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Wahl in Schweden: Es ist etwas faul

Wahl in Schweden: Wer sitzt im nächsten Reichstag? Foto: Reichtagsadministration
Wahl in Schweden: Wer sitzt im nächsten Reichstag? Foto: Reichstagsadministration

Flüchtlingskrise, prügelnde Nazis, Ausländerfeindlichkeit – an das ehemals so liberale Schweden denken bei diesen Worten wohl die Wenigsten. In dem skandinavischen Land hat sich in den letzten Jahren viel verändert. Die Wahl am Sonntag wird zeigen, wohin sich die schwedische Demokratie bewegt. Ein Gastbeitrag über die Wahl in Schweden von Moritz Golombek.

Nächsten Sonntag bestimmen die Schweden den nächsten Riksdag, den nächsten Reichstag des 10-Millionen-Einwohner-Landes. Stefan Löfven, der amtierende sozialdemokratische Ministerpräsident muss um seine politische Zukunft bangen. Aber auch sein Herausforderer, Moderaten-Vorsitzender Ulf Kristersson, wird erst nach der Wahl in Schweden wissen, ob er eine Chance hat, die nach dem König höchste Position im Land einzunehmen.

Wer sich die Probleme der schwedischen Gesellschaft ansieht, der fühlt sich schnell an Deutschland erinnert: Im Gesundheitssystem knirscht es, Fremdenfeindlichkeit zeigt immer häufiger ihr hässliches Gesicht, Kriminalität ist (tatsächlich deutlich weniger als gefühlt) auf dem Vormarsch und ein wachsender Antisemitismus macht sich breit (dass dieser in Form von sogenannter Israelkritik Regierungspolitik in Schweden ist, das ist allerdings nicht neu).

Diese Wahl in Schweden ist anders

Diese Wahl ist anders als viele zuvor in Schweden. Auch hierzulande hat man in den vergangenen Jahren von den „Schwedendemokraten“ gehört, jener einst kleinsten Partei, die in AfD-Manier die schwedische Politik aufzumischen versucht. Deren Vorsitzender, Jimmie Åkesson, gab neulich in einer TV-Ansprache zu verstehen: Die Schwedendemokraten wollen ein „modernes Volksheim” schaffen, einen starken Sozialstaat, in dem individuelle Leistung hoch geschätzt wird und der in erster Linie, das kann man unterstellen, ‚echten‘ Schweden dient. Anders als die AfD in Deutschland könnten die Schwedendemokraten jedoch den ultimativen Erfolg erfahren: Zweitstärkste, im ärgsten Fall gar stärkste Kraft zu werden. In Schweden herrscht Blockpolitik, immer annähernd gleiche Parteibündnisse aus rot-grünen beziehungsweise bürgerlich-konservativen Parteien stellen seit dem Bruch der sozialdemokratischen Hegemonie in den 1980er Jahren wechselweise den Regierungschef.

Zwar haben die Schwedendemokraten bereits bei den vergangenen Wahlen erschreckenden Zuwachs erhalten (sie verdoppelten ihr Wahlergebnis seit den frühen 2000ern bei jeder Wahl in Schweden), doch dieses Jahr sind sie eventuell das erste Mal in der Lage, die schwedische Politik nach ihrem Gusto zu gestalten- gerade wegen der starren Blockpolitik der anderen Parteien. Die Umfragewerte der beiden Parteibündnisse liegen seit Monaten um je 38-40%. Die restlichen etwa 20-24% sind der Stimmanteil, den die Schwedendemokraten erwarten können. Dies überrascht wenig: Die von den Schwedendemokraten konstant bearbeiteten Themen von Sicherheit und Einwanderung dominieren neben Themen wie der Gesundheitsversorgung den Wahlkampf. Hieran zeigt sich: Auch vor Schweden macht der Trend zum Populismus nicht Halt.

Warum die Schwedendemokraten?

Doch warum erhalten die Schwedendemokraten so viel Zuspruch? Schweden geht es relativ gut, die Arbeitslosigkeit ist knapp niedriger als im europäischen Schnitt, der Sozialstaat ist so stark wie in kaum einem anderen Land auf der Welt. Auch der Zuwachs an Geflüchteten, der pro Kopf gerechnet mehr als doppelt so hoch war wie in Deutschland, hat das Sozialsystem längst nicht kollabieren lassen. So weit, so gut. Unter der Oberfläche brodelt es aber. Der Schlüssel zum Verständnis der Wahl, so könnte meinen, liegt in einem alten und wichtigen Konzept der schwedischen Politik: Sicherheit, beziehungsweise Geborgenheit, auf Schwedisch trygghet, bedeutet, dass ein schwedischer Bürger in physischer, psychischer sowie sozio-ökonomischer Hinsicht Sicherheit leben soll, das Gefühl von Sicherheit mit einschließend. Die Sozialdemokraten etwa werben mit dem Slogan „Eine stärkere Gesellschaft, ein geborgeneres (ett tryggare) Schweden“.

