Warum Bücher verklagen, wenn man sie sich schenken kann: Der Kulturbetrieb arbeitet sich auf und ab am Israelhass

Documenta 15 Friedrichsplatz 2022-06-21 by C.Suthorn cc-by-sa-4.0

„Jenseits von Mbembe“, „Anstößige Bilder“, „Kultur im Streit“. Drei Bücher über die Documenta von Ruangrupa und die Ruhrtriennale von Stefanie Carp. Drei Versuche zu bewältigen, was sie überwältigt hat, der Hass auf Israel. Und die Kritik an diesem Hass. Versuche dürfen scheitern. Aber so? Falsche Zitate, miese Nachreden, eine groteske Opfererzählung? Für die Ruhrbarone gäbe es Gründe zu klagen, machen wir nicht. Erst am Ende.

Beginnen wir mit Stefanie Carp, Intendantin der Ruhrtriennalen 2018 und 2020, die den Israelhass des BDS erstmals auf die große Bühne des Kulturbetriebs geschoben hat. Und beide Mal von den Ruhrbaronen ausgebremst worden ist: sowohl 2018, als Carp die britische BDS-Band „Young Fathers“ präsentieren wollte, wie auch 2020, als sie Achille Mbembe, den postkolonialen Großdenker, zum Deuter ihres Spielprogramms erkor. Weder die BDS-Band noch der BDS-affine Mbembe trat auf. Der eigentliche Grund dafür, schreibt Carp in „Jenseits von Mbembe“  –  was ein albern-pathetischer Titel[i] –  der wahre Grund werde „bis heute verschwiegen“, außer ihr selber sei es „allen zu peinlich“, ihn auszusprechen: dass es eine „kleine, regionale, intrigante Verabredung“ gewesen sei, die habe gar nicht Mbembe treffen sollen  –  sich also nicht gegen BDS gerichtet, nicht gegen Israelhass  –  sondern die „sollte die Intendantin der Ruhrtriennale treffen“. Carp das eigentliche Opfer, Mbembe „missbraucht“, wie sie mehrfach erklärt. Missbraucht von wem? Carp nennt „fünf Personen aus NRW“, darunter Stefan Laurin, einen „regionalen Journalisten der Internetplattform Ruhrbarone, Christiane Hoffmans von Die Welt und „einen protestantischen Pfarrer (Thomas Wessel), der an der Christuskirche Bochum ein Kulturprogramm betreibt“. Die gelernte Trotzkistin spricht von einer „Allianz aus rechter FDP, rechter CDU, Evangelikalen, Identitären und Antideutschen“, es sei  –  nicht um Judenhass, nicht um Israelhass, nicht um die Verklärung von Terror –  um „Karrieren“ gegangen, ums „Rechthaben“ und um „die verletzte Eitelkeit des weißen Mannes“. Fehlt noch was? Ja, „die Kampagne hatte in ihren Inhalten und in ihrem Stil ein rassistisches Motiv.“ Und dann und darum sei sie „aus dem Ruder gelaufen“.[ii]

Nun wäre nicht allein das Etikett evangelikal ein stichfester Grund, das Buch  –  im Wissenschaftsverlag Metropol erschienen  –  aus dem Verkehr zu klagen, evangelikal ist an und in der Christuskirche gar nichts. Kultur ist nun mal aber dazu da, alles Mögliche zu bewältigen. Vergangenheit, Verdorbenheit, Verblödung. Krisen, Kriege und eben auch Kränkungen. Wissen wir seit Freud. Carp arbeitet sich an sich selber ab, Mbembe wird dafür, soll man sagen: „missbraucht“? Dessen sagenhaften Judenhass hatten Ruhrbarone und Christuskirche im Sommer 2020 ausführlich dokumentiert: dass Selbstmordkiller, die Israelis zerfetzen, „Arbeiter im Zeichen der Zukunft“ seien, wie Mbembe schreibt, weil sie „Terror, Tod und Freiheit“ verbinden und darum „Mittler der Erlösung“ seien, während diejenigen, die sich dagegen wehrten, in die Luft gejagt zu werden, selber „Holocaust“ betrieben  –  O-Ton Mbembe: „Wir hatten noch nie so viele wie heute“ –  und „Ausrottungsphantasien“ folgten, die Carps Chefdenker „ausdrücklich“ auf die Hebräische Bibel zurückführt, auf jüdisches Denken.

