Das Recht auf Wissen – die Strohmanndiskussion um Trisomie-Tests

Schwangere Frau (Foto: greensheepred / Flickr / CC BY-SA 2.0)

Sollten Trisomie-Tests von der Krankenkasse bezahlt werden? Ja. Sollten sie.

Aber das ist weder die Frage der Debatte, noch die Antwort auf sie. Die Fragestellung der Debatte ist wesentlich philosophischer: Wie verändert Technologie unsere Gesellschaft, ist diese Veränderung gewünscht und wie weit geht die Entscheidungsautonomie eines Menschen?

Ein Gastbeitrag von Daniel Bleich.
Es ist gut, dass wir darüber gesellschaftlich diskutieren. Es wird Zeit.

Zunächst: Trisomie-Tests sollten bezahlt werden, dafür gehört die Fruchtwasseruntersuchung abgeschafft. Eine Fruchtwasseruntersuchung führt potentiell zu Fehlgeburten, bei Bluttests ist dies vollkommen ausgeschlossen. Was viele bei der Diskussion vergessen ist, dass Trisomie-Tests nicht nur auf Trisomie 21 testen, sondern auf sämtliche Anomalien. Trisomie 21 ist nur die Populärste einer ganzen Reihe an Chromosomenaberration. Etliche davon, beispielsweise Triploidie, verursachen Fehlgeburten, Totgeburten oder sorgen dafür, dass das Kind innerhalb der ersten Jahre, mitunter ersten Stunden, ganz sicher verstirbt. Ebenso wird übergangen, dass bei ebenjenen Chromosomenaberrationen ein wesentlich höheres Risiko für die werdende Mutter besteht, insbesondere, wenn das Kind bereits im Mutterleib stirbt. Auch wird völlig ignoriert, dass ein Schwangerschaftsabbruch auch bei gänzlich anderen Konstellationen medizinisch empfohlen werden kann. Es ist nicht darstellbar, dass die Qualität der Diagnostik vom Geldbeutel der werdenden Eltern abhängt, das widerspricht dem Solidaritätsprinzip. Ein Bluttest ist genauer, sicherer, risikoloser und das für Mutter und Kind.

„Denn Wissen selbst ist Macht“ – Francis Bacon

Die Fragestellung folgt aber eben aus genau jener Genauigkeit. Wie bei jeder Diagnosemethode und bei jedem technischen Fortschritt, müssen wir gesellschaftlich diskutieren, wie mit zusätzlichem Erkenntnisgewinn umgegangen wird.

Ein interessantes Gedankenspiel: Möchten Sie wissen, an welchem Tag Sie sterben?

Die Frage ist knapp und brutal, da das Wissen um die Antwort ihre gesamte Lebensplanung zerstören kann. Wären Sie bereit, zu erfahren, ob Sie alle Ihre Wünsche, Träume und Ideen umsetzen können, wenn der Preis dafür lautet zu wissen, dass möglicherweise nichts davon jemals umzusetzen ist? In der Medizin kennt man die Fragestellung als „Recht auf Nichtwissen“.

Sie müssen nicht zu Präventionsuntersuchungen, Sie können. Keine Schwangere muss Pränataldiagnostik in Anspruch nehmen, Sie kann aber. Die Entscheidung darüber muss jede und jeder für sich treffen. Natürlich handelt es sich hierbei um ein Extrembeispiel, die philosophische Grundüberlegung ist jedoch die Gleiche. Die Möglichkeit, Wissen zu erlangen, muss für jeden Menschen bestehen. Genau wie jeder Mensch entscheiden muss, ob man die Möglichkeit nutzen möchte.

Ich bin fest davon überzeugt, dass Wissen und Unwissen Menschenrechte sind. Wer wählt, wählt auch immer die Konsequenz. Und Ende des jedes Wissens steht immer die Endlichkeit unseres Entscheidungsspielraums.

Es wäre fatal, wenn gerade in der Medizin der Geldbeutel darüber entscheidet, ob ein Mensch Wissen erlangen kann.

