St. Clemens wird gerettet

St. Clemens Foto: Laurin


Das Wüten der Tornados in den Kreisen Soest und Paderborn sind der Anlass zur Erforschung einer mittelalterlichen Kirche.

Birken liegen wie abgeknickte Streichhölzer auf den Weiden neben der Straße. Noch am Montag sind Kolonnen von Arbeitern dabei, mit Motorsägen und Zugmaschinen die Straßen frei zu räumen. Rote Flatterbänder sperren die Wege ab. Viele Ortschaften sind wie ausgestorben. Auch drei Tage nachdem das Tief Emelinde in den Kreisen Paderborn und Soest wütete, ist die Region längst noch nicht zum Alltag zurückgekehrt. Bis zu 40 Liter regneten hier auf jeden Quadratmeter herab. In Paderborn wurden bei dem Sturm nach Angaben der Polizei 43 Menschen verletzt, 13 von ihnen schwer. Drei Tornados wüteten am 20 Mai im Osten Nordrhein-Westfalens. Das Wetterphänomen, das wohl die meisten bis vor wenigen Jahren vor allem mit den Great Plains, den riesigen Ebenen im Zentrum der Vereinigten Staaten in Verbindung brachte, hinterließ eine Spur der Verwüstung.

Dem Sturm zum Opfer fiel auch eines der wichtigsten Baudenkmäler im Kreis Soest: Die St. Clemens Kirche in Hellinghausen, einem alten Dorf, das heute zu Lippstadt gehört. Die kleine Kirche liegt auf einem Hügel. Die Spitzen der Bäume, die den Kirchplatz säumen, sind abgeknickt. Ein robuster um die Kirche herum aufgestellter Drahtzaun soll Neugierige davon abhalten, sich dem Gotteshaus zu nähern. Es herrscht Einsturzgefahr.

Anima Hellmann ist noch Tage nach der Katastrophe erschüttert. Die junge Frau lebt gemeinsam mit ihrer Mutter in einem Fachwerkhaus direkt neben der Kirche. Bei ihm hat der Tornado das Dach eines Anbaus zerstört, auch eine Wand wurde beschädigt. „Ich wohne hier schon mein ganzes Leben. Ich wurde in der Kirche getauft, meine Großeltern gingen hier immer zur Messe.“ Es sei ein Traum gewesen, hier aufzuwachsen: „Das Naturschutzgebiet, die schöne Allee und die alte Kirche, das passte alle so schön zusammen. Ich hoffe, die Kirche wird wieder aufgebaut und nicht abgerissen.

Abgerissen wird St. Clemens nicht, doch der Wiederaufbau wird eine Herausforderung: Zwei besonders schwere Schäden, sagt Michael Heyer, der Verwaltungsleiter der katholischen Kirche in Lippstadt, habe der Tornado hinterlassen: „Der gesamte Turmhelm mit Dachstuhl wurde runtergerissen. Es ist komplett zerstört, die Glocken hängen jetzt frei. Das Dach der Kirche wurde 60 Zentimeter in Richtung Norden verschoben.“  So stark war der Wind, dass der massive Wetterhahn 50 Meter durch die Luft flog. So groß die Schäden auch sind, bei einer Sache ist sich Heyer sicher: „Ein neueres Gebäude hätte den Sturm nicht überstanden. Das wäre wahrscheinlich vollkommen zerstört worden.“
Während der Turmhelm neu gebaut werden muss, soll versucht werden, den historischen Dachstuhl über dem Kirchenschiff zu retten: „Der Dachstuhl ist nicht gebrochen, sondern hat sich verzogen. Er wurde ganz ohne Schrauben gebaut, die Balken wurden verzapft.“ Mit Bändern und hydraulischen Gerätschaften soll er nun wieder gerichtet und in seine alte Position gebracht werden. „Aber erst einmal müssen wir die Kirche absichern, damit bei Regen oder Sturm nicht weitere Schäden entstehen.