Tatsächlich ist etwa der ohnehin niedrige relative Anteil der Polizst*Innen in Schweden seit Jahren rückläufig, auch hat eine Studie ergeben, dass immer mehr Schweden sich Kriminalität ausgesetzt sehen. Vor einigen Monaten erst griffen Nazis auf dem Demokratiefest „Politikerwoche“ israelsolidarische Menschen gewalttätig an und zeigten den Hitlergruß. Es steht jedoch zu bezweifeln, dass diese Fakten ein Gefühl von trygghet gänzlich auflösen. Doch was ist es dann? Zu vermuten steht, dass auch Schweden, dass immernoch von vielen als das Paradies im Norden, als der „wahre Sozialstaat“, das humanistische Land schlechthin verklärt wird, nicht gefeilt ist vor den Mechanismen, die sich in ganz Europa zeigen.

Eine Untersuchung des Sifo-Instituts deutet darauf hin, dass gerade Wähler der Schwedendemokraten sich in der politischen und medialen Landschaft Schwedens nicht repräsentiert fühlen. Auch zeigen Untersuchungen, dass das Vertrauen in einige Institutionen des Sozialstaates wie das Migrationswerk, die Arbeitsvermittlung und die Versicherungskasse (die für die Sozialkasse in Schweden zuständig ist), sich verschlechtert hat. Gleichzeitig ist etwa die Frage der Pflege für viele Schweden bei der kommenden Wahl wichtig.

Der Wind dreht sich

Die im Reichstag vertretenen Blockparteien verweigern sich bisher der Kooperation mit den Schwedendemokraten, manche konsequenter als andere. Nach der Wahl wird diese Haltung möglicherweise einem neuen Test unterzogen werden – denn etwa die einflussreichen Lokalvorsitzenden der bürgerlichen Moderaten-Partei schließen eine Kooperation mit den Schwedendemokraten keinesfalls aus. Wenn der bürgerliche Block die meisten Sitze im Reichstag erlangen sollte, dann könnte sich Moderaten-Vorsitzender Kristersson vor die Wahl gestellt sehen, entweder als „Lame Duck“ zu regieren oder sich in einer Minderheitsregierung durch die Schwedendemokraten tolerieren zu lassen.

Wie die Wahl am Sonntag ausgeht, ist völlig offen. Nicht zuletzt, weil die Wahlprognosen in Schweden meist miserabel sind. Ob Schweden danach eine neue, eine alte oder eine gelähmte Regierung haben wird- das weiß bis zum Stichtag niemand. Seit 2014 hat Schweden eine Minderheitsregierung- kein Novum für das Land. Eine Regierungsbeteiligung der einzigen relevanten Partei Schwedens, die einen Austritt aus der EU fordert und am liebsten die Zuwanderung in das skandinavische Land drastisch reduzieren würde, scheint zu diesem Zeitpunkt nach wie vor unwahrscheinlich. In einer neuen Minderheitsregierung, die die starren Blockgrenzen der schwedischen Poltik auflöst, könnte die Chance für die politische Situation nach der Wahl darstellen. Es bleibt nur zu hoffen, dass Schweden den offenen Konsensus des 20. Jahrhunderts verteidigen kann.

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ke
ke
5 Jahre zuvor

Malmö ist doch seit Jahren immer wieder wg. Gewalt und fehlender Sicherheit in den Nachrichten. Das ist doch kein neuer Zustand.

Als Problem wird bspw. genannt, dass das "Vertrauen in das Rechtssystem, die Polizei und die Staatsanwälte" zurückgeht.
https://www.heise.de/tp/features/Schweden-Einsatz-von-Militaer-zur-Bekaempfung-von-Bandenkriminalitaet-3944952.html

Es sind also ähnliche Zustände wie hier.
Wir werden sehen, wie sich das skandinavische Sozialstaatsmodell entwickelt. Dänemark kontrolliert ja auch immer wieder die Grenzen zu Deutschland. Das alleine ist für mich schon ein erhebliches Warnsignal, dass zeigt, dass Schengen nicht funktioniert und dass unsere Politik alle Probleme verdrängt.

Rika
Rika
5 Jahre zuvor

Ich bin Schwedin. Wenn man sich das skandinavische Land und die Veränderung, die es mit sich brachte durch den hohen Ausländeranteil in den letzten 20 Jahren, dann könnte man verstehen, warum sich das Land für eine konservativere Regierung entscheidet.

Malmö ist das beste Beispiel. Bandenkriege von Migranten und unzählige Angriffe auf Polizeistationen durch Sprengstoffe wie: Plastiksprengstoff, Granaten usw.)

Wenn ich meine Eltern besuche, dann nur noch mit Flugzeug an die fast finnische Grenze.

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