Beinharter Judenhass. Und immer noch stellt sich Carp  –  die sich mehrfach auf eben diese Mbembe-Texte mit eben diesen Aussagen beruft  –  hinter den Philosophen des Terrors, der sei nur „vordergründige Zielscheibe“ gewesen, gemeint sei sie selber. Offenbar zu recht.

Nächstes Buch: „Anstößige Bilder“ von Michael Hutter, Untertitel: „Gesellschaftskampfspiele um den documenta-fifteen-Skandal“. Hutter, emeritierter Professor am Wissenschaftszentrum Berlin, nennt es eine „systemtheoretisch basierte Studie“, in der er „Europas jüdisch-christliche Gesellschaftsgeschichte“  –  ihm zufolge dauert sie seit 3525 Jahren an  –  in 32 Seiten verpackt. „Bildfindungen und –erfindungen im indonesischen Straßenkampf“ kriegen 24 Seiten, dann 147 weitere über das „Kunstspiel“, das „Wirtschaftsspiel“, das „Wissenschaftsspiel“ und das „politische Meinungsspiel“.

Klingt abermals recht wissenschaftlich, ist es nicht, Hütter denkt nicht politisch, sondern gar nicht, wenn er Stefan Laurin und die Ruhrbarone allen Ernstes „am äußeren völkischen Rand“ verortet, also da, wo Höcke steht. Nur kann auch Hütter wie so viele nicht richtig zitieren: „Thomas Wessel, Pfarrer …“ usw gibt er wieder mit einem Satz, den es nirgends gibt, Hütter hat ihn sich aus vier Sätzen zusammengeklebt und mal das Subjekt, mal das Objekt ausgewechselt, es ist die Montagetechnik der Denunziation. Wir könnten  –  und es wäre eine Bank  –  auch diesen Verlag verklagen, der sich den „wichtigsten deutschsprachigen Verlag für Hypnotherapie“ nennt, man kann sich das auch ersparen, weg damit.[iii]

Drittes Buch, „Kunst im Streit“, im Campus-Verlag herausgegeben von Heinz Bude und Meron Mendel. Wieder geht es um „Antisemitismus und postkoloniale Debatte auf der documenta fifteen“, geboten werden 15 Aufsätze, ein interessantes Vorwort von Bude/Mendel, dann wenig Neues. Ausgenommen der Beitrag von Marius Kemper, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am documenta-Institut in Kassel, der über die Erfahrungen von „sobat-sobat“ berichtet, den „besten Freunden“, nein: „Freund*innen“, beauftragt damit, die Besucher der documenta „mit ruangrupa, den lumbung member, Kollektiven, Künstlern und weiteren Akteuren“ zu „verbinden“. Kunstvermittlung also, Besucherschule, für die es keinen Lehrplan gab, einfach nur „Brücken bauen“. Dann “der große Krach“, im Herzen der documenta wird das antisemitische Weltbild von Taring Padi entrollt, „in der Folge explodierten die Signal- und WhatsApp-Gruppen“, schreibt Kemper: „Panik.“ Und da denn doch eine Art Lehrplan: Zumindest einige der Künstler und Kollektive hätten „offensichtlich“ versucht, unter den Kunstvermittlern „Personen zu identifizieren, die ihnen als ‚anti-deutsch‘ galten“ und die dann öffentlich „mit Namen angegriffen“ worden seien. Was die glückliche Documenta-Familie von innen heraus  –  die Kunst der Stasi  –  zerlegt habe:

„‘Manche haben mich nicht mehr gegrüßt, haben auch nicht zurückgegrüßt … Manche sind dann plötzlich in meine Walks gekommen für zehn Minuten. Haben sich dazugestellt, zugehört und sind dann wieder gegangen. Sachen, die mich krass irritiert haben und die sich auch nie aufgeklärt haben.‘“ Die Stimmung, so dieser O-Ton aus dem Innern der Documenta, sei „vergiftet“ worden. Oder wie es eine andere Stimme aus der Besucherschulen-Klasse formuliert: „‘Dieses krasse, dass sich dann so die Reihen schließen. Dass jede Kritik an Antisemitismus eigentlich Rassismus sei …“

