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Wo kommen wir her? „Dein Akzent ist so charmant, klingt so, als würdest du singen.“

Universität Pisa Foto: Lucarelli Lizenz: CC BY-SA 3.0
Universität Pisa Foto: Lucarelli Lizenz: CC BY-SA 3.0


Dass Menschen über Generationen an einem Ort leben, ist eine Ausnahme. Bei fast allen von uns kann man das mit einem einfachen Blick in die Familiengeschichte erkennen. Nur drei Generationen zurück bis zu den Urgoßeltern – das Wissen um deren Geschichte ist in den meisten Familien noch vorhanden – und wir erkennen, dass wir selbst von Zugewanderten abstammen, wenn wir nicht schon selbst unseren Wohnort mehrfach gewechselt haben. Vielleicht sind Eure  Vorfahren ja vom  Land in die Stadt gewandert, von Pommern ins Ruhrgebiet oder von Nordhessen nach Frankfurt.  Bei vielen werden auch Wurzeln in der Türkei haben, in Griechenland oder Spanien. oder Wurzeln in Italien, Polen und Bayern. Wir sammeln diese Wanderungsgeschichten und veröffentlichen sie.

Migration ist nicht die Ausnahme, sie ist die Regel. Wir müssen uns alle nur daran erinnern. Helft uns dabei mit. Schickt Eure Geschichte – gerne mit Foto an info@ruhrbarone.de

 „Dein Akzent ist so charmant, klingt so, als würdest du singen.“ 

Unspektakulärer geht es kaum: eine Italienerin in Berlin. Heute ist das mainstream, aber ich gehöre zu denen, die hierher kamen „before it was cool“. Nein, ganz so ist das nicht, denn im Herbst 1997, als ich noch eine junge und sehr fleißige Germanistik-Studentin war und mein Lektor an der Universität Pisa mich für ein Stipendium beim Deutschen Akademischen Austauschdienst bewarb, war Berlin nämlich schon cool. Allerdings nicht als die Partystadt des internationalen Hipstertums. Es war die Hauptstadt der ravenden Antifa, der Hausbesetzerinnen und Hausbesetzer und der 1-Mai-Chaoten. Für mich, die nichts von alldem war, aber gern dazu gehört hätte, war es the place to be. Der DAAD war damals sehr großzügig mit uns, einer kleinen Gruppe von Auserwählten aus einem sehr komplexen Selektionsverfahren. Anders als die Erasmus-Studentinnen und Studenten, die nicht einmal die Unterkunft bezahlt bekamen, finanzierte der DAAD uns, die Elite, mit 1200 DM im Monat. Reiner Luxus zu einer Zeit, in der ein WG-Zimmer mit Kohleofen in einem Altbau in Prenzlauer Berg kaum mehr als 150 DM gekostet hat. Und so wurde aus dem Eliteförderungsprogramm ein Fear-and-Loathing-Semester mit gelegentlichen Besuchen von Linguistik-Seminaren an der Humboldt-Universität. Heute würde man es vermutlich „Förderungsmissbrauch“ nennen, aber dafür hatte ich bereits davor hart gearbeitet. Denn, ja, so unsexy das klingt, ich wollte nach Deutschland. Besser, oder sogar schlimmer noch: Ich wollte „irgendwas mit Deutsch“ machen. Bis zum Abi hatte ich das ganze Pflichtprogramm der angehenden Germanistin absolviert: ab der 6. Klasse drei Wochen Sommersprachkurs in verschiedenen bayrischen Käffern, von denen ich keinen einzigen Namen mehr weiß. Dann das Au-Pair-Jahr, eine Art PJ für Germanistinnen, diesmal in der Großstadt, zumindest kam mir Würzburg damals riesig vor. Nicht wegen der Stadt, sondern aus einem anderen Grund erinnere ich mich gerne an diese Zeit: Dort begegnete ich dem ersten Menschen, dessen Deutsch ich endlich verstehen konnte. Sie hieß Laura und war drei Jahre alt. Ich werde sie nie vergessen. Sie war mein erstes sprachliches Erfolgserlebnis.

Fast zwanzig Jahre ist das her. Damals bezeichnete ich mich als Teil des globalen „kognitiven Prekariats“, heute würde ich durchaus den Begriff Armutsmigration verwenden. Ich bin nämlich in die Armut migriert. Angesichts der derzeitigen Stimmung im Lande wäre es dem deutschen Staat zuzutrauen, dass er irgendwann das Geld, das er  einst in mich investierte, zurück fordert. Doch zum Glück war Hartz-IV noch nicht erfunden worden, weder wurde akribisch kontrolliert, was wir mit dem Geld machten, noch drohten uns Leistungskürzungen, wenn wir nicht die gewünschten Ergebnisse lieferten. Ganz im Gegenteil: Es waren die Jahre, in denen die Idee der europäischen Mobilität in aller Munde war. Uns wurde mit viel Pathos eingeredet, wir würden aktiv zur europäischen Integration beitragen und gehörten zur ersten Generation europäischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Das ließ uns damals zwar ziemlich kalt, Fakt ist aber, dass aus dieser Gruppe fast niemand in Italien geblieben ist. Vielleicht war an der europäischen Idee doch etwas dran.

Die Integration jedenfalls läuft bei mir. Den Kampf mit der deutschen Sprache habe ich gewonnen, ich habe mir ein Auto gekauft, einen neuen deutschen Staatsbürger auf die Welt gesetzt und ein bisschen zur Gentrifizierung meines Bezirks beigetragen. Ich bin mittlerweile so integriert, dass mich fast niemand  mehr für nichtdeutsch hält, was ich ein bisschen schade finde. Damals, als mein Akzent noch stark war, habe ich mich für mein rollendes „r“ und dafür, dass ich die Umlaute falsch ausgesprochen habe, geschämt. Dass ich wie der lustige Pizzabäcker aus der Dr. Oetker-Werbung gesprochen habe, fanden alle aber zu meiner Verwunderung eher süüüüüß. „Dein Akzent ist so charmant, klingt so, als würdest du singen.“ Uff. Augenrollen. Lächeln, wie es sich für eine süße Italienerin gehört.  Auf mein gebrochenes Deutsch kamen die meisten gut klar, heute werde ich höchstens gefragt, ob ich aus Bayern oder aus Österreich komme (dieses verdammte „r“!). Wenn ich mich gegenüber meinen Gesprächspartnern als Ausländerin oute, kommt, fast immer: „Bist du eine echte Italienerin?“ Was sie auch immer damit meinen, sie meinen es nur nett gemeint. Denn darauf folgt, fast immer: „Du hast ja überhaupt keinen Akzent!“ Auch das ist meist nett gemeint. Das weiß ich ganz genau, das verrät das entzückte Lächeln, das sich nach dieser Bemerkung  auf ihren Gesichtern breit macht. Warum  fühle ich mich dann nach dieser Bemerkung immer so, als müsste ich mich dafür rechtfertigen? Dafür, dass ich eine „echte“ Ausländerin bin  und dafür, dass mich so unsichtbar gemacht haben, dass mich keiner mehr als das erkennt, was ich eigentlich bin, nämlich jemand, der von außen kommt. Auf diese Frage habe ich nach fast zwanzig Jahren keine Antwort gefunden.  Was ich weiß, ist, dass ich nicht zu den „Guten“ gehöre, denn, wie man in den vergangenen Wochen gelernt hat, schrecklich gerne hat man hier neben den überall beliebten „nützlichen Einwanderern“ die  Ausländer, die als „Fremde“ erkennbar bleiben. 

Federica Matteoni

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