„Sperrstund‘ is“ – in Berlin so, in Frankfurt anders und in München sowieso…

Kneipe in Berlin | Foto: Peter Hesse

Ob Beherbergungsverbot, Alkoholausschanksverbot oder die eingeschränkten Öffnungszeiten für die Gastronomie immer geht es hier um staatliche Eingriffe in die Grundrechte, wie die Eigentumsgarantie oder die Berufsfreiheit. Darüber urteilen die Gerichte in Verfahren über den vorläufigen Rechtsschutz.

Das Verwaltungsgericht Berlin entschied am 15.10.2020 über die Anordnung, gastronomische Betriebe um 23 Uhr zu schließen. Unter Hinweis auf das weiterhin bestehende, weil nicht angegriffene Alkoholverkaufsverbot gehe nach Ansicht des Gerichts die angeordnete Sperrstunde zu weit. Damit folgte es im Wesentlichen einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshof München vom 19.06.2020, der in gleicher Weise argumentierte. Nach der gegenwärtigen Pandemieentwicklung sei das Alkoholverbot völlig ausreichend, den Regelungszweck zu erreichen.

Das Verwaltungsgerichtshof Kassel lehnte am 15.10.2020 den Antrag einer Gastwirtin gegen die Frankfurter Allgemeinverfügung ab. Begründung: „Der Schutz vor Ansteckung durch das Corona-Virus sei deutlich höher zu bewerten als das private Interesse an dem Besuch von gastronomischen Einrichtungen nach 23:00 Uhr.“ Die Begrenzung der Öffnungszeit sei das mildere Mittel gegenüber der vollständigen Schließung.

Wie immer bei sog. Eilentscheidungen geht es um die Abwägung von Bürgerinteressen zu staatlichen Interessen an der Aussetzung der angegriffenen Maßnahme bis zur Entscheidung in  der Hauptsache. Die Rechtslage wird erst einmal vorläufig geregelt, damit durch die lange Verfahrensdauer den Bürgern möglicherweise keine Nachteile entstehen. Es wird also nicht abschließend geurteilt, sondern die Vor- und Nachteile des Bestehens der Anordnung werden gegeneinander abgewogen. An diesem Punkt kommt das sog. Verhältnismäßigkeitsprinzip zum Zuge. Es wird zunächst die Geeignetheit der Anordnung und ihre Erforderlichkeit untersucht, um schlussendlich zu schauen, ob die Maßnahme verhältnismäßig ist. Das bedeutet meist, ob dem Staat nicht mildere Mittel zur Verfügung stehen die übergeordneten staatlichen Interessen durchzusetzen.

Viel wurde an Wissen und Erfahrung mit dem Virus in den letzten Monaten hinzugewonnen. Auch der Umgang mit den aktuell  gestiegenen Infektionszahlen wird mit den neuen Erkenntnissen geregelt. Je nach Präferenz also urteilen Richter, ob ein und dieselbe Maßnahme verhältnismäßig ist oder auch nicht. Und richtig, der rechtliche Rahmen ist generalklauselartig vage. Das erklärt auch, wieso der eine Richter so und der andere anders entscheidet.

Je stärker der Eingriff , desto höher die Anforderungen

Wenn man sich die vorläufigen Entscheidungen zu den örtlichen Allgemeinverfügungen ansieht, die letztlich auf den Ermächtigungen des Infektionsschutzgesetzes beruhen, bemerkt man schnell, dass da irgendetwas nicht zusammenpasst. Heutzutage werden konkrete Maßnahmen über die Zuständigkeitsgrenzen von Bund und Ländern vereinbart. Häufig moderiert durch die Kanzlerin und anschließend werden die „Notverordnungen“ in Pressekonferenzen verkündet. Die Parlamente bleiben außen vor. Dabei gäbe es viel, worüber man diskutieren sollte. Und der Souverän ist das Volk, vertreten durch die Parlamente.

Je höher der Eingriff in die Grundrechte, desto höher sind die Anforderungen an die Ausgestaltung der (Eingriffs-)Ermächtigungen und Maßnahmen mit dem Ziel, die Eingriffe so milde und fokussiert wie möglich zu gestalten. Gerade daran darf man zurecht große Zweifel haben, ob die Ermächtigungsgrundlagen des Infektionsschutzgesetzes dafür geschaffen sind.

Seit März hatte man genug Zeit, sich mit der gesetzlichen Ausgestaltung zur Pandemie zu beschäftigen und zum Beispiel ein umfassendes Gesetzgebungsverfahren mit allen bekannten Beteiligungs- und Beratungsmöglichkeiten einzuleiten. Passiert ist aber letztlich nichts. Das ist schade.

