Wir reden lieber über Geld als über Arbeit: Willkommen in der deutschen Debattenkultur

Annalena Baerbock Foto: Roland W. Waniek

Annalena Baerbock, die ehemalige Außenministerin, hat am Dienstag offiziell ihren neuen Job als Präsidentin der UN-Vollversammlung bei den Vereinten Nationen in New York angetreten. Ein Posten, der international Gewicht hat, bei dem es um Diplomatie, Krisen, globale Verantwortung geht.

Und was passiert in Deutschland? Noch bevor man sich ernsthaft mit der Bedeutung dieser Aufgabe beschäftigt, flammt mit einer der ersten zum Thema formulierten Fragen die immer gleiche Diskussion auf: „Was verdient sie da eigentlich?“

Es ist fast schon ein Ritual. Ob Bundeskanzler, Bundespräsident oder jetzt eben Baerbock – sobald ein öffentliches Amt ins Rampenlicht rückt, wird sofort das Gehalt durchgekaut. Natürlich, Transparenz ist wichtig. Aber hier geht es längst nicht mehr um Transparenz, sondern um ein nationaltypisches Hobby: das deutsche Gehaltsmeckern.

Ironischerweise redet kaum jemand darüber, dass Spitzenpolitiker im Vergleich zu Managern in der Wirtschaft geradezu bescheiden bezahlt werden. Ein DAX-Vorstand bekommt für sein Jahresgehalt oft in wenigen Wochen das, was ein Kanzler in zwölf Monaten nach Hause trägt. Doch das spielt keine Rolle. In Deutschland zählt weniger der Vergleich zur Wirtschaft, sondern der moralische Maßstab: Politiker sollen dienen, nicht verdienen. Punkt.

Dahinter steckt ein tiefsitzendes Misstrauen gegenüber Eliten. Wer viel Geld bekommt, ist verdächtig. Und so wird das Gehalt zur Projektionsfläche für Unzufriedenheit. Statt über Macht, Inhalte oder Verantwortung zu sprechen, hacken wir auf einer Zahl herum, die schnell Empörung erzeugt, aber wenig erklärt. Es ist ein Stellvertreterkrieg: Man kann sich bequem über „die da oben“ aufregen, ohne das komplizierte Geschäft der Politik analysieren zu müssen.

Geld ist nun einmal ein einfacher Maßstab. Ob Baerbock in New York erfolgreich vermittelt, ob sie Krisen entschärft oder deutsche Interessen international stärkt – das ist schwer zu bewerten. Aber ob sie 20.000 Dollar im Monat verdient, versteht jeder sofort. Das liefert Gesprächsstoff für Stammtische, Talkshows und Kommentarspalten.

Doch diese Fixierung ist gefährlich, weil sie die wirkliche Leistung unsichtbar macht. Politik und Diplomatie lassen sich nicht in Euro und Cent pressen. Wer nur auf den Lohnzettel starrt, verpasst die eigentliche Debatte: Welche Verantwortung trägt jemand? Welche Wirkung hat seine Arbeit? Und welchen Wert hat es für eine Gesellschaft, wenn ein Posten gut – oder schlecht – ausgefüllt wird?

Solange wir in Deutschland lieber über das Konto reden als über den Inhalt, bleiben wir eine Nation des gepflegten Gehaltsneids. Und der bringt uns keinen Millimeter weiter.

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mike_mh
mike_mh
3 Monate zuvor

„Welche Verantwortung trägt jemand? Welche Wirkung hat seine Arbeit? Und welchen Wert hat es für eine Gesellschaft, wenn ein Posten gut – oder schlecht – ausgefüllt wird?“

Fragen Sie mal bei Herrn Scheuer und Herrn Harbeck nach, wie gut das geklappt hat. Und Frau Baerbock ist ja eher dafür bekannt, eine modernes Abbild eines altsowjetischen Genossen des Politbüro der 1980er zu sein.

„Solange wir in Deutschland lieber über das Konto reden als über den Inhalt, bleiben wir eine Nation des gepflegten Gehaltsneids. Und der bringt uns keinen Millimeter weiter.“

Fragen Sie mal bei den Grünen, der Linken, der SPD, den Gewerkschaften und Sozialverbänden nach, da gehört der Hass auf Reiche und Erben zur politischen DNA, da wird ständig Herr Merz mit seinem Privatflieger abgebildet und von denen als Fürst des Sozialkahlschlages instrumentalisiert.
Fragen Sie mal beim Finanzminister nach, der nix von sparen weiß sondern nur immer neue Schulden kennt. Sorry, sind ja keine Schulden, sondern Sondervermögen.

paule t.
paule t.
2 Monate zuvor

, Zitat:
„Und Frau Baerbock ist ja eher dafür bekannt, eine modernes Abbild eines altsowjetischen Genossen des Politbüro der 1980er zu sein.“

Ich habe diesen in jeder denkbaren Hinsicht absolut abwegigen Vergleich buchstäblich noch niemals gehört. Bei wem soll das also „bekannt“ sein?
Bei Leuten, die bei „linker als ich“ „Stalinist!!!“ schreien und das schon für die Mitte der CDU zutrifft?

Und: Bei den Gruppen, die Sie aufzählen – also allem ab Mitte links – gehört keineswegs der „Hass“ auf Reiche und Erben zur „politischen DNA“, ist allerdings sehr wohl die Meinung verbreitet, dass solche Leute nach Jahrzehnten der Umverteilung zu ihren Gunsten mal ein bisschen mehr zum Gemeinwohl beitragen sollten, statt dass man nur nach immer neuen Möglichkeiten sucht, Arme zu schikanieren, um so Haushaltsrettung zu simulieren.
Mag natürlich sein, dass ein Teil solcher Leute Bankkonto und Aktienportfolio als die wesentlichsten Teile ihrer Identität empfindet und darum solche Ideen als „Hass“ wahrnimmt. Das sollte dieser Teil des reichsten Teils unserer Gesellschaft aber besser mit guten Therapeuten ausmachen, statt zu erwarten, dass die Mehrheit der Gesellschaft darauf ihre Finanzpolitik baut.

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@Autor: Sie haben absolut recht. Natürlich kann und soll die Öffentlichkeit auch die Besoldung ihrer Spitzenpolitiker:innen kritisch begleiten. Aber diese – sicher gute – Besoldung bewegt sich m.E. noch völlig in einem Rahmen, der sich durch Aufgaben, Härte des Jobs, Verantwortung, Leistung etc. ohne weiteres begründen lässt, und da schließe ich die Politiker:innen auch der demokratischen Parteien, deren Tätigkeit ich inhaltlich negativ bewerte.

Auf Spitzenmanager trifft das dagegen definitiv nicht mehr zu. Ihre Schätzung zum Verhältnis des Einkommens des Kanzlers und eines DAX-Vorstandmitglieds trifft nach Chat-GPT ziemlich genau zu. Es wäre aber m.E. einfach aberwitzig zu behaupten, dass das in irgendeiner Weise „verdient“ sein könnte.
(Für mike_mh war diese Kritik wahrscheinlich schon wieder „Hass“. Nö, allzu emotional bin ich dabei eigentlich nicht.)

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