Paradoxie der Alltagsmoral – Heute: Protest gegen Essener Straßenstrich

Der Essener Straßenstrich eröffnet heute auf neuem Terrain. Anwohner sind entsetzt über die Nähe der Sexbranche. Doch wie gerechtfertigt ist die Kritik tatsächlich?

Prostituierte Foto: Wikipedia

Es ist soweit. Am Ex-Kirmesplatz werden nun Prostituierte arbeiten. Sehr modern und besonders sicher wurden für sie die grünen Verrichtungsboxen gefertigt. Es gibt sogar einen Notknopf, mit dem Alarm geschlagen werden kann. Die Boxen haben die Größe einer Einfahrt, damit die Wohnwagen der Damen oder die Autos der Kunden Platz finden. Klar ist: so etwas geht nicht ohne Protest über die Bühne. Und so beklagen Anwohner und Pädagogen die Präsenz des Milieus. Schließlich liegen in der Nähe Schulen. Eltern fürchten, um den Einfluss auf ihre Kinder. Grund genug zu fragen: was genau bewegt hier eigentlich zur Kritik? Ist es tatsächlich die Angst vor schlechtem Einfluss oder verstecken sich andere Gründe hinter dem Aufgebot?

Sicherlich ist es nicht wünschenswert, dass Kinder über einen Straßenstrich laufen. Dort gehören sie schlichtweg nicht hin. Fraglich ist jedoch, ob dies passiert, nur weil sie im Umfeld zugegen sind. Denkbar ist, dass Kinder mit der Existenz des Gewerbes konfrontiert werden. Insofern die Eltern mit ihren Schützlingen vernünftige Gespräche über solche Themen führen, muss das Wissen aber noch lange keine Bedrohung sein. Nun gut, Sex gegen Geld ist nicht die Idee, die als erste in Kinderköpfen über Sexualität erklingen sollte. Doch sie ist ja auch nicht die einzige.
Vielmehr sollte wohl darauf geachtet werden, dass Kindern das richtige Gedankengut mitgegeben wird. Ob sie nun davon wissen, dass manche Menschen mit Sex ihr Geld verdienen oder nicht, kann kaum schaden, solange das richtige Fundament da ist. Vielleicht fehlt dieses aber an vielen Stellen. Und so sind Eltern beunruhigt, weil sie mit ihren Kindern nicht über Prostitution sprechen können oder wollen. Die Nähe der Branche entzieht ihnen aber gewissermaßen die Entscheidungsgewalt darüber, was angesprochen wird und was nicht. Eltern sind Kontrolle gewohnt, Verlust unerwünscht. Schädlicher als das besprechen von heiklen Fragen, scheint aber vielmehr das Schweigen zu sein. Unsere Welt lässt sich nicht ändern, indem Teile aus dem Gespräch verbannt werden.

Und da ist noch das Problem der fehlenden Revolte. Denn andererseits ruft das Volk eben nicht zum Protest, wenn er dringend gebraucht wird. Das altbekannte Problem der sozialen Nähe. Der Mensch beklagt und hilft gerne in seiner unmittelbaren Umgebung. Das interessiert. Dinge außerhalb des Sichtfeldes bekommen weniger Aufmerksamkeit. Und so bleibt zu sagen, dass es verwundert, wenn Eltern sich gegen die Essener Szene wehren, obwohl Anderes viel lauter nach Kritik schreit. Es darf nicht hingenommen werden, dass Kinder zu viel Fern sehen und kaum Diskurs mit den Eltern haben. Es ist fatal, wenn die Kleinen übergewichtig sind und nicht einmal die Namen von Pflanzen in ihrem Umfeld kennen. Es ist beunruhigend, wenn Kinder zwischen Hautfarben unterscheiden. Und letztlich ist es schlichtweg absurd, wenn Eltern gegen den Straßenstrich aufwarten, hingegen keinen Finger rühren, wenn Kinder die Schuhe gefertigt haben, die sie an den Füßen tragen. Wenn Kinder ihr Leben als Soldaten verbringen und es niemanden interessiert. Wenn Kinder zur Prostitution gezwungen werden und alle wegschauen.

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Ruhr2010: Grüne fordern Projektfonds für die freie Szene

Ruhr2010 spült der freien Szene viel Geld in die Kassen – nur wie viel weiß niemand so genau und es könnte gerne auch noch mehr sein.

