Unvorbereitet in den Blackout: Politik ignorierte alle Mahnungen von Experten

Abgeknickte Strommasten bei Ahaus. 2005 kam es in Teilen Deutschlands nach einem Schneechaos und Blitzeis zu Blackouts Foto: Stahlkocher Lizenz: CC BY-SA 3.0


Im Fall eines Blackouts ist die Bundesrepublik schlecht vorbereitet. Mahnung von Experten wurden ignoriert.

Als Anfang 2020 die Corona-Pandemie begann, sorgte ein Papier des RKI für Aufmerksamkeit: Die Behörde hatte in einem im Januar 2013 veröffentlichtem Bericht sehr genau die Folgen einer SARS-Epidemie beschrieben. Sieben Jahre später war klar, dass die Politik keinerlei Vorbereitungen für den Fall getroffen hatte, dass das vom RKI beschrieben Szenario eintritt. Im Fall eines längeren Blackouts könnte sich das wiederholen. 2011 veröffentlichte der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung einen Bericht mit dem Titel: „Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften – am Beispiel eines großräumigen und langandauernden Ausfalls der Stromversorgung“. Dort wird beschrieben, was passiert, denn der Strom einige Tage ausfällt.

Die Kommunikation würde Zusammenbrechen: „Bereits in den ersten Tagen zeigt sich, dass das für einen Katastrophenfall vorgesehene und gesetzlich geforderte Mindestangebot an Telekommunikationsleistungen bei einem langandauernden und großflächigen Stromausfall durch die TK-Anbieter nicht erbracht werden kann.“

Auch der Verkehr käme zum Stillstand: „Im Sektor „Transport und Verkehr“ fallen die elektrisch betriebenen Elemente der Verkehrsträger Straße, Schiene, Luft und Wasser sofort oder nach wenigen Stunden aus. Dies betrifft sowohl die Transportmittel als auch die Infrastrukturen sowie die Steuerung und Organisation des entsprechenden Verkehrsträgers. Zu Brennpunkten werden der abrupte Stillstand des Schienenverkehrs und die Blockaden des motorisierten Individual- und öffentlichen Personennahverkehrs in dichtbesiedelten Gebieten.“

Sehr dramatisch werden die Folgen eines Blackouts für die Wasserversorgung eingeschätzt: „Die Wasserinfrastruktursysteme können ohne Strom bereits nach kürzester Zeit nicht mehr betrieben werden. Die Folgen ihres Ausfalls, insbesondere für die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser, wären katastrophal.“ Und was genau würde passieren? Auch das kann man in dem Bericht nachlesen: „Eine Unterbrechung der Wasserversorgung wirkt sich umfassend auf das häusliche Leben aus: Die gewohnte Körperpflege ist nicht durchführbar; für die Mehrzahl der Haushalte gibt es kein warmes Wasser. Das Zubereiten von Speisen und Getränken ist nur reduziert möglich, und die Toilettenspülung funktioniert nicht. Mit fortschreitender Dauer des Ausfalls ist mit einer Verschärfung der Probleme zu rechnen. Saubere Kleidung gibt es bald nicht mehr, und die hygienischen Zustände werden prekär. Toiletten sind verstopft. Es wächst die Gefahr der Ausbreitung von Krankheiten. Eine weitere, mittelbare Folge des Stromausfalls ist ein wachsendes Risiko von Bränden − im industriellen Bereich etwa durch den Ausfall von Kühlungen und Prozessleitsystemen oder durch Versuche in den Haushalten, ohne Strom zu kochen, zu heizen oder zu beleuchten. Da als Folge der reduzierten oder ausgefallenen Wasserversorgung die Brandbekämpfung beeinträchtigt ist, besteht insbesondere in Städten wegen der hohen Besiedelungsdichte die Gefahr der Brandausbreitung auf Häuserblöcke und möglicherweise sogar auf ganze Stadtteile.“

