Wo man sich an verlorene wirtschaftliche Stärke erinnert, wird häufiger AfD gewählt

ThyssenKrupp in Duisburg Foto: Laurin


Eine Studie der Universität Jena zeigt auf, dass Wähler in Regionen, die langfristig wirtschaftlich abgestiegen sind, überdurchschnittlich oft bei Wahlen ihre Stimme der AfD geben. Was bedeutet das, wenn ein ganzes Land wirtschaftlich an Bedeutung verliert?

Im Oktober veröffentlichten Maria Greve, Michael Frisch und Michael Wyrwich von der Universität Jena im Journal of Regional Science die Ergebnisse ihrer Studie: „Langfristiger Niedergang von Regionen und Aufstieg des Populismus: Der Fall Deutschland“ Sie untersuchten dabei die Auswirkungen von langfristigen wirtschaftlichen Entwicklungen auf das heutige Wahlverhalten. Ihr Ergebnis: In Regionen, die vor 90 Jahren zu den reichsten Europas gehörten, wählen die Menschen heute überdurchschnittlich oft AfD, wenn sie wirtschaftlich abgestiegen sind. Zwei der Beispiele in der Veröffentlichung sind Sachsen und das Ruhrgebiet. Vor dem zweiten Weltkrieg und der deutschen Teilung waren sowohl Sachsen als auch das Ruhrgebiet bedeutende Industriezenten. Große und erfolgreiche Unternehmen prägten die Wirtschaft und die Einkommen waren hoch: „Die beiden Nachbarstädte Düsseldorf (nahe dem Ruhrgebiet) und Duisburg (innerhalb des Ruhrgebiets) hatten beide 1925 ein relativ hohes Einkommen.“ Während Düsseldorf heute immer noch wohlhabend ist, stieg Duisburg ab und gehört heute zu den ärmsten Städten Deutschlands. Bei der Bundestagswahl 2017 erzielte die AfD in Duisburg mit 13 Prozent ein deutlich höheres Ergebnis als in Düsseldorf, wo sie 8 Prozent der Stimmen bekam. Auch Sachsen, einst der Sitz von Unternehmen wie Audi, war vor Krieg und Teilung eine der wohlhabendsten Regionen. Dann begann ein wirtschaftlicher Abstieg. Die wirtschaftliche Lage Sachsen hat sich zwar seit der Wiedervereinigung deutlich verbessert, aber auf dem Niveau des heutigen Bayerns oder Baden-Württembergs lieg der Freistaat immer noch nicht.

„Unsere ersten Ergebnisse“ schreiben die Forscher, „deuten darauf hin, dass Orte, die im letzten Jahrhundert ärmer geworden sind, eher rechtspopulistische Parteien wählen. Ein möglicher Mechanismus hinter dieser Beziehung ist das Vorhandensein eines ortsbezogenen kollektiven Gedächtnisses. Die Menschen mögen sich ihrer relativen Verarmung – verglichen mit dem früheren Wohlstand derer, die in derselben Gegend lebten – bewusst sein und deshalb ihre Stimme zugunsten der Populisten abgeben.“ Je mehr übrigens, auch das ein Ergebnis der Studie, durch die Pflege von Industriedenkmälern an die Zeiten des Wohlstands und der wirtschaftlichen Bedeutung erinnert wird, um so mehr Zulauf erhält die AfD.

Das ist alles schon spannend genug und liefert eine weitere Erklärung, warum die rechtsradikale AfD in einigen Regionen deutlich stärker ist als in anderen. Sie wirft aber auch eine Frage auf: Wie entwickelt sich ein Land politisch, in dem es zu massiven Wohlstandseinbußen kommt und in dem die Menschen bemerken, dass andere Länder aufsteigen, während ihr eigenes Land absteigt?

Hohe Energiepreise, Bürokratie, der Mangel an Arbeitskräften, Schulen und Universitäten, die längst nicht mehr zu den besten der Welt gehören und dazu eine immer schlechter werdende Infrastruktur – Straßen, Schienen und Datennetze sind in Deutschland in bedauernswertem Zustand – können schnell zu Deindustrialisierung, Exportrückgängen und Wohlstandsverlusten führen. Die Erinnerung an bessere Zeiten wäre aber immer noch da. Und das für viele Jahrzehnte. Was werden die Menschen dann wählen? Folgt man den Ergebnissen der Studie aus Jena und zeichnet sie in die Zukunft weiter, dann könnte in den kommenden Jahrzehnten die AfD stark wachsen. Und ihren Erfolg hätte sie all jenen zu verdanken, denen Wirtschaftswachstum nicht viel bedeutet.

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trebireh
trebireh
1 Jahr zuvor

Das beschriebene Phänomen dürfte keineswegs auf Deutschland beschränkt sein. Das Problem: Die EU ist kaum reformierbar, zugleich unverzichtbar für eine moderne, innovative Industriepolitik. Moder, innovativ – und also ökologisch. Bitte keine Weiterführung der alten Frontenkriege: Hier die „Ideologiefreien“, dort die „grünen Wachstumsfeinde“.

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