Die eigentliche Debatte führen wir seit Monaten, den Anfang nahm sie mit der Diskussion über die Artikel StGB §219a. Ohne Koalitionszwang hätte quasi jede Partei und jeder Politiker links der CDU/CSU damals für die Abschaffung des Artikels gestimmt. Dahinter steht eine Reihe simpler Fragen und Erkenntnisse: Welche Verfügungsgewalt hat eine Frau über ihren eigenen Körper – und bis wann? Und insbesondere die Erkenntnis, dass der Mensch sich entscheidet, neues Leben zu schaffen. Es ist die freie Entscheidung zweier Menschen, keines Gottes, keines Staates und auch nicht der restlichen Gesellschaft.

Wer damals dafür plädiert hat, dass §219a zu streichen ist, der muss auch jetzt für Trisomie-Tests plädieren. Alles andere wäre scheinheilig und Diskriminierung in ihrer reinsten Form. Entweder, wir erkennen den Abbruch einer Schwangerschaft als Teil der Entscheidungshoheit der Eltern und in erster Linie der Mutter an, oder eben nicht. Aber beides geht nicht. Das Recht auf eine Entscheidung darf nicht davon abhängen, ob das Kind mit einer Behinderung zur Welt kommen könnte. Das wäre fatal, denn in diesem Fall wäre das Leben eines Kindes ohne Behinderung weniger schützenswert. Wer an das Grundgesetz glaubt, darf dieser Logik niemals Anerkennung verschaffen.

Es geht, wie bereits formuliert, um Erkenntnisgewinn. Wohl kaum jemand könnte werdenden Eltern das Recht absprechen zu wissen, ob das Kind Triploidie hat, somit zu 80% im Mutterleib sterben und damit das Leben der Mutter stark gefährden wird. Aber aus genau diesem Erkenntnisgewinn kann auch folgen, dass man um die Trisomie 21 des Kindes weiß.

Und genau das führt zum Kern der Debatte, der gesellschaftlich beschämend ist. Die Konsequenz. Es ist vollkommen richtig, wenn Verbände von Menschen mit Behinderung monieren, dass eine Trisomie 21 Diagnose nicht zu vorgezeichneten Automatismen führen darf, die quasi immer in der Abtreibung eines Kindes enden. Hier sind insbesondere Medizinerinnen und Mediziner gefragt, die entsprechend der Wünsche der werdenden Eltern beraten und nicht durch eigene Wertung eine Entscheidung erzwingen. Der Wert des ungeborenen Menschen darf sich niemals daran bemessen, welche Behinderung ein Kind hat oder nicht hat. Ich halte es, persönlich, deshalb auch für schwierig vertretbar, dass nahezu jede Behinderung und insbesondere solche, die keine Gefährdung für die Mutter darstellen und nicht nahezu umgehend im Tod enden, als Legitimierung für eine Spätabtreibung herangezogen werden darf.

Ebenso ist aber auch jede Entscheidung individuell und frei zu bewerten. Nur, weil sich ein Elternpaar für ein Kind mit Behinderung entschieden hat, folgt hieraus keine Erfüllungspflicht für andere Paare.

Und niemals darf die Frage, ob und in welcher Weise eine Gesellschaft barrierefrei ist davon abhängen, wie vielen Menschen eben diese Barrierefreiheit nutzt. Barrierefreiheit und Inklusion sind Menschenrechte und Menschenrechte stehen nicht zur Disposition. Dass die Diskussion um eine medizinische Leistung aber genau an diesen Punkt kommt zeigt, dass ganz offenkundig gesellschaftlicher Konsens besteht, dass die Diskussion um die Inklusion viel zu oberflächlich geführt wird. Eine Gesellschaft ist nur dann wirklich inklusiv, wenn die Frage, ob eine Schwangerschaft abgebrochen wird oder nicht, nicht von der Behinderung abhängt. Wenn die Debatte dazu beiträgt, dass die Gesellschaft Behinderungen als etwas gänzlich normales anerkennt, dann ist viel erreicht.

