Neues Altes von der Rechtschreibreform: auf dem Weg zur vierten Fassung

Lesen bildet. Wenn man das Richtige liest, versteht sich. Wenn Lesen also bilden soll, liest man – kleiner Scherz – am besten die Bildzeitung. Des weiteren soll, so erzählt man es sich, wer viel liest, die Rechtschreibung besser beherrschen. Bekanntlich liegen die Dinge bei der deutschen Rechtschreibung ein wenig komplizierter. Sie wissen schon: die Rechtschreibreform, also die Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996, deren reformierte Rechtschreibregeln in ihrer dritten Fassung 2006 eingeführt wurden.

Aller guten Dinge sind drei, heißt es. Man hätte annehmen dürfen, dass nach all dem Hin und Her um die Reform inklusive Nachbesserungen, Reform der Reform etc. pp. inzwischen ein Punkt erreicht wäre, an dem allen Konfliktparteien ein Reformstopp in dieser Sache entgegenkommen könnte. Doch weit gefehlt! „Rechtschreibrat fordert alte Schreibweise zurück!“ ist heute in der Onlineausgabe der Bildzeitung zu lesen. Mein erster Gedanke: das hätte ich nicht gedacht, dass sich die Reformgegner am Ende doch noch durchsetzen. Der zweite: wer ist eigentlich der deutsche Rechtschreibrat? Dann habe ich gesehen, dass es nur um „schlimmsten Blüten der Schlechtschreibreform von 2006“ geht.

Wieder einmal hatte mich die Bildzeitung mit einer ihrer Überschriften erschrecken können. Als der Schreck nachließ, fiel mir auf, wie wenig ich im Grunde über das geltende Recht in Sachen rechter Schreibung informiert war und aller Wahrscheinlichkeit nach immer noch bin. Über der fetten Überschrift „Rechtschreibrat fordert alte Schreibweise zurück!“ stand nämlich – zwar in roten Lettern, aber doch deutlich kleiner – geschrieben: „Butike, Scharm, Mohär“. Wie bitte?! Doch tatsächlich: so kann man es machen. In diesem Fall: schreiben. Rechtschreiben.

Man kann ganz scharmant in die Butike gehen und sich eine Mohärmütze kaufen. Wenn man möchte. Man kann und konnte und wird auch in Zukunft ganz charmant in die Boutique gehen und sich eine Mohairmütze kaufen können. Wenn man möchte, versteht sich, und wenn der Kleiderladen diese Kopfbedeckung im Angebot hat und man selbst sein gewinnendes Wesen mit solch einer bescheuerten Mütze verunstalten möchte. Wenn der eigene Kupee jedoch ein Kabrio ist, ist die Maläse offenkundig. Ohne die Mohairmütze hat man dann einen Katarr im Nacken, der eine Behandlung mit Krem oder gar mit Myrre erforderlich machen könnte. Okay, mit der Mütze sieht man freilich aus wie im Sketsch einer von der Maffia, um auch auf diese Fassette der ganzen Schose aufmerksam zu machen.

Mit alledem soll – vielleicht auch deshalb – jetzt endlich Schluss sein. So will es jedenfalls der Rat für deutsche Rechtschreibung, wie er in seinem jüngst fertiggestellten Bericht über seine Arbeit von März 2006 bis zum Oktober 2010 vorschlägt. Die Mitglieder dieses Rates – (fast) nur Professoren und so – hatten nämlich „Gebrauchserhebungen“ durchgeführt und bei der „Einordnung und Diskussion der zur Streichung vorgeschlagenen Variantenschreibungen“ (S. 23 f.) feststellen müssen, „dass ein fester Gebrauch ausschließlich bei den forciert integrierten Fremdwort-Variantenschreibungen beobachtet werden kann.“ Auf deutsch: die „integrierte Fremdwort-Variantenschreibung“, also die eingedeutschte Schreibweise, sorry: „Schreibung“, hat sich irgendwie nicht so recht gegen die „Fremdwort- Variantenschreibung“ durchsetzen können. Die Variantenschreibung wird deshalb Variantenschreibung genannt, weil ja bislang beide Varianten zulässig gewesen sind. Setzt sich also der Rat für deutsche Rechtschreibung mit seiner Anregung durch, ist künftig nur noch die Fremdwort- Variantenschreibung erlaubt, die dann jedoch keine Variantenschreibung mehr ist, weil die integrierte Fremdwort- Variantenschreibung dann verboten ist. Als deutsche Schreibweise, äh: Schreibung wird dann nur noch die Fremdwort-Variante als Recht bzw. Rechtschreibung anerkannt. Armes Deutschland!

Dann muss man ganz charmant in die Boutique gehen und sich eine Mohairmütze kaufen. Weil der eigene Coupé ein Cabrio ist, die Malaise also offenkundig ist, dass man ohne die Mohairmütze einen Katarrh im Nacken bekäme, der eine Behandlung mit Creme oder gar mit Myrrhe erforderte. Auch wenn man mit der Mütze freilich aussieht wie im Sketch einer von der Mafia, um auch auf diese Facette der ganzen Chose aufmerksam zu machen. Kurzum: künftig soll man in Deutschland zur Fremdwort-Schreibweise gezwungen werden. Und warum das Ganze? – Der Rat der Professoren meint, dass die eingedeutschte Schreibweise („integrierte Fremdwort-Variantenschreibung“) nicht angenommen wird, läge daran, dass die Fremdsprachenkenntnisse unserer Jugend immer besser würden. Man stelle sich das vor: englisch können sie. Aber deutsche Rechtschreibung: Fehlanzeige. Mir kann es egal sein. Es wird heute schon schwer bestraft, wenn ich die für meinen Klapprechner üblichen Bezeichnungen in integrierter Fremdwort-Variantenschreibung buchstabiere: Läpptopp oder Notbuk. Gehen gar nicht. Keine Schanse!