So geht es zu in der „Kunst im Befreiungskampf“, wie es in der Charta der Hamas heißt, Artikel 19. Dringend daher, sich an den Gedanken heranzuwagen, der wesentlich wäre dafür, die documenta 15 und ebenso Carps Ruhrtriennale tatsächlich aufzuarbeiten: dass antisemitische Kunst künstlerisch aufgearbeitet werden muss. Wie dem, was im Herzen der Kunst geschieht, mit den Mitteln der Kunst zu begegnen sei, dazu kein Impuls in keinem der drei Bücher. Kunst selber, autonom wie ein Autopilot von Elon Musk, zeigt sich unberührt. Oder macht sich unsichtbar, wie es Hito Steyerl  –  es war die einzige künstlerische Antwort auf den Judenhass der documenta: dezidierte Nicht-Kunst  –  mit ihrer Arbeit für die Weltkunst-Ausstellung getan hat, sie hat sie abbauen lassen. Steyerls Begründung entspricht dem, was Kemper vom Besucherschulen-Team berichtet: kein Vertrauen mehr „in die Fähigkeit der Organisation, Komplexität zu vermitteln und zu übersetzen“.

Erschüttert ist das Vertrauen nicht allein in die Organisation, den Kulturbetrieb, sondern in die Kultur selber. Frei wären Kunst und Kultur erst dann, wenn es keinen Judenhass mehr gäbe. Den phänomenalen Auftritt von Yuval Raphael beim jüngsten ESC ausgenommen kenne ich keine künstlerische Reaktion auf das, was Stefanie Carp herbeigeredet hat, was die documenta 15 ausgestellt und Hamas an 10/7 ins Werk gesetzt hat. Dagegen lässt sich nicht klagen, allenfalls darüber, aber auch das wird mehr und mehr schal.

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ANMERKUNGEN

[i]   Der Titel „Jenseits von Mbembe“ bezieht sich auf 1. Buch Mose, 4. Kapitel: Kain hat Abel erschlagen und „ging hinweg vor dem Angesicht Gottes und wohnte im Lande Nod, jenseits von Eden“. Eden ist hier das Land, in dem das Paradies gelegen haben mag, das hebr. Nod bedeutet Umherirren. Was hat das mit Mbembe zu tun? Aus welchem paradiesischen Weltbild wurde Carp vertrieben? Oder meint der Titel „East of Eden“, John Steinbecks verfilmten Roman? Der Titel zitiert die im angelsächsischen Bereich übliche Übersetzung der Stelle in 1. Mose, im Roman selber geht um den Konflikt zwischen Gut und Böse. Carp & Co die Guten, die es in Böse verschlagen hat, in dem sie nun umherirren? Auch schräg, also die dritte Option: Dass sich „Jenseits von Mbembe“ auf „Jenseits von Afrika“ bezieht, Film nach dem Roman von Karen Blixen. In der postkolonialen Szene gelten Film wie Roman nun allerdings als mindestens umstritten.

[ii] Dieses „aus dem Ruder laufen“ –  den Übergang eines Themas aus der Blogosphäre in die der Leitmedien  –  hat Michael Meyen, Professor für Kommunikationswissenschaft an der LMU München, in seinem Beitrag für „Jenseits von Mbembe“ nachgezeichnet. In der Sache richtig, am Ende kommt aber auch er zu einem Schluss, der die politische Linie hält: dass der „Vorwurf des Antisemitismus“ genügen würde, jemanden aus dem öffentlich geförderten Kulturbetrieb „zu verbannen“. Vorwurf? Der ist bestens belegt. Verbannen? Mbembe wird weiterhin vom Suhrkamp-Verlag vertrieben.

[iii] In „Jenseits von Mbembe“ zeigt auch Henning Melber, postkolonial geschätzter Politikwissenschaftler, wie sowas geht: Zitate zerfälschen. Bei Melber ist es ein Zitat von Alan Posener, Kolumnist der Welt, der ebenfalls völlig entspannt klagen könnte: „Noch nie“, behauptet Melber, dass Posener es geschrieben habe, „noch nie habe“ –  jetzt das Zitat  –  „‚eine moderne Nation den Versuch unternommen, ein gesamtes Volk restlos auszurotten‘.“ Geht man dem Zitat nach, wird der Sinn-Zusammenhang sofort klar: Posener arbeitet die Singularität des Holocausts heraus. Niemals vor und niemals nach Auschwitz sei ein vergleichbarer Versuch ins Werk gesetzt worden. Für einen Sinn-Zusammenhang ist Melber nicht zu haben, er schraubt aus dem Posener-Text den Teilsatz oben heraus und tut empört: Holocaust-Relativierung!

 

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