Auch Essen würde schnell knapp werden: „Der Sektor Lebensmittel umfasst die komplexe Versorgungskette von der Rohstoffproduktion bis zur Abnahme von Fertigerzeugnissen durch den Endverbraucher. Als Folge des Stromausfalls ist die Versorgung mit Lebensmitteln erheblich gestört; deren bedarfsgerechte Bereitstellung und Verteilung unter der Bevölkerung werden vorrangige Aufgaben der Behörden. Von ihrer erfolgreichen Bewältigung hängt nicht nur das Überleben zahlreicher Menschen ab, sondern auch die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung.“ Lebensmittel könnten schlicht nicht mehr hergestellt werden: „Die weiterverarbeitende Lebensmittelindustrie fällt zumeist sofort aus, sodass die Belieferung der Lager des Handels unterbrochen wird. Diese halten zwar umfangreiche Lebensmittelbestände vor, allerdings überwiegend in Form von (Tief-)Kühlprodukten. Nur wenige Lager können die erforderliche Notstromversorgung länger als zwei Tage aufrechterhalten. Dadurch werden auch der Warenumschlag und damit die Versorgung der Filialen massiv beeinträchtigt. Dort leeren sich die Regale innerhalb weniger Tage.“

Das Gesundheitssystem würde kollabieren: „Nahezu alle Einrichtungen der medizinischen und pharmazeutischen Versorgung der Bevölkerung sind von Elektrizität unmittelbar abhängig. Das dezentral und hocharbeitsteilig organisierte Gesundheitswesen kann den Folgen eines Stromausfalls daher nur kurz widerstehen. Innerhalb einer Woche verschärft sich die Situation derart, dass selbst bei einem intensiven Einsatz regionaler Hilfskapazitäten vom weitgehenden Zusammenbrechen der medizinischen und pharmazeutischen Versorgung auszugehen ist. Bereits nach 24 Stunden ist die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens erheblich beeinträchtigt. Krankenhäuser können mithilfe von NSA noch einen eingeschränkten Betrieb aufrechterhalten, Dialysezentren sowie Alten- und Pflegeheime aber müssen zumindest teilweise geräumt werden und Funktionsbereiche schließen. Die meisten Arztpraxen und Apotheken können ohne Strom nicht mehr weiterarbeiten und werden geschlossen. Arzneimittel werden im Verlauf der ersten Woche zunehmend knapper, da die Produktion und der Vertrieb pharmazeutischer Produkte im vom Stromausfall betroffenen Gebiet nicht mehr möglich sind und die Bestände der Krankenhäuser und noch geöffneten Apotheken zunehmend lückenhaft werden. Insbesondere verderbliche Arzneimittel sind, wenn überhaupt, nur noch in Krankenhäusern zu beziehen. Dramatisch wirken sich Engpässe bei Insulin, Blutkonserven und Dialysierflüssigkeiten aus.“

Ob es zu Unruhen wie beim Stromausfall in New York 1977 käme, ist, nicht klar: „Das Verhalten von Gruppen und Individuen in einem Katastrophenfall ist ein noch nicht ausreichend erschlossener Untersuchungsgegenstand. So fehlen Analysen zum Schutz-, Flucht- und Unterstützungsverhalten der Bevölkerung sowie zur Belastungsakkumulation in langandauernden Bedrohungslagen. Zugleich existiert hierzu aber eine Reihe von weitgehend fragwürdigen Annahmen – insbesondere zu erwartbarem, überwiegend unsozialem, apathischem oder panikartigem Verhalten der Bevölkerung. Deshalb wäre hier weitere Aufklärung – insbesondere zu den möglichen Hilfeleistungspotenzialen der Bevölkerung in Katastrophensituationen – erforderlich. Durch differenzierte Forschungsbemühungen könnte am Beispiel Stromausfall ein Beitrag zur Analyse des in der Katastrophenforschung wenig thematisierten menschlichen Bedrohungs- und Fehlverhaltens und seiner Ursachen geleistet werden. Dabei sollte auch das Verhalten von Helfern Untersuchungsgegenstand sein. Informations- und Forschungsbedarf ist vor allem bei der interorganisatorischen Kommunikation und Kooperation zu sehen. Welches fördernde und hemmende Faktoren der Kommunikation sind, sollte durch verstärkte sozialwissenschaftliche und interdisziplinäre Analysen weiter erhellt werden.“