In ein bis zwei Jahren, schätzt Heyer, könnten in der Kirche wieder geheiratet und Gottesdienste gefeiert werden. Alle für dieses Jahr geplanten Trauungen mussten jedoch in andere Kirchen verlegt werden.“

St. Clemens ist etwas Besonderes und das aus gleich mehreren Gründen: Die Kirche liegt nicht wie üblich im Zentrum des Dorfes Hellinghausen, sondern mehrere hundert Meter nördlich. Heyer geht davon aus, dass das ursprünglich anders war. Die Hellinghausener seien nach und nach weggezogen, weil die Lippeauen regelmäßig überflutet wurden. Die Kirche liegt auf einer Gottesinsel genannten Anhöhe, das Hochwasser kann ihr nichts anhaben. Auf einem alten Foto sieht man St. Clemens umgeben von Wasser wie in einem See gelegen. Nur die Kirche selbst, eine Allee und ein weiterer, kleiner Weg liegen oberhalb der Flut.

Auch unbekannt ist das Alter des kleinen Gotteshauses, in dessen Innerem gerade einmal 160 Gläubige Platz finden.

Auf der Internetseite des Dorfes findet sich die Geschichte, das Ida von Herzfeld die Kirche 825 hatte errichten lassen und sie die älteste Steinkirche Westfalens sei. Ida von Herzfeld war eine Enkelin von Karl Martell, ihr Vater Karlmann ein Bruder Karls des Großen. Sie wird als Heilige verehrt. Ob die Ursprünge der Kirche tatsächlich in der Zeit Karls des Großen liegen, ist allerdings alles andere als sicher.

„Wir wissen leider relativ wenig über diese Kirche“, sagt Bruno Kretzschmar, Fachmann für Denkmalpflege beim Landschaftsverband Westfalen Lippe in Münster. Aus der Literatur ginge hervor, dass St. Clemens so wie die Kirche heute in Hellinghausen zu sehen ist, aus dem späten 18. Jahrhundert stammt.  „St. Clemens hat allerdings einen romanischen Turm, der nicht näher datiert ist. Er könnte schon zur Vorgängerkirche aus den Jahren 1230 bis 1250 stammen, was aber nicht gesichert ist.“ Dass es eine solche Vorgängerkirche gab, ist allerdings klar:  Auf einer Stuckdecke aus dem frühen 18. Jahrhundert im nahen Schloss Oberhagen findet sich ein Bild, dass die alte Kirche zeige.

Der Grund, warum diese abgerissen und durch einen Neubau ersetzt wurde, ist bekannt. Im Siebenjährigen Krieg, der von 1756 bis 1763 dauerte, ist sie mehrmals zerstört worden. Der Siebenjährige Krieg war Konflikt zwischen allen europäischen Großmächten der damaligen Zeit, der global geführt wurde und literarische Spuren hinterlassen hat: Die Geschichte von Lederstrumpf und dem letzten Mohikaner spielt in dieser Zeit, als Briten und Franzosen in Nordamerika gegeneinander kämpften. Auch Westfalen wurde damals zum Schlachtfeld, sagt Kretzschmar: In Lippstadt habe sich eine ebenso wichtige wie umkämpfte preußische Festung befunden.

Die Beschädigung der Kirche ist nun für den Landschaftsverband der traurige Anlass, sich näher mit der Geschichte von St.  Clemens zu beschäftigen. Mitarbeiter der Bauforschung werden die Kirche untersuchen, sagt der Denkmalfachmann: „Wir werden versuchen, das Alter des verbauten Holzes zu bestimmen. Dafür vergleichen wir die Ringe im Holz mit denen andere Proben.“ Aber das Alter des Holzes allein reicht nicht aus, um zu bestimmen, wann die Kirche gebaut wurde: „Oft wurde Holz von anderen Gebäuden wiederverwendet. Recycling war auch schon früher üblich.“ Das Alter der Balken, der Baustil, aus all dem zusammen könnte sich ein Gesamtbild ergeben, das eine genau Datierung zulasse. Wenn es um die Behauptung geht, die kleine Kirche in Hellinghausen stamme ursprünglich aus der Zeit der Karolinger und sei die älteste Steinkirche Westfalens, ist Kretzschmar jedenfalls sehr zurückhaltend: „Im Kreis Soest soll St. Petri die älteste Kirche sein. Da gab es wohl eine Karolingische Vorgängerkirche.“

Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Welt am Sonntag

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Gerd
Gerd
2 Jahre zuvor

Die Birken liegen auf den Weiden neben der Straße. Wovon räumen dann die Zugmaschinen die Straße frei? Und warum sind dafür die Wege mit Flatterband abgesperrt? Auch bei Journalistenpoesie sollte doch zumindest noch ein minimaler Rest an nachvollziehbarer Logik erhalten bleiben.

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