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Uraufführung am Theater Dortmund: Nach Manila

Nach Manila (Foto: Birgit Hupfeld)

Am 3.6. hatte im Megastore die Produktion „Nach Manila“ Premiere. Entwickelt wurde sie von „Laokoon“, einem Recherche- und Theater-Kollektiv aus Berlin, dessen Kopf Moritz Riesewieck in Dortmund Regie führte. Bühnenbildner Christian Maith – ebenfalls Laokoon-Mitglied – baute für „Nach Manila“ einen Garten in die kleinere Spielstätte des Megastores. Die Zuschauer sitzen verteilt im Raum auf (ziemlich unbequemen) Holzbänken, dazwischen Pflanzen und Bäume in Plastiktrögen. Ein tropischer Urwald, könnte man meinen, doch in der Zwei-Millionen-Metropole Manila gibt es die namengebenden Mangroven-Wälder längst nicht mehr. Der Garten ist ein virtueller, der sorgsam umfriedete „World-Garden“, als den sich Facebook gerne sieht. Die Mitglieder des Dortmunder Sprechchores werden später einmal vorsichhinmurmelnd zwischen den Pflanzen herumstreichen und Unkraut und abgestorbene Ästchen einsammeln. Unermüdlich damit beschäftigt die Facebook-Welt sauber zu halten und vor Wildwuchs zu bewahren.

In Manila wird diese Arbeit von Menschen vorgenommen, die in endlosen Schichten am Bildschirm Bilder einstufen, die von den Usern auf der ganzen Welt auf Facebook hochgeladen  und von Algorithmen oder anderen Usern als problematisch eingestuft wurden. Sex und grausame Gewalt, Pornographie und politische Satire, in Bildern und Videos – Tag für Tag. Bild aufrufen, in Sekundenbruchteilen entscheiden, ob es gelöscht werden muss oder ignoriert wird, nächstes Bild. An drei Beispiel-Schicksalen erzählt „Nach Manila“ welche Auswirkungen diese Arbeit auf die Psyche der Mitarbeiter hat. Da ist die streng katholische Maggy, die alsbald einen Hygiene- und Waschzwang entwickelt, Dodong, der sich ganz in eine Scheinwelt zurückzieht und in seiner Wohnung einen Garten rekonstruiert, den er einst in einem besonders verstörenden Video gesehen hat, und da ist Nasim, dem sich irgendwann die Bilder von explodierenden Selbstmordattentätern wider seinen Willen mit sexueller Erregung verknüpfen.

Caroline Hanke spielt die Journalistin, die kühl beobachtend durch die Geschichten manövriert, gelegentlich Zahlen, Daten und Fakten einstreut, und damit den Schicksalen einen Resonanzraum schafft. Merle Wasmuth spielt die Maggy und steigt zunächst überraschend entspannt ein. Fast ist ihre anfängliche Zurückgenommenheit stärker als die schier endlosen Erregungskaskaden, die sie später mit höchster Kunstfertigkeit herausschleudert. Nasim, der aus Syrien nach Manila reist, weil er dort auf ein besseres Leben hofft, wird von Björn Gabriel gespielt, den man lange nicht so emotional überzeugend erlebte. Die erstaunlichste Leistung des Abends kommt allerdings von Rafaat Daboul als Dodong. Der junge Syrer arbeitet sich hier erstmals an größeren Textmengen ab und zeichnet sehr souverän einen manischen Charakter.

Durch die aufgebrochene Bühnensituation sehen stets nur einige Zuschauer das Geschehen live, für alle andere wird es per Video (Mario Simon, Julia Gründer) auf drei Leinwände übertragen, auf denen gelegentlich durch Überblendungen zusätzliche Ebenen eingezogen werden. Mit Dortmunder Sprechchor und dem Jugendclub „Theaterpartisanen“ ist ein gewaltiges Personal aufgeboten, das sicherstellt, dass aus dieser Recherchearbeit ein richtiger Theaterabend wird. Die eindreiviertel Stunden „Nach Manila“ sind eine bildgewaltige Tour de Force – nicht nur, weil man sich irgendwann wünscht, ein Kissen mitgebracht zu haben –; dass die Geschichten der prekären Computerarbeiter*Innen nahe gehen, ist dabei den ausgezeichneten Darstellenden zu verdanken. Dass der Abend über das reine Dokutheater hinaus das Thema auch auf Fragen nach der Wahrheit und Verstehbarkeit von Bildern erweitert, dürfte auf das Konto der Dramaturgie von Tina Ebert (Laokoon) und Alexander Kerlin vom Dortmunder Schauspiel gehen.

Termine und Tickets: www.theaterdo.de

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