Der Gesamtverband der Versicherer (GdV) hat sich im Januar dieses Jahres, also noch vor Beginn des Angriffs Russlands auf die Ukraine, ausführlich mit den Folgen eines Blackouts beschäftigt. Schon damals wurde die Gefahr eines großflächigen Stromausfalls als groß angesehen. Die Energiewende galt als Katastrophenturbo. Ist Deutschland wenigstens auf einen Blackout vorbereitet? Nach Ansicht der vom GdV im Januar befragten Experten nicht gut:  „Ein Blackout gehört aktuell zu den größten Risiken für unser Land“, warnte Wolfram Geier, Abteilungsleiter für Risikomanagement und Internationale Angelegenheiten im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Dessen Wahrscheinlichkeit wachse und wie schon bei der Pandemie sei Deutschland schlecht vorbereitet.
Ähnlich sah es sagte Albrecht Broemme, der ehemalige Präsident des Technischen Hilfswerks (THW) und heutige Chef des Thinktanks Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit in Berlin: „Die Sensibilität für die Folgen eines Blackouts ist in keiner gesellschaftlichen Gruppe vorhanden. Auf einen Blackout ist Deutschland überhaupt nicht vorbereitet.“ Er hielt einen Hackerangriff für das größte Risiko. Auch das dürfte durch den Krieg noch einmal gestiegen sein.

Die erfahrenen Militärexperten und hochrangigen Offiziere John R. Allen, Frederick Ben Hodges und Julian Lindley-French haben die russischen Möglichkeiten einen Cyberkrieg zu führen in ihrem Buch Future War beschrieben. Und diese Truppe sind auch nach neun Monaten Krieg noch intakt und einsatzbereit. Vielleicht haben sie auch schon im Westen zugeschlagen: Kurz nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine wurden Windkraftanlagen lahmgelegt. Der Verdacht, dass es russische Hacker waren, steht nach wie vor im Raum.

Erneut steht das Land also vor einer großen Gefahr und wieder wurden die Mahnungen aller Experten nicht gehört. Weder von der aktuellen Bundesregierung noch von ihren Vorgängern

 

 

 

 

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Heribert Wasserberg
Heribert Wasserberg
2 Jahre zuvor

Der zweite Stresstest hat gezeigt, dass das Eintreffen eines Blackouts unwahrscheinlich ist. Die aktuell vielen Warnungen vor Blackouts in Deutschland sind also politisch motiviert, werden allerdings durch Masse und durch Wiederholungen nicht überzeugender. Geht es um Energie, ist man – vom Spiegel bis zum TÜV – nichts viel besseres als Horrorwarnungen gewohnt.
Sie mahlen den Teufel an den Wand. Wieder einmal . Nicht aus Realitätsorientiertheit, sondern aus Gemütlichkeit. Das Leben ändern müssen,, das eigene Denken ändern müssen, wozu, wenn es doch viel gemütlicher ist, im alten Trott zu bleiben. Nur ja nicht sich mit der Frage beschäftigen, wie eine moderne Gesellschaft eine ausgeglichene Ökobilanz hinbekommt.

Berthold Grabe
Berthold Grabe
2 Jahre zuvor

Das risiko eines echten Blackouts scheint zur Zeit eher niedrig zu sein, aber eben nicht ausgeschlossen.
Und sollte in Angriff auf unsere Infrastruktur durch Hacker erfolgen, ist der Zeitpunkt der höchsten Beanspruchung des Stromnetzes der beste Zeitpunkt.
Bei einem Risiko, auch wenn es unwahrscheinlich ist, im Ernstfall mindestens 4 stellige Todeszahlen zur folge hätte, ist es grob fahrlässig, keine Notfallstrukturen zu besitzen.
Die Flut in NRW hat eindrücklich gezeigt, das ein Großteil der Toten hätte verhindert werden können, wenn die Notfallinfrastruktur vorhanden gewesen wäre, was sie bis heute nicht ist.
Der Staat war während der Katastrophe ein Totalausfall in jeder Beziehung, in der unmittelbaren Folge eher Behinderung als Hilfe und erst beim Aufräumen vor allem und ausschließlich als Geldgeber von Bedeutung.
Praktisch sämtliche Hilfe in den ersten beiden Tagen wurde privat organisiert, vom schweren Gerät über Notstrassenbau bis hin zur Versorgung mit Wasser, Lebensmitteln und Schaufeln .
Und auch dass wäre nicht möglich gewesen, wenn die Katastrophe nicht lokal gewesen wäre.