Auch wird ignoriert, dass es seit Jahren Pläne gibt, wie mit Pandemien umgegangen werden kann. Gerade im Spannungsfeld von unterschiedlichen Zuständigkeiten von Bund und Ländern wären diese Pläne mehr als hilfreich, die im Übrigen von den Katastrophenschutzämtern des Bundes und der Länder entwickelt wurden. Greifen könnten diese Pläne nur, wenn der sog. Katastrophenschutzfall festgestellt werden würde. Das geschieht aber nicht, weil sich sonst die Zuständigkeiten verschieben würden. Ein Schelm, der böses dabei denkt.

Bei all diesen Ausführungen muss man immer auch die gegenwärtige Gefährdungslage durch die Pandemie berücksichtigen. Sie ist es, der die flächendeckenden, massiven Grundrechtseingriffe zu verdanken sind. Ob die eine oder andere Maßnahme wirklich tragen wird, zeigt sich häufig im Nachhinein. Das macht es für einen Richter nicht einfach, sich für das eine oder andere zu entscheiden.

Also bleibt es dabei: „Die einzige Frage, um die es letztlich geht, ist, ob die nach wie vor erheblichen Einschränkungen des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens des ganzen Landes auf eine rechtsstaatlichen, grundrechtlichen und demokratischen Erfordernissen genügende Ermächtigungsgrundlage gestützt werden oder ob dafür weiter die bloße Fassade einer solchen ausreichen soll, wie sie derzeit in §§ 28, 32 IfSG enthalten ist.“ (vgl. Volkmann, Heraus aus dem Verordnungsregime. Die erheblichen Grundrechtseingriffe der Corona-Krise bedürfen endlich einer tragfähigen Rechtsgrundlage, NJW 2020, 3153 ff.)


Der Autor ist Jurist und interviewt Magnus Memmeler wöchentlich seit dem 15.03.2020 zum Thema „Corona und Katastrophenschutz“.

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ke
ke
3 Jahre zuvor

Ein Urteil aus Juni hat mit der aktuellen Situation in Deutschland und in Berlin speziell wenig Aussagekraft. Die Berliner Entscheidung ist absolut nicht nachvollziehbar bei der dortigen Corona Lage in einem extrem ignoranten Umfeld.

Dass Bonn direkt die eigenen Entscheidungen nicht durchsetzt ist komplett nicht nachvollziehbar.
Die großen Feiern mit Massen-Infektionen haben erheblich dazu beigetragen, dass sich Infektionen außerhalb der Standard-Cluster verbreiten.

Hoffentlich wurde in der juristischen Ausbildung auch auf exponentielles Wachstum eingegangen.

thomas weigle
thomas weigle
3 Jahre zuvor

Früher gab es doch im Bundesgebiet flächendeckend Sperrstunden, Begründung war oftmals die tatsächliche oder auch angebliche Störung der Nachtruhe der Anwohner. War zwar ärgerlich, aber irgendwie doch nachvollziehbar. Eine Pandemie ist doch um einiges heftiger als eine Störung der Nachtruhe, denke ich mal.

Robert Müser
Robert Müser
3 Jahre zuvor

Das Recht auf Hedonismus und Egoismus in Pandemiezeiten muss in die Verfassung!

Hauptsache Urlaub, Party und Feiern bis der Beamtmungsschlauch kommt – Pandemie egal, gibt es ja eh nicht …

Daher:
Weg mit dem Krempel an Regelungen, Allgemeinverfügungen und Erlassen und die Natur mal machen lassen! Hätte den interessanten Nebeneffekt, dass unter kompletten Beachtung der Freiheitsrechte und Grundrechte die Zahl der Kläger sich vermutlich natürlich stark reduzieren würde. In der Folge gibt es weniger Klagen und daher die schon lange geforderte Entlastung der Gerichte …

Ein Win-Win-Situation für alle oder etwa nicht?

ccarlton
ccarlton
3 Jahre zuvor

Was will uns #3 sagen? Daß es Scheiße ist, wenn Gerichte Recht so sprechen, wie es in den Gesetzesbüchern steht? Daß Bürger ihre Rechte dem Aktionismus der Politik freiwillig unterordnen sollen? Und mehr als Aktionismus sehe ich da nicht. Großveranstaltungen sind Virenschleudern! Deren Verbot sollte die Politik durchsetzen und Verstöße härter bestrafen, statt sich alle möglichen neuen Einschränkungen für nicht große Veranstaltungen einfallen zu lassen.

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