Das ist das Ergebnis eines Perspektiv-Workshops der Grünen im RVR mit Vertretern der  freien Kulturszene. Zwischen 20 und 40 Prozent des Etats, so Sabine von der Beck, Fraktionssprecherin der Grünen im RVR und Mitglied im Aufsichtsrat der RUHR.2010 GmbH, stünden für Projekte der freien Szene zur Verfügung. Alles eine Frage der Lesart.

Doch es könnte mehr sein – Begehrlichkeiten bei der freien Szene wecken da die zehn Millionen Euro, die das Land den Städten kürzlich zugesichert hat. Das Geld war eigentlich, so Oliver Keymis, der kulturpolitischer Sprecher der Grünen im Landtag, für die freie Szene bestimmt, werde aber von den Städten bislang vor allem für die Finanzierung traditioneller Kulturprojekte verwendet. Die Grünen wollen nun eine Fonds, der sich aus Teilen der Eintrittgeldern der "Hochkulturveranstaltungen" speist, auflegen und dessen Einnahmen der Szene zukommen lassen.

In ihrer Pressemitteilung, die dieser Meldung zu Grunde liegt, haben die Grünen nicht mehr von freier Szene sondern von "nicht-institutionell gebundenen Kulturschaffenden" gesprochen. Ein schönes, neues Wort, auf das die Welt in den vergangenen Jahren verzweifelt gewartet hat.

WAZ stellt aktuelles Restrukturierungskonzept online

Die WAZ hat die Präsentation ihres Restrukturierungskonzeptes, das gestern auf einer Betriebsversammlung vorgestellt wurde, ins Internet gestellt.

"Die Gruppengeschäftsführung der WAZ Mediengruppe hat auch dieses Konzept zur Einsicht freigegeben," ist auf der Site WAZ im Wandel zu lesen. Achtung Spannung möchte man denken, doch viele Details des Konzeptes sind schon in den vergangenen Wochen bekannt geworden – etwa die Einführung der Regionaldesks, der Verzicht auf DPA oder die Streichung von 300 Stellen.

Erst in den kommenden Jahren wird sich zeigen, ob es sinnvoll ist, die Titelredaktion in Zeitungen zu stärken, die vor allem wegen ihres Lokalteils und nicht wegen des Mantels gelesen werden. Ich habe da meine Zweifel. Eine gute Nachricht ist für viele wohl, dass auch in den aktuellen Plänen die WAZ im Kreis Recklinghausen immer noch vorkommt. In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Gerüchte, die WAZ würde sich aus großen Teilen des nördlichen Ruhrgebiets zurückziehen.

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Bericht von der WAZ-Betriebsversammlung

Gerade erreichte uns folgender Bericht von einem Kollegen, der die heutige WAZ-Betriebsversammlung besucht hat. Wir geben ihn weiter:

Eines vorweg: Es lässt einen “normalen” Lokalredakteur vor Wut fast platzen, was da heute wieder für ein Drama auf der Betriebsversammlung abgegeben wurde.

Wären wir Kollegen nicht so in Angst um unsere Arbeitsplätze und denkbaren Szenarien einer Abstrafung durch die Obrigkeit bei klaren Worten aus der Belegschaft, es wäre heute wohl zur offenen Konfrontation insbesondere mit dem Menschen gekommen, der eigentlich mit aller ihm zur Verfügung stehenden Wortgewalt für den Ethos des journalistischen Berufsstandes Partei ergreifen sollte, sich aber in Eitelkeit, Selbstherrlichkeit und Ignoranz gegenüber der Bedeutung lokalen Inhaltes in unserer Regionalzeitung so sehr verstrickt hat, dass er lediglich als Marionette der Geschäftsführung und als Medienkaspar taugt.