Zu fordern wie Herr Wasserberg, das Leben zu ändern ist wohlfeil, ändert aber nichts an der mangelnden Risikovorsorge des Staates praktisch auf allen Ebenen, ebenso wenig an der unrealistischen Vorstellung, dies Veränderungen sei mal ebenso zu bewältigen.
Dahinter steckt eine tiefes Unvermögen, die Komplexität und Anfälligkeit der modernen Gesellschaft zu verstehen, die gerade auch in einem Transformationsprozess noch anfälliger auf Ausfälle regieren wird, als ohnehin schon.
Diese Auszehrung struktureller innerer Stressresilienz könnte sogar den gesamten Transformationsprozess verunmöglichen oder sogar rückläufig machen mit allen negativen Folgen.
Wer eine Katastrophe wie die Flut in NRW miterlebt hat, kann die Verharmlosung von Herrn Wasserberg nur als die Ignoranz von Jemandem verstehen, dem so was noch nie passiert ist.
Das Fehlen jeglicher analoger Notfallstrukturen macht die Wette auf die Unwahrscheinlichkeit, aber nicht Unmöglichkeit zu einem zynischen Spiel mit Menschenleben.

Heribert Wasserberg
Heribert Wasserberg
2 Jahre zuvor

@ #2 Berthold Grabe „tiefes Unvermögen“ „ignoranz“ etc. Oh, was habe ich verbrochen, von einem wildfremden Menschen mit solchen Begriffen belegt zu werden? Jeder kennt doch die Ursachen der Flutkatastrophe, und ich bin nicht Ihr Sündenbock dafür, dass sie sich ereignet hat.
„Stressresilienz“? Und auch noch kurzfristig? Es gab sie nicht, es gibt sie nicht, und es wird sie so schnell nicht geben. Denn zum Wesen des Kriegs gehört, dass keine Stressresilienz neu aufgebaut werden kann, die es nicht zuvor gab, und niemand weiß gegenwärtig, wann der gegenwärtige Krieg enden wird.
Zum Beispiel steht der Stressresilienz entgegen, dass das Energieversogungssystem um die Steuerungszentralen der vier Netzbetreiber herum organisiert ist. Der Feind muss nur diese vier, oder vielleicht auch nur eine von ihnen ausschalten, und schon ist die Energieversorgung Deutschlands zerstört.
Stressresilienz hieße, die Energieversorgungsnetz strukturell zu dezentralisieren, Energieproduktion möglichst vor Ort stattfinden zu lassen, auf Instrumente zentraler Steuerung möglichst zu verzichten und ihre Systemrelevanz stark zu begrenzen. Und natürlich auf Großanlagen wie Gas-, Kohle- und Atomkraftwerke zu verzichten, die keine Funktion in einem dezentralen kriegs-resistenten, stressresilienten Energiesystem haben, und mehr als dankbare Ziele für Terroristen, KGB-Einheiten usw. sind.
Das Energiesystem der Zukunft muss biomorph organisiert sein, als System vieler miteinander verbundener autonomer Energieproduktionsanlagen. Und es darf nicht künstlich verbilligt sein, denn: wir müssen zu einer ausgeglichenen Ökobilanz kommen.

Berthold Grabe
Berthold Grabe
2 Jahre zuvor

#Wasserberg
Ich kann Ihnen weitgehend zustimmen. Allerdings bedeutet hier Ignoranz, dass es eben fahrlässig ist nicht sämtliche Mittel auszuschöpfen, die zur Verfügung stehen um einen Blackout zu verhindern.
Das Risiko existiert auch ohne die Risiken durch zentralisierte Strukturen, über deren sinn und Unsinn ohnehin nur langfristig diskutiert / Abhilfe geschaffen werden kann. Das Blackoutrisiko ist völlig unabhängig davon.
Bevor wir also über den möglichen „Feind“ reden, der bisher noch nicht wirklich existent ist, wäre schon mal viel gewonnen wenn uns nicht ganz ohne Feindeinwirkung der Strom ausgehen kann.
Hier geht es noch nicht um die Zukunft, sondern um die Gegenwart als Voraussetzung für eine Zukunft.

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