Technologie deshalb zu restringieren, wäre auch für Behindertenrechtsverbände fatal. Die möglichen Konsequenzen wären katastrophal. Technologie ist wie die Büchse der Pandora, einmal geöffnet ist es völlig unmöglich, sie wieder zu schließen. Alles, was uns bleibt, ist Technologie so zu begleiten, dass sie entsprechend freiheitlicher Werte Verwendung findet. Andernfalls bestimmen andere Gesellschaften mit einer anderen Ethik den technologischen Prozess und es ist nicht wahrscheinlich, dass wir uns in dieser Interpretation wiederfinden. Ebenso wäre es unvereinbar mit einem freiheitlichen Menschenbild, wenn der Zugang zu Informationen und somit zur umfassenden Entscheidungsautonomie davon abhängt, ob man sich dies leisten kann.

Welches Menschenbild soll in 50, 100 oder 200 Jahren die Orientierung für unsere Spezies liefern? Der freiheitliche, pluralistische und fehlbare Mensch oder Designer Babies? Wer die Debatten der vergangenen Jahre verfolgt hat muss eingestehen, dass beide Optionen und viele dazwischen möglich sind Verschließen wir uns aber der Debatte, dann ist die Entscheidung getroffen.

„Der Mensch ist von Natur aus gut“ – Jean-Jacques Rousseau

Menschenrechte und damit auch insbesondere die Rechte von Menschen mit Behinderung basieren auf einem freiheitlichen, einem demokratischen Rechtsverständnis. Je freier ein Staat, je demokratischer seine Strukturen, desto freier auch seine Bürgerinnen und Bürger. Wer sich ein wenig mit der Thematik auskennt weiß, dass es insbesondere in Diktaturen und Autokratien schlecht um die Rechte von Menschen mit Behinderung bestellt und gesellschaftliche Achtung quasi nicht gegeben ist. Bestimmen eben diese oder vergleichbare Systeme die technologische Entwicklung, dann bestimmen sie auch den Diskurs über die Nutzung. Das darf nicht geschehen.

in Zukunft wird die Menschheit mit disruptiven, technologischen Veränderungen konfrontiert. Das ist sicher. Ebenso ist sicher, dass dies Menschen vor immer komplexere Entscheidungssituationen mit immer mehr Informationen stellen wird, mitunter schlagartig. Und auch wird diese Entwicklung dazu führen, dass beispielsweise Erbkrankheiten, die Diagnostik vor und bei der Entbindung, die postnatale Versorgung und somit auch das Auftreten von Behinderungen seltener wird. Das gilt für jeden Bereich der Medizin. Wie viele Menschen mit einer Kinderlähmung fallen Ihnen ein?

„Die Freiheit ist jedem gegeben. Wenn der Mensch sich zum Guten wenden und ein Gerechter werden will, so kann er das.“ – Moses Maimonides

Dass die gesellschaftliche Wahrnehmung und Achtung erhalten bleibt, ist aber Aufgaben eben dieser Gesellschaft. Die Diskussion um dieses Wissen darf niemals mit Vorurteilen oder Vorwürfen geführt werden. Entscheidungszwänge, egal welcher Art, sind eine Gefahr für die Demokratie.

Das Recht auf Information muss uneingeschränkt gewahrt bleiben. Wer daran glaubt, dass der Mensch vernunftbeseelt und gut ist, der gesteht auch jedem Menschen zu, eigenständig aus genau dieser Information Schlüsse zu ziehen. Genauso muss jedem Menschen die Möglichkeit gegeben sein, selbst im Rahmen geltender Gesetze zu entscheiden, was gut, gerecht und richtig ist. Hier gibt es keine absoluten Wahrheiten.

Es ist das Recht jedes Menschen, sich in die gesellschaftliche Diskussion einzubringen. Niemand aber hat das Recht, für einen anderen Menschen Entscheidungen zu treffen.
An dieser Stelle muss jeder für sich selbst entscheiden, ab wann der Mensch Mensch ist.

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