Es war schon ein Trauerspiel, Reitz heute außer Fassung geraten zu sehen ob der (im Verhältnis zum Denkbaren) noch harmlos formulierten Kritik aus dem Betriebsrat. Hat er tatsächlich erst heute gemerkt, dass in den Lokalredaktion blankes Entsetzen, Wut und Verständnislosigkeit herrscht ob des Kahlschlags in den Redaktionen? Das heute durchexerzierte Beispiel Hattingen ist doch wirklich nur ein Beispiel. Hattingen ist überall, wo Reitz keinen “Metropolenzuschlag” verteilt. Teilweise wird das Personal in den Redaktionen fast halbiert, es soll aber gleich viel bzw. noch etwas mehr Platz in der Zeitung redaktionell “gefüllt” werden. Das ist schon jetzt in vielen, wenn nicht allen Redaktionen nur möglich, weil Redakteure unbezahlte Überstunden machen, sich für IHR Produkt aufreiben, in der Familie in Erklärungsnot geraten, warum sie denn wieder so spät zuhause sind, warum sie so wortkarg aufs Sofa fallen und ewig müde sind. Wenn Reitz oder Klümper in ihrer Amtszeit nur ein wenig mehr als null Gespräche über das Thema Arbeitsverdichtung und -belastung im Lokalen geführt hätten, wäre ihnen nicht verborgen geblieben, dass in den Redaktionen schon jetzt die am Stock gehen, die sich reinhängen fürs Produkt, weil sie für eine gute WAZ stehen wollen, weil sie sich bei den Lesern und in ihrer Stadt nicht blöd angucken lassen wollen nach dem Motto: Ach, Sie sind von der WAZ. Ja, die ist mir nicht hintergründig genug…

Hintergrund, Inhalt, investigativer und damit qualitätsvoller Journalismus vor Ort bedingt eine adäquate Personalstärke. Wenn heute die Arbeitslosenzahlen präsentiert werden, reicht es nicht, zur PK der Agentur zu gehen. Guter Journalismus hinterfragt die Dinge, deckt soziale Schieflagen dahinter auf etc. Das ist schon heute in den Lokalredaktionen kaum möglich, weil Thema B und C auch noch zu beackern sind, daneben Online, Telefonate, Leserkontakt, Redaktionsbesuche, Tagesplan, Wochenplan, Bilderwünsche, Anforderungen aus dem Mantel etc pp. – Klar, dass Reitz, Klümper und Co. immer noch denken, es sei mehr möglich. Sie haben sich nie mit der Arbeitssituation vor Ort auseinandergesetzt. Sie sind völlig entfremdet. Es ist letztlich wie bei Hartz IV. Die Chefredaktion fordert, aber sie fördert nicht.

Erst heute hat Reitz wohl Lunte gerochen, dass in den Lokalredaktionen längst ein riesiges Pulverfass steht, das hochzugehen droht. Er macht sich mit einem gut bestückten Content Desk schick für Lobhudeleien der High Society, wir in den Lokalredaktionen kriegen die Schmäh vom Leser. Es ist eine Farce, dass Reitz heute rumschicklerte und mit den Prozentzahlen der Einsparungen in Mantel vs. Lokalem (die auf den ersten Blick fast identisch sind) versuchte, die Stimmung wieder ein wenig zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Fakt ist ein anderer: Der Mantel der drei Titel wird zusammengelegt, die Lokalredaktionen bestehen aber fort. Der Mantel (Content Desk) könnte, weil er weniger Inhalt zu produzieren hat, mehr einsparen als das Lokale. Aber es scheint, dass Reitz sich sonnen will, sein Arbeitsumfeld muss stimmen. Überspitzt könnte seine Auffassung von der Zukunft SEINER WAZ so aussehen: Was kümmert mich das Lokale, das, wo die Leser sich mit verbinden? Hauptsache, ich kann mit einem bei Regionalzeitungen unvergleichlichen Konzept im Mantel prahlen…

Sorry, aber: WAS FÜR EINE SCHEISSE!!!

Das, was auch künftig im Mantel stehen wird, wird die Leser nicht wesentlich mehr interessieren, weil sie die Themen längst anderswo aufgefangen und deren Inhalt aufgesogen haben. Das Lokale kann ihnen bis jetzt niemand in der Form bieten wie die Tageszeitung. Anstatt diese inhaltlich (!) und konzeptionell (!), werden sie rasiert. Ohne dass mal einer der Herren Reitz, Klümper und Co. über Konzepte und Möglichkeiten mit denen gesprochen und debattiert haben, die die Erfordernisse und die Arbeit vor Ort kennen. Da schwadroniert Reitz heute darüber, viele seien froh, in Zukunft unter seinem neuen Konzept mit Regio Desk arbeiten zu können. Lokalchefs stünden dahinter… Welch eine Lüge, welch ein Offenbarungseid für diesen Egozentriker. Reitz hat wohl vergessen, dass die Lokalchefs einen Brief formuliert haben, in denen sie sich entschieden gegen die Pläne im Lokalen wenden. Wenn ich richtig informiert bin, hat die Chefredaktion, als sie davon Wind bekommen hat, den Lokalchefs Sanktionen angedroht, wenn sie ihr Papier unterschreiben und an Geschäftsleitung und Gesellschafter versenden.

Darin heißt es:

“Wir, die Leiterinnen und Leiter der WAZ-Lokalredaktionen, fürchten, dass mit der Restrukturierung der vier NRW-Titel eine Strategie verfolgt wird, die dauerhaft für die WAZ und ihre Abonnentenzahl schädlich ist: Das Schickler-Konzept sieht eine Schwächung der Lokalredaktionen vor. Das widerspricht der erklärten WAZ-Philosophie, die ihre Kernkompetenz im Lokalen sieht und daraus ihre Leserschaft bezieht.
Mit der Zielvorgabe “One man one page” im Lokalen ist die geforderte und für die Zukunft der WAZ notwendige Qualität der Berichterstattung nicht zu gewährleisten. Dieser Personalschlüssel steht zudem in keinem Verhältnis zu der für den Content Desk geplanten Mitarbeiterzahl. Aus unserer Sicht ist es unumgänglich, die Relationen zu Gunsten der Lokalredaktionen anzupassen. Die bereits erfolgte Umfangsreduzierung hat überdies in vielen Lokalredaktionen schon zu gravierenden Qualitätsverlusten geführt.

Auch die bislang geplanten Regionalen Produktionsdesks betrachten wir als kontraproduktiv. Aus lokaler Sicht sind mit der beabsichtigten Struktur keine Synergien zu erzielen, sondern eher das Gegenteil: zusätzliche organisatorische Hürden, die wertvolle Arbeitszeit binden. Eine regionale Produktion von Seiten widerspricht elementar unserern Erfahrungen aus dem redaktionellen Alltag in den Stadtredaktionen. Sie würde keine Entlastung bringen, sondern Mehrarbeit und Qualitätsverluste. Die geäußerte Erwartung, dass – in der Struktur der Revierstädte – durch Auslagerung produktionstechnischer Prozesse Freiräume zur journalistzischen Arbeit geschaffen werden, teilen wir nicht.

Uns geht es dabei nicht um die grundsätzliche Ablehnung von Desks und Arbeitsbündelung. Vielmehr befürworten wir diese Organisationseinheiten für Großstädte wie Duisburg, Essen, Bochum oder Gelsenkirchen, in denen in der Tat Arbeitsabläufe konzentriert werden können, ohne die Nähe vor Ort zu gefährden.

Wir, die Leiterinnen und Leiter der WAZ-Lokalredaktionen, sind der festen Überzeugung, dass lokale Qualitätsberichterstattung das Pfund ist, mit dem wir heute und in Zukunft wuchern müssen, im Print, Online, TV oder anderen mobilen Diensten. Auch im Namen unserer Mitarbeiter bitten wir Sie eindringlich, das geplante Restrukturierungskonzept gründlich zu überdenken und zu Gunsten der Lokalredaktionen zu verändern. Wir bieten dazu unsere engagierte Mitarbeit an.”

Bedarf es hierzu noch Worten? Erst heute hat die Chefredaktionen ihren autoritären, ja monarchistischen Führungsstil wohl doch mal etwas kritischer gesehen, weil es in der Betriebsversammlung offensichtlich war, dass sie jeglichen Rückhalt in den Lokalredaktionen verloren hat und die Motivation der Mannschaften vor Ort durch ihre Ignoranz kräftig beschädigt hat.

Heute Abend trudelte dann plötzlich folgende Mail in die Lokalredaktionen:

“Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
im Nachgang zur heutigen Betriebsversammlung werden Herr Kloß und ich in den nächsten Wochen jede Lokalredaktion aufsuchen, um etwaige Fragen im Zusammenhang mit den geplanten Umstrukturierungen in einem persönlichen Gespräch mit Ihnen zu klären. Terminabsprache folgt über Frau Emich-Hermes. Einen schönen Abend.
Mit freundlichem Gruß
Wilhelm Klümper”

Na, schönen Dank auch. Hoffentlich ist es nicht zu spät…

WIR WOLLEN GUTE ARBEIT LEISTEN, NUR WERDEN WIR DER MÖGLICHKEITEN DAZU BERAUBT!!!