumgart eine echte Type, ein Fachmann mit der Attitüde eines Verbandsligacoaches. Am FC haben sich zuletzt ja einige Trainerkollegen die Zähne ausgebissen, aber Baumgart und die Kölner Mannschaft: das scheint zu passen. Ebenfalls beeindruckt haben mich die Freiburger, die eine tolle Balance auf das Spielfeld gebracht haben und deshalb auch verdient nächste Saison international spielen. Der eine Moment, der sich allerdings von dieser Saison eingebrannt hat, das ist der 66-Meter-Schuss von Bochums Pantovic gegen Hoffenheim. Das Ding steht erstmal unter Denkmalschutz. Negativ aufgefallen ist mir die konsequent inkonsequente – man könnte auch sagen dümmliche – Auslegung der Handspielregel und die geradezu alberne Einmischung des VAR in dieser Spielzeit. Da wurde mit großen Tönen die „erkennbare Absicht“ ins Zentrum der Beurteilung gerückt, aber gepfiffen wird mutlos und regelfern. Was hat dich geärgert?

Einer der kantigsten Typen in der Liga: Köln-Trainer Steffen Baumgart | Foto: Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0

Peter Hesse: Mir ging das gebetsmühlenartige Sticheln von Aki Watzke gegen die Corona-Pandemie gehörig auf den Sender, wie er Besuche im Theater und Kino falsch eingeordnet hat, wie er ständig rumgeheult hat, dass ihm pro Spieltag 4 Millionen Zuschauer Einnahmen flöten gehen und wie er sogar gegen Gesundheitsminister Lauterbach gewettert hat – das war in Summe schon ungehörig, falsch und ziemlich peinlich. Zu den positiven Geschehnissen rund um den Fußball, sehe ich vor allem die gewachsene Podcast-Kultur an, die ist derzeit so gut wie eigentlich noch nie. Reiner Calmund und Matze Knop in „Echte Champions XXL“ oder Ewald Lienen in „Der Sechzehner“. Arnd Zeigler hatte kürzlich Heiner Lauterbach in seinem „Ball You Need Is Love“ Podcast zu Gast und stellte die These in den Raum, dass weder Lauterbachs Lieblingsverein (der 1. FC Köln) noch der von Zeigler (Werder Bremen) vermutlich nie wieder deutscher Meister werden – und diese Tatsache ist eigentlich die größte Katastrophe, die wir uns in den letzten 15 bis 20 Jahren mit dem ungebremsten Siegeszug von Bayern München herangezüchtet haben.

Tommy Junga: Vor diesem Hintergrund fällt mir dann noch die gescheiterte Superleague ein, die, wenn man die Championsleaguereform betrachtet, eigentlich durch die Hinterzimmerhintertür doch irgendwie kommen wird. Eine Gelddruckmaschiene mit knapp 40 Prozent mehr Spielen und noch mehr garantierten Einnahmen für die Löwen zwischen den Vereinsschafen. Für mich nach wie vor kurios, dass Vereine dem Turnierveranstalter drohen, und nicht umgekehrt. In jedem Fall stärkt diese Reform die bestehenden Strukturen und verhindert weiterhin die Durchlässigkeit für andere Vereine als die üblichen Verdächtigen. Also Peter, doch wieder unüberdachte Stehplätze in Wuppertal, Herne, Osnabrück und Wattenscheid als meditativer Ausgleich?

Peter Hesse: Ja, klar! Kommenden Samstag werde ich die Partie VfL Osnabrück geden den 1. FC Magdeburg besuchen – und das kommt ja auch nicht von ungefähr. Ich persönlich würde mir mal wieder ein so spannendes Finish für die Liga 1 wünschen, wie wir es gerade in der Regionalliga West erleben: Preußen Münster und Rot Weiß Essen gehen punktgleich in den letzten Spieltag – und nur eine von beiden Mannschaften kann aufsteigen. Und wer am letzten Spieltag den weinenden Ansgar Brinkmann im Bielefelder Fanblock gesehen hat, weiß, das Michael Holm mit seinem bekanntesten Song recht hat: Tränen lügen nicht! Aber ob wir nochmal mehr Gerechtigkeit in den Spielbetrieb bekommen? Das möchte ich mit einem Zitat von Torsten Legat beantworten: „Unsere Chancen stehen 70:50.“

Ein Mann, ein Wort: Torsten Legat | Foto: Daniel